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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
8C_473/2010 
 
Urteil vom 4. Januar 2011 
I. sozialrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Ursprung, Präsident, 
Bundesrichterin Leuzinger, Bundesrichter Frésard, 
Gerichtsschreiberin Riedi Hunold. 
 
Verfahrensbeteiligte 
Z.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Heinz Birchler, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen 
 
IV-Stelle des Kantons Zürich, 
Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung (kantonales Verfahren), 
 
Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich 
vom 16. April 2010. 
 
Sachverhalt: 
 
A. 
Mit Verfügung vom 17. Februar 2010 reduzierte die IV-Stelle des Kantons Zürich die ganze Invalidenrente von Z.________, geboren 1960, ab 1. April 2010 auf eine Dreiviertelsrente. Infolge eines mehrere Wochen dauernden Auslandaufenthaltes hatte Z.________ ihre Tochter am 24. Januar 2010 zu sämtlichen Handlungen und Geschäftsbesorgungen in Zusammenhang mit dem laufenden Invalidenversicherungsverfahren bevollmächtigt. Nachdem Rechtsanwalt Heinz Birchler am 5. März 2010 von der Tochter mit der Interessenwahrung beauftragt worden war, erhob er am 22. März 2010 Beschwerde gegen die Verfügung vom 17. Februar 2010 und ersuchte um Fristansetzung zur Beschwerdeergänzung bis Ende April 2010. 
 
B. 
Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich trat mit Entscheid vom 16. April 2010 auf die Beschwerde nicht ein. 
 
C. 
Z.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen mit dem Antrag, es seien der vorinstanzliche Entscheid aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen, damit diese auf die Beschwerde vom 22. März 2010 eintrete. 
Sowohl die IV-Stelle wie auch das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichten auf eine Stellungnahme. 
 
Erwägungen: 
 
1. 
Die Vorinstanz hat die Rechtsprechung von BGE 134 V 162, welche die Voraussetzungen für die Annahme eines Rechtsmissbrauchs und dem daraus folgenden Verzicht auf die gesetzlich vorgesehene Nachfristansetzung bei ungenügender oder fehlender Begründung des Rechtsbegehrens darlegt, in E. 2 ihres Entscheids zutreffend wiedergegeben. Darauf wird verwiesen. Zu präzisieren bleibt, dass es nicht im Belieben des kantonalen Gerichts steht, bei fehlender Begründung eine Nachfrist anzusetzen ("Selbst bei Fehlen einer Begründung ist die Ansetzung einer Nachfrist nach Art. 61 lit. b Satz 2 ATSG nicht ausgeschlossen; ..."; E. 2.3 des vorinstanzlichen Entscheids), sondern dass es dazu verpflichtet ist, sofern kein offensichtlicher Rechtsmissbrauch vorliegt. 
 
2. 
2.1 Nach Ansicht des Sozialversicherungsgerichts genügt die Beschwerde vom 22. März 2010 in zweierlei Hinsicht nicht den Anforderungen gemäss Art. 61 lit. b ATSG: Einerseits erschöpfe sich die "vorsorgliche und vorläufige" Begründung im generellen Verweis auf die medizinischen Berichte und deren Qualifikation als beweisuntauglich; es würden jedoch keine Schlüsse daraus gezogen. Andererseits fehle die Darstellung des Sachverhalts gänzlich. 
 
2.2 Genügt eine Beschwerde den Anforderungen von Art. 61 lit. b ATSG nicht, so hat das Gericht der Beschwerde führenden Person eine angemessene Nachfrist zu deren Verbesserung zu setzen, verbunden mit der Androhung, ansonsten werde auf die Beschwerde nicht eingetreten. Dies gilt auch für den Fall, dass die Beschwerde von einer rechtskundigen Person oder dem Rechtsvertreter einer versicherten Person eingereicht wurde, sofern dadurch nicht in rechtsmissbräuchlicher Weise eine Verlängerung der Beschwerdefrist erreicht werden sollte (BGE 134 V 162 E. 5.1 S. 168; bestätigt mit Urteil 8C_556/2009 vom 1. März 2010 E. 3 [publiziert in SVR 2010 UV Nr. 29 S. 117]). Somit ist streitig, ob die Vorinstanz zu Recht auf die Ansetzung einer Nachfrist verzichtete und von einer in rechtsmissbräuchlicher Weise bewusst mangelhaft eingereichten Beschwerde ausging. 
 
2.3 Aus den Darlegungen in der Beschwerdeschrift vom 22. März 2010 ergibt sich, dass nach Ansicht des Rechtsvertreters die auf das Gutachten des Dr. med. K.________, Spezialarztpraxis für Psychiatrie, psychologische Therapie und Coaching, vom 28. Oktober 2009 gestützte Herabsetzung der Rente durch die Einschätzung des Dr. med. S.________, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, widerlegt werde und das Gutachten des Dr. med. K.________ nicht die Anforderungen an eine unabhängige fachärztliche Beurteilung erfülle. Zudem würden auch die übrigen ärztlichen Berichte die Reduktion der Invalidenrente nicht stützen. Angesichts dieser Vorbringen ist zumindest fraglich, ob sie nicht bereits den Minimalanforderungen an eine Beschwerde im Sinne von Art. 61 lit. b ATSG zu genügen vermögen; diesfalls hätte die Vorinstanz auf die Beschwerde eintreten und materiell behandeln müssen, selbst wenn die Versicherte resp. ihr Rechtsvertreter um die Möglichkeit der Beschwerdeverbesserung ersucht (vgl. Urteil 8C_145/2007 vom 8. Januar 2009 E. 4.2). Die Vorinstanz stellt sich jedoch auf den Standpunkt, die Beschwerde genüge den Minimalanforderungen nicht, so dass - mit Ausnahme des offensichtlichen Rechtsmissbrauchs - die Ansetzung einer Nachfrist zwingend gewesen wäre. 
 
2.4 Entgegen der Ansicht der Vorinstanz war es dem Rechtsvertreter nicht möglich, den Sachverhalt und die erhobenen Rügen so eingehend darzulegen und zu begründen, wie sie es offenbar verlangt. Zwar war der Rechtsvertreter im Besitz der Akten (vgl. Zustellung der Akten vom 21. Januar 2010), aber es war keine Besprechung mit der Versicherten möglich, was im Rahmen einer seriösen Mandatsführung für die Erstellung der wesentlichen Sachverhaltselemente nötig gewesen wäre. Dies ist weder auf ein zögerliches Verhalten der Versicherten noch des Rechtsvertreters zurückzuführen, zumal dieser keine vorgängigen Kenntnisse des Falles hatte; die Versicherte war bei der erstmaligen Zusprechung einer Invalidenrente wie auch noch im Rahmen des Vorbescheidverfahrens durch ihren früheren, primär für die Scheidung zuständigen Rechtsanwalt vertreten worden. Zudem war gerade angesichts der sich hier stellenden Fragen (Invalidenrente aus psychischen Gründen) eine telefonische Besprechung keine valable Alternative, geht es dabei doch um sehr persönliche und heikle Fragen, welche eine differenzierte Unterredung nötig machen. Somit ist die vorsorgliche Einreichung einer unzureichend begründeten Beschwerde verbunden mit dem Gesuch um Ansetzung einer Nachfrist zur Ergänzung der Begründung als Konsequenz einer sorgfältigen Mandatsführung und nicht als offensichtlicher Rechtsmissbrauch zu werten (vgl. dazu auch Urteil 9C_248/2010 vom 23. Juni 2010 E. 3.3). Abschliessend ist festzuhalten, dass es - entgegen der Ansicht der Vorinstanz - für die Pflicht zur Ansetzung einer Nachfrist unbeachtlich ist, ob die Beschwerde gar keine oder bloss eine ungenügende Begründung enthält (BGE 134 V 162 E. 5.1 S. 167). 
 
2.5 Nach dem Gesagten liegt kein offensichtlicher Rechtsmissbrauch seitens der Beschwerdeführerin und ihres Rechtsvertreters vor, so dass die Vorinstanz gehalten war, ihr eine Nachfrist zur Begründung der Beschwerde einzuräumen resp. nach Vorliegen der nachgereichten Begründung die Beschwerde vom 22. März 2010 materiell zu behandeln. Die Sache ist somit unter Aufhebung des Entscheids vom 16. April 2010 an die Vorinstanz zurückzuweisen, damit sie eine Nachfrist zur Beschwerdeergänzung ansetze und nach deren Eingang materiell entscheide. 
 
3. 
Das Verfahren ist kostenpflichtig. Die unterliegende Beschwerdegegnerin hat die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Die Beschwerdeführerin hat Anspruch auf eine Parteientschädigung (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Beschwerde wird gutgeheissen und der Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 16. April 2010 aufgehoben. Die Sache wird an die Vorinstanz zurückgewiesen, damit sie im Sinne der Erwägungen verfahre und über die Beschwerde gegen die Verfügung vom 17. Februar 2010 neu entscheide. 
 
2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt. 
 
3. 
Die Beschwerdegegnerin hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'800.- zu entschädigen. 
 
4. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
Luzern, 4. Januar 2011 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin: 
 
Ursprung Riedi Hunold