Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet. Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
Zurück zur Einstiegsseite Drucken
Grössere Schrift
 
 
Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                 
 
 
5A_120/2019  
 
 
Urteil vom 21. August 2019  
 
II. zivilrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Escher, präsidierendes Mitglied, 
Bundesrichter von Werdt, Schöbi, 
Gerichtsschreiber Buss. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Dominic Nellen, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
Betreibungsamt Bern-Mittelland, Dienststelle Mittelland. 
 
Gegenstand 
Pfändungsverfahren, Existenzminimumsberechnung, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Bern, Aufsichtsbehörde in Betreibungs- und Konkurssachen, vom 25. Januar 2019 (ABS 18 441). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
Am 7. Dezember 2018 wurde in der Pfändungsgruppe Nr. xxx gegen die Schuldnerin A.________ die Pfändung vollzogen. Auf die dagegen erhobene Beschwerde trat die Aufsichtsbehörde in Betreibungs- und Konkurssachen des Kantons Bern mit Entscheid vom 12. Dezember 2018 nicht ein. 
Gestützt auf die damals eingereichten Beschwerdebeilagen revidierte das Betreibungsamt Bern-Mittelland, Dienststelle Mittelland, die Existenzminimumsberechnung, welche am 17. Dezember 2018 neu ausgestellt wurde. Eine Beschwerde von A.________ gegen die verfügte Revision der Pfändung hiess die Aufsichtsbehörde mit Entscheid vom 25. Januar 2019 insoweit gut, als in der Existenzminimumsberechnung vom 17. Dezember 2018 anstelle des Betrages von Fr. 50.-- für diverse Aufwendungen und Fr. 150.-- für besonderen medizinischen Aufwand Fr. 470.-- für behinderungsbedingte Mehrkosten zu berücksichtigen sind. Soweit weitergehend wurde die Beschwerde abgewiesen. Aufgrund der Unpfändbarkeit der von der Schuldnerin bezogenen IV-Rente aus der 1. Säule und der Hilflosenentschädigung wurde die pfändbare Quote (wie bereits in der Existenzminimumsberechnung des Betreibungsamts) jedoch weiterhin auf Fr. 832.05 festgesetzt, was dem Betrag aus der Pensionskasse B.________ entspricht. 
 
B.   
A.________ führt mit Eingabe vom 8. Februar 2019 (Postaufgabe) Beschwerde in Zivilsachen. Die Beschwerdeführerin beantragt, der Entscheid der Aufsichtsbehörde vom 25. Januar 2019 sei aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Zur Begründung macht sie eine Verletzung des Replikrechts und damit des Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend. In verfahrensrechtlicher Hinsicht ersucht sie für das bundesgerichtliche Verfahren um unentgeltliche Rechtspflege. 
Die Aufsichtsbehörde und das Betreibungsamt haben auf die Einreichung einer Vernehmlassung verzichtet. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Entscheide kantonaler Aufsichtsbehörden in Schuldbetreibungs- und Konkurssachen unterliegen unabhängig eines Streitwertes der Beschwerde in Zivilsachen (Art. 72 Abs. 2 lit. a, Art. 74 Abs. 2 lit. c BGG). Die Beschwerde ist fristgerecht erhoben worden (Art. 100 Abs. 2 lit. a BGG) und grundsätzlich zulässig.  
 
1.2. Mit der vorliegenden Beschwerde kann insbesondere die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). In der Beschwerde ist in gedrängter Form darzulegen, inwiefern der angefochtene Entscheid Recht verletzt (Art. 42 Abs. 2 BGG; BGE 143 I 377 E. 1.2 S. 380). Die Verletzung verfassungsmässiger Rechte ist ebenfalls zu begründen, wobei hier das Rügeprinzip gilt (Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 142 III 364 E. 2.4 S. 367 f.).  
 
2.   
Die Beschwerdeführerin rügt eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör gemäss Art. 29 Abs. 2 BV. Sie bringt vor, sie habe mit Eingabe vom 21. Januar 2019 um Gelegenheit zur Einreichung einer Replik zur Vernehmlassung des Betreibungsamts vom 11. Januar 2019 ersucht. Ohne ihr Gesuch zu beantworten habe die Vorinstanz am 25. Januar 2019 den Entscheid gefällt. Durch dieses Vorgehen sei ihr das Replikrecht abgeschnitten worden. Aufgrund der beschränkteren Kognition des Bundesgerichts sei die Rückweisung der Angelegenheit zur Wahrung des rechtlichen Gehörs die einzige bundesrechtskonforme Lösung. 
 
2.1. Gemäss Art. 29 Abs. 2 BV haben die Parteien Anspruch auf rechtliches Gehör. Das rechtliche Gehör dient einerseits der Sachaufklärung, andererseits stellt es ein persönlichkeitsbezogenes Mitwirkungsrecht beim Erlass eines Entscheides dar, welcher in die Rechtsstellung des Einzelnen eingreift. Dazu gehört insbesondere das Recht des Betroffenen, sich vor Erlass eines solchen Entscheides zur Sache zu äussern, erhebliche Beweise beizubringen, Einsicht in die Akten zu nehmen, mit erheblichen Beweisanträgen gehört zu werden und an der Erhebung wesentlicher Beweise entweder mitzuwirken oder sich zumindest zum Beweisergebnis zu äussern, wenn dieses geeignet ist, den Entscheid zu beeinflussen. Der Anspruch auf rechtliches Gehör umfasst als Mitwirkungsrecht somit alle Befugnisse, die einer Partei einzuräumen sind, damit sie in einem Verfahren ihren Standpunkt wirksam zur Geltung bringen kann (BGE 143 V 71 E. 4.1 S. 72 mit Hinweisen).  
 
2.2. Der Anspruch auf rechtliches Gehör umfasst auch das Recht, von den beim Gericht eingereichten Stellungnahmen Kenntnis zu erhalten und sich dazu äussern zu können (BGE 139 I 189 E. 3.2 S. 191 f.; 133 I 98 E. 2.1 S. 99). Die Wahrnehmung des Rechts auf Replik - welches auch im Beschwerdeverfahren gemäss Art. 17 SchKG vor der Aufsichtsbehörde gilt (BGE 142 III 234 E. 2.2 S. 237 mit Hinweis) - setzt voraus, dass die von den übrigen Verfahrensbeteiligten eingereichten Eingaben der Partei zugestellt werden, damit sie entscheiden kann, ob sie sich dazu äussern will oder nicht (BGE 139 I 189 E. 3.2 S. 191 f.; 137 I 195 E. 2.3.1 S. 197). Es obliegt dem Gericht, in jedem Einzelfall ein effektives Replikrecht zu gewähren. Hierfür kann es den Parteien eine Frist setzen (vgl. BGE 133 V 196 E. 1.2 S. 198). Es kann die Eingabe aber auch lediglich zur Kenntnisnahme zustellen, wenn von den Parteien, namentlich von anwaltlich Vertretenen oder Rechtskundigen, erwartet werden kann, dass sie umgehend unaufgefordert Stellung nehmen oder eine Stellungnahme beantragen (BGE 138 I 484 E. 2.4 S. 487). Nach der Zustellung zur Kenntnisnahme ist das Gericht gehalten, eine angemessene Zeitspanne mit dem Entscheid zuzuwarten. Vor Ablauf von zehn Tagen darf es im Allgemeinen nicht von einem Verzicht auf das Replikrecht ausgehen (Urteile 2C_876/2016 vom 17. Juli 2017 E. 2.2; 2C_469/2014 vom 9. Dezember 2014 E. 2.2 mit Hinweisen). Diese Wartefrist für das Gericht schliesst die Zeit, welche die Partei zur Übermittlung ihrer (Replik-) Eingabe benötigt, bereits ein (Urteile 5A_929/2018 vom 6. Juni 2019 E. 2.2; 5D_81/2015 vom 4. April 2016 E. 2.3.4 und 2.4; 8C_229/2017 vom 25. Januar 2018 E. 4.1, in: RDAF 2018 I S. 40). Entsprechend obliegt es einer Partei, die eine Stellungnahme zu einer ihr ohne Fristansetzung zugestellten Vernehmlassung für erforderlich hält, entweder umgehend eine Stellungnahme einzureichen oder, falls sie sich hierzu ausserstande sieht, dem Gericht anzukündigen, dass sie eine Stellungnahme einzureichen beabsichtige bzw. dieses um Ansetzung einer Frist zu ersuchen (BGE 138 I 484 E. 2.2 S. 486; 133 I 100 E. 4.8 S. 105).  
 
2.3. Der Anspruch auf rechtliches Gehör bildet eine formelle Verfahrensgarantie, womit seine Verletzung grundsätzlich ungeachtet der materiellen Begründetheit des Rechtsmittels zur Gutheissung der Beschwerde und zur Aufhebung des angefochtenen Entscheids führt (BGE 135 I 187 E. 2.2 S. 190 mit Hinweisen), wenn eine Heilung in oberer Instanz ausser Betracht fällt (zu den Voraussetzungen vgl. BGE 142 II 218 E. 2.8.1 S. 226; 137 I 195 E. 2.3.2 S. 197 f.). Dem Anspruch auf rechtliches Gehör kommt indes kein Selbstzweck zu. Ungeachtet der formellen Natur des Gehörsanspruchs besteht dann kein schützenswertes Interesse an der Aufhebung des angefochtenen Entscheids, wenn nicht bestritten ist, dass eine allfällige Verletzung des rechtlichen Gehörs keinen Einfluss auf den Verfahrensausgang gehabt hätte (vgl. BGE 143 IV 380 E. 1.4.1 S. 386; Urteile 5A_371/2019 vom 24. Juli 2019 E. 3.2; 5A_561/2018 vom 14. Dezember 2018 E. 2.3; 4A_85/2018 vom 4. September 2018 E. 5; 5A_699/2017 vom 24. Oktober 2017 E. 3.1.3).  
 
2.4. Vorliegend hat die Vorinstanz der im kantonalen Verfahren noch nicht anwaltlich vertretenen Beschwerdeführerin die Vernehmlassung des Betreibungsamts samt Beilagen mit dem Hinweis zugestellt, dass kein zweiter Schriftenwechsel angeordnet werde und allfällige Bemerkungen umgehend einzureichen seien. Diese Verfügung vom 11. Januar 2019 wurde am 14. Januar 2019 (Poststempel) per A-Post versandt und ist der Beschwerdeführerin gemäss eigenen Angaben am 17. Januar 2019 zugegangen. Die Beschwerdeführerin hat mit Schreiben vom 21. Januar 2019 (Poststempel) um mehr Zeit gebeten, was auch dann noch als unverzüglich im Sinne der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zu qualifizieren ist, wenn sie die Verfügung tatsächlich bereits am 15. Januar 2019 erhalten hätte. Begründet hat die Beschwerdeführerin ihr Gesuch einerseits damit, dass sie zu den Ausführungen des Betreibungsamts unbedingt Stellung nehmen müsse und andererseits mit ihrer starken Sehbehinderung. Damit hat die Beschwerdeführerin in Übereinstimmung mit den vom Bundesgericht entwickelten Grundsätzen ihr Recht auf Replik eingefordert.  
Obschon der Vorinstanz die gesundheitliche Lage der Beschwerdeführerin bekannt war, hat sie am 25. Januar 2019 in der Sache entschieden und gleichzeitig auch den Antrag um Fristverlängerung bzw. -ansetzung zur Einreichung einer Replik abgewiesen. Diese Vorgehensweise wird von der Beschwerdeführerin zu Recht beanstandet. Indem die Vorinstanz vor der Entscheidfällung nicht auf das Gesuch der Beschwerdeführerin reagiert hat, hat sie das Replikrecht und damit den Anspruch der Beschwerdeführerin auf rechtliches Gehör und auf ein faires Verfahren verletzt. Der Auffassung der Vorinstanz, die Beschwerdeführerin hätte bis zum Zeitpunkt der Entscheidfällung genügend Zeit gehabt, eine Replik einzureichen, kann nicht gefolgt werden. Die Garantie des rechtlichen Gehörs und der Grundsatz von Treu und Glauben hätten geboten, der Beschwerdeführerin für die ausdrücklich angekündigte Stellungnahme zur Vernehmlassung des Betreibungsamts zumindest eine kurze (allenfalls unerstreckbare) Nachfrist zu gewähren. 
 
2.5. Die Beschwerdeführerin macht zutreffend geltend, dass die Eingabe des Betreibungsamts neue tatsächliche und rechtliche Ausführungen enthielt und aus dem angefochtenen Entscheid geht hervor, dass die Vorinstanz ausdrücklich auf die Eingabe des Betreibungsamts abgestellt hat. Eine Heilung des Verfahrensmangels im bundesgerichtlichen Verfahren ist im vorliegenden Fall nicht möglich, weil das Bundesgericht in tatsächlicher Hinsicht nicht über volle Kognition verfügt (Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG) und tatsächliche Gesichtspunkte hier massgeblich sein können. Ausserdem ist für Beschwerden ans Bundesgericht gegen Entscheide der kantonalen Aufsichtsbehörde die Rüge der Unangemessenheit ausgeschlossen, wohingegen gemäss Art. 17 Abs. 1 SchKG bei der Aufsichtsbehörde auch wegen Unangemessenheit Beschwerde geführt werden kann (vgl. BGE 134 III 323 E. 2 S. 324; AMONN/WALTHER, Grundriss des Schuldbetreibungs- und Konkursrechts, 9. Aufl. 2013, § 6 Rz. 16 und 17).  
 
3.   
Aus den dargelegten Gründen ist die Beschwerde gutzuheissen und der angefochtene Entscheid aufzuheben. Die Sache ist zu neuer Entscheidung unter Gewährung des rechtlichen Gehörs an die Vorinstanz zurückzuweisen. 
Ungeachtet des Verfahrensausgangs sind dem Kanton Bern keine Gerichtskosten aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 4 BGG). Jedoch hat dieser die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche Verfahren angemessen zu entschädigen (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG). Die Entschädigung ist praxisgemäss ihrem Rechtsvertreter auszurichten. Damit wird das Gesuch der Beschwerdeführerin um unentgeltliche Rechtspflege (Prozessführung und Verbeiständung) für das bundesgerichtliche Verfahren gegenstandslos. 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird gutgeheissen und das Urteil des Obergerichts des Kantons Bern, Aufsichtsbehörde in Betreibungs- und Konkurssachen, vom 25. Januar 2019 wird aufgehoben. Die Sache wird an die Vorinstanz zu neuem Entscheid im Sinne der Erwägungen zurückgewiesen. 
 
2.   
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
3.   
Der Kanton Bern hat den Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin, Rechtsanwalt Dominic Nellen, für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 1'000.-- zu entschädigen. 
 
4.   
Das Gesuch der Beschwerdeführerin um unentgeltliche Rechtspflege wird als gegenstandslos abgeschrieben. 
 
5.   
Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin, dem Betreibungsamt Bern-Mittelland, Dienststelle Mittelland, und dem Obergericht des Kantons Bern, Aufsichtsbehörde in Betreibungs- und Konkurssachen, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 21. August 2019 
 
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Das präsidierende Mitglied: Escher 
 
Der Gerichtsschreiber: Buss