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[AZA 7] 
I 185/00 Bh 
 
II. Kammer 
 
Präsident Schön, Bundesrichterin Widmer und Bundesrichter 
Frésard; Gerichtsschreiber Attinger 
 
Urteil vom 11. September 2002 
 
in Sachen 
IV-Stelle des Kantons St. Gallen, Brauerstrasse 54, 9016 St. Gallen, Beschwerdeführerin, 
 
gegen 
O.________, 1954, Beschwerdegegner, vertreten durch Procap, Schweizerischer Invaliden-Verband, Froburgstrasse 4, 4600 Olten, 
und 
Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen, St. Gallen 
 
A.- Mit Verfügungen vom 25./26. September 1997 sprach die IV-Stelle des Kantons St. Gallen dem 1954 geborenen O.________ ab 1. Dezember 1996 gestützt auf einen Invaliditätsgrad von 40 % und unter Berücksichtigung eines wirtschaftlichen Härtefalls eine halbe Invalidenrente zu. 
 
B.- O.________ reichte hiegegen beim Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen Beschwerde ein und verlangte, dass ihm die halbe Rente auf Grund eines Invaliditätsgrades von "über 50 %" ausgerichtet werde. Das kantonale Gericht hiess die Beschwerde mit Entscheid vom 23. November 1999 gut, hob die Rentenverfügungen vom 25./26. September 1997 auf und stellte - unter Zugrundelegung einer mindestens 51%igen Invalidität - fest, dass ab 1. Dezember 1996 Anspruch auf eine "ordentliche halbe Invalidenrente" besteht. 
 
C.- Die IV-Stelle führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag auf Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids. 
 
Während O.________ auf Abweisung schliesst, verzichtet das Bundesamt für Sozialversicherung auf eine Vernehmlassung zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde. 
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 
 
1.- Das Eidgenössische Versicherungsgericht hat von Amtes wegen zu prüfen, ob die Sachurteilsvoraussetzungen, die für die Beurteilung der gestellten Rechtsbegehren erfüllt sein müssen, gegeben sind. Hat die Vorinstanz übersehen, dass es an einer Sachurteilsvoraussetzung fehlte, und hat sie materiell entschieden, ist dies im Rechtsmittelverfahren von Amtes wegen zu berücksichtigen mit der Folge, dass der angefochtene Entscheid aufzuheben ist mit der Feststellung, auf das Rechtsmittel könne mangels Sachurteilsvoraussetzung nicht eingetreten werden (BGE 127 V 2 Erw. 1a, 37 Erw. 4, je mit Hinweisen). 
 
2.- a) Bei einer Verfügung über Versicherungsleistungen bildet grundsätzlich einzig die Leistung Gegenstand des Dispositivs. Die Beantwortung der Frage, welcher Invaliditätsgrad der Rentenzusprechung zu Grunde gelegt wurde, dient demgegenüber in der Regel lediglich der Begründung der Leistungsverfügung. Sie könnte nur dann zum Dispositiv gehören, wenn und insoweit sie Gegenstand einer Feststellungsverfügung ist. Da in jedem Fall nur das Dispositiv anfechtbar ist, muss bei Anfechtung der Motive einer Leistungsverfügung im Einzelfall geprüft werden, ob damit nicht sinngemäss die Abänderung des Dispositivs beantragt wird. 
Sodann ist zu untersuchen, ob die Beschwerde führende Person allenfalls ein schutzwürdiges Interesse an der sofortigen Feststellung hinsichtlich des angefochtenen Verfügungsbestandteils hat (BGE 115 V 418 Erw. 3b/aa, 106 V 92 Erw. 1 mit Hinweis). 
 
b) Rechtsprechungsgemäss ist der Erlass einer Feststellungsverfügung im Sinne von Art. 5 Abs. 1 lit. b und Art. 25 VwVG dann zulässig, wenn ein schutzwürdiges, d.h. 
rechtliches oder tatsächliches und aktuelles Interesse an der sofortigen Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses nachgewiesen ist, dem keine erheblichen öffentlichen oder privaten Interessen entgegenstehen, und wenn dieses schutzwürdige Interesse nicht durch eine rechtsgestaltende Verfügung gewahrt werden kann (BGE 126 II 303 Erw. 2c, 125 V 24 Erw. 1b, 121 V 317 Erw. 4a mit Hinweisen). 
 
3.- a) Nach Art. 28 Abs. 1 IVG hat der Versicherte Anspruch auf eine ganze Rente, wenn er mindestens zu 66 2/3 %, auf eine halbe Rente, wenn er mindestens zu 50 % oder auf eine Viertelsrente, wenn er mindestens zu 40 % invalid ist; in Härtefällen hat der Versicherte nach Art. 28 Abs. 1bis IVG bereits bei einem Invaliditätsgrad von mindestens 40 % Anspruch auf eine halbe Rente. 
Renten, die einem Invaliditätsgrad von weniger als 50 % entsprechen, werden nur an Versicherte ausgerichtet, die ihren Wohnsitz und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Schweiz haben; diese Voraussetzung ist auch von Angehörigen zu erfüllen, für die eine Leistung beansprucht wird (Art. 28 Abs. 1ter IVG). 
Gemäss Art. 28bis Abs. 1 IVV (in der vorliegend anwendbaren, vom 1. Januar bis 31. Dezember 1997 gültig gewesenen Fassung) liegt ein Härtefall im Sinne von Art. 28 Abs. 1bis IVG vor, wenn der invalide Versicherte den in Art. 2 Abs. 1 ELG festgelegten höheren Grenzbetrag nicht erreicht; für jedes Kind, für das ein Anspruch auf eine Kinderrente besteht, wird der Grenzbetrag nach Art. 2 Abs. 3 ELG erhöht. Die Ausgleichskassen ermitteln das anrechenbare Jahreseinkommen nach den Bestimmungen des ELG, wobei die bundesrechtlichen Höchstansätze gelten; Art. 14a ELV findet bei der Ermittlung des Härtefalles keine Anwendung (Art. 28bis Abs. 3 IVV, ebenfalls in der im Jahre 1997 gültigen Fassung). Laut Art. 28bis Abs. 2 IVV legt die IV-Stelle das Erwerbseinkommen fest, das der Versicherte durch eine für ihn zumutbare Tätigkeit erzielen könnte; dieses kann niedriger sein als das Invalideneinkommen nach Art. 28 Abs. 2 IVG, wenn der Behinderte wegen seines fortgeschrittenen Alters, seines Gesundheitszustandes, der Lage am Arbeitsmarkt oder aus anderen nicht von ihm zu verantwortenden Gründen die ihm verbliebene Erwerbsfähigkeit nicht oder nicht voll ausnützen kann. 
 
b) Das Eidgenössische Versicherungsgericht hat im Falle eines Versicherten, dem unter Berücksichtigung einer Invalidität von nur mehr 45 % die bisher bezogene halbe Invalidenrente neu als Härtefallrente ausgerichtet wurde und der diesbezüglich beschwerdeweise die sofortige Feststellung einer mindestens 50%igen Invalidität beantragte, ausgeführt, ein entsprechendes schutzwürdiges Feststellungsinteresse würde nur bestehen, wenn der Beschwerdeführer die Voraussetzungen für den Härtefall in Kürze nicht mehr erfüllen oder wenn er beabsichtigen würde, demnächst die Schweiz zu verlassen (BGE 106 V 93 Erw. 2). Ferner hat das Eidgenössische Versicherungsgericht im unveröffentlichten Urteil F. vom 16. Januar 1992, I 115/91, ein schutzwürdiges Interesse an der sofortigen Feststellung eines Invaliditätsgrades von mindestens 50 % bejaht bei einem Beschwerdeführer, dessen Ehefrau und Kinder Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland haben und demzufolge im Falle der verfügten Härtefallrente nicht in den Genuss von Zusatzrentenleistungen gelangen können (Art. 28 Abs. 1ter IVG). 
 
4.- a) Vorliegend ist unter sämtlichen Verfahrensbeteiligten unbestritten, dass dem Beschwerdegegner eine halbe Rente der Invalidenversicherung zusteht. Die vom Versicherten bereits im vorinstanzlichen Beschwerdeverfahren anbegehrte Anerkennung einer Invalidität von mindestens 50 % (aber von weniger als zwei Dritteln) hat keine Auswirkungen auf die mit den streitigen (Härtefall-)Rentenverfügungen vom 25./26. September 1997 zugesprochenen Versicherungsleistungen. 
Der entsprechende Antrag zielte somit nicht auf eine Änderung des Dispositivs der Verwaltungsverfügungen ab, sondern richtete sich gegen deren Begründung. 
Diese aber ist nicht anfechtbar, weshalb es nachfolgend das Erfordernis eines schutzwürdigen Interesses am Erlass einer Feststellungsverfügung zu prüfen gilt (Erw. 2a hievor i.f.). 
 
b) aa) Soweit der Beschwerdegegner zur Begründung seines Interesses an der sofortigen Feststellung einer höheren Invalidität in seiner letztinstanzlichen Vernehmlassung vorbringt, "in der Praxis werden Invaliditätsgrade der Invalidenversicherung von den entsprechenden Pensionskassen jeweils übernommen", ist ihm entgegenzuhalten, dass die im IV-Verfahren im Zusammenhang mit einer Härtefallrente ermittelte Invalidität für die berufsvorsorgerechtliche Invalidenrente rechtsprechungsgemäss nicht präjudizierend ist (unveröffentlichtes Urteil B. vom 28. September 1998, I 164/98). 
 
bb) Anders verhält es sich indessen mit Bezug auf die weitere Einwendung des Versicherten, wonach die EL-Behörden bei der Berechnung ihm allenfalls zustehender Ergänzungsleistungen an den von der IV-Stelle ermittelten Invaliditätsgrad gebunden seien. Tatsächlich haben sich die EL-Organe im Zusammenhang mit der Feststellung des anrechenbaren hypothetischen Erwerbseinkommens Teilinvalider im Sinne von Art. 14a Abs. 2 ELV grundsätzlich an die Invaliditätsbemessung durch die Invalidenversicherung zu halten und eigene Abklärungen nur bezüglich invaliditätsfremder Beeinträchtigungen der Erwerbsfähigkeit vorzunehmen (BGE 117 V 202). 
Zufolge dieser Bindungswirkung bestimmt sich nach dem von der IV-Stelle festgesetzten Invaliditätsgrad, ob einem nichterwerbstätigen Bezüger einer halben Invalidenrente im Rahmen der EL-Berechnung Fr. 22'787.- (bei einer Invalidität von 40-49 % und Härtefall), Fr. 17'090.- (bei einer Invalidität von 50-59 %) oder Fr. 11'393.- (bei einer Invalidität von 60-66 2/3 %) als hypothetisches Erwerbseinkommen anzurechnen sind (Art. 14a Abs. 2 ELV in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 lit. a ELG, je in der bis Ende 1997 gültig gewesenen Fassung). 
Die (von der Ausgleichskasse durchzuführende) Härtefallprüfung und die EL-Berechnung erfolgen weitgehend nach denselben Regeln (vgl. Erw. 3a hievor). Ein Unterschied ergibt sich namentlich bei der Anrechnung des mit der verbliebenen Resterwerbsfähigkeit erzielbaren hypothetischen Einkommens. Während im Rahmen der EL-Ermittlung mindestens die hievor genannten generellen Beträge als Erwerbseinkommen berücksichtigt werden, legt die IV-Stelle für die Härtefallprüfung in jedem Einzelfall ein individuell zumutbares, allenfalls auch invaliditätsfremden Gesichtspunkten Rechnung tragendes Einkommen fest (Art. 28bis Abs. 2 IVV). 
Dieses wurde im hier zu beurteilenden Fall von der Beschwerde führenden IV-Stelle auf Fr. 34'200.- im Jahr veranschlagt (Mitteilung an die Ausgleichskasse Gewerbe St. Gallen vom 26. Juni 1997). Trotz dieses deutlich über den angeführten generellen Erwerbseinkommen gemäss Art. 14a Abs. 2 ELV liegenden Betrages bejahten die IV-Organe das Vorliegen eines Härtefalls. Angesichts der im Übrigen weitgehenden Übereinstimmung von Härtefallprüfung und EL-Berechnung drängt sich deshalb die Frage nach einem Anspruch des Versicherten auf Ergänzungsleistungen geradezu auf. Mit Blick auf die hievor dargelegte Bindungswirkung der Invaliditätsbemessung der IV-Stelle im Zusammenhang mit der Festsetzung des anrechenbaren hypothetischen Erwerbseinkommens Teilinvalider durch die EL-Behörden nach Art. 14a Abs. 2 ELV muss vorliegend für den massgebenden Zeitpunkt der streitigen Rentenverfügungen vom 25./26. September 1997 ein schutzwürdiges Interesse des Beschwerdegegners an der sofortigen Feststellung eines mindestens 50%igen Invaliditätsgrades bejaht werden. Entgegen der in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde vertretenen Auffassung ist somit das kantonale Gericht zu Recht auf die vorinstanzliche Beschwerde eingetreten und hat eine materielle Prüfung des Feststellungsbegehrens vorgenommen. Auf die im angefochtenen Entscheid erhobene grundsätzliche Kritik an der unter Erw. 3b und 4b/aa hievor dargelegten Rechtsprechung braucht vorliegend nicht eingegangen zu werden. Dies umso weniger, als sich die Ausführungen der Vorinstanz zu einem wesentlichen Teil auf den hier nicht gegebenen Fall einer Rentenrevision beziehen. 
 
5.- Was die Invaliditätsbemessung anbelangt, kann weitestgehend auf die einlässlichen und zutreffenden Erwägungen im vorinstanzlichen Entscheid verwiesen werden. Einzig was das Mass der Herabsetzung des statistischen Lohnes im Rahmen der Ermittlung des Invalideneinkommens betrifft, erweist sich der vom kantonalen Gericht gewährte, gemäss BGE 126 V 79 f. Erw. 5b/aa-cc maximal zulässige Abzug von 25 % als zu hoch. Auf Grund der persönlichen und beruflichen Umstände (leidensbedingte Einschränkung, mittleres Lebens- und Erwerbsalter, ausländische Nationalität, [unüblicher] Beschäftigungsgrad von 70 %) erscheint eine 15%ige Kürzung des Tabellenlohnes als angemessen. Diese an der vorinstanzlichen Invaliditätsbemessung allein vorzunehmende Korrektur führt - da bei der Zugrundelegung der höchstmöglichen Herabsetzung des Tabellenlohnes um einen Viertel ein Invaliditätsgrad von 50,8 % resultiert - offensichtlich zu einer deutlich unter der 50 %-Grenze liegenden Invalidität. Der vom kantonalen Gericht erlassene Feststellungsentscheid erging mithin - aus materiellen Gründen - zu Unrecht. 
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: 
 
I. In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird 
der Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons 
St. Gallen vom 23. November 1999 aufgehoben. 
 
II. Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
III. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen, der Ausgleichskasse Gewerbe St. Gallen und dem Bundesamt für Sozialversicherung 
 
 
zugestellt. 
Luzern, 11. September 2002 
 
Im Namen des 
Eidgenössischen Versicherungsgerichts 
Der Präsident der II. Kammer: 
 
Der Gerichtsschreiber: