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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
{T 0/2} 
 
9C_657/2016  
   
   
 
 
 
Urteil vom 13. Februar 2017  
 
II. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Pfiffner, Präsidentin, 
Bundesrichterinnen Glanzmann, Moser-Szeless, 
Gerichtsschreiber Fessler. 
 
Verfahrensbeteiligte 
 Kinderspitex Verein A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Prof. Dr. Hardy Landolt, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Eidgenössische Invalidenversicherung, Bundesamt für Sozialversicherungen, Effingerstrasse 20, 3003 Bern, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen als Schiedsgericht vom 18. August 2016. 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
Am 22. Oktober 2013 (Postaufgabe) reichte der Kinderspitex Verein A.________ beim Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen als Schiedsgericht Klage gegen die Eidgenössische Invalidenversicherung (nachfolgend: IV) ein mit dem hauptsächlichen Rechtsbegehren, es sei festzustellen, "dass es sich beim IV-Tarif, der für die Abrechnung von rechtskräftig verfügten Pflegemassnahmen gemäss Art. 13 IVG massgeblich ist, um einen Vollkostentarif handelt"; eventualiter sei die Beklagte zu verpflichten, den bestehenden IV-Tarif aufzuheben und durch einen neuen Vollkostentarif zu ersetzen. 
 
Nach zweifachem Schriftenwechsel und Sistierung des Verfahrens bis zum Urteil des Bundesgerichts vom 26. August 2015 im Fall 8C_62/2015 trat das Schiedsgericht mit Entscheid vom 18. August 2016 auf die Klage nicht ein. 
 
B.   
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt der Kinderspitex Verein A.________, der Entscheid vom 18. August 2016 sei aufzuheben und die Sache im Sinne der Erwägungen an das Schiedsgericht zurückzuweisen; das Verfahren sei bis zum rechtskräftigen Abschluss des hängigen Verfahrens 9C_299/2016 zu sistieren. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
Der Sistierungsantrag ist mit dem Urteil 9C_299/2016 vom heutigen Tag gegenstandslos. 
 
2.   
Prozessthema ist, ob die Vorinstanz zu Recht nicht auf die Klage des Kinderspitex Vereins A.________ vom 22. Oktober 2013 betreffend den "IV-Tarif, der für die Abrechnung von rechtskräftig verfügten Pflegemassnahmen gemäss Art. 13 IVG massgeblich ist" eingetreten ist (Urteil 2C_657/2014 vom 12. November 2014 E. 1.2). 
 
3.  
 
3.1. Nach Art. 27 IVG ist der Bundesrat befugt, mit der Ärzteschaft, den Berufsverbänden der Medizinalpersonen und der medizinischen Hilfspersonen sowie den Anstalten und Werkstätten, die Eingliederungsmassnahmen durchführen, Verträge zu schliessen, um die Zusammenarbeit mit den Organen der Versicherung zu regeln und die Tarife festzulegen (Abs. 1). Soweit kein Vertrag besteht, kann der Bundesrat die Höchstbeträge festsetzen, bis zu denen den Versicherten die Kosten der Eingliederungsmassnahmen vergütet werden   (Abs. 3).  
 
Die Verträge nach Artikel 27 Absatz 1 IVG werden vom Bundesamt abgeschlossen. Für Personen und Stellen, die Eingliederungsmassnahmen durchführen, ohne einem bestehenden Vertrag beizutreten, gelten die vertraglich festgesetzten Tarife als Höchstansätze im Sinne von Artikel 27 Absatz 3 IVG (Art. 24 Abs. 2 erster Teilsatz und Abs. 3 IVV). 
 
Der Tarifvertrag zwischen dem Schweizerischen Berufsverband der Krankenschwestern und Krankenpfleger (SBK) und der Medizinaltarif-Kommission (UVG), der Invalidenversicherung und dem Bundesamt für Militärversicherung vom 25. Oktober 1999 ist ein Vertrag im Sinne von Art. 27 Abs. 1 IVG. Er regelt die Abgeltung von Leistungen der Kranken- und Gesundheitspflege, welche freiberuflich tätige Krankenschwestern und Krankenpfleger ambulant und zu Hause erbringen. Die Tarife in Anhang 1 des Vertrages sind Höchstansätze im Sinne von Art. 27 Abs. 3 IVG und Art. 24 Abs. 3 IVV. Das IV-Rundschreiben Nr. 308 des BSV vom 27. Februar 2012 enthält eine Liste derjenigen medizinischen Massnahmen zur Behandlung von Geburtsgebrechen nach Art. 13 Abs. 1 i.V.m. Art. 14 Abs. 1 lit. a IVG, welche von einer (Kinder-) Spitexorganisation zu Lasten der Invalidenversicherung erbracht werden können, samt maximal anrechenbarem Zeitaufwand und anwendbarem Tarif. Tarifvertrag und Rundschreiben legen den IV-Tarif fest, auf welchen sich die Rechtsbegehren des Beschwerdeführers beziehen (vgl. Sachverhalt A und E. 1 hiervor). 
 
3.2. Nach Art. 27bis IVG entscheiden über Streitigkeiten zwischen der Versicherung und Leistungserbringern die von den Kantonen bezeichneten Schiedsgerichte (Abs. 1). Zuständig ist das Schiedsgericht am Ort der ständigen Einrichtung oder der Berufsausübung des Leistungserbringers (Abs. 2). Der schiedsgerichtlichen Behandlung eines Streitfalles hat ein Vermittlungsverfahren vorauszugehen, sofern der Streitfall nicht schon einer vertraglich eingesetzten Vermittlungsinstanz unterbreitet worden ist (Abs. 5).  
 
Die im Rahmen der 4. IV-Revision im Gesetz verankerte Schiedsgerichtsbarkeit in Tarifstreitigkeiten nach Art. 27bis IVG sollte der verbesserten Koordination der Invalidenversicherung mit anderen Sozialversicherungszweigen dienen. Insbesondere wurde eine Harmonisierung mit der Unfall- und der Militärversicherungsgesetzgebung als wünschenswert erachtet, "weil die Invalidenversicherung Tarifverträge im Bereich der medizinischen Massnahmen zusammen mit der Unfall- und der Militärversicherung abschliesst. Die Schiedsgerichtsbarkeit wäre für alle drei Versicherungen einheitlich geregelt, und die Invalidenversicherung müsste keine vertraglichen Sonderregelungen vorsehen (Botschaft vom 21. Februar 2001 über die 4. Revision des Bundesgesetzes über die Invalidenversicherung, BBl 2001 3261 Ziff. 2.5.2; vgl. zur früheren Regelung aArt. 27 Abs. 2 IVG, in Kraft gestanden bis 31. Dezember 2003, und Botschaft vom 24. Oktober 1958 zum Entwurf eines Bundesgesetzes über die Invalidenversicherung und eines Bundesgesetzes betreffend die Änderung des Bundesgesetzes über die Alters- und Hinterlassenenversicherung, BBl 1958 II 1137 ff., 1217). 
 
4.   
Das kantonale Schiedsgericht hat sein Nichteintreten wie folgt begründet: Mit seinem Rechtsbegehren ziele der Kläger darauf ab, die im Rahmen der Invalidenversicherung von ihm erbrachten Hauspflegeleistungen zu einem höheren Tarif abzurechnen, was eine Änderung der Tarifstruktur bedeute. Hierfür sei es indessen nicht zuständig. Eine Änderung oder Anpassung der Tarifstruktur obliege den Tarifpartnern. Der Grund dafür sei, dass die der Strukturierung eines Tarifs zugrunde liegenden Gesichtspunkte als nicht oder schwer justiziabel betrachtet würden. Beim Eingriff in eine gesamtschweizerische Einzelleistungstarifstruktur stellten sich komplexe technische, wirtschaftliche und zeitliche Fragen, die durch die Tarifpartner zu beantworten seien. Die Gerichte sollten erst später allenfalls zum Zuge kommen, wenn bei der Anwendung eines durch die Vertragsparteien angepassten Tarifs die Frage streitig sei, ob die erbrachten Leistungen tarifkonform in Rechnung gestellt seien oder ein Rückerstattungsanspruch bestehe. Der Kläger hätte sich mit seinem Änderungsbegehren an die zuständige Paritätische Vertrauenskommission wenden müssen. Ebenso sei das Schiedsgericht in Sozialversicherungstreitigkeiten des Kantons Zürich mit Beschluss vom 17. Dezember 2014 (Verfahren SR.2013.0005) mangels Kompetenz zur Tarifanpassung nicht auf eine bezüglich Antrag und Begründung gleich lautende Klage der Spitex eingetreten, was das Bundesgericht mit Urteil 8C_62/2015 vom 26. August 2015 bestätigt habe. 
 
5.   
Der Beschwerde führende A.________ bringt vor das BSV habe sich geweigert, "im Rahmen einer Feststellungsverfügung die ab 01.01.2008 massgeblichen tariflichen Parameter festzustellen", und ihn stattdessen darauf verwiesen, Klage beim zuständigen Schiedsgericht einzureichen. Dabei handle es sich um eine rechtsgültige Gerichtsstandsvereinbarung. Demzufolge hätte die Vorinstanz auf seine Klage vom 22. Oktober 2013 betreffend den "IV-Tarif, der für die Abrechnung von rechtskräftig verfügten Pflegemassnahmen gemäss Art. 13 IVG massgeblich ist" eintreten müssen. Weiter gehe es entgegen der Annahme des Bundesgerichts im Urteil 8C_62/2015 vom 26. August 2015 nicht darum, einen gesetzmässig erlassenen Tarif abzuändern, sondern die Gesetzmässigkeit des erlassenen Tarifs zu überprüfen und im Fall der Unzulässigkeit die Invalidenversicherung zu verpflichten, die innerhalb der Verwirkungsfrist von fünf Jahren erbrachten versicherten Leistungen zu vergüten. Es wäre mit der verfassungsmässigen Rechtsweggarantie nicht vereinbar, wenn ein von einer Verwaltungsbehörde erlassener Tarif nicht auf seine Gesetzmässigkeit hin von einem ordentlichen Gericht überprüft werden könnte. Die kantonale IV-Stelle sei in einem konkreten Leistungsstreit weder auf das im Namen der versicherten Person noch das in eigenem Namen gestellte Begehren um die einzelfallweise Überprüfung des IV-Tarifs (E. 1.2 hiervor) eingetreten, was das kantonale Versicherungsgericht bestätigt habe, indem es seinerseits nicht auf die dagegen eingereichte Beschwerde eingetreten sei. Gegen diesen Entscheid habe er Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten erhoben (Verfahren 9C_299/2016). Würde das Bundesgericht ebenfalls die Zuständigkeit des kantonalen Versicherungsgerichts verneinen, müsste es - folgerichtig - die Zuständigkeit des kantonalen Schiedsgerichts zur Prüfung der Gesetzmässigkeit des IV-Tarifs bejahen. 
 
6.   
Der IV-Tarif für die Leistungen der (Kinder-) Spitexorganisationen nach Art. 13 Abs. 1 i.V.m. Art. 14 Abs. 1 lit. a IVG (medizinische Massnahmen zur Behandlung von Geburtsgebrechen in Hauspflege; vgl. E. 3.1 hievor) ist nach der gesetzlichen Regelung (Art. 27 IVG und Art. 24 IVV) ein behördlicher Tarif und als solcher nicht anfechtbar. Eine abstrakte Überprüfung der Gesetzmässigkeit des IV-Tarifs, wie vom Beschwerdeführer mit seinen Feststellungsbegehren im vorinstanzlichen Verfahren beantragt, entfällt somit. Hingegen sind die betroffenen Spitexorganisationen befugt, bei einer tieferen als in Rechnung gestellten Entschädigung der erbrachten (Sach-) Leistungen durch die Invalidenversicherung (Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts I 302/01 vom   16. April 2002 E. 3b) die im konkreten Fall angewendeten Tarifpositionen durch das zuständige kantonale Schiedsgericht nach Art. 27bis IVG auf ihre Rechtmässigkeit hin überprüfen zu lassen. 
 
Diese Ordnung ist mit Art. 6 Ziff. 1 EMRK vereinbar. Es kann sich insoweit nicht anders verhalten als nach der Tarifordnung gemäss    Art. 43 ff. KVG analog (vgl. BGE 132 V 299 E. 4.3 S. 300 ff.; 131 V 66; Urteile des Eidg. Versicherungsgerichts K 49/05 vom 19. Juli 2005    E. 1 und K 16/04 vom 15. April 2005 E. 3, in: SVR 2006 KV Nr. 21    S. 69; vgl. auch Meyer/Reichmuth, Bundesgesetz über die Invalidenversicherung, 3. Aufl. 2014, je N. 1 zu Art. 27 und Art. 27bis IVG). Daraus folgt, dass der vorinstanzliche Nichteintretensentscheid kein Bundesrecht verletzt. Eine allenfalls unrichtige oder unrichtig verstandene Auskunft des BSV, wonach der Beschwerdeführer seine den IV-Tarif als solchen betreffenden Feststellungsbegehren klageweise beim zuständigen kantonalen Schiedsgericht geltend zu machen habe, vermöchte im Übrigen nicht eine gesetzlich nicht vorgesehene Zuständigkeit zu begründen (Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts K 16/04 vom 15. April 2005 E. 4.3, in: SVR 2006 KV Nr. 21 S. 69). 
 
7.   
Im Rahmen der Rechtsanwendung von Amtes wegen (Art. 106 Abs. 1 BGG) ist auf Folgendes hinzuweisen: Die gesetzliche Ordnung (Art. 27 Abs. 1 und 3 IVG sowie Art. 24 Abs. 3 IVV; vgl. auch BBl 1958 II    1175 f. Ziff. I.6) wirft für den Fall, dass (Kinder-) Spitexorganisationen dem Tarifvertrag zwischen dem Schweizerischen Berufsverband der Krankenschwestern und Krankenpfleger (SBK) und der Medizinaltarif-Kommission (UVG), der Invalidenversicherung und dem Bundesamt für Militärversicherung vom 25. Oktober 1999 nicht beitreten können, die Frage auf, ob der im IV-Rundschreiben Nr. 308 vom 27. Februar 2012 festgesetzte Tarif für Leistungen nach Art. 13 Abs. 1 i.V.m.    Art. 14 Abs. 1 lit. a IVG auf einer genügenden gesetzlichen Grundlage beruht. Das wird das kantonale Schiedsgericht allenfalls zu prüfen haben, wenn in einem konkreten Leistungsfall die angewendeten Tarifpositionen bestritten sind. 
 
8.   
Ausgangsgemäss wird der Beschwerdeführer kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.   
Die Gerichtskosten von Fr. 1'500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3.   
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen als Schiedsgericht schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 13. Februar 2017 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: Pfiffner 
 
Der Gerichtsschreiber: Fessler