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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
9C_49/2024  
 
 
Urteil vom 25. März 2024  
 
III. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Parrino, Präsident, 
Bundesrichter Stadelmann, Beusch, 
Gerichtsschreiberin Dormann. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Inclusion Handicap, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
IV-Stelle Bern, 
Scheibenstrasse 70, 3014 Bern, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 30. November 2023 (200 23 600 IV). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Die 1987 geborene A.________ war als Detailhandelsangestellte tätig, als sie sich im August 2019 bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug anmeldete. Die IV-Stelle Bern gewährte insbesondere eine Umschulung zur Gästebetreuerin im Tourismus mit anschliessendem Praktikum und entsprechende Taggelder bis Ende Dezember 2022. Ab dem 1. Januar 2023 war A.________ im früheren Ausbildungsbetrieb unbefristet in einem Pensum von 60 % angestellt. Nach Abklärungen und Durchführung des Vorbescheidverfahrens ermittelte die IV-Stelle einen Invaliditätsgrad von 23 %. Folglich verneinte sie mit Verfügung vom 23. Juni 2023 den Anspruch auf eine Invalidenrente. 
 
B.  
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern mit Urteil vom 30. November 2023 ab. 
 
C.  
A.________ lässt mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragen, unter Aufhebung des Urteils vom 30. November 2023 und der Verfügung vom 23. Juni 2023 sei ihr eine Invalidenrente zuzusprechen. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann eine Rechtsverletzung nach Art. 95 f. BGG gerügt werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Dennoch prüft es - offensichtliche Fehler vorbehalten - nur die in seinem Verfahren gerügten Rechtsmängel (Art. 42 Abs. 1 f. BGG; BGE 135 II 384 E. 2.2.1). Es legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann ihre Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht, und wenn die Behebung des Mangels für den Verfahrensausgang entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 und Art. 105 Abs. 2 BGG). 
 
 
2.  
Im angefochtenen Urteil werden die rechtlichen Grundlagen für den Anspruch auf eine Invalidenrente (insbesondere Art. 7 f. ATSG, Art. 28b IVG, Art. 16 ATSG und Art. 26 f. IVV [SR 831.201]) zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen. 
 
3.  
 
3.1. Das kantonale Gericht hat erwogen, ein Rentenanspruch hätte frühestens nach Abschluss der beruflichen Massnahmen, mithin am 1. Januar 2023 entstehen können. Der Versicherten sei (seit diesem Zeitpunkt) eine leidensangepasste Tätigkeit zu 60 % mit einer Leistungsminderung von 10 bis 20 % zumutbar. Das Valideneinkommen hat es - ausgehend von einem Tabellenlohn der Lohnstrukturerhebung (LSE) des Bundesamtes für Statistik (LSE 2020, Tabelle TA1_tirage_skill_level, Ziff. 47 [Detailhandel], Kompetenzniveau 3, Frauen) - auf Fr. 64'584.25 festgelegt. Das Invalideneinkommen hat es - entsprechend dem tatsächlich erzielten Lohn - mit Fr. 42'900.- beziffert. Beim resultierenden Invaliditätsgrad von 34 % hat es einen Rentenanspruch verneint.  
 
3.2. Die Beschwerdeführerin beanstandet einzig die Höhe des Valideneinkommens. Sie macht im Wesentlichen geltend, ihr Berufsziel sei es gewesen, einen eigenen kleinen Hotelleriebetrieb zu führen, weshalb sie sich die nötige Praxiserfahrung während einer Sommer- und einer Wintersaison als "Allounderin" in einem Gästehaus angeeignet habe. Entsprechend der Situationseinschätzung der Betreiberin des Gästehauses vom 11. April 2023 hätte sie mit einem solchen Betrieb ein monatliches Einkommen zwischen Fr. 5'000.- und Fr. 7'000.- erzielen können, weshalb vom Durchschnittswert auszugehen und das Valideneinkommen auf Fr. 72'000.- zu veranschlagen sei. Wenn sie ihren Traum eines eigenen kleinen Gästehauses nicht hätte verwirklichen können, hätte sie sich eine Anstellung in einem höheren Lohnsegment (wie bei ihrer früheren Tätigkeit als Aussendienstmitarbeiterin) gesucht. Sofern auf einen Tabellenlohn der LSE abgestellt werde, sei nicht jener im Wirtschaftszweig Ziff. 47 (Detailhandel) einschlägig, vielmehr sei der Lohn (für Frauen im Anforderungsniveau 3) im Wirtschaftszweig Ziff. 45-46 (Grosshandel) oder der Totalwert massgeblich.  
 
4.  
 
4.1.  
 
4.1.1. Zur Ermittlung des Valideneinkommens ist entscheidend, was die versicherte Person im massgebenden Zeitpunkt aufgrund ihrer beruflichen Fähigkeiten und persönlichen Umstände nach dem Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit verdient hätte (BGE 145 V 141 E. 5.2.1). In der Regel ist am zuletzt erzielten, nötigenfalls der Teuerung und der realen Einkommensentwicklung angepassten Lohn anzuknüpfen, da es empirischer Erfahrung entspricht, dass die bisherige Tätigkeit ohne Gesundheitsschaden fortgesetzt worden wäre; Ausnahmen müssen mit überwiegender Wahrscheinlichkeit erstellt sein (BGE 144 I 103 E. 5.3; vgl. auch Art. 26 Abs. 1 IVV).  
Wenn sich das Valideneinkommen aufgrund der tatsächlichen Verhältnisse nicht hinreichend genau beziffern lässt, darf auf statistische Werte wie die LSE zurückgegriffen werden, soweit dabei die für die Entlöhnung im Einzelfall relevanten persönlichen und beruflichen Faktoren mitberücksichtigt werden (Urteil 8C_523/2022 vom 23. Februar 2023 E. 7.1 mit Hinweisen). Insbesondere wenn die versicherte Person als Gesunde nicht mehr an der bisherigen Arbeitsstelle tätig wäre, ist das Valideneinkommen praxisgemäss mittels statistischer Werte zu bestimmen (Urteile 9C_604/2023 vom 26. Februar 2024 E. 2.2; 8C_214/2023 vom 20. Februar 2024 E. 4.2.1; je mit Hinweisen; vgl. auch Art. 26 Abs. 4 IVV). 
 
4.1.2. Die Feststellung der beiden hypothetischen Vergleichseinkommen betrifft eine Tatfrage, soweit sie auf konkreter Beweiswürdigung beruht. Hingegen handelt es sich um eine Rechtsfrage, soweit sich der Entscheid nach der allgemeinen Lebenserfahrung richtet. Das betrifft etwa die Frage, ob Tabellenlöhne anwendbar sind, welches die massgebliche Tabelle ist, sowie die Wahl der zutreffenden Stufe (Kompetenzniveau) und des zu berücksichtigenden Wirtschaftszweigs oder Totalwertes (BGE 148 V 174 E. 6.5; Urteil 8C_561/2022 vom 4. August 2023 E. 5.3.3).  
 
4.2. Im hier interessierenden Zusammenhang hat die Vorinstanz erwogen, es fehlten hinreichend konkrete Anhaltspunkte dafür, dass die Versicherte (ohne Gesundheitsschaden) einen eigenen kleinen Hotelbetrieb geführt oder eine Leitungsposition in der Hotellerie aufgenommen hätte. Die Akten liessen lediglich auf eine entsprechende Absicht schliessen. Weder die Situationseinschätzung der Betreiberin des Gästehauses vom 11. April 2023 noch ein anderes Dokument weise auf eine konkrete Übernahme eines Hotels hin. Damit sei die Erzielung des behaupteten Einkommens von Fr. 72'000.- nicht überwiegend wahrscheinlich. Das zuletzt ohne Gesundheitsschaden als "Allrounderin" in befristeten Saisonanstellungen erzielte Einkommen sei nicht massgeblich. Auch auf den zuvor als Aussendienstmitarbeiterin erzielten Lohn könne nicht abgestellt werden: Die Versicherte habe die damalige Tätigkeit nicht aus gesundheitlichen Gründen aufgegeben und ihre Behauptung, wonach sie - hätte sich der Berufswunsch Hotellerie nicht verwirklichen lassen - eine ähnlich gut bezahlte Stelle gesucht hätte, sei nicht überwiegend wahrscheinlich, sondern lediglich eine denkbare Variante.  
Folglich hat das kantonale Gericht für die Bestimmung des Valideneinkommens einen Tabellenlohn der LSE 2020 von monatlich Fr. 5'104.-herangezogen. Für die Wahl dieser Ausgangsgrösse - insbesondere Wirtschaftszweig Ziff. 47 (Detailhandel) und Kompetenzniveau 3 - hat es berücksichtigt, dass die Versicherte eine Ausbildung im Detailhandel abgeschlossen, in diesem Bereich gearbeitet und fachspezifische Weiterbildungen absolviert habe. Schliesslich hat es darauf hingewiesen, dass sich der massgebliche Tabellenlohn im Interessenfeld der Versicherten (Wirtschaftszweig Ziff. 55-56 [Gastgewerbe/Beherbergung und Gastronomie]) angesichts ihrer spezifischen Kenntnisse in diesem Bereich (Kompetenzniveau 2) auf lediglich Fr. 4'345.- belaufen würde. 
 
4.3.  
 
4.3.1. Dass die soeben wiedergegebenen vorinstanzlichen Feststellungen offensichtlich unrichtig (unhaltbar, willkürlich: BGE 147 IV 73 E. 4.1.2; 144 V 50 E. 4.2; 135 II 145 E. 8.1) sein oder auf einer Rechtsverletzung beruhen sollen, ist nicht ersichtlich und wird auch nicht geltend gemacht. Sie bleiben daher für das Bundesgericht verbindlich (vgl. vorangehende E. 1).  
 
4.3.2. Angesichts der konkreten Gegebenheiten hat die Vorinstanz kein Recht verletzt, indem sie für das Valideneinkommen weder auf die - subjektive und nicht näher begründete - Situationseinschätzung der Betreiberin eines Gästehauses noch auf ein früher tatsächlich erzieltes Einkommen abgestellt, sondern einen LSE-Tabellenlohn beigezogen hat.  
Der alleinige Umstand, dass die Kunden der Versicherten in ihrer früheren Tätigkeit als Aussendienstmitarbeiterin nicht Endverbraucher, sondern Wiederverkäufer waren, bedeutet nicht, dass die Vorinstanz zwingend den Lohn im Wirtschaftszweig 45-46 (Grosshandel, Handel und Reparatur von Motorfahrzeugen) hätte heranziehen müssen. Soweit die Beschwerdeführerin auf den Totalwert abstellen will, leuchtet nicht ein und legt sie nicht dar, dass sie in allen (oder zumindest vielen) Wirtschaftszweigen eine Tätigkeit im Kompetenzniveau 3 - d.h. eine komplexe praktische Tätigkeit, die ein grosses Wissen in einem Spezialgebiet voraussetzt - hätte ausüben können. Wenn überhaupt ein Totalwert für Frauen massgeblich wäre, fiele höchstens der Lohn im Kompetenzniveau 2 (Fr. 5'046.-) in Betracht; dieser ist aber kleiner als der vorinstanzlich berücksichtigte Tabellenlohn. 
 
4.4. Nach dem Gesagten bleibt die vorinstanzlich festgestellte Höhe des Valideneinkommens für das Bundesgericht verbindlich (vgl. vorangehende E. 1). Die Beschwerde ist unbegründet.  
 
5.  
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat die Beschwerdeführerin die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
3.  
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 25. März 2024 
 
Im Namen der III. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Parrino 
 
Die Gerichtsschreiberin: Dormann