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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
7B_197/2022  
 
 
Urteil vom 25. August 2023  
 
II. strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Abrecht, Präsident, 
Bundesrichter Kölz, Hofmann, 
Gerichtsschreiberin Kern. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Obergericht Appenzell Ausserrhoden, Vorsitzender der 2. Abteilung, 
Landsgemeindeplatz 7c, Fünfeckpalast, 9043 Trogen. 
 
Gegenstand 
Strafverfahren; unentgeltliche Rechtspflege, 
 
Beschwerde gegen die Verfügung des Obergerichts Appenzell Ausserrhoden, Vorsitzender der 2. Abteilung, vom 29. März 2022 (ERS 22 10). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Am 13. Dezember 2021 erhob A.________ Strafklage gegen Rechtsanwalt Dr. B.________, C.________ und die "Verantwortlichen der D.________ AG" wegen Ehrverletzung. Die Staatsanwaltschaft Appenzell Ausserrhoden verfügte am 4. Januar 2022 die Nichtanhandnahme des Strafverfahrens gegen Rechtsanwalt Dr. B.________. 
 
B.  
Dagegen erhob A.________ Beschwerde beim Obergericht des Kantons Appenzell Ausserrhoden. Nachdem ihn das Obergericht zur Leistung einer Sicherheit in der Höhe von Fr. 800.-- aufgefordert hatte, stellte er ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege. Der Vorsitzende der 2. Abteilung des Obergerichts wies dieses mit Verfügung vom 29. März 2022 ab (Dispositiv-Ziffer 1). 
 
C.  
Mit eigenhändiger Beschwerde in Strafsachen vom 19. April 2022 beantragt A.________ vor Bundesgericht, Dispositiv-Ziffer 1 der Verfügung vom 29. März 2022 aufzuheben und ihm die unentgeltliche Rechtspflege für das Rechtsmittelverfahren vor der Vorinstanz zu gewähren. Eventualiter sei die Sache zu neuer Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Zudem sei eine "Präzisierung der Rechtsprechung zu Art. 136 StPO" zu prüfen. Ferner sei ihm für das bundesgerichtliche Verfahren die unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren. 
Die Vorinstanz hat ausdrücklich auf Vernehmlassung verzichtet. Die Staatsanwaltschaft hat sich nicht vernehmen lassen. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Entscheid betreffend die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege in einem angestrebten Strafverfahren. Dagegen steht die Beschwerde in Strafsachen offen (Art. 78 Abs. 1 i.V.m. Art. 80 BGG). Es handelt sich um einen das Strafverfahren nicht abschliessenden Zwischenentscheid, der geeignet ist, einen nicht wiedergutzumachenden Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG zu bewirken (Urteile 1B_455/2022 vom 17. Mai 2023 E. 1.1; 1B_414/2022 vom 14. Februar 2023 E. 1.1 mit Hinweisen; vgl. auch BGE 142 III 798 E. 2.3.2). Der Beschwerdeführer ist ungeachtet der Legitimationsvoraussetzungen von Art. 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 5 BGG zur Beschwerde berechtigt, da er mit seiner Kritik an der Verweigerung der unentgeltlichen Rechtspflege eine Verletzung von Verfahrensrechten geltend macht, die einer formellen Rechtsverweigerung gleichkommt (BGE 146 IV 76 E. 2; 141 IV 1 E. 1.1; je mit Hinweisen; Urteil 1B_549/2022 vom 17. Februar 2023 E.1). Auf die Beschwerde ist grundsätzlich einzutreten. 
 
2.  
Der Beschwerdeführer rügt zunächst eine Verletzung der Begründungspflicht nach Art. 81 Abs. 3 lit. b StPO sowie Art. 29 Abs. 1 und 2 BV. Er legt jedoch nicht dar, inwiefern die Vorinstanz ihren Entscheid nicht hinreichend begründet haben soll (vgl. Art. 42 Abs. 2 BGG), sondern macht unter diesen Titel vielmehr Rechtsverletzungen geltend (vgl. E. 3 hiernach). Da auch nicht ersichtlich ist, inwiefern die Vorinstanz ihre behördliche Begründungspflicht verletzt haben soll, ist auf die Rüge nicht weiter einzugehen. 
 
3.  
 
3.1. Nach Art. 29 Abs. 3 BV hat jede Person, die nicht über die erforderlichen Mittel verfügt, Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege, wenn ihr Rechtsbegehren nicht aussichtslos erscheint. Soweit es zur Wahrung ihrer Rechte notwendig ist, hat sie ausserdem Anspruch auf unentgeltlichen Rechtsbeistand. Art. 29 Abs. 3 BV bezweckt, allen betroffenen Personen ohne Rücksicht auf ihre finanzielle Situation tatsächlichen Zugang zum Gerichtsverfahren zu vermitteln und die effektive Wahrung ihrer Rechte zu ermöglichen (BG E 141I 70 E. 6.5; 131 I 350 E. 3.1; Urteil 1B_75/2022 vom 3. Mai 2022 E. 2.3, je mit Hinweisen).  
Art. 136 StPO konkretisiert die Voraussetzungen, unter denen der Privatklägerschaft unentgeltliche Rechtspflege im Strafprozess gewährt wird. Als Privatklägerschaft gilt die geschädigte Person, die spätestens bis zum Abschluss des Vorverfahrens ausdrücklich erklärt, sich am Strafverfahren als Straf- oder Zivilklägerin zu beteiligen (vgl. Art. 118 Abs. 1 und 3 StPO). Nach Art. 136 Abs. 1 StPO ist der Privatklägerschaft die unentgeltliche Rechtspflege für die Durchsetzung ihrer Zivilansprüche ganz oder teilweise zu gewähren, wenn sie nicht über die erforderlichen Mittel verfügt (lit. a) und die Zivilklage nicht aussichtslos erscheint (lit. b). Der Gesetzgeber hat die unentgeltliche Rechtspflege zugunsten der Privatklägerschaft damit prinzipiell auf Fälle beschränkt, in denen sie Zivilansprüche geltend macht. Wenn sich die Privatklägerschaft ausschliesslich im Strafpunkt beteiligt, ist die unentgeltliche Rechtspflege nach dem Willen des Gesetzgebers im Grundsatz ausgeschlossen, da der staatliche Strafanspruch durch den Staat wahrgenommen wird. Diese Beschränkung ist mit Art. 29 Abs. 3 BV vereinbar (Urteile 1B_414/2022 vom 14. Februar 2023 E. 2.1; 1B_460/2022 vom 24. November 2022 E. 2.1; 1B_75/2022 vom 3. Mai 2022 E. 2.3; je mit Hinweisen). Die der Privatklägerschaft erstinstanzlich gewährte unentgeltliche Rechtspflege wirkt im Rechtsmittelverfahren nicht ohne Weiteres fort. Die Privatklägerschaft hat diese vor der Rechtsmittelinstanz neu zu beantragen (Urteil 6B_629/2022, 6B_630/2022 vom 14. März 2023 E. 3.2). 
Beziffert und begründet werden muss die Zivilforderung zwar erst (und spätestens) im Parteivortrag (Art. 123 Abs. 2 StPO). Die um unentgeltliche Rechtspflege ersuchende Privatklägerschaft muss indessen in jedem Verfahrensstadium darlegen, dass die Zivilklage nicht aussichtslos erscheint (Urteile 1B_460/2022 vom 24. November 2022 E. 2.1; 1B_80/2019 vom 26. Juni 2019 E. 3.2; 1B_446/2018 vom 14. November 2018 E. 5.3.1; je mit Hinweis). 
Ist eine Zivilklage nicht möglich und fallen die beanstandeten Handlungen wahrscheinlich in den Anwendungsbereich des Verbots von Folter und anderer grausamer oder erniedrigender Behandlung oder Strafe (vgl. Art. 3 EMRK, Art. 10 Abs. 3 BV und das Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 10. Dezember 1984 gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe [SR 0.105]), ist der beschwerdeführenden Person gemäss der Rechtsprechung indessen unter Umständen direkt gestützt auf Art. 29 Abs. 3 BV unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren (Urteile 1B_460/2022 vom 24. November 2022 E. 2.1; 1B_518/2021 vom 23. November 2021 E. 3.1; je mit Hinweisen). 
 
3.2. Die Vorinstanz hat die unentgeltliche Rechtspflege mit der Begründung verweigert, der Beschwerdeführer habe keine Zivilansprüche geltend gemacht. Zudem beträfen die in der Strafklage erwähnten Handlungen auch keine staatlichen Handlungen, die als Folter oder andere grausame oder erniedrigende Behandlung zu qualifizieren wären. Mithin fehle es an einer Voraussetzung für die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege. Überdies führe das Erheben einer Zivilklage nicht automatisch zu einem Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege, da das Gesetz zudem voraussetze, dass die Zivilklage nicht aussichtslos erscheine.  
 
3.3. Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung von Art. 29 Abs. 3 BV, Art. 3 Abs. 2 lit. a und Art. 136 StPO. Er macht im Wesentlichen geltend, aus der Botschaft zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts vom 21. Dezember 2006 (BBl 2006 1085) und insbesondere auch aus deren französischer Fassung (FF 2006 1057) gehe hervor, dass es nach dem Willen des Gesetzgebers für die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege genüge, wenn die Privatklägerschaft beabsichtige, Zivilansprüche zu stellen. Er wolle im vorliegenden Fall noch Zivilansprüche geltend machen und habe nicht auf eine Zivilklage verzichtet. Bei dieser Sachlage hätte ihm die unentgeltliche Rechtspflege seiner Ansicht nach gewährt werden müssen. Eventualiter rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung des Verbots des überspitzten Formalismus und sinngemäss des Gebots von Treu und Glauben. Ihm sei als anwaltlich nicht vertretenen Laien nicht mitgeteilt worden, dass ihm die unentgeltliche Rechtspflege nicht gewährt werde, solange er keine Zivilansprüche stelle. Auch die Merkblätter der Kantone St. Gallen und Zürich für mittellose Privatkläger wiesen hierauf nicht hin. Er habe sich darauf verlassen dürfen, dass diese Merkblätter richtig und vollständig seien. Die Vorinstanz hätte ihm seiner Ansicht nach unter diesen Umständen zumindest eine kurze Nachfrist gewähren müssen, um sein Gesuch nachzubessern.  
 
3.4. Die Argumentation des Beschwerdeführers geht fehl: Aus den Vorakten geht hervor, dass er in seinem Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege erklärte, dass es ihm "zum aktuellen Zeitpunkt" noch nicht möglich sei, eine Zivilklage zu formulieren; "geschweige denn[,] deren Erfolgsaussichten abzuschätzen". Damit hat er den Beleg dafür nicht erbracht, dass die Voraussetzung von Art. 136 Abs. 1 lit. b StPO erfüllt ist. Angesichts der Angabe des Beschwerdeführers, es sei ihm nicht möglich, die Erfolgsaussichten der Zivilklage abzuschätzen, ist der Vorinstanz aber auch kein überspitzter Formalismus vorzuwerfen, wenn sie ihm keine Nachfrist zur Verbesserung seines Gesuchs um unentgeltliche Rechtspflege ansetzte. Schliesslich kann der Beschwerdeführer auch aus dem Grundsatz von Treu und Glauben nichts zu seinen Gunsten ableiten, zumal ihm im kantonalen Verfahren soweit erkennbar keine unrichtige, konkrete Auskunft erteilt worden ist (vgl. dazu etwa BGE 137 II 182 E. 3.6.2 mit Hinweisen).  
Die Vorinstanz hat mit der Verweigerung der unentgeltlichen Rechtspflege kein Bundesrecht verletzt. 
 
4.  
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. 
Bei diesem Verfahrensausgang wird der Beschwerdeführer kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG). Er ersucht zwar um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege für das Verfahren vor Bundesgericht. Das Gesuch ist jedoch wegen Aussichtslosigkeit abzuweisen (vgl. Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten wird. 
 
2.  
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege für das bundesgerichtliche Verfahren wird abgewiesen. 
 
3.  
Die Gerichtskosten von Fr. 600.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
4.  
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft Appenzell Ausserrhoden und dem Obergericht Appenzell Ausserrhoden, Vorsitzender der 2. Abteilung, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 25. August 2023 
 
Im Namen der II. strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Abrecht 
 
Die Gerichtsschreiberin: Kern