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Eidgenössisches Versicherungsgericht 
Tribunale federale delle assicurazioni 
Tribunal federal d'assicuranzas 
 
Sozialversicherungsabteilung 
des Bundesgerichts 
 
Prozess 
{T 7} 
I 21/04 
 
Urteil vom 16. Juni 2004 
III. Kammer 
 
Besetzung 
Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Lustenberger und Kernen; Gerichtsschreiber Flückiger 
 
Parteien 
A.________, 1957, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Alex Beeler, Frankenstrasse 3, 6003 Luzern, 
 
gegen 
 
IV-Stelle Luzern, Landenbergstrasse 35, 6005 Luzern, Beschwerdegegnerin 
 
Vorinstanz 
Verwaltungsgericht des Kantons Luzern, Luzern 
 
(Entscheid vom 29. Dezember 2003) 
 
Sachverhalt: 
A. 
Der 1957 geborene A.________ war vor Eintritt des Gesundheitsschadens als Gipser bei der Firma S.________ AG, Maler- und Gipsergeschäft, tätig. Am 20. Januar 1999 meldete er sich wegen Rückenbeschwerden bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Die IV-Stelle Luzern zog ein von Dr. med. C.________, Leitender Arzt der Medizinischen Klinik des Spitals X.________, im Auftrag der Waadt-Versicherungen erstattetes Gutachten vom 1. Juli 1999 bei und veranlasste u.a. Abklärungen im Rahmen von Arbeitstrainings (Berichte Berufliche Abklärungsstelle [BEFAS] vom 2. August 2000 und Stiftung B.________ vom 23. Dezember 2000), sowie ein polydisziplinäres Gutachten der Medizinischen Abklärungsstelle (MEDAS) (Bericht vom 7. September 2001). Anschliessend sprach sie A.________ mit Verfügung vom 3. Mai 2002 für die Zeit ab 1. September 1999 - mit Unterbruch zufolge Taggeldbezugs vom 1. Mai bis 30. November 2000 - befristet bis zum 30. September 2001 eine halbe Rente zu. 
B. 
Die dagegen erhobene Beschwerde, mit welcher der Versicherte die Zusprechung einer ganzen Invalidenrente beantragen liess, wies das Verwaltungsgericht des Kantons Luzern ab (Entscheid vom 29. Dezember 2003). 
C. 
A.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem Rechtsbegehren, die Verfügung vom 3. Mai 2002 und der vorinstanzliche Entscheid seien aufzuheben und die Sache sei an die IV-Stelle zurückzuweisen; eventualiter sei das Verfahren bis zum Entscheid der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) betreffend Folgeabklärungen des Unfalls vom 4. November 2002 zu sistieren; subeventualiter sei mit Wirkung ab 1. September 1999 mindestens eine halbe Rente bei einem Invaliditätsgrad von mehr als 60% auszurichten. 
 
Während die IV-Stelle Luzern auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde sowie des Sistierungsantrags schliesst, verzichtet das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) auf eine Vernehmlassung. 
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 
1. 
Im angefochtenen Entscheid werden die - vor In-Kraft-Treten des Bundesgesetzes über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 am 1. Januar 2003 sowie der 4. IVG-Revision am 1. Januar 2004 gültig gewesenen und nach den Regeln des intertemporalen Rechts und des zeitlich massgebenden Sachverhalts hier anwendbaren (BGE 127 V 467 Erw. 1, 121 V 366 Erw. 1b) - Bestimmungen über den Begriff der Invalidität (Art. 4 Abs. 1 IVG), die Voraussetzungen und den Umfang des Rentenanspruchs (Art. 28 Abs. 1 und 1bis IVG) sowie die Invaliditätsbemessung bei Erwerbstätigen nach der allgemeinen Methode des Einkommensvergleichs (Art. 28 Abs. 2 IVG; BGE 128 V 30 Erw. 2, 104 V 136 Erw. 2a und b) zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen. 
2. 
Streitig und zu prüfen ist der Rentenanspruch und in diesem Rahmen die Frage, ob Verwaltung und Vorinstanz bei der Beurteilung der Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers zu Recht auf die MEDAS-Begutachtung abstellten. 
3. 
3.1 Die Verwaltung als verfügende Instanz und - im Beschwerdefall - das Gericht dürfen eine Tatsache nur dann als bewiesen annehmen, wenn sie von ihrem Bestehen überzeugt sind (Kummer, Grundriss des Zivilprozessrechts, 4. Aufl., Bern 1984, S. 136). Im Sozialversicherungsrecht hat das Gericht seinen Entscheid, sofern das Gesetz nicht etwas Abweichendes vorsieht, nach dem Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit zu fällen. Die blosse Möglichkeit eines bestimmten Sachverhaltes genügt den Beweisanforderungen nicht. Der Richter und die Richterin haben vielmehr jener Sachverhaltsdarstellung zu folgen, die sie von allen möglichen Geschehensabläufen als die wahrscheinlichste würdigen (BGE 125 V 195 Erw. 2, 121 V 47 Erw. 2a). 
3.2 Für das gesamte Verwaltungs- und Verwaltungsgerichtsbeschwerdeverfahren gilt der Grundsatz der freien Beweiswürdigung (Art. 40 BZP in Verbindung mit Art. 19 VwVG; Art. 95 Abs. 2 OG in Verbindung mit Art. 113 und 132 OG). Danach haben Versicherungsträger und Sozialversicherungsgericht die Beweise frei, d.h. ohne Bindung an förmliche Beweisregeln, sowie umfassend und pflichtgemäss zu würdigen. Für das Beschwerdeverfahren bedeutet dies, dass das Sozialversicherungsgericht alle Beweismittel, unabhängig davon, von wem sie stammen, objektiv zu prüfen und danach zu entscheiden hat, ob die verfügbaren Unterlagen eine zuverlässige Beurteilung des streitigen Rechtsanspruches gestatten. Insbesondere darf es bei einander widersprechenden medizinischen Berichten den Prozess nicht erledigen, ohne das gesamte Beweismaterial zu würdigen und die Gründe anzugeben, warum es auf die eine und nicht auf die andere medizinische These abstellt. Hinsichtlich des Beweiswertes eines Arztberichtes ist also entscheidend, ob der Bericht für die streitige Belange umfassend ist, auf allseitigen Untersuchungen beruht, auch die geklagten Beschwerden berücksichtigt, in Kenntnis der Vorakten (Anamnese) abgegeben worden ist, in der Beurteilung der medizinischen Zusammenhänge und der medizinischen Situation einleuchtet und ob die Schlussfolgerungen des Experten begründet und nachvollziehbar sind (BGE 125 V 352 Erw. 3a mit Hinweisen). 
3.3 Ebenso hat es die Rechtsprechung mit dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung als vereinbar erachtet, in Bezug auf bestimmte Formen medizinischer Gutachten und Berichte Richtlinien für die Beweiswürdigung aufzustellen (BGE 125 V 352 Erw. 3b). Hinsichtlich der im Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachten externer Spezialärzte durch die IV-Stelle gelten sinngemäss die im Bereich der Unfallversicherung massgebenden Grundsätze (Urteil A. vom 9. August 2000, I 437/99). Den entsprechenden Expertisen ist demnach bei der Beweiswürdigung volle Beweiskraft zuzuerkennen, solange nicht konkrete Indizien gegen die Zuverlässigkeit des Gutachtens sprechen, welches auf Grund eingehender Beobachtung und Untersuchung sowie nach Einsicht der Akten erstattet wurde und bei der Erörterung der Befunde zu schlüssigen Ergebnissen gelangte (BGE 125 V 352 Erw. 3b/bb). 
4. 
4.1 Die Vorinstanz führt in ihrem Entscheid vom 29. Dezember 2003 aus, das polydisziplinäre MEDAS-Gutachten sei umfassend, schlüssig und überzeuge in seiner Schlussfolgerung. Somit genüge es den Anforderungen der Rechtsprechung. Es sei, da aktueller, dem Gutachten von Dr. med. C.________ vorzuziehen. Demgegenüber macht der Beschwerdeführer geltend, das MEDAS-Gutachten, insbesondere das psychiatrische und das rheumatologische Konsilium, weise offensichtliche Mängel und Widersprüche auf. 
4.2 Das psychiatrische Konsilium wurde gemäss der vorinstanzlich eingeholten Beweisauskunft von Dr. med. R.________ vom 28. Januar 2003 in italienischer Sprache durchgeführt. Dabei wurde kein psychiatrisches Leiden diagnostiziert, das die Arbeitsfähigkeit des Versicherten einschränkt. Die vom Beschwerdeführer angeführten Personen haben keine direkte Diagnosen hinsichtlich dessen Psyche erhoben. Da sie ausserdem nicht über eine entsprechende spezifische Fachausbildung verfügen, ist im Rahmen der Beweiswürdigung der Aussage des Psychiaters/Psychotherapeuten FMH Dr. med. R.________ ein höherer Beweiswert zuzubilligen. Dessen Stellungnahme wird den rechtsprechungsgemässen Anforderungen an eine beweiskräftige spezialärztliche Aussage (Erw. 3.3. hiervor am Ende) gerecht, sodass zusätzliche Abklärungen in dieser Hinsicht nicht erforderlich sind. 
4.3 Der Rheumatologe Dr. med. C.________ beurteilte in seinem Gutachten die aktuelle, gesundheitliche Situation des Beschwerdeführers gestützt auf eine umfassende, persönliche Untersuchung mit ausführlicher Anamnese, aktuellen Röntgenbildern (16./21. Juni 1999) sowie unter Einbezug der bis dahin erfolgten fachärztlichen Abklärungen der Jahre 1998/1999. Er stellte folgende Diagnosen: chronisches Zervikovertebralsyndrom; chronische Lumbalgie bei Verdacht auf Facettengelenksymptomatik beidseits und kleiner foraminaler Diskushernie L4/5 links; Omarthrose und AC-Gelenksarthrose mit Impingementsyndrom der Supraspinatussehne links; Coxarthrose rechtsbetont; Generalisierungstendenz mit linksbetonten Weichteilschmerzen; Verdacht auf depressive Entwicklung mit Somatisierungsstörung; chronische Bauchschmerzen unklarer Aetiologie und Polyglobulie. Seiner Prognose zufolge war tendenziell eher eine Verschlechterung, respektive keine relevante Verbesserung der somatischen Beschwerden zu erwarten. Dr. med. C.________ bescheinigte dem Versicherten im angestammten Beruf als Gipser eine volle Arbeitsunfähigkeit, in einer angepassten Tätigkeit erklärte er ihn als zu 50% arbeitsunfähig (Bericht vom 1. Juli 1999). 
 
Dr. med. M.________, der von der MEDAS konsiliarisch beigezogene Rheumatologe FMH, stellte im Bericht vom 14. Juni 2001 ein chronisches lumbospondylogenes Syndrom links, ein chronisches cervikovertebrales Syndrom, eine manifeste Omarthrose und AC-Gelenkarthrose links mit Status nach rezidivierender Impingement Symptomatik der Supraspinatussehne links und eine latent beginnende Coxarthrose, rechtsbetont, fest. Sein Ergebnis beruht auf den Vorakten, einer eingehenden klinischen Untersuchung des Beschwerdeführers und den ihm zur Verfügung gestellten Röntgenbildern aus dem Jahre 1998. Der Arzt bestätigt die 100%ige Arbeitsunfähigkeit des Versicherten bezüglich der Tätigkeit als Gipser, attestiert ihm jedoch für jede körperlich leichte, möglichst wechselbelastende Arbeit aus somatischer Sicht volle Arbeitsfähigkeit. 
 
Beide Bewertungen erscheinen insgesamt als schlüssig und nachvollziehbar. Im Vergleich zur Expertise von Dr. med. C.________ lassen die Feststellungen von Dr. med. M.________ u.a. auf eine Verbesserung der physischen Beschwerden im Halswirbelsäulen- und Schulterbereich sowie bezüglich der Fibromyalgie schliessen. In seinem Bericht setzt sich Dr. med. M.________ jedoch nicht eingehend mit dem Gutachten C.________ auseinander. So bleibt unklar, ob sich der Gesundheitszustand des Beschwerdeführers zwischenzeitlich verbessert hatte und wie diesfalls der - entgegen der Prognose von Dr. med. C.________ - positive Krankheitsverlauf zu erklären ist, oder ob Dr. med. M.________ den Beurteilungen durch Dr. med. C.________ prinzipiell widerspricht. Gemäss Aktenlage wurden zudem die von Dr. med. C.________ erstellten Röntgenbilder dem MEDAS-Gutachter nicht vorgelegt. Dieser war somit nicht in der Lage, die Aussagen des Dr. med. C.________ gestützt auf sämtliche Grundlagen in seine Beurteilung einzubeziehen. Unter diesen Umständen rechtfertigt es sich nicht, der Stellungnahme des Dr. med. M.________ vollumfänglich den Vorrang einzuräumen und der entgegenstehenden Auffassung des Dr. med. C.________ jegliche Beweiskraft abzusprechen. 
5. 
Bei dieser Aktenlage sieht sich das Eidgenössische Versicherungsgericht ausser Stande, abschliessend zu urteilen. Vielmehr sind bezüglich der rheumatologischen Befunde zusätzliche Abklärungen erforderlich. Zu diesem Zweck gehen die Akten an die kantonale IV-Stelle zurück, welche das Nötige vorkehren und anschliessend über den Rentenanspruch neu verfügen wird. Da im Verlauf der Abklärungsmassnahmen auch allfällige Erkenntnisse zu berücksichtigen sind, welche im unfallversicherungsrechtlichen Verfahren gewonnen werden, erscheint eine Sistierung des vorliegenden Verfahrens als nicht angezeigt. 
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: 
1. 
Das Sistierungsgesuch wird abgewiesen. 
2. 
In teilweiser Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde werden der Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Luzern vom 29. Dezember 2003 und die Verfügung vom 3. Mai 2002 aufgehoben und es wird die Sache an die IV-Stelle Luzern zurückgewiesen, damit sie im Sinne der Erwägungen verfahre. 
3. 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
4. 
Die IV-Stelle Luzern hat dem Beschwerdeführer für das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht eine Parteientschädigung von Fr. 2'500.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen. 
5. 
Das Verwaltungsgericht des Kantons Luzern wird über eine Parteientschädigung für das kantonale Verfahren entsprechend dem Ausgang des letztinstanzlichen Prozesses zu befinden haben. 
6. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Luzern, der Ausgleichskasse Luzern und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt. 
Luzern, 16. Juni 2004 
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts 
Die Präsidentin der III. Kammer: Der Gerichtsschreiber: