Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet. Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
Zurück zur Einstiegsseite Drucken
Grössere Schrift
 
Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
9C_121/2011 
 
Urteil vom 31. März 2011 
II. sozialrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter U. Meyer, Präsident, 
Bundesrichter Kernen, Bundesrichterin Pfiffner Rauber, 
Gerichtsschreiber Fessler. 
 
Verfahrensbeteiligte 
R.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. iur. Mattias Dolder, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen 
 
IV-Stelle des Kantons Thurgau, St. Gallerstrasse 13, 8500 Frauenfeld, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid 
des Verwaltungsgerichts des Kantons Thurgau 
vom 5. Januar 2011. 
 
Sachverhalt: 
 
A. 
Die 1947 geborene R.________ meldete sich im Mai 2009 unter Hinweis auf einen am 23. Januar 2009 erlittenen "Autounfall mit Wirbelbruch" bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug (Berufliche Integration/Rente) an. Nach Abklärungen und nach durchgeführtem Vorbescheidverfahren verneinte die IV-Stelle des Kantons Thurgau mit Verfügung vom 2. September 2010 den Anspruch auf eine Invalidenrente. 
 
B. 
Die Beschwerde der R.________ wies das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau als Versicherungsgericht mit Entscheid vom 5. Januar 2011 ab. 
 
C. 
R.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen mit dem Rechtsbegehren, Gerichtsentscheid und Verwaltungsverfügung seien aufzuheben und die Sache zur Vornahme weiterer Abklärungen, insbesondere für eine interdisziplinäre Begutachtung in Bezug auf die Einschränkungen im Haushaltsbereich sowie für eine aktuelle Haushaltsabklärung und anschliessender neuer Entscheidung an die IV-Stelle, eventualiter an das kantonale Versicherungsgericht zurückzuweisen. 
 
Erwägungen: 
 
1. 
Die Vorinstanz hat in Anwendung der gemischten Methode der Invaliditätsbemessung bei einem Anteil der Erwerbstätigkeit von 0,1 (= hypothetisches erwerbliches Arbeitspensum ohne gesundheitliche Beeinträchtigung von 10 %; Art. 28a Abs. 3 IVG; BGE 133 V 504 E. 3.3 S. 507, 125 V 146 E. 2a-c S. 148 ff.) einen Invaliditätsgrad von 18 % (0,1 x 100 % + 0,9 x 9 %; zum Runden BGE 130 V 121) ermittelt, was für den Anspruch auf eine Invalidenrente nicht ausreicht (Art. 28 Abs. 2 IVG). Die gesundheitlich bedingte Einschränkung im Aufgabenbereich Haushalt (9 %; Art. 8 Abs. 3 ATSG in Verbindung mit Art. 5 Abs. 1 IVG und Art. 27 IVV) durch Betätigungsvergleich hat sie gestützt auf den Abklärungsbericht Haushalt vom 14. Mai 2010 festgesetzt. Mit den gerügten diesbezüglichen Mängeln und Widersprüchen hat sich die Vorinstanz nicht im Einzelnen auseinandergesetzt. Soweit darin eine Verletzung ihrer aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV sowie Art. 61 lit. h ATSG und Art. 112 Abs. 1 lit. b BGG) abgeleiteten Begründungspflicht zu erblicken ist, kann der Mangel als geheilt gelten, war es doch der Beschwerdeführerin ohne weiteres möglich, das vorinstanzliche Erkenntnis sachgerecht anzufechten (BGE 134 I 83 E. 4.1 S. 88; 133 III 439 E. 3.3 S. 445; 124 V 180 E. 1a S. 181; Urteil 9C_882/2010 vom 25. Januar 2011 E. 4.3). 
 
2. 
Die Beschwerdeführerin rügt hauptsächlich eine Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes (Art. 43 Abs. 1 und Art. 61 lit. c ATSG) sowie des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung (Art. 61 lit. c ATSG; BGE 125 V 351 E. 3a S. 352) durch die Vorinstanz. Gesundheitszustand und Arbeitsfähigkeit seien unvollständig abgeklärt. Der Abklärungsbericht Haushalt vom 14. Mai 2010 stelle keine hinreichend beweiskräftige Grundlage für die Festsetzung der gesundheitlich bedingten Einschränkung im Aufgabenbereich dar. Es sei unrealistisch und widersprüchlich, dass sie in beruflichen Tätigkeiten zu 100 %, im Aufgabenbereich Haushalt jedoch lediglich zu 9 % eingeschränkt sein soll. 
 
3. 
3.1 
3.1.1 Ausschlaggebend für die Festsetzung der gesundheitlich bedingten Einschränkung im Aufgabenbereich Haushalt ist nicht die medizinisch-theoretische Arbeitsunfähigkeit, sondern wie sich der Gesundheitsschaden in der nichterwerblichen Betätigung konkret auswirkt, was durch die Abklärung an Ort und Stelle (im Haushalt der versicherten Person) erhoben wird (Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts I 300/04 vom 19. Oktober 2004 E. 6.2.2; vgl. auch BGE 130 V 97 E. 3.3.1 S. 99). Die Abklärungsperson hat somit den Gesundheitszustand der versicherten Person zu kennen und ebenso, inwiefern das funktionelle Leistungsvermögen gesundheitlich bedingt eingeschränkt wird. Dabei steht der qualitative Aspekt, die Art der Beeinträchtigungen, im Vordergrund. 
3.1.2 Der ärztlichen Einschätzung der Arbeitsfähigkeit kommt von hier nicht gegebenen psychischen Erkrankungen abgesehen dann erhöhte Bedeutung zu, wenn die versicherte Person unglaubwürdige Angaben macht, die in Widerspruch zu den ärztlichen Befunden stehen (Urteile 9C_350/2010 vom 11. Juni 2010 E. 3.2.2.2 und 9C_90/2010 vom 22. April 2010 E. 4.1.1.2). Ein solcher Sachverhalt ist hier nicht gegeben. Daran ändert nichts, dass nach vorinstanzlicher Feststellung aufgrund der medizinischen Unterlagen sich die Arbeitsfähigkeit im angestammten - ohne gesundheitliche Beeinträchtigung weiterhin teilzeitlich ausgeübten - Beruf als Raumpflegerin nicht abschliessend beurteilen lässt und auch die Arbeitsfähigkeit in einer leichten Tätigkeit offen ist. Die Angaben der Beschwerdeführerin gegenüber der Abklärungsperson, inwiefern sie in den einzelnen Haushaltsbereichen eingeschränkt ist und welche konkreten Arbeiten sie überhaupt nicht mehr oder nur mit Hilfe Dritter (Ehemann oder Tochter) erledigen kann, sind glaubhaft. Danach ist sie "vor allem bei den Haushaltsarbeiten, bei welchen sie schwer heben und sich bücken muss", eingeschränkt. Dies entspricht dem Beschwerdebild, welches im Wesentlichen durch objektivierbare Befunde im Rückenbereich sowie (subjektiv geklagte) Nackenbeschwerden und Schwindel gekennzeichnet ist (Berichte Dr. med. S.________, Allgemeine Medizin FMH, vom 26. Januar 2010 und 10. November 2009). Von weiteren medizinischen Abklärungen sind keine neuen Erkenntnisse zu erwarten, und es ist daher davon abzusehen. 
 
3.2 Die Beschwerdeführerin macht nicht geltend, die Feststellungen im Abklärungsbericht Haushalt vom 14. Mai 2010 seien unrichtig im Sinne einer zu optimistischen Beschreibung der gesundheitlich bedingten Einschränkung in den einzelnen Bereichen etwa als Folge einer zu weit gefassten Schadenminderungspflicht (BGE 113 V 22 E. 4a S. 28) oder unvollständig. Gemäss ihren Angaben gegenüber der Abklärungsperson kann sie gesundheitlich bedingt folgende Arbeiten überhaupt nicht mehr oder jedenfalls nicht allein machen: 
 
"Ernährung": Arbeiten wie Kartoffeln raffeln, Pfannen ableeren, Geschirr in die Abwaschmaschine füllen, gründliche Reinigung der Küche. 
"Wohnungspflege": Staubsaugen, WC und Badewanne reinigen, das Bett beziehen, die Matratze drehen, die Fenster reinigen, wenn dies nötig würde. 
"Einkauf und weitere Besorgungen": Die schweren Sachen heben und tragen, Dinge aus den unteren Regalen nehmen. 
"Wäsche und Kleiderpflege": Wäsche in den Keller tragen, aufstehen, wenn sie kniend die Waschmaschine gefüllt oder die gewaschenen Kleidungsstücke herausgenommen hat, das Bügelbrett aufstellen. 
"Verschiedenes": Pflanzen in der Wohnung giessen. 
 
Die Abklärungsperson Haushalt hat für die einzelnen Bereiche folgende Behinderungsgrade festgelegt: "Ernährung" 10 %, "Wohnungspflege" 20 %, "Einkauf und weitere Besorgungen" 10 %, für die übrigen Bereiche, insbesondere "Wäsche und Kleiderpflege", 0 %. Daraus resultierte eine Einschränkung von insgesamt 9 % (0,4 x 10 % + 0,2 x 20 % + 0,1 x 10 % + 0,3 x 0 %). 
3.3 
3.3.1 Die Beschwerdeführerin erhält Hilfe von ihrem Ehemann und von ihrer Tochter. Diese reinige, wenn sie zu Besuch sei, jeweils das WC und auch die Badewanne. Sie würde, falls es einmal nötig werden würde, beim Reinigen der Fenster mithelfen. Die Abklärungsperson Haushalt hat im Bereich Wohnungspflege eine Einschränkung von 20 % angenommen, womit sie jedenfalls die Mithilfe der Tochter angemessen berücksichtigt hat. Alle übrigen Arbeiten im Zwei-Personen-Haushalt, welche sie nicht oder nicht mehr allein machen kann (E. 3.2), werden vom Ehemann oder mit dessen Hilfe erledigt. 
3.3.2 
3.3.2.1 Es bestehen keine Hinweise und es wird auch nicht geltend gemacht, dass es dem bereits pensionierten Ehegatten aus zeitlichen oder gesundheitlichen Gründen nicht möglich ist, die seiner Ehefrau nicht mehr zumutbaren Haushaltsarbeiten abzunehmen oder ihr dabei, soweit nötig, zu helfen. Nach der Rechtsprechung geht zwar die im Rahmen der Invaliditätsbemessung bei einer im Haushalt tätigen Person - unter dem Titel der Schadenminderungspflicht - zu berücksichtigende Mithilfe von Familienangehörigen in der Regel weiter als die ohne Gesundheitsschädigung üblicherweise zu erwartende Unterstützung (BGE 130 V 97 E. 3.3.3 S. 101). Allerdings darf nicht etwa die Arbeit im Haushalt in einzelnen Funktionen oder insgesamt auf diese überwälzt werden mit der Folge, dass gleichsam bei jeder festgestellten Einschränkung danach gefragt werden müsste, ob sich ein im selben Haushalt lebendes Familienmitglied finden lässt, die allenfalls für eine ersatzweise Ausführung der entsprechenden Teilfunktion in Frage kommt (BGE 133 V 504 E. 4.2 S. 510 mit Hinweis). In der Weise ist die Abklärungsperson Haushalt denn auch nicht vorgegangen, indem sie bei "Ernährung" und "Wohnungspflege" sowie "Einkauf und weitere Besorgungen" die gesundheitlich bedingt notwendige vermehrte Mithilfe ihres Ehemannes nicht gänzlich unberücksichtigt gelassen hat (vorne E. 3.2). Allerdings erscheint eine Einschränkung von 10 % bei "Ernährung" und 20 % bei "Wohnungspflege", womit hauptsächlich die Mithilfe der nicht im selben Haushalt wohnenden Tochter abgegolten wird (vorne E. 3.3.1), und sogar von 0 % bei "Wäsche und Kleiderpflege" als zu tief, wie in der Beschwerde an sich zu Recht vorgebracht wird. 
3.3.2.2 Selbst wenn man von einer insoweit offensichtlich unrichtigen Sachverhaltsfeststellung ausgehen wollte, ändert sich indessen mangels Entscheiderheblichkeit nichts (Art. 97 Abs. 1 BGG). Aufgrund der Angaben gegenüber der Abklärungsperson, welche ein stimmiges Bild von den gesundheitlich bedingten Behinderungen im Haushalt geben, ist davon auszugehen, dass die Beschwerdeführerin in den Bereichen "Ernährung" und "Wohnungspflege" wenigstens 20 %, bei der "Wäsche und Kleiderpflege" 40 % der regelmässig anfallenden Arbeiten allein erledigen kann. Die übrigen ihrem Ehegatten zeitlich und gesundheitlich an sich zumutbaren Arbeiten sind ihr zumindest in hälftigem Umfang unter dem Titel der Schadenminderungspflicht anzurechnen. Daraus ergibt sich eine Einschränkung im Haushalt von maximal 31 % (0,4 x 40 % + 0,2 x 40 % + 0,1 x 10 % + 0,2 x 30 %) resp. eine Gesamtinvalidität von 38 % (0,1 x 100 % + 0,9 x 31 %; vorne E. 1) was keinen Anspruch auf eine Invalidenrente ergibt (Art. 28 Abs. 2 IVG). Die Beschwerde ist somit unbegründet. 
 
4. 
Bei diesem Ausgang des Verfahrens hat die Beschwerdeführerin die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
Luzern, 31. März 2011 
 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: 
 
Meyer Fessler