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Eidgenössisches Versicherungsgericht 
Tribunale federale delle assicurazioni 
Tribunal federal d'assicuranzas 
 
Sozialversicherungsabteilung 
des Bundesgerichts 
 
Prozess 
{T 7} 
H 181/05 
 
Urteil vom 16. März 2006 
III. Kammer 
 
Besetzung 
Präsident Ferrari, Bundesrichter Lustenberger und Seiler; Gerichtsschreiber Traub 
 
Parteien 
J.________, Beschwerdeführer, 
 
gegen 
 
Ausgleichskasse des Kantons Zürich, Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich, Beschwerdegegnerin 
 
Vorinstanz 
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Winterthur 
 
(Beschluss vom 4. Oktober 2005) 
 
Sachverhalt: 
J.________ reichte dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich am 29. August 2005 ein Schreiben ein, in welchem er um eine Fristverlängerung im Hinblick auf die Anfechtung eines Einspracheentscheids der Ausgleichskasse des Kantons Zürich vom 29. Juli 2005 betreffend subsidiärer Schadenersatzpflicht der Arbeitgeberorgane für entgangene Beiträge ersuchte. Am 5. September 2005 setzte ihm das kantonale Gericht eine nicht erstreckbare Frist von zehn Tagen ab Erhalt der Verfügung, um die Eingabe mit einem Rechtsbegehren und einer hinreichenden Begründung zu ergänzen. Am 20. September reichte J.________ eine verbesserte Beschwerdeschrift ein. 
 
Das Sozialversicherungsgericht trat auf die Beschwerde nicht ein mit der Begründung, die Eingabe vom 29. August 2005 habe den gesetzlichen Anforderungen an eine Beschwerdeschrift nicht genügt; die Verbesserung sei nicht innert gesetzter Nachfrist erfolgt (Beschluss vom 4. Oktober 2005). 
 
J.________ führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit den Rechtsbegehren, der Nichteintretensentscheid des kantonalen Gerichts sei aufzuheben, und es sei die Sache in ein parallel laufendes Verfahren zu integrieren. Die Ausgleichskasse und das Bundesamt für Sozialversicherung verzichten auf Vernehmlassung. 
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 
1. 
1.1 Nach Art. 61 lit. b ATSG muss eine Beschwerde an das kantonale Versicherungsgericht eine gedrängte Darstellung des Sachverhalts, ein Rechtsbegehren und eine kurze Begründung enthalten. Genügt sie diesen Anforderungen nicht, so setzt das Gericht der beschwerdeführenden Person eine angemessene Frist zur Verbesserung und verbindet damit die Androhung, dass sonst auf die Beschwerde nicht eingetreten wird. 
 
Ein Vergleich des Art. 61 lit. b ATSG (in Kraft seit dem 1. Januar 2003) mit dem bis zum 31. Dezember 2002 gültig gewesenen Art. 85 Abs. 2 lit. b AHVG zeigt, dass hinsichtlich Anforderungen an die Beschwerde und Nachfristansetzung Rechtskontinuität herrscht. Es erfolgten nur redaktionelle, aber keine inhaltlichen Änderungen. Deshalb findet die zu Art. 85 Abs. 2 lit. b AHVG ergangene Rechtsprechung unter der Geltung von Art. 61 lit. b ATSG weiterhin Anwendung. Diese Praxis bezeichnete § 18 des Gesetzes über das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich vom 7. März 1993 (GSVGer), auf welche Bestimmung sich die Vorinstanz stützte, als bundesrechtskonform (Urteile C. vom 6. Juni 2005, I 126/05, Erw. 2, und Z. vom 6. Mai 2004, H 305/03, Erw. 3.2 [zusammengefasst in ZBJV 2004 S. 752 und HAVE 2004 S. 242]). 
1.2 Im Gegensatz zum letztinstanzlichen Verfahren, in welchem gemäss Art. 108 Abs. 3 OG eine nachträgliche Verbesserungsmöglichkeit der Beschwerde nur bei Unklarheit von Begehren oder Begründung vorgesehen ist, hat die Fristansetzung zur Verbesserung der Beschwerde im erstinstanzlichen Verfahren immer zu erfolgen, wenn die Beschwerde den in Art. 61 lit. b ATSG genannten gesetzlichen Anforderungen nicht genügt, also auch dann, wenn es an Begehren oder Begründung gänzlich mangelt. Die Rechtsprechung lässt ein Abweichen vom Anspruch auf Nachfristansetzung nur im Fall eines offensichtlichen Rechtsmissbrauchs zu, so, wenn ein Anwalt bewusst eine mangelhafte Rechtsschrift einreicht, um damit eine Nachfrist zur Begründung zu erwirken (BGE 107 V 245, 104 V 178; bereits erwähntes Urteil C. vom 6. Juni 2005, I 126/05, Erw. 3.3 und 4.2 mit Hinweisen; vgl. aber auch Urteil F. vom 10. Mai 2004, 1P.141/2004, Erw. 2). 
2. 
2.1 Nachdem die innert gesetzlicher Frist eingereichte Rechtsschrift des Beschwerdeführers kein Rechtsbegehren und keine Begründung, weshalb eine andere Entscheidung verlangt wird, enthielt, setzte die Vorinstanz dem Rechtssuchenden eine Nachfrist von zehn Tagen, gerechnet ab Erhalt der Verfügung, zur Verbesserung dieser Mängel an. Die entsprechende Verfügung vom 5. September 2005 wurde dem Beschwerdeführer am 8. September 2005 zugestellt. Die Nachfrist lief damit am 18. September 2005 bzw., weil dies ein Sonntag war, am darauf folgenden 19. September 2005 ab. Erst am 20. September 2005 übergab der Beschwerdeführer eine verbesserte Beschwerdeschrift der Post. 
 
Die geltend gemachten gesundheitlichen Probleme des Beschwerdeführers sind nicht ursächlich für die verspätete Beschwerdeergänzung, so dass sich unter diesem Aspekt die Frage einer Wiederherstellung der Frist (vgl. Art. 60 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 41 ATSG) nicht stellt. Auch hatte der Beschwerdeführer gegebenenfalls die Möglichkeit, die unentgeltliche Verbeiständung zu beantragen (Art. 61 lit. f ATSG). 
2.2 Der Beschwerdeführer macht geltend, dass die Frist zur Verbesserung im Sinne von Art. 61 lit. b ATSG zu einem Zeitpunkt angesetzt worden sei, in welchem die ordentliche gesetzliche Rechtsmittelfrist noch nicht abgelaufen war, und sich die eigentliche Nachfrist daher entsprechend verkürzt habe. Tatsächlich fiel die Eröffnung des Einspracheentscheids vom 29. Juli 2005 in den vom 15. Juli bis und mit dem 15. August dauernden Fristenstillstand ("Gerichtsferien"; Art. 60 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 38 Abs. 4 lit. b ATSG; § 13 Abs. 3 lit. b GSVGer). Zufolge Überschneidung mit der daher erst am 14. September 2005 endenden Rechtsmittelfrist dauerte die Nachfrist (bis zum 18. September 2005) lediglich noch während vier Tagen über die ordentliche Frist hinaus. Diese spezielle Verumständung führt aber nicht dazu, dass aus der vorinstanzlichen Verfügung vom 5. September 2005 nach Treu und Glauben abzuleiten wäre, die Nachfrist komme erst nach Ablauf der gesetzlichen Rechtsmittelfrist, also in voller Länge zum Tragen. Der Umstand, dass das kantonale Gericht eine ab Zustellung der Verfügung laufende Nachfrist angesetzt hat, obgleich die ordentliche Rechtsmittelfrist wegen des Fristenstillstandes noch nicht abgelaufen war, verschafft dem Beschwerdeführer keinen Anspruch auf einen Aufschub des Beginns der zur Verbesserung der Beschwerde angesetzten Zehntagesfrist. Massgebend ist, dass der Beschwerdeführer insgesamt über ausreichend Zeit verfügte, um eine den gesetzlichen Anforderungen gemäss Art. 61 lit. b ATSG entsprechende Eingabe nachzureichen. Inhaltliche und formale Mängel von Beschwerdeschriften müssen, soweit möglich, innerhalb der gesetzlichen Rechtsmittelfrist behoben werden. Die Vorinstanz ist der damit zusammenhängenden Pflicht der Rekursinstanzen zum frühzeitigen Hinweis (vgl. nicht veröffentlichtes Urteil K. vom 15. Juni 2000, C 32/98, Erw. 4c) im Ergebnis nachgekommen. Der Umstand, dass sie nicht zwischen der (für sich allein wohl zu knappen) "Restlaufzeit" der ordentlichen Rechtsmittelfrist und der nach Art. 61 lit. b ATSG erforderlichen anschliessenden richterlichen Nachfrist unterschieden hat und dass sich letztere dadurch gegenüber dem Verfügungswortlaut im Ergebnis entsprechend verkürzte, lässt die Fristsetzung nicht als unangemessen erscheinen. 
2.3 Die Vorinstanz ist auf das Rechtsmittel nicht eingetreten, ohne dem Beschwerdeführer speziell zu dieser Frage das rechtliche Gehör zu gewähren. Die Tragweite des verfassungsmässigen Anspruchs auf rechtliches Gehör gemäss Art. 29 Abs. 2 BV bestimmt sich nach der konkreten Situation und Interessenlage im Einzelfall (BGE 123 I 68 Erw. 2d, 105 Ia 197 Erw. 2b/cc). Nach Rechtsprechung des Bundesgerichts besteht in der Regel kein unbedingter und voraussetzungsloser Anspruch auf Anhörung vor Erlass eines Nichteintretensentscheids. Dieser Grundsatz folgt aus der allgemeinen Vorschrift der Prozessökonomie, wonach auf offensichtlich unzulässige Rechtsmittel ohne vorgängige Anhörung der Parteien nicht einzutreten ist (so Art. 36a Abs. 1 lit. a OG), und lässt sich mit dem verfassungsmässigen Anspruch auf rechtliches Gehör vereinbaren. Als "offensichtlich unzulässig" kann ein Rechtsmittel freilich nur gelten, wenn die Sachumstände der Rechtsmittelerhebung klar und unbestritten sind, so dass die von Amtes wegen zu prüfende Eintretensfrage zweifelsfrei und ohne weitere Abklärungen beantwortet werden kann und insoweit keine Notwendigkeit besteht, den Rechtsmittelkläger zum Versäumnis der Rechtsmittelfrist anzuhören (Praxis 1996 Nr. 217 S. 839). Für das kantonale Gericht bestand kein Anlass zu entsprechenden Zweifeln. 
 
Der angefochtene Entscheid ist nach dem Gesagten insgesamt nicht zu beanstanden. 
3. 
Die Frage, inwieweit sich ein weiteres, offenbar beim kantonalen Gericht hängiges Verfahren in zwar gleicher Sache, aber betreffend eine andere ins Recht gefasste Person auf die Rechtsstellung des Beschwerdeführers auswirkt, bildet nicht Gegenstand dieses Verfahrens. 
4. 
Dieses Verfahren hat nicht die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen zum Gegenstand, weshalb es kostenpflichtig ist (Art. 134 OG e contrario). Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend trägt der Beschwerdeführer die Verfahrenskosten. Diese sind, den Besonderheiten des vorliegenden Falls Rechnung tragend (vgl. Erw. 2.2 hievor), in reduziertem Umfang zu erheben. 
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: 
1. 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 300.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. Sie sind durch den geleisteten Kostenvorschuss von Fr. 500.- gedeckt; der Differenzbetrag von Fr. 200.- wird zurückerstattet. 
3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt. 
Luzern, 16. März 2006 
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts 
 
Der Präsident der III. Kammer: Der Gerichtsschreiber: