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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
9C_92/2023  
 
 
Urteil vom 5. Juli 2023  
 
III. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Stadelmann, präsidierendes Mitglied, 
Bundesrichterin Moser-Szeless, Bundesrichter Beusch, 
Gerichtsschreiber Nabold. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Max B. Berger, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
proparis Vorsorge-Stiftung Gewerbe Schweiz, 
Schwarztorstrasse 26, 3007 Bern, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Berufliche Vorsorge, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 15. Dezember 2022 (200 22 96 BV). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Die 1965 geborene A.________ wurde am xxxx 2009 in ihrem selbständig betriebenen Tankstellenbistro Opfer eines Raubüberfalles. In der Folge wurde sie vom Hausarzt (ganz bzw. teilweise) "arbeitsunfähig geschrieben". Ab August 2010 war sie im Stundenlohn angestellt bei der B.________ GmbH und war damit bei der proparis Vorsorge-Stiftung Gewerbe Schweiz berufsvorsorgeversichert. Nachdem sie bereits im Februar 2011 nur noch reduziert gearbeitet hatte, teilte ihr ihre Arbeitgeberin am 8. März 2011 mit, sie könne ihr bis auf Weiteres keine Beschäftigungen mehr anbieten. In der Folge meldete sich A.________ bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an; die IV-Stelle Bern sprach ihr mit Verfügung vom 21. März/9. April 2014 ab Oktober 2012 eine ganze Rente der Invalidenversicherung zu. Demgegenüber lehnte die proparis Vorsorge-Stiftung Gewerbe Schweiz einen Invalidenrentenanspruch ab, da die zur Invalidität führende Arbeitsunfähigkeit bereits im Juni 2009 und damit vor Eintritt in die Vorsorgeeinrichtung eingetreten sei. 
 
B.  
Am 4. Oktober 2022 erhob A.________ vor dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern Klage gegen die Panvica BVG und beantragte, die Beklagte sei zu verurteilen, ihr rückwirkend eine Invalidenrente von jährlich Fr. 10'865.- zuzüglich Zins von 5 % ab Rentenbeginn, eventuell ab Klageeinreichung, zu bezahlen. In der Folge korrigierte der vorinstanzliche Instruktionsrichter die Parteibezeichnung der Beklagten zu proparis Vorsorge-Stiftung Gewerbe Schweiz. Das kantonale Gericht wies die Klage mit Urteil vom 15. Dezember 2022 ab. 
 
C.  
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt A.________, das kantonale Gerichtsurteil sei aufzuheben und erneuert das vor kantonalem Gericht gestellte Klagebegehren. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann eine Rechtsverletzung nach Art. 95 f. BGG gerügt werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Dennoch prüft es - offensichtliche Fehler vorbehalten - nur die in seinem Verfahren gerügten Rechtsmängel (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG; BGE 135 II 384 E. 2.2.1). Es legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann deren Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Verfahrensausgang entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1, Art. 105 Abs. 2 BGG).  
 
1.2. Vorinstanzliche Feststellungen zur Art des Gesundheitsschadens und zur Arbeitsfähigkeit, die Ergebnis einer Beweiswürdigung sind, sind für das Bundesgericht grundsätzlich bindend (vgl. BGE 132 V 393 E. 3.2). Tatfrage ist auch jene nach dem Zeitpunkt des Eintritts der Arbeitsunfähigkeit, deren Ursache zur Invalidität geführt hat (Urteil 9C_521/2022 vom 2. März 2023 E. 1.2 mit weiterem Hinweis). Frei überprüfbare Rechtsfrage ist dagegen, nach welchen Gesichtspunkten die Entscheidung über den Zeitpunkt des Eintritts einer massgebenden Arbeitsunfähigkeit zu erfolgen hat, und ob die Beweiswürdigung unter Beachtung der rechtsprechungsgemäss relevanten Kriterien erfolgte (Urteil 9C_143/2021 vom 25. Juni 2021 E. 1.2).  
 
2.  
Streitig und zu prüfen ist, ob das kantonale Gericht Bundesrecht verletzte, als es einen Anspruch der Versicherten auf Invalidenleistungen aus beruflicher Vorsorge gegen die Beschwerdegegnerin verneinte. 
 
3.  
 
3.1. Invalidenleistungen der (obligatorischen) beruflichen Vorsorge werden von derjenigen Vorsorgeeinrichtung geschuldet, bei welcher die ansprechende Person bei Eintritt der Arbeitsunfähigkeit, deren Ursache zur Invalidität geführt hat, versichert war (Art. 23 lit. a BVG). Besteht zwischen einer vor Beginn des Vorsorgeverhältnisses aufgetretenen Arbeitsunfähigkeit und der nachfolgenden Invalidität sowohl in sachlicher und zeitlicher Hinsicht ein enger Zusammenhang, entfällt daher eine Leistungspflicht, selbst wenn der Versicherte während der Dauer des Vorsorgeverhältnisses (vorübergehend) wieder die Arbeitsfähigkeit erlangt hatte (BGE 123 V 264 f. E. 1a und c, je mit Hinweisen). Der sachliche Konnex ist gegeben, wenn der Gesundheitsschaden, welcher zur Arbeitsunfähigkeit geführt hat, im Wesentlichen derselbe ist, wie er der Erwerbsunfähigkeit zugrunde liegt (BGE 138 V 409 E. 6.2).  
 
3.2. Die Annahme eines engen zeitlichen Zusammenhangs setzt voraus, dass die versicherte Person nach Eintritt der Arbeitsunfähigkeit, deren Ursache zur Invalidität geführt hat, nicht während längerer Zeit wieder arbeitsfähig war, was sich nach der Arbeits (un) fähigkeit in einer der gesundheitlichen Beeinträchtigung angepassten zumutbaren Tätigkeit beurteilt (BGE 134 V 20 E. 5.3; Urteil 9C_278/2015 vom 2. Februar 2016 E. 2.3.2). Bei der Prüfung dieser Frage sind die gesamten Umstände des konkreten Einzelfalles zu berücksichtigen, namentlich die Art des Gesundheitsschadens, dessen prognostische medizinische Beurteilung sowie die Beweggründe, welche die versicherte Person zur Wiederaufnahme oder Nichtwiederaufnahme der Arbeit veranlasst haben (vgl. Urteil 9C_877/2018 vom 22. August 2019 E. 3.3).  
 
3.3. Eine Unterbrechung des zeitlichen Konnexes ist dann anzunehmen, wenn während mehr als dreier Monate eine Arbeitsfähigkeit - von über 80 % gemäss BGE 144 V 58 E. 4.5 - gegeben ist, sofern sich eine dauerhafte Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit als objektiv wahrscheinlich darstellt und - vorliegend indessen nicht von weiterer Bedeutung - kumulativ bezogen auf die angestammte Tätigkeit ein rentenausschliessendes Einkommen erzielt werden kann (vgl. Urteil 9C_521/2022 vom 2. März 2023 E. 4.3.3; BGE 134 V 20 E. 5.3). Der zeitliche Zusammenhang kann daher auch bei einer länger als drei Monate dauernden Tätigkeit gewahrt sein, wenn eine dauerhafte berufliche Wiedereingliederung unwahrscheinlich war, etwa weil die Tätigkeit (allenfalls auch erst im Rückblick) als Eingliederungsversuch zu werten ist oder massgeblich auf sozialen Erwägungen des Arbeitgebers beruhte (BGE 134 V 20 E. 3.2.1; Urteil 9C_340/2015 vom 21. November 2016 E. 4.1.2).  
 
 
4.  
 
4.1. Es steht fest und ist unbestritten, dass die Arbeitsunfähigkeit, aufgrund derer die Versicherte später invalid wurde, bereits unmittelbar nach ihrer Traumatisierung beim Überfall vom xxxx 2009 eingetreten ist, mithin zu einem Zeitpunkt, als sie noch nicht bei der Beschwerdegegnerin berufsvorsorgeversichert war. Streitig ist demgegenüber die vom kantonalen Gericht verneinte Frage, ob dieser gegebene sachliche Konnex während der Zeit, als sie bei der Beschwerdegegnerin versichert war, unterbrochen wurde. Die Beschwerdeführerin macht in diesem Kontext im Wesentlichen geltend, sie habe in der Zeit von August 2010 bis Januar 2011 mit einem Pensum von durchschnittlich 95 % für die B.________ GmbH gearbeitet.  
 
4.2. In Würdigung der gesamten Umstände verneinte das kantonale Gericht eine nachhaltige berufliche Wiedereingliederung der Versicherten. Die Beschwerdeführerin macht dagegen unter anderem geltend, diese Würdigung sei willkürlich, habe ihr doch keine medizinische Fachperson für den hier entscheidenden Zeitraum von August 2010 bis Januar 2011 eine Arbeitsunfähigkeit attestiert. Wie das kantonale Gericht indessen nachvollziehbar erwogen hat, fehlen für den hier entscheidenden Zeitraum echtzeitliche ärztliche Bescheinigungen sowohl für eine Arbeitsfähig- als auch für eine Arbeitsunfähigkeit, da die Versicherte ihren behandelnden Arzt zuletzt am 19. Juli 2010 aufgesucht hatte. Bei Fehlen echtzeitlicher Berichte kann auch nicht einzig auf das später erstellte Gutachten des Dr. med. C.________, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, vom 25. Februar 2013 abgestellt werden: Zwar wird in diesem der Versicherten für den entscheidenden Zeitraum eine volle Arbeitsfähigkeit attestiert, dies jedoch nicht aufgrund medizinisch-theoretischer Überlegungen sondern einzig mit der Begründung, dass die Versicherte in dieser Zeit tatsächlich erwerbstätig gewesen sei. Im Widerspruch zu dieser attestierten Arbeitsfähigkeit beantwortete der Experte die Frage, ab wann eine dauerhafte, mindestens 20 %-ige Arbeitsunfähigkeit vorgelegen habe, mit "seit dem Unfallereignis vom xxxx 2009". Für die Frage der Nachhaltigkeit der beruflichen Eingliederung ist somit durch die Aussage des Experten wenig gewonnen. Bei einer solchen Ausgangslage verstösst es nicht gegen Bundesrecht, dass die Vorinstanz zur Prüfung der Frage des Unterbruchs des engen zeitlichen Zusammenhangs nicht einzig auf die ärztlichen Berichte abgestellt hat, sondern eine Gesamtwürdigung der konkreten Umstände der Beschäftigung vorgenommen hat (vgl. auch E. 3.2 hievor).  
 
4.3. Wie die Versicherte im Frühjahr 2011 selber ausgeführt hat, hat sie sich nach dem Auszug ihres Ehemannes ab August 2010 an einer neuen Arbeitsstelle in die Arbeit "gestürzt", doch sei sie laut dem Arbeitgeber aufgrund ihrer Ängste zu wenig flexibel einsetzbar gewesen und es sei schliesslich zur Kündigung gekommen. Dass sie bei ihrem Arbeitseinsatz nicht auf ärztlichen Rat hin gehandelt und ein gesundes Mass überschritten hat, wird durch ihren Einsatz 302.25 Stunden alleine im Monat Oktober 2010 belegt. Aus diesem sehr hohen Einsatz während lediglich eines Monats erklärt sich auch der Umstand, dass sie einerseits im hier entscheidenden Zeitraum von August 2010 bis Januar 2011 rechnerisch tatsächlich ein durchschnittliches Pensum von 95 % erreichte, andererseits aber nicht während mindestens drei aufeinanderfolgenden Monaten zu mindestens 80 % arbeitete. Vor diesem Hintergrund erscheint die Verneinung einer nachhaltigen beruflichen Wiedereingliederung durch die Vorinstanz jedenfalls nicht als offensichtlich unrichtig. Alleine aus dem Umstand, dass die Versicherte kurzzeitig zu einem sehr hohen Arbeitseinsatz in der Lage war, kann noch nicht auf eine dauerhafte berufliche Wiedereingliederung geschlossen werden. Entsprechend hat das kantonale Gericht kein Bundesrecht verletzt, als es die Tätigkeit der Versicherten bei der B.________ GmbH nicht als Grund für einen Unterbruch des engen zeitlichen Konnexes zwischen der bereits nach dem xxxx 2009 eingetretenen Arbeitsunfähigkeit und der späteren Invalidität anerkannte. Die Beschwerde der Versicherten ist somit abzuweisen.  
 
5.  
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat die Beschwerdeführerin die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
3.  
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 5. Juli 2023 
 
Im Namen der III. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Das präsidierende Mitglied: Stadelmann 
 
Der Gerichtsschreiber: Nabold