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Eidgenössisches Versicherungsgericht 
Tribunale federale delle assicurazioni 
Tribunal federal d'assicuranzas 
 
Sozialversicherungsabteilung 
des Bundesgerichts 
 
Prozess 
{T 7} 
I 446/02 
 
Urteil vom 20. März 2003 
II. Kammer 
 
Besetzung 
Präsident Schön, Bundesrichter Ursprung und Frésard; Gerichtsschreiber Ackermann 
 
Parteien 
C.________, 1980, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Jean-Pierre Menge, Quaderstrasse 5, 7000 Chur, 
 
gegen 
 
IV-Stelle des Kantons Graubünden, Ottostrasse 24, 7000 Chur, Beschwerdegegnerin 
 
Vorinstanz 
Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden, Chur 
 
(Entscheid vom 6. Dezember 2001) 
 
Sachverhalt: 
A. 
C.________, geboren 1980, erlitt im Juni 1997 ein Polytrauma, welches unter anderem eine Lähmung des rechten Armes zur Folge hatte. Nachdem er sich am 18. August 1997 bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug angemeldet hatte, holte die IV-Stelle des Kantons Graubünden diverse Arztberichte ein, führte während mehr als zwei Jahren Berufsberatung durch und veranlasste vom 28. August bis zum 20. Oktober 2000 eine Abklärung in der Beruflichen Abklärungsstelle (BEFAS) X.________. Nach durchgeführtem Vorbescheidverfahren lehnte die IV-Stelle mit Verfügung vom 2. August 2001 die Durchführung von beruflichen Massnahmen ab, weil C.________ für eine behinderungsgeeignete erstmalige Ausbildung aus invaliditätsfremden Gründen nicht zu motivieren sei; im Weiteren wurde die Zusprechung einer Rente abgelehnt, da ganztags sämtliche Arbeiten zumutbar seien, die keinen Einsatz der rechten oberen Extremität erfordern. 
B. 
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden mit Entscheid vom 6. Dezember 2001 ab. 
C. 
C.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit den Anträgen, unter Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides und der Verwaltungsverfügung seien ihm berufliche Massnahmen zu gewähren, eventualiter sei ihm eine ganze Rente der Invalidenversicherung auszurichten; ferner lässt er die Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung und Verbeiständung beantragen. 
 
Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, während das Bundesamt für Sozialversicherung auf eine Vernehmlassung verzichtet. 
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 
1. 
1.1 Am 1. Januar 2003 ist das Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 in Kraft getreten. Mit ihm sind zahlreiche Bestimmungen im Invalidenversicherungsbereich geändert worden. Weil in zeitlicher Hinsicht grundsätzlich diejenigen Rechtssätze massgebend sind, die bei der Erfüllung des zu Rechtsfolgen führenden Tatbestandes Geltung haben (BGE 127 V 467 Erw. 1), und weil ferner das Sozialversicherungsgericht bei der Beurteilung eines Falles grundsätzlich auf den bis zum Zeitpunkt des Erlasses der streitigen Verfügung (hier: August 2001) eingetretenen Sachverhalt abstellt (BGE 121 V 366 Erw. 1b), sind im vorliegenden Fall die bis zum 31. Dezember 2002 geltenden Bestimmungen anwendbar. 
1.2 Die Vorinstanz hat die massgebenden Bestimmungen und Grundsätze über den Anspruch auf Eingliederungsmassnahmen (Art. 8 IVG) sowie die Pflicht der Leistungsansprecher zur Erleichterung dieser Massnahmen (Art. 10 Abs. 2 IVG) und die Leistungseinstellung bei Widersetzlichkeit (Art. 10 Abs. 2 IVG bzw. Art. 31 IVG) zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen. 
1.3 Nach Art. 28 Abs. 1 IVG hat der Versicherte Anspruch auf eine ganze Rente, wenn er mindestens zu 66 2/3 %, auf eine halbe Rente, wenn er mindestens zu 50 % oder auf eine Viertelsrente, wenn er mindestens zu 40 % invalid ist; in Härtefällen hat der Versicherte nach Art. 28 Abs. 1bis IVG bereits bei einem Invaliditätsgrad von mindestens 40 % Anspruch auf eine halbe Rente. 
Für die Bemessung der Invalidität wird gemäss Art. 28 Abs. 2 IVG das Erwerbseinkommen, das der Versicherte nach Eintritt der Invalidität und nach Durchführung allfälliger Eingliederungsmassnahmen durch eine ihm zumutbare Tätigkeit bei ausgeglichener Arbeitsmarktlage erzielen könnte, in Beziehung gesetzt zum Erwerbseinkommen, das er erzielen könnte, wenn er nicht invalid geworden wäre. 
2. 
Streitig ist zunächst der Anspruch auf berufliche Massnahmen, inbesondere Beiträge an die Sonderschulung bildungsfähiger Versicherter vor dem 20. Altersjahr (Art. 19 IVG) und die erstmalige berufliche Ausbildung (Art. 16 IVG). 
2.1 Die Vorinstanz hat den Anspruch auf Beiträge an die Sonderschulung gemäss Art. 19 IVG abgelehnt, da der Versicherte das zwanzigste Altersjahr bereits überschritten habe. Den Anspruch auf die Vorbereitung auf eine Hilfsarbeit oder eine Tätigkeit in einer geschützten Werkstätte gemäss Art. 16 Abs. 2 lit. a IVG hat sie deshalb verneint, weil der Beschwerdeführer nicht darauf angewiesen sei, in einer geschützten Werkstätte zu arbeiten und er eine erstmalige berufliche Ausbildung kategorisch abgelehnt habe und immer noch ablehne. Der Beschwerdeführer ist demgegenüber der Auffassung, dass für den Anspruch nach Art. 19 IVG das Alter im Zeitpunkt der Anmeldung massgebend sei und er eine Anlehre in einem geschützten Rahmen absolvieren würde. 
2.2 Was den Anspruch auf Beiträge an die Sonderschulung Behinderter vor dem vollendeten zwanzigsten Altersjahr betrifft, stimmt es zwar, dass der Beschwerdeführer im Zeitpunkt der Anmeldung bei der Invalidenversicherung noch nicht zwanzig Jahre alt gewesen ist, jedoch wird gemäss Art. 19 Abs. 1 IVG und Art. 8 Abs. 2 IVV für den Anspruch vorausgesetzt, dass das zwanzigste Altersjahr noch nicht vollendet worden ist (vgl. BGE 105 V 61 Erw. 2a). Infolge der Massgeblichkeit des Sachverhaltes zur Zeit des Verfügungserlasses (BGE 121 V 366 Erw. 1b) ist - entgegen der Auffassung in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde - auf das in diesem Zeitpunkt mehr als zwanzig Jahre betragende Alter des Versicherten abzustellen. In Verletzung seiner Schadenminderungspflicht hat es der Beschwerdeführer im Übrigen während mehr als zwei Jahren abgelehnt, sich beruflichen Massnahmen zu unterziehen und erstmals mit Schreiben vom 15. Januar 2001 explizit (wenn auch bloss bedingt) einer Anlehre im geschützten Rahmen zugestimmt. Es kann also nicht davon gesprochen werden, die Organe der Invalidenversicherung hätten durch ihr Handeln den Anspruch verunmöglicht, so dass der Versicherte daraus etwas zu seinen Gunsten ableiten könnte. Damit besteht kein Anspruch auf Beiträge gemäss Art. 19 IVG
2.3 Nach Art. 16 Abs. 1 IVG haben Versicherte, die noch nicht erwerbstätig waren und denen infolge Invalidität bei der erstmaligen beruflichen Ausbildung in wesentlichem Umfange zusätzliche Kosten entstehen, Anspruch auf Ersatz dieser Kosten, sofern die Ausbildung den Fähigkeiten des Versicherten entspricht (vgl. dazu AHI 2002 S. 176 Erw. 3b/aa mit Hinweisen). Vorinstanz und Verwaltung sind davon ausgegangen, dass ein solcher Anspruch grundsätzlich besteht, jedoch aufgrund der fehlenden subjektiven Eingliederungsbereitschaft des Versicherten abgelehnt werden müsse. 
 
Nach Art. 10 Abs. 2 IVG ist der Anspruchsberechtigte verpflichtet, die Durchführung aller Massnahmen, die zu seiner Eingliederung ins Erwerbsleben getroffen werden, zu erleichtern. Die Versicherung kann ihre Leistungen einstellen, wenn der Anspruchsberechtigte die Eingliederung erschwert oder verunmöglicht; unter den Begriff der Leistungen im Sinne von Art. 10 Abs. 2 IVG fallen Eingliederungsmassnahmen und Taggelder. Nach der Rechtsprechung ist die Einstellung dieser Leistungen allerdings erst nach durchgeführtem Mahn- und Bedenkzeitverfahren im Sinne von Art. 31 Abs. 1 IVG zulässig (BGE 122 V 219 Erw. 4b mit Hinweisen). Gemäss dieser Gesetzesbestimmung kann die Verweigerung oder der Entzug der Leistung erst verfügt werden, wenn die Verwaltung den Versicherten vorgängig durch eine schriftliche Mahnung und unter Einräumung einer angemessenen Bedenkzeit auf die Folgen seiner Widersetzlichkeit aufmerksam gemacht hat. Die Sanktion muss in gehöriger Form und unter Fristansetzung angekündigt werden (BGE 122 V 219 Erw. 4b mit Hinweisen). Nach Lage der Akten ist erstellt und im Übrigen auch nicht bestritten, dass die IV-Stelle bis jetzt kein Mahnverfahren durchgeführt hat. Sollte es dem Versicherten an der subjektiven Eingliederungsbereitschaft fehlen (wofür in den Akten - so insbesondere im Bericht der BEFAS vom 24. November 2000 sowie in der bloss bedingten Bereitschaft für eine Anlehre in einem geschützten Rahmen gemäss Schreiben vom 15. Januar 2001 - durchaus Anhaltspunkte bestehen), ist vor der Leistungsverweigerung ein solches Verfahren durchzuführen; in diesem Zusammenhang ist - entgegen der Vorinstanz - nicht massgebend, ob die IV-Stelle die Leistung verweigert oder bloss auf deren Zusprechung "verzichtet" hat. Im Übrigen wird die Verwaltung auch die objektiven Voraussetzungen des Anspruches gemäss Art. 16 IVG zu prüfen haben, was bis jetzt noch nicht in vollem Umfang geschehen ist. 
3. 
Da zuerst über den Anspruch auf berufliche Massnahmen befunden werden muss, kann - in Anwendung des Grundsatzes "Eingliederung vor Rente" (dazu Urteil B. vom 22. November 2001, I 287/01) - über den Rentenanspruch noch nicht entschieden werden. Jedoch kann bereits jetzt gesagt werden, dass die von Vorinstanz und Verwaltung für die Berechnung des Einkommens nach Eintritt der Invalidität (Invalideneinkommen) konkret herbeigezogenen Blätter dokumentierter Arbeitsplätze (DAP) entgegen der Auffassung in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde nicht schon wegen der fehlenden Einsatzmöglichkeit des rechten Armes abzulehnen sind, da die entsprechenden Arbeiten einarmig ausgeübt werden können. So ist denn auch die Stelle "Magnetkranfahrer" (DAP 3233) durch eine Person mit Armlähmung besetzt gewesen, während die Tätigkeit "Staplerfahrer" (DAP 4128) durch den aktuellen Stelleninhaber einhändig ausgeführt wird. 
4. 
Da es um Versicherungsleistungen geht, sind gemäss Art. 134 OG keine Gerichtskosten zu erheben. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege im Sinne der Befreiung von den Gerichtskosten ist deshalb gegenstandslos. 
 
Infolge Obsiegens hat der Beschwerdeführer Anspruch auf eine Parteientschädigung (Art. 159 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 135 OG). Das Gesuch um unentgeltliche Verbeiständung ist somit ebenfalls gegenstandslos. 
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: 
 
1. 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird in dem Sinne gutgeheissen, dass der Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Graubünden vom 6. Dezember 2001 und die Verfügung der IV-Stelle des Kantons Graubünden vom 2. August 2001 aufgehoben werden und die Sache an die Verwaltung zurückgewiesen wird, damit sie, nach erfolgter Abklärung im Sinne der Erwägungen und nach allenfalls durchgeführtem Mahn- und Bedenkzeitverfahren gemäss Art. 31 Abs. 1 IVG, über den Anspruch auf berufliche Massnahmen und allenfalls auf Rente neu befinde. 
2. 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
3. 
Die IV-Stelle des Kantons Graubünden hat dem Beschwerdeführer für das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht eine Parteientschädigung von Fr. 2'500.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen. 
4. 
Das Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden wird über eine Parteientschädigung für das kantonale Verfahren entsprechend dem Ausgang des letztinstanzlichen Prozesses zu befinden haben. 
5. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden, der Ausgleichskasse des Kantons Graubünden und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt. 
Luzern, 20. März 2003 
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts 
Der Präsident der II. Kammer: Der Gerichtsschreiber: