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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
8C_295/2012 
 
Urteil vom 15. April 2013 
I. sozialrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichterin Leuzinger, Präsidentin, 
Bundesrichter Ursprung, Frésard, 
Gerichtsschreiberin Schüpfer. 
 
Verfahrensbeteiligte 
F.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. André Largier, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen 
 
AXA Versicherungen AG, 
General Guisan-Strasse 40, 8400 Winterthur, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Unfallversicherung (Berufskrankheit), 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom 15. Februar 2012. 
 
Sachverhalt: 
 
A. 
A.a Der 1972 geborene F.________ arbeitete als EDV-Techniker bei der Firma E.________ AG und war in dieser Eigenschaft bei der Winterthur, Schweizerische Versicherungsgesellschaft (nunmehr AXA Versicherungen AG; nachfolgend: AXA) obligatorisch gegen die Folgen von Unfällen und Berufskrankheiten versichert. Am 2. August 2005 meldete der Versicherte der AXA, er habe wegen schädlichen Stoffen am Arbeitsplatz schon seit längerem Lungenprobleme. Nach verschiedenen Abklärungen medizinischer Art und am Arbeitsplatz hielt die Unfallversicherung mit Verfügung vom 1. Dezember 2006 fest, es liege keine Berufskrankheit vor, weshalb für die geltend gemachten Lungenbeschwerden keine Leistungen erbracht würden. Daran hielt sie auch auf Einsprache hin fest (Entscheid vom 10. April 2007), was vom Versicherungsgericht des Kantons Aargau mit Entscheid vom 13. Februar 2008 geschützt wurde. Das Bundesgericht hiess eine dagegen geführte Beschwerde mit Urteil vom 16. Januar 2009 in dem Sinne teilweise gut, als es die Sache in Aufhebung des kantonalen und des Einspracheentscheides an die AXA zurückwies, damit diese nach weiteren Abklärungen über den Leistungsanspruch neu verfüge. 
A.b Die AXA holte eine weitere ärztliche Beurteilung des Dr. med. R.________, Facharzt FMH für Innere Medizin und Arbeitsmedizin von der Abteilung Arbeitsmedizin der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA), vom 6. Juli 2009 ein und liess durch Prof. Dr. med. G.________, Chefarzt an der Klinik für Pneumologie X.________, ein Gutachten erstellen. Gestützt auf die Expertise vom 4. Juni 2010 verneinte die AXA mit Verfügung vom 4. August 2010 und Einspracheentscheid vom 31. Mai 2011 das Vorliegen einer Berufskrankheit. 
 
Die für arbeitsmedizinische Vorsorge zuständige SUVA erliess mit Datum vom 11. April 2011 gegenüber F.________ eine Nichteignungsverfügung für die Tätigkeit als Service-Techniker für Drucker. Diese blieb unangefochten. 
 
B. 
Die gegen den Einspracheentscheid vom 31. Mai 2011 geführte Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons Aargau mit Entscheid vom 15. Februar 2012 ab. 
 
C. 
F.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen und beantragen, die AXA sei zu verpflichten, die gesetzlichen Leistungen "wegen der bestehenden Berufskrankheit" zu erbringen. 
 
Die AXA schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für Gesundheit verzichtet auf eine Vernehmlassung. 
 
Erwägungen: 
 
1. 
1.1 Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen Rechtsverletzung gemäss Art. 95 f. BGG erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Immerhin prüft es, unter Berücksichtigung der allgemeinen Begründungspflicht der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind. Es ist jedenfalls nicht gehalten, wie eine erstinstanzliche Behörde alle sich stellenden rechtlichen Fragen zu untersuchen, wenn diese vor Bundesgericht nicht mehr vorgetragen wurden (BGE 133 II 249 E. 1.4.1 S. 254). 
 
1.2 Im Beschwerdeverfahren um die Zusprechung oder Verweigerung von Geldleistungen der Militär- oder Unfallversicherung ist das Bundesgericht nicht an die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden (Art. 97 Abs. 2 und Art. 105 Abs. 3 BGG). 
 
2. 
Soweit das Gesetz nichts anderes bestimmt, werden die Versicherungsleistungen bei Berufsunfällen, Nichtberufsunfällen und Berufskrankheiten gewährt. Als Berufskrankheiten gelten gemäss Art. 9 Abs. 1 UVG Krankheiten (Art. 3 ATSG), die bei der beruflichen Tätigkeit ausschliesslich oder vorwiegend durch schädigende Stoffe oder bestimmte Arbeiten verursacht worden sind. Der Bundesrat erstellt eine Liste dieser Stoffe und Arbeiten sowie der arbeitsbedingten Erkrankungen. Gestützt auf diese Delegationsnorm und Art. 14 UVV hat der Bundesrat in Anhang 1 zur UVV eine Liste der schädigenden Stoffe und der arbeitsbedingten Erkrankungen erstellt. Nach der Rechtsprechung ist eine "vorwiegende" Verursachung von Krankheiten durch schädigende Stoffe oder bestimmte Arbeiten gegeben, wenn diese mehr wiegen als alle anderen mitbeteiligten Ursachen, mithin im gesamten Ursachenspektrum mehr als 50 % ausmachen (BGE 119 V 200 f. E. 2a, SVR 2007 UV Nr. 27 E. 2 S. 91 [U 410/05], je mit Hinweisen). 
 
Gemäss Art. 9 Abs. 2 UVG gelten als Berufskrankheiten auch andere Krankheiten, von denen nachgewiesen wird, dass sie ausschliesslich oder stark überwiegend durch berufliche Tätigkeit verursacht worden sind. Diese Generalklausel bezweckt, allfällige Lücken zu schliessen, die dadurch entstehen können, dass die bundesrätliche Liste gemäss Anhang 1 zur UVV entweder einen schädlichen Stoff, der eine Krankheit verursachte, oder eine Krankheit nicht aufführt, die durch die Arbeit verursacht wurde. Nach der Rechtsprechung ist die Voraussetzung des "stark überwiegenden" Zusammenhangs erfüllt, wenn die Berufskrankheit mindestens zu 75 % durch die berufliche Tätigkeit verursacht worden ist (BGE 119 V 200 E. 2b S. 201 mit Hinweis). Dabei sind an die Annahme einer Berufskrankheit relativ strenge Anforderungen zu stellen. Verlangt wird, dass der Versicherte für eine gewisse Dauer einem typischen Berufsrisiko ausgesetzt ist. Die einmalige gesundheitliche Schädigung, die gleichzeitig mit der Berufsausübung eintritt, genügt nicht. Für die Beurteilung der Exposition (oder Arbeitsdauer) ist die gesamte ausgeübte Berufstätigkeit zu berücksichtigen (BGE 126 V 183 E. 2b S. 186 mit Hinweisen). 
 
3. 
3.1 Das kantonale Gericht hat die Leistungspflicht der AXA mit der Begründung verneint, Prof. Dr. med. G.________ habe keine pulmonale Pathologie und keine Lungenfunktionseinbusse festgestellt. Ebenso habe gemäss Gutachten vom 4. Juni 2010 während und unmittelbar nach der beruflichen Exposition mit Tonerstäuben und Lösungsmitteln ein Asthma nur möglicherweise vorgelegen. Die Vorinstanz folgert, es stehe nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit fest, dass der Beschwerdeführer überhaupt an einer Lungenerkrankung gelitten habe, weshalb sich die Frage nach der Kausalität gar nicht stelle. 
 
3.2 Der Beschwerdeführer führt dagegen an, der Experte habe im Gutachten bestätigt, dass der Versicherte während seiner Arbeit als Servicetechniker an bronchitischen Beschwerden gelitten habe, welche mit überwiegender Wahrscheinlichkeit auf die Exposition gegenüber Tonerstäuben, diversen Sprays und Lösungsmitteln am Arbeitsplatz zurückgeführt werden konnten. Entsprechend habe die SUVA inzwischen auch eine Nichteignungsverfügung erlassen. Damit bestätige die Leiterin des auf die Abklärung von Berufskrankheiten spezialisierten Bereichs "arbeitsmedizinische Vorsorge" der SUVA das Bestehen einer Berufskrankheit. Da die Nichteignungsverfügung unangefochten geblieben sei, stehe auch eine Berufskrankheit rechtskräftig fest, woran die Vorinstanz gebunden sei. 
 
4. 
4.1 Beide Parteien sind sich darin einig, dass hinsichtlich des medizinischen Sachverhaltes auf das umfassende Gutachten des Prof. Dr. med. G.________ vom 4. Juni 2010 sowie dessen ergänzende Stellungnahme vom 11. Februar 2011 abgestellt werden kann. 
4.1.1 Unbestritten ist demnach, dass beim Beschwerdeführer im Zeitpunkt der gutachterlichen Untersuchung keine Hinweise für eine Lungenerkrankung mit einer Lungenfunktionseinbusse vorlagen, dass keine bronchiale Hyperreaktivität nachgewiesen wurde und keine Anzeichen für eine asthmatische Entzündung oder ein anstrengungsinduziertes Asthma gefunden wurde, dass somit keine pulmonale Pathologie dokumentiert werden konnte. Das Ergebnis des von Dr. med. L.________ am 30. August 2005 durchgeführten Broncho-Provokationstests war, nach rein objektiven Kriterien beurteilt, wie die früher von Dr. med. Siebenschein und nunmehr vom Gutachter selbst durchgeführten Tests, negativ. Ein Asthma bronchiale während der Exposition wurde nicht klar dokumentiert und lag nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit vor. Die zwei Jahre nach Ende der Exposition festgestellte akute Bronchitis konnte mit der Exposition gegenüber Tonerstäuben grundsätzlich nicht kausal in Zusammenhang gebracht werden. Da solche Beschwerden nach abgeschlossener Exposition in der Regel rasch abnehmen, beim Patienten hingegen noch zugenommen haben, dürften andere, nicht arbeitsplatz-korrelierte Faktoren eine weitere Rolle spielen. Die in der zytologischen Untersuchung gefundenen Alveolarmakrophagen mit schwarzem, körnigem Pigment im Zytoplasma sind mit der Exposition gegenüber Tonerstäuben grundsätzlich vereinbar. Auch wenn es sich bei den Pigmenten tatsächlich um Tonerpigmente handeln würde - was retrospektiv kaum mehr bewiesen werden kann -, wären diese aber nicht die Ursache einer Lungenerkrankung. Eine bleibende Berufskrankheit liegt demgemäss nicht vor. 
 
4.2 Zu prüfen bleibt, ob die in den Jahren 2003 bis 2005 rezidivierend aufgetretenen Infekte der Atemwege und der Bronchien mit übewiegender Wahrscheinlichkeit auf die berufliche Tätigkeit zurückzuführen waren. 
Prof. Dr. G.________ hält gemäss Gutachten vom 4. Juni 2010 die vom Beschwerdeführer geschilderten Symptome während der Exposition gegenüber Tonerstäuben, diversen Sprays und Lösungsmittel am Arbeitsplatz als grundsätzlich nachvollziehbar. Auf die Frage, ob die geltend gemachten Expositionen mit überwiegender Wahrscheinlichkeit für die bronchitischen Veränderungen beim Exploranden verantwortlich seien, legt er dar, diese hätten während der Exposition mit einer über 50 % liegenden Wahrscheinlichkeit zu den geltend gemachten Veränderungen geführt. Hingegen seien die nach dem Verlassen des Arbeitsplatzes beschriebenen bronchitischen Episoden mit einer unter 50 % liegenden Wahrscheinlichkeit auf die - ehemalige - berufliche Tätigkeit zurückzuführen. In seiner ergänzenden Stellungnahme vom 11. Februar 2010 hält der Gutachter nochmals ausdrücklich fest, dass er mit der den Beschwerdeführer behandelnden Pulmologin Dr. med. L.________ dahingehend einig sei, dass die bronchitischen Beschwerden des Patienten während der Arbeit als Servicetechniker mit überwiegender Wahrscheinlichkeit auf die Exposition gegenüber Tonerstäuber, diversen Sprays und Lösungsmitteln am Arbeitsplatz zurückgeführt werden können. Im Zeitpunkt seiner Untersuchung seien jedoch keine pathologischen Lungenveränderungen nachgewiesen worden, das heisst, bei fehlender Exposition hätten sich sowohl die subjektiven wie auch die objektiven Befunde vollständig zurückgebildet. Entsprechend empfiehlt der Experte - übereinstimmend mit Dr. med. L.________ - bei einer grundsätzlich 100%igen Arbeitsfähigkeit eine Einschränkung, was die Exposition gegenüber Tonerstäuben betrifft. 
Da die rezidivierend aufgetretenen Erkrankungen der Atemwege während der Tätigkeit bei der Firma E.________ AG gemäss Gutachten mit überwiegender Wahrscheinlichkeit auf die dortigen Expositionen zurückzuführen waren, hat die Unfallversicherung Leistungen zu erbringen, soweit die weiteren Anspruchsvoraussetzungen hiefür vorliegen. Dies wird die Beschwerdegegnerin noch abzuklären haben. 
 
5. 
Nicht gefolgt werden kann dem Beschwerdeführer, soweit er aus der Tatsache, dass die SUVA eine Nichteignungsverfügung erlassen hat, auf das Vorliegen einer Berufskrankheit schliesst. Die Nichteignungsverfügung dient der Vermeidung einer Erkrankung. Sie kann unabhängig davon ausgesprochen werden, ob eine solche vorliegt beziehungsweise mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen ist oder nicht. Die Unfallversicherung hat nach Erlass einer solchen unter Umständen Leistungen in Form von Übergangstaggeld und Übergangsentschädigung im Sinne von Art. 83 und 86 der Verordnung über die Verhütung von Unfällen und Berufskrankheiten (VUV) auszurichten. Geldleistungen für die Folgen einer Berufskrankheit und Übergangstaggeld bzw. -entschädigung schliessen sich gegenseitig aus. Entsprechende Leistungsansprüche bilden indessen vorliegend weder Anfechtungs- noch Streitgegenstand, weshalb sich weitere diesbezügliche Erörterungen erübrigen. 
 
6. 
Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 65 BGG). Aufgrund des Verfahrensausganges rechtfertigt es sich, die Kosten den Parteien je hälftig aufzuerlegen. Die Beschwerdeführerin hat dem Beschwerdegegner überdies eine reduzierte Parteientschädigung zu entrichten (Art. 68 Abs. 1 BGG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen. Der Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom 15. Februar 2012 und der Einspracheentscheid der AXA Versicherungen AG vom 31. Mai 2011 werden aufgehoben. Die Beschwerdegegnerin hat dem Beschwerdeführer für die in den Jahren 2003 bis Ende August 2005 aufgetretenen bronchitischen Erkrankungen Versicherungsleistungen im Sinne der Erwägungen zu erbringen. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen. 
 
2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 750.- werden zu Fr. 375.- dem Beschwerdeführer und zu Fr. 375.- der Beschwerdegegnerin auferlegt. 
 
3. 
Die Beschwerdegegnerin hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 1400.- zu entschädigen. 
 
4. 
Die Sache wird zur Neuverlegung der Parteientschädigung des vorangegangenen Verfahrens an das Versicherungsgericht des Kantons Aargau zurückgewiesen. 
 
5. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt. 
 
Luzern, 15. April 2013 
 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: Leuzinger 
 
Die Gerichtsschreiberin: Schüpfer