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Eidgenössisches Versicherungsgericht 
Tribunale federale delle assicurazioni 
Tribunal federal d'assicuranzas 
 
Sozialversicherungsabteilung 
des Bundesgerichts 
 
Prozess {T 7} 
P 56/05 
 
Urteil vom 29. Mai 2006 
I. Kammer 
 
Besetzung 
Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Ferrari, Ursprung, Bundesrichterin Widmer und Bundesrichter Frésard; Gerichtsschreiberin Keel Baumann 
 
Parteien 
Amt für Zusatzleistungen zur AHV/IV der Stadt Zürich, Amtshaus Helvetiaplatz, 8004 Zürich, Beschwerdeführer, 
 
gegen 
 
L.________, 1964, Beschwerdegegnerin, vertreten durch Rechtsanwalt Christoph Lüthy, c/o Pro Mente Sana, Hardturmstrasse 261, 8031 Zürich, 
 
Vorinstanz 
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Winterthur 
 
(Entscheid vom 26. September 2005) 
 
Sachverhalt: 
A. 
Die 1964 geborene L.________ bezieht seit November 2000 Zusatzleistungen zur Invalidenrente in Form von Ergänzungsleistungen und Beihilfen. 
 
Nachdem die von ihr bisher bezogene halbe Invalidenrente rückwirkend ab 1. März 2002 auf eine ganze Rente erhöht worden war (Verfügung der IV-Stelle des Kantons Zürich vom 17. Januar 2003), nahm das Amt für Zusatzleistungen zur AHV/IV der Stadt Zürich eine Neuberechnung der Ergänzungsleistungen und Beihilfen vor. Dabei berücksichtigte es ein Reinvermögen per 1. Januar 2003 von Fr. 30'646.-, bestehend aus einem L.________ gemäss Scheidungsurteil vom 4. September 2000 auf ein Freizügigkeitskonto überwiesenen Guthaben von Fr. 30'626.- und aus einem Sparkapital von Fr. 20.-. Das Amt setzte die L.________ zustehenden Ergänzungsleistungen und Beihilfen ab 1. Januar 2003 neu auf Fr. 1'198.- fest (Verfügung vom 11. Februar 2003) und forderte von L.________ die für die Zeit vom 1. März 2002 bis 28. Februar 2003 zu viel ausgerichteten Ergänzungsleistungen und Beihilfen in der Höhe von Fr. 12'146.- zurück (Verfügung vom 7. Februar 2003). Gegen beide Verfügungen liess die Versicherte Einsprache erheben und beantragen, in Aufhebung der Verfügung vom 11. Februar 2003 und von Ziff. 1 und 2 der Rückerstattungsverfügung vom 7. Februar 2003 seien die Zusatzleistungen ab Januar 2003 auf Fr. 1'268.- und der für die Zeit vom 1. März 2002 bis 28. Februar 2003 rückzuerstattende Betrag auf Fr. 12'006.- festzusetzen. Das Amt für Zusatzleistungen vereinigte die beiden Verfahren und hielt an seinem Standpunkt fest (Einspracheentscheid vom 25. September 2003). Die von L.________ hierauf erhobene Einsprache lehnte der Bezirksrat Zürich mit Beschluss vom 22. Januar 2004 ab, soweit er darauf eintrat. 
B. 
L.________ liess hiegegen Beschwerde erheben mit dem Rechtsbegehren, in Aufhebung der Verfügung vom 11. Februar 2003 und von Ziff. 1 und 2 der Rückerstattungsverfügung vom 7. Februar 2003 seien die Zusatzleistungen für die Monate Januar bis November 2003 auf Fr. 1'268.- und der für die Zeit vom 1. März 2002 bis 28. Februar 2003 rückzuerstattende Betrag auf Fr. 12'006.- festzusetzen. Gleichzeitig sei die Verwaltung zu verpflichten, ihr Fr. 140.- zurückzuerstatten. In teilweiser Gutheissung der Beschwerde hob das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich den Beschluss des Bezirksrates Zürich vom 22. Januar 2004 auf und wies die Sache an das Amt für Zusatzleistungen zur AHV/IV der Stadt Zürich zurück, damit dieses über den Anspruch der L.________ auf Zusatzleistungen ab 1. Januar 2003 und den Rückerstattungsbetrag im Sinne der Erwägungen neu verfüge (Entscheid vom 26. September 2005). 
C. 
Das Amt für Zusatzleistungen zur AHV/IV der Stadt Zürich führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag auf Aufhebung des kantonalen Entscheids. 
 
Während L.________ die Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragen lässt, schliesst das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) auf deren Gutheissung. 
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 
1. 
Auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde kann nur soweit eingetreten werden, als bundesrechtliche Ergänzungsleistungen streitig sind. Zusatzleistungen (Beihilfen und Gemeindezuschüsse) nach kantonalem Recht fallen somit ausser Betracht (BGE 124 V 146 Erw. 1 mit Hinweis; nicht veröffentlichte Erw. 1 des in BGE 130 V 407 publizierten Urteils N. vom 13. Juli 2004, P 22/04). 
2. 
Gemäss Art. 3a Abs. 1 ELG hat die jährliche Ergänzungsleistung dem Betrag zu entsprechen, um den die anerkannten Ausgaben die anrechenbaren Einnahmen übersteigen. Zu den anrechenbaren Einnahmen gehören nach Art. 3c Abs. 1 ELG unter anderem ein Fünfzehntel (bei Altersrentnern ein Zehntel) des Reinvermögens, soweit es bei Alleinstehenden Fr. 25'000.- (bei Ehepaaren Fr. 40'000.-) übersteigt (lit. c), sowie Einkünfte und Vermögenswerte, auf die verzichtet worden ist (lit. g). 
3. 
3.1 Es steht fest und ist unbestritten, dass die Beschwerdegegnerin am 17. Juni 2003 um die Auszahlung des gemäss Scheidungsurteil vom 4. September 2000 auf ein Freizügigkeitskonto überwiesenen Betrages von Fr. 30'626.- zuzüglich Zins ersucht hat (Art. 16 Abs. 2 FZV), welchem Begehren am 19. Juni 2003 entsprochen worden ist (Gutschrift per 23. Juni 2003). 
3.2 Das Amt für Zusatzleistungen zur AHV/IV der Stadt Zürich und der Bezirksrat Zürich vertreten, anders als das kantonale Gericht, den Standpunkt, dieses Freizügigkeitsguthaben in der Höhe von Fr. 30'626.- (zuzüglich Zins) sei bereits vor der Auszahlung - im Rahmen der Festsetzung der Ergänzungsleistungen für den Zeitraum ab 1. Januar 2003 - als anrechenbares Reinvermögen bzw. als Vermögensertrag zu berücksichtigen. Dieser Auffassung ist beizupflichten. Denn entgegen der Betrachtungsweise der Vorinstanz ist die Leistung der beruflichen Vorsorge nicht erst fällig im Sinne von Art. 75 ff. OR (vgl. dazu BGE 129 III 541 Erw. 3.2.1), wenn der Vorsorgenehmer bzw. die Vorsorgenehmerin sie verlangt, sondern bereits ab dem Zeitpunkt, in welchem die Leistung gefordert werden "kann" bzw. "darf" (vgl. Hans Michael Riemer, Berührungspunkte zwischen beruflicher Vorsorge und ELG sowie kantonalen Sozialhilfegesetzen bzw. SKOS-Richtlinien, in: SZS 2001 S. 331 ff., S. 333). Dass das Bundesgericht in seiner Praxis zum Schuldbetreibungs- und Konkursrecht (in Bezug auf die Bestimmung des Art. 92 Ziff. 10 SchKG bzw. Art. 92 Ziff. 13 aSchKG) von einem anderen Fälligkeitsbegriff ausgeht (vgl. dazu BGE 121 III 34 Erw. 2c), vermag hieran nichts zu ändern, weil der betreibungsrechtliche Fälligkeitsbegriff vom zivilrechtlichen abweichen kann (in StR 55/2000 S. 573 und Pra 2000 Nr. 169 S. 1030 veröffentlichtes Urteil M. vom 26. Mai 2000, 2P.43/2000, Erw. 2g; nicht publiziertes Urteil des Bundesgerichts in Sachen Konkursamt D. vom 5. Dezember 1995, B.268/1995, Erw. 2b/cc mit Hinweis auf Weber, Berner Kommentar, N. 44 und 57 zu Art. 75 OR sowie Schraner, Zürcher Kommentar, N. 61 f. zu Art. 75 OR). Mit Blick auf Art. 16 Abs. 2 FZV, welche Bestimmung vorsieht, dass die Versicherten die vorzeitige Auszahlung der Altersleistung (von einem Freizügigkeitskonto oder einer Freizügigkeitspolice [vgl. Abs. 1]) verlangen können, wenn sie eine volle (recte: ganze) Invalidenrente der Eidgenössischen Invalidenversicherung beziehen und das Invaliditätsrisiko nach Art. 10 Abs. 2 und 3 zweiter Satz nicht zusätzlich versichert wird, wäre es der Beschwerdegegnerin, welche seit 1. März 2002 (Verfügung vom 17. Januar 2003) eine ganze Invalidenrente bezieht, bereits im Januar 2003 möglich gewesen, die Auszahlung des auf dem Freizügigkeitskonto liegenden Betrages zu beantragen. Dementsprechend ist in diesem Zeitpunkt von der Fälligkeit des Freizügigkeitsguthabens auszugehen. 
3.3 Es rechtfertigt sich, in diesem Sinne fällige, "stehen gelassene" Guthaben gleich zu behandeln wie bezogene, d.h. im Rahmen der Ermittlung der anrechenbaren Einnahmen als Reinvermögen entsprechend Art. 3c Abs. 1 lit. c ELG zu berücksichtigen. Es verhält sich dabei nicht anders als im kantonalen Sozialhilferecht (dessen Leistungen wie die Ergänzungsleistungen zur AHV/IV nur im Falle des Vorliegens einer entsprechenden Bedarfssituation zum Zuge kommen), für welchen Bereich das Bundesgericht im Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde eine entsprechende kantonale Praxis unter dem Gesichtswinkel des Willkürverbotes und des Rechtsgleichheitsgrundsatzes als zulässig erachtet hat (Urteil E. vom 13. Mai 2004, 2P.53/2004, Erw. 4.3; vgl. auch in StR 55/2000 S. 573 und Pra 2000 Nr. 169 S. 1030 veröffentlichtes Urteil M. vom 26. Mai 2000, 2P.43/2000, Erw. 2c). Würde anders entschieden, wäre die Anrechenbarkeit der Willkür der berechtigten Person überlassen und würde es zu einer stossenden Ungleichbehandlung im Verhältnis zu den effektiven Bezügern solcher Guthaben kommen (vgl. Riemer, a.a.O., S. 333; vgl. auch für die Leistungen nach kantonalen Sozialhilfegesetzen: Urteil E. vom 13. Mai 2004, 2P.53/2004, Erw. 4.3). 
3.4 Entgegen der im angefochtenen Entscheid vertretenen Auffassung ist die unterschiedliche Behandlung von Vollinvaliden, deren auf einem Freizügigkeitskonto liegende Guthaben im Rahmen der Berechnung der Ergänzungsleistungen nach dem Gesagten zu berücksichtigen sind, und Teilinvaliden, bei welchen dies, da ihnen die Möglichkeit des Bezuges dieser Guthaben gestützt auf Art. 16 Abs. 2 FZV verwehrt ist, nicht der Fall ist, sachlich gerechtfertigt. Denn anders als bei Vollinvaliden dienen die Mittel auf dem Freizügigkeitskonto bei Teilinvaliden, welche grundsätzlich im Rahmen der beruflichen Vorsorge versichert bleiben, der Absicherung der Weiterführung der beruflichen Vorsorge. 
3.5 An der Richtigkeit der Anrechenbarkeit stehen gelassener, aber gestützt auf Art. 16 Abs. 2 FZV herausforderbarer Guthaben auf Freizügigkeitskonten vermag auch der im Recht der Ergänzungsleistungen geltende Grundsatz nichts zu ändern, wonach, da die Ergänzungsleistungen die Deckung der laufenden Lebensbedürfnisse bezwecken, bei der Ermittlung der Anspruchsberechtigung nur tatsächlich vereinnahmte Einkünfte und vorhandene Vermögenswerte zu berücksichtigen sind, über die der Leistungsansprecher ungeschmälert verfügen kann (BGE 127 V 369 Erw. 5a, 122 V 24 Erw. 5a, 121 V 205 Erw. 4a, je mit Hinweisen). Denn dieser Grundsatz findet unter anderem dort eine Einschränkung, wo die versicherte Person einen Rechtsanspruch auf bestimmte Einkünfte und Vermögenswerte hat, davon aber faktisch nicht Gebrauch macht bzw. ihre Rechte nicht durchsetzt (BGE 121 V 205 Erw. 4a; AHI 2003 S. 221 Erw. 1a [Urteil D. und E. vom 24. Mai 2002, P 82/01]). Schon unter dem Blickwinkel der allgemeinen Schadenminderungspflicht (vgl. dazu BGE 129 V 463 Erw. 4.2, 123 V 233 Erw. 3c, 117 V 278 Erw. 2b, 400, je mit Hinweisen), auf welche das BSV in seiner Vernehmlassung verweist, darf von der Beschwerdegegnerin, bei welcher sich das von den Ergänzungsleistungen abgedeckte Risiko bereits verwirklicht hat, ohne weiteres erwartet werden, dass sie sämtliche Einkunftsmöglichkeiten, über die sie verfügt, auch tatsächlich realisiert (vgl. dazu AHI 1997 S. 255 Erw. 3b). 
3.6 Nach dem Gesagten ist nicht zu beanstanden, dass das Amt für Zusatzleistungen zur AHV/IV der Stadt Zürich das auf einem Freizügigkeitskonto stehen gelassene Guthaben, welches die Beschwerdegegnerin gestützt auf Art. 16 Abs. 2 FZV hätte beziehen können, bereits vor Geltendmachung dieses Anspruches im Rahmen der Ermittlung der anrechenbaren Einnahmen als Reinvermögen entsprechend Art. 3c Abs. 1 lit. c ELG berücksichtigt hat. Folglich ist der gegenteilig lautende kantonale Entscheid aufzuheben. 
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: 
1. 
In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, soweit darauf einzutreten ist, wird der Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 26. September 2005 aufgehoben. 
2. 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, dem Bezirksrat Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt. 
Luzern, 29. Mai 2006 
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts 
 
Die Präsidentin der I. Kammer: Die Gerichtsschreiberin: