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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
7B_490/2023  
 
 
Urteil vom 6. September 2023  
 
II. strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Abrecht, Präsident, 
Bundesrichter Hurni, Kölz, 
Gerichtsschreiber Schurtenberger. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Camill Droll, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Staatsanwaltschaft Zofingen-Kulm, Untere Grabenstrasse 32, 4800 Zofingen. 
 
Gegenstand 
Entsiegelung, 
 
Beschwerde gegen die Verfügung des Zwangsmassnahmengerichts des Kantons Aargau 
vom 15. Juni 2023 (ZM.2022.221). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Die Staatsanwaltschaft Zofingen-Kulm führt gegen A.________ ein Strafverfahren wegen (versuchter) schwerer Körperverletzung, Angriffs, (versuchter) qualifizierter Erpressung sowie Nötigung. Sie verdächtigt ihn, am 23. September 2022 ca. um 20:15 bis 21:00 Uhr an der U.________strasse in V.________ zusammen mit drei weiteren Personen B.________ (Geschädigter) zusammengeschlagen, ihm drei Rippen gebrochen sowie einen Pneumothorax links zugefügt sowie zuvor veranlasst zu haben, dass C.________ den Geschädigten zum Clublokal geführt habe. A.________ ist geständig, auf den Geschädigten eingewirkt zu haben, indem er ihm Ohrfeigen und einige Faustschläge auf die Schulter verpasst hat. Hingegen bestreitet er, dem Geschädigten drei Rippen gebrochen zu haben. Zudem wird A.________ verdächtigt, gegen das Bundesgesetz über Waffen, Waffenzubehör und Munition vom 20. Juni 1997 (SR 514.54) verstossen und zu Unrecht Sozialversicherungsleistungen bezogen zu haben sowie in Betäubungsmitteldelikte "verstrickt gewesen" zu sein. Weiter sei er mutmasslich einer nicht gemeldeten Erwerbstätigkeit nachgegangen, habe trotz Führerausweissperre ein Motorfahrzeug gefahren und habe allenfalls ein Motorradkontrollschild widerrechtlich erlangt und/oder verwendet. 
Am 4. Oktober 2022 liess die Staatsanwaltschaft die A.________ gehörenden drei Mobiltelefone - ein Apple iPhone13, ein Apple iPhone unbekannt sowie ein Onestyle - sicherstellen. A.________ verlangte umgehend die Siegelung aller drei Geräte. 
 
B.  
Am 24. Oktober 2022 ersuchte die Staatsanwaltschaft das Zwangsmassnahmengericht des Kantons Aargau um Entsiegelung der drei Mobiltelefone. Mit Verfügung vom 15. Juni 2023 stellte das Zwangsmassnahmengericht fest, "dass die am 4. Oktober 2022 beim Beschuldigten sichergestellten drei Mobiltelefone [...] nicht ordnungsgemäss gesiegelt wurden" (Dispositiv-Ziffer 1). Zugleich hiess es das Entsiegelungsgesuch gut und erklärte die Staatsanwaltschaft für berechtigt, die drei sichergestellten Mobiltelefone bzw. die darauf enthaltenen Aufzeichnungen zu durchsuchen und die dabei erlangten Erkenntnisse im Strafverfahren zu verwenden (Dispositiv-Ziffer 2). 
 
C.  
A.________ beantragt mit Beschwerde in Strafsachen, Dispositiv-Ziffer 2 der angefochtenen Verfügung aufzuheben. Auf das Entsiegelungsbegehren der Staatsanwaltschaft sei nicht einzutreten, eventualiter sei es abzuweisen. 
Ausserdem ersucht er um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege und Rechtsverbeiständung. 
Es wurden keine Vernehmlassungen eingeholt. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Angefochten ist ein nach Art. 248 Abs. 3 lit. a StPO kantonal letztinstanzlicher Entscheid eines Zwangsmassnahmengerichts. Dagegen steht gemäss Art. 80 Abs. 2 Satz 3 BGG die Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht nach Art. 78 bis 81 BGG grundsätzlich offen. Der Beschwerdeführer ist als beschuldigte Person zur Beschwerde legitimiert (Art. 81 Abs. 1 lit. a und b Ziff. 1 BGG). 
 
2.  
 
2.1. Der angefochtene Entsiegelungsentscheid schliesst die gegen den Beschwerdeführer geführte Strafuntersuchung nicht ab und betrifft weder die Zuständigkeit noch ein Ausstandsbegehren im Sinne von Art. 92 BGG. Demnach ist er gemäss Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG nur dann unmittelbar mit Beschwerde an das Bundesgericht anfechtbar, wenn er einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken kann. Beim drohenden nicht wieder gutzumachenden Nachteil im Sinne dieser Bestimmung muss es sich um einen solchen rechtlicher Natur handeln. Ein lediglich tatsächlicher Nachteil wie die Verteuerung oder Verlängerung des Verfahrens genügt nicht. Nicht wieder gutzumachend bedeutet, dass er auch mit einem für die beschwerdeführende Person günstigen Endentscheid nicht oder nicht vollständig behoben werden kann (BGE 148 IV 155 E. 1.1; 144 IV 321 E. 2.3; je mit Hinweisen). Woraus sich der nicht wieder gutzumachende Nachteil ergeben soll, ist in der Beschwerdeschrift darzulegen, sofern dies nicht offensichtlich ist (BGE 141 IV 284 E. 2.3, 289 E. 1.3, je mit Hinweisen).  
Wird im Entsiegelungsverfahren ausreichend substanziiert geltend gemacht, dass einer Entsiegelung geschützte Geheimhaltungsrechte entgegenstehen, droht nach der Praxis des Bundesgerichts im Fall der Entsiegelung ein nicht wieder gutzumachender Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG, weil die Offenbarung eines Geheimnisses nicht rückgängig gemacht werden kann. Werden dagegen (lediglich) andere Beschlagnahmehindernisse wie insbesondere ein mangelnder Deliktskonnex geltend gemacht, fehlt es grundsätzlich am nicht wieder gutzumachenden Nachteil (Urteile 7B_58/2023 vom 10. Juli 2023 E. 2.1; 1B_155/2023 vom 10. Mai 2023 E. 1.2; 1B_591/2022 vom 21. Dezember 2022 E. 4.1; 1B_40/2022 vom 1. Dezember 2022 E. 2.1; teilweise mit weiteren Hinweisen). 
 
2.2. Der Beschwerdeführer behauptet zwar, dass ein nicht wieder gutzumachender Nachteil drohe, vermag jedoch nicht darzutun, dass die Eintretensvoraussetzung von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG erfüllt wäre:  
Die Vorinstanz stellt fest, der Beschwerdeführer bringe keine schutzwürdigen Interessen vor, führe jedoch aus, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für die Entsiegelung (hinreichender Tatverdacht, Deliktskonnex und Verhältnismässigkeit) ohnehin nicht erfüllt seien und es damit gar nicht notwendig sei, einen Siegelungsgrund anzugeben. Der Beschwerdeführer stellt dies nicht in Abrede und ruft auch in seiner Beschwerde keine geschützten Geheimhaltungsinteressen an. Im Gegenteil macht er geltend, das Zwangsmassnahmengericht habe im Entsiegelungsverfahren nicht nur zu untersuchen, ob von der betroffenen Person angerufene schutzwürdige Geheimnisinteressen oder andere gesetzliche Entsiegelungshindernisse einer Durchsuchung entgegenstünden (Art. 248 Abs. 2-4 StPO); zu prüfen seien (akzessorisch) auch Einwände gegen die grundsätzliche Zulässigkeit der Durchsuchung, etwa das Vorbringen, es mangle an dem für deren Anordnung erforderlichen hinreichenden Tatverdacht, oder es könne, mangels gültiger Siegelung, gar nicht auf den Antrag der Entsiegelung eingetreten werden. Dass es sich bei der angeordneten Entsiegelung - in den Worten des Beschwerdeführers - "um einen Eingriff in die Privatsphäre ohne rechtliche Grundlage" handelt, "welcher nicht mehr rückgängig gemacht werden kann", belegt indessen für sich allein keinen drohenden nicht wiedergutzumachenden Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG
 
2.3. Folglich fehlt es an den Voraussetzungen einer selbständigen Anrufung des Bundesgerichts. Daran ändert auch nichts, dass die Vorinstanz ausdrücklich festgestellt hat, die sichergestellten Mobiltelefone seien nicht ordnungsgemäss gesiegelt worden. Über die Rechtsfolgen dieser Feststellung wird das Sachgericht zu entscheiden haben.  
 
3.  
Auf die Beschwerde ist nicht einzutreten. Da sie von vornherein aussichtslos war, ist das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ist abzuweisen (Art. 64 BGG). Die Gerichtskosten sind dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten. 
 
2.  
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen. 
 
3.  
Die Gerichtskosten von Fr. 600.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
4.  
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft Zofingen-Kulm und dem Zwangsmassnahmengericht des Kantons Aargau schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 6. September 2023 
 
Im Namen der II. strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Abrecht 
 
Der Gerichtsschreiber: Schurtenberger