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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
9C_236/2023  
 
 
Urteil vom 31. Mai 2023  
 
III. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Stadelmann, präsidierendes Mitglied, 
Bundesrichter Beusch, Bundesrichterin Scherrer Reber, 
Gerichtsschreiber Seiler. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.A.________, 
handelnd durch Kindes- und Erwachsenenschutzdienst Region U.________ und dieser vertreten durch Rechtsanwalt Marcel Aebi, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Kantonales Steueramt Aargau, Rechtsdienst, Telli-Hochhaus, 5004 Aarau, 
Beschwerdegegner, 
 
Gemeinderat V.________. 
 
Gegenstand 
Direkte Bundessteuer, Steuerperioden 2010-2016, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Aargau vom 7. März 2023 (WBE.2022.461). 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Infolge Nichtabgabe der Steuererklärung veranlagte die Steuerkommission V.________ A.A.________ und B.A.________ sowohl für die Kantons- und Gemeindesteuern 2010 - 2016 als auch die direkte Bundessteuer 2010 - 2016 jeweils nach Ermessen. Sämtliche Veranlagungen erwuchsen unangefochten in Rechtskraft. Mit Schreiben vom 13. September 2018 stellte die inzwischen eingesetzte Beiständin von A.A.________ beim Regionalen Steueramt W.________ Gesuche um Revision der Veranlagungen 2010 - 2016 betreffend die Kantons- und Gemeindesteuern und die direkte Bundessteuer. Die Gesuche wurden mit den Revisionsverfügungen vom 11. Dezember 2018 allesamt abgewiesen. Gegen diese Verfügungen erhoben A.A.________ und B.A.________ erfolglos Einsprache (Einspracheentscheid vom 9. Dezember 2020). Auf Rechtsmittel hin hob das Spezialverwaltungsgericht des Kantons Aargau "die Revisionsverfügungen vom 11. Dezember 2018 und [den] Einspracheentscheid vom 9. Dezember 2020" auf und wies "die Angelegenheit zur nochmaligen Durchführung des Einspracheverfahrens im Sinne der Erwägungen und Fällung eines Einspracheentscheides" an die Steuerkommission W.________ zurück. Dagegen führte das Kantonale Steueramt Aargau Beschwerde beim Verwaltungsgericht des Kantons Aargau. Es beantragte die Aufhebung des Urteils des Spezialverwaltungsgerichts, soweit es die direkte Bundessteuer betraf, sowie die Rückweisung an das Spezialverwaltungsgericht zur Fällung eines Nichteintretensentscheides. Das Verwaltungsgericht hiess diese Beschwerde mit Urteil vom 7. März 2023 antragsgemäss gut, weil bei der direkten Bundessteuer keine kantonalrechtlichen Gerichtsferien gälten und die Eingabe beim Spezialverwaltungsgericht demnach verspätet gewesen sei. 
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vom 30. März 2023 beantragt A.A.________ die Aufhebung des Urteils des Verwaltungsgerichts des Kantons Aargau vom 7. März 2023 und die Bestätigung des Rückweisungsentscheids des Spezialverwaltungsgerichts vom 22. September 2022 für die direkte Bundessteuer und die Kantons- und Gemeindesteuern. 
 
2.  
Die Beschwerde richtet sich gegen einen Entscheid einer oberen kantonalen Instanz in einer öffentlich-rechtlichen Angelegenheit (Art. 82, 86 Abs. 1 lit. d und Abs. 2 BGG). Der Entscheid lautet zwar formell auf Rückweisung, doch verbleibt der Unterinstanz kein Entscheidungsspielraum, weshalb es sich um einen Endentscheid (Art. 90 BGG) handelt. Der Beschwerdeführer ist zur Beschwerde legitimiert (Art. 89 Abs. 1 BGG). Die Beschwerde ist form- und fristgerecht eingereicht worden (Art. 42 und Art. 100 Abs. 1 BGG). Soweit die direkte Bundessteuer betroffen ist, sind die Anträge des Beschwerdeführers zulässig. Unzulässig ist jedoch der Antrag auf Bestätigung des Rückweisungsentscheids des Spezialverwaltungsgerichts betreffend die Kantons- und Gemeindesteuern. Gegenstand des vorinstanzlichen Verfahrens war alleine die direkte Bundessteuer; in Bezug auf die Kantons- und Gemeindesteuern hatte das Kantonale Steueramt den Rückweisungsentscheid nicht angefochten. Auf die Beschwerde ist im dargelegten Umfang einzutreten. 
 
3.  
In formeller Hinsicht rügt der Beschwerdeführer, die Vorinstanz habe ihre Begründungspflicht und damit seinen Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV) verletzt, indem sie die Gemeinde, die ihn veranlagt habe, als Beschwerdegegnerin bezeichnet und damit mit ihm "in den gleichen Topf" gesetzt habe. Diese Rüge ist kaum hinreichend substanziiert (Art. 106 Abs. 2 BGG), aber auf jeden Fall offensichtlich unbegründet. Es trifft zu, dass das Rubrum des angefochtenen Urteils auf den ersten Blick den Anschein erwecken könnte, die Beschwerde des Steueramts richte sich auch gegen die Gemeinde. Aus der Begründung des vorinstanzlichen Urteils wird die Interessenlage jedoch ohne Weiteres klar. Eine Verletzung der Begründungspflicht liegt offensichtlich nicht vor. 
 
4.  
Der Beschwerdeführer macht in materieller Hinsicht zunächst geltend, dass ungeklärt sei, ob kantonalrechtliche Gerichtsferien in einem Revisionsverfahren betreffend die direkte Bundessteuer anwendbar seien, insbesondere wenn dieses mit dem Revisionsverfahren betreffend die kantonalen Steuern vereinigt worden sei. Es sei zweckmässig, dieses vereinigte Verfahren einheitlichen Verfahrensbestimmungen zu unterwerfen. 
Diese Rüge ist offensichtlich unbegründet. Art. 133 DBG (SR 642.11) enthält eine umfassende Regelung des Fristenlaufs bei der Einsprache, die keinen Fristenstillstand während Gerichtsferien vorsieht. Diese Bestimmung gilt kraft Verweisung auch im Rechtsmittelverfahren (Art. 140 Abs. 4 und Art. 145 Abs. 2 DBG). Daraus folgt nach ständiger Rechtsprechung, dass fristhemmende Bestimmungen nach dem kantonalen Recht für die direkte Bundessteuer nicht beachtlich sind (vgl. statt vieler Urteile 2C_1107/2016 vom 5. April 2017 E. 3.1; 2C_503/2010 vom 11. November 2010 E. 2.1; 2A.70/2006 vom 15. Februar 2006 E. 3). Auch die umgekehrte vertikale Harmonisierung (Angleichung des Fristenlaufs bei der direkten Bundessteuer an jenen bei den kantonalen Steuern), auf welche die Auffassung des Beschwerdeführers hinausläuft, hat das Bundesgericht in zahlreichen Urteilen verworfen (vgl. statt vieler Urteile 2C_89/2015 vom 23. Oktober 2015 E. 6.3; 2C_628/2010 / 2C_645/2010 vom 28. Juni 2011 E. 3.3, nicht publ. in: BGE 137 II 353, aber in: RDAF 2011 II S. 405, StE 2011 B 72.11 Nr. 20, je mit Hinweisen). Inwiefern für Rechtsmittel im Revisionsverfahren etwas anderes gelten soll, ist entgegen dem Beschwerdeführer nicht ersichtlich. Ähnlich wie die Bestimmung über das Beschwerdeverfahren verweisen auch die Vorschriften über die Revision für den Fristenlauf letztlich auf Art. 133 DBG (vgl. Art. 149 Abs. 3 und 4 DBG). Die Besonderheiten des Revisionsverfahrens, auf die der Beschwerdeführer hinweist, sind für den Fristenlauf im Rechtsmittelverfahren offensichtlich nicht von Belang. Auch im ordentlichen Verfahren ist es jedenfalls nicht unüblich, dass die kantonalen Instanzen die Verfahren vereinigen. Es ist daher mit der Vorinstanz zu konstatieren, dass die Eingabe des Beschwerdeführers vor der Unterinstanz verspätet war, soweit die direkte Bundessteuer betroffen ist. 
 
5.  
Der Beschwerdeführer macht weiter geltend, es verstosse gegen Treu und Glauben (Art. 9 BV), wenn auf sein Rechtsmittel nicht eingetreten werde. Er habe Anspruch darauf, dass sein Vertrauen in die unrichtige Rechtsmittelbelehrung geschützt werde. Zudem habe sich das Kantonale Steueramt widersprüchlich und damit rechtsmissbräuchlich verhalten (venire contra factum proprium), indem es erst in der Beschwerde an die Vorinstanz die Säumnis thematisiert habe. Auch diese Vorbringen sind offensichtlich unbegründet. 
 
5.1. Nach ständiger Rechtsprechung ist der Vertrauensschutz gestützt auf eine falsche Rechtsmittelbelehrung ausgeschlossen, wenn die Partei oder ihr Rechtsvertreter die Unrichtigkeit erkannte oder hätte erkennen müssen, wobei in letzterem Fall nur prozessuale Grobfahrlässigkeit den Vertrauensschutz entfallen lässt. Das Vertrauen einer anwaltlich vertretenen Partei in eine fehlerhafte Angabe wird deshalb nicht geschützt, wenn eine "Grobkontrolle" durch Konsultierung der anwendbaren Verfahrensbestimmungen oder eine systematische Lektüre des Gesetzes genügte, um den Fehler zu erkennen. Dagegen wird nicht verlangt, dass neben den Gesetzestexten auch noch die einschlägige Rechtsprechung oder Literatur nachgeschlagen wird (BGE 141 III 270 E. 3.3; 138 I 49 E. 8.3.2; 135 III 374 E. 8.3.2; 134 I 199 E. 1.3.1; 129 II 125 E. 3.3). Wie die vorstehende Erwägung gezeigt hat, ergibt bereits die Gesetzeslektüre, dass die Fristen für Rechtsmittel im Revisionsverfahren betreffend die direkte Bundessteuer nicht wegen Gerichtsferien stillstehen. Das Versehen des Rechtsvertreters des Beschwerdeführers ist demnach als grobfahrlässig zu qualifizieren, weswegen ein Schutz des Vertrauens in die Richtigkeit der Rechtsmittelbelehrung nicht in Betracht kommt. Die Kritik des Beschwerdeführers respektive seines Rechtsvertreters an der gleichlautenden Würdigung der Vorinstanz geht fehl.  
 
5.2. Ohne Belang für das vorliegende Verfahren ist sodann, dass in der Folge die Unterinstanz die Säumnis des Beschwerdeführers übersehen und offenbar ihren Entscheid ihrerseits wieder mit einer falschen Rechtsmittelbelehrung versehen hat. Weil diese Fehler der Unterinstanz erst nach der Disposition des Beschwerdeführers - die verspätete Einreichung der Beschwerde bei der Unterinstanz respektive die Unterlassung der rechtzeitigen Beschwerde - erfolgt sind, können sie dem Beschwerdeführer von vornherein keinen Anspruch darauf verleihen, dass seine Säumnis folgenlos bleibt. Denkbar ist höchstens, dass dem Beschwerdeführer ohne den rechtsfehlerhaften Entscheid der Unterinstanz das Verfahren vor der Vorinstanz sowie die damit verbundenen Umstände und Aufwendungen erspart geblieben wären, weil er einen Nichteintretensentscheid der Unterinstanz womöglich nicht angefochten hätte. Diesem Umstand wird allenfalls in der Festsetzung der Kosten des unterinstanzlichen Verfahrens Rechnung zu tragen sein, sofern die Unterinstanz nicht zum Schluss kommt, dass der Beschwerdeführer gegen einen Nichteintretensentscheid ohnehin vor die nächste Instanz gezogen wäre.  
 
5.3. Offensichtlich unberechtigt ist auch der Vorwurf des Beschwerdeführers an das Kantonale Steueramt, es habe sich widersprüchlich verhalten. Nach einer vor allem in Bezug auf Ablehnungs- und Ausstandsgründe entwickelten Praxis verlangt der Grundsatz von Treu und Glauben (Art. 5 Abs. 3 BV) von den Verfahrensparteien, dass sie verfahrensrechtliche Einwendungen so früh wie möglich vorbringen (vgl. BGE 147 I 173 E. 5.1; 144 IV 35 E. 2.2; 140 I 240 E. 2.4). Dies setzt aber immerhin voraus, dass die betreffende Partei vom Verfahrensfehler effektiv Kenntnis hatte (vgl. BGE 143 V 66 E. 4.3). Aus dem angefochtenen Urteil folgt nicht und der Beschwerdeführer weist auch vor Bundesgericht nicht nach, dass dem Kantonalen Steueramt respektive den dort zuständigen Personen die Säumnis des Beschwerdeführers bereits im Verfahren vor der Unterinstanz bewusst gewesen wäre. Folglich hat sich das Kantonale Steueramt von vornherein nicht treuwidrig verhalten, indem es die Säumnis des Beschwerdeführers erst im Verfahren vor der Vorinstanz thematisiert hat. Unter diesen Umständen braucht nicht erörtert zu werden, ob die Säumnis der Gegenpartei überhaupt zu den prozessualen Einwendungen gehört, die unverzüglich geltend gemacht werden müssen.  
 
6.  
Schliesslich macht der Beschwerdeführer geltend, die Veranlagungsverfügungen seien nichtig. Auch dieses Vorbringen ist offensichtlich unbegründet. Nach der Rechtsprechung führen inhaltliche Mängel nur ganz ausnahmsweise zur Nichtigkeit eines Entscheids oder einer Verfügung (vgl. BGE 145 III 436 E. 4; 144 IV 362 E. 1.4.3; 139 II 243 E. 11.2). Im vom Beschwerdeführer zitierten Urteil 2C_679/2016 vom 11. Juli 2017 hat das Bundesgericht auf die Nichtigkeit der Ermessensveranlagung geschlossen, weil die Steuerbehörde die Steuerfaktoren wiederholt bewusst und willkürlich falsch geschätzt hatte (Urteil 2C_679/2016 vom 11. Juli 2017 E. 5.3.4, in: StE 2017 B 93.5 Nr. 33). Weder aus dem hier angefochtenen Urteil noch aus den Ausführungen des Beschwerdeführers ergeben sich Anhaltspunkte für einen solchen Vorwurf an die Steuerbehörde. Jedenfalls auf der Basis des Sachverhalts, wie er dem Bundesgericht präsentiert wurde, kommt die Nichtigkeit der Veranlagungsverfügungen offensichtlich nicht in Betracht. 
 
7.  
Nach dem Gesagten erweist sich die Beschwerde als offensichtlich unbegründet, weshalb sie im vereinfachten Verfahren abzuweisen ist, soweit darauf einzutreten ist (Art. 109 Abs. 2 lit. a BGG). Der Beschwerdeführer trägt die Gerichtskosten (Art. 66 Abs. 1 BGG). Es ist keine Parteientschädigung geschuldet (Art. 68 Abs. 3 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten wird. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 1'000.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3.  
Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten, dem Gemeinderat V.________, dem Verwaltungsgericht des Kantons Aargau, 2. Kammer, und der Eidgenössischen Steuerverwaltung mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 31. Mai 2023 
 
Im Namen der III. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Das präsidierende Mitglied: Stadelmann 
 
Der Gerichtsschreiber: Seiler