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[AZA] 
I 164/99 Ca 
 
IV. Kammer  
 
Bundesrichter Borella, Rüedi und Bundesrichterin Leuzinger; 
Gerichtsschreiberin Keel 
 
Urteil vom 20. März 2000  
 
in Sachen 
 
Bundesamt für Sozialversicherung, Bern, Beschwerdeführer, 
 
gegen 
 
K.________, 1946, Beschwerdegegnerin, vertreten durch Für- 
sprecher Dr. W.________, 
 
und 
 
Versicherungsgericht des Kantons Aargau, Aarau 
 
    A.- Die 1946 geborene K.________ leidet seit einem 
Verkehrsunfall im Jahre 1966 an schlaffer Paraplegie unter- 
halb des Thorakal-Segmentes 10 bei Status nach Kompres- 
sionsfraktur des 8. Brustwirbels und Luxationsfraktur des 
10. Brustwirbels mit Blasen- und Darmlähmung sowie seit ca. 
1991 an einem zunehmenden Thorakolumbovertebralsyndrom bei 
Fehlhaltung und degenerativen Veränderungen mit progredien- 
ten Schmerzen. Seit März 1971 arbeitet sie als Telefonbera- 
terin bei der J.________ SA. 
    Die Invalidenversicherung sprach ihr verschiedene 
Leistungen zu, unter anderem seit dem Jahre 1968 wiederholt 
stationäre und ambulante Physiotherapie. Ein erneutes Ge- 
such um Kostenübernahme für ambulante Physiotherapie vom 
15. Juni 1998 lehnte die IV-Stelle des Kantons Aargau nach 
Abklärung des medizinischen Sachverhaltes und Durchführung 
des Vorbescheidverfahrens mit Verfügung vom 27. Oktober 
1998 ab. 
 
    B.- Die von K.________ hiegegen mit dem Antrag auf 
Aufhebung der angefochtenen Verfügung und Zusprechung der 
medizinischen Massnahme erhobene Beschwerde hiess das Ver- 
sicherungsgericht des Kantons Aargau mit Entscheid vom 
26. Januar 1999 in dem Sinne gut, dass es die Verwaltungs- 
verfügung aufhob und die Sache zur ergänzenden Abklärung im 
Sinne der Erwägungen und zu neuer Verfügung an die IV-Stel- 
le zurückwies. 
 
    C.- Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt das 
Bundesamt für Sozialversicherung die Wiederherstellung der 
Verfügung vom 27. Oktober 1998. 
    Während K._______ auf Abweisung der Verwaltungsge- 
richtsbeschwerde schliesst, verzichtet die IV-Stelle auf 
Stellungnahme. 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:  
 
    1.- Im angefochtenen Entscheid werden die massgebenden 
gesetzlichen Bestimmungen zu den Voraussetzungen, unter 
welchen die Invalidenversicherung bei Lähmungen und anderen 
Ausfällen von motorischen Funktionen Physiotherapie als me- 
dizinische Massnahme übernimmt (Art. 12 IVG und Art. 2 IVV
zutreffend dargelegt. Darauf kann verwiesen werden. 
    Nicht beigepflichtet werden kann dem kantonalen Ge- 
richt demgegenüber insoweit, als es, im Wesentlichen unter 
Hinweis auf BGE 100 V 37, ausführt, dass ein Versicherter 
mit Paraplegie, welcher zur Erhaltung der Funktionstüchtig- 
keit, von der seine Erwerbsfähigkeit abhängt, dauernd phy- 
siotherapeutischer Behandlung bedürfe, grundsätzlich die 
Voraussetzungen erfülle, welche Art. 2 Abs. 3 IVV an die 
Gewährung fortdauernder stabilisierender Massnahmen zur Be- 
wahrung der Erwerbsfähigkeit in Lähmungsfällen stellt. Denn 
nach neuerer, in AHI 1999 S. 125 bestätigter Rechtsprechung 
liegt, wenn therapeutische Vorkehren dauernd notwendig 
sind, um Rezidiven vorzubeugen und den Status quo einiger- 
massen zu bewahren, ein im Sinne der Rechtsprechung statio- 
närer, nicht aber stabiler Zustand vor, so dass in diesem 
Falle Physiotherapie auch im Rahmen einer Querschnittsläh- 
mung nicht als medizinische Eingliederungsmassnahme im Sin- 
ne von Art. 12 IVG in Verbindung mit Art. 2 Abs. 3 IVV qua- 
lifiziert werden kann. 
 
    2.- Die Vorinstanz hat die Akten an die Verwaltung zu- 
rückgewiesen zur Prüfung der Frage, ob und in wieweit die 
abgelehnte Physiotherapie unmittelbar auf die Beeinflussung 
der motorischen Funktionen gerichtet ist und nicht (nur) 
auf die Behandlung eines auf die Lähmung zurückgehenden se- 
kundären Krankheitsgeschehens. 
    Nach Auffassung des Beschwerde führenden Bundesamtes 
erübrigt sich diese Abklärung, weil eine Leistungspflicht 
der Invalidenversicherung von vornherein aus folgenden zwei 
Gründen entfalle: einerseits weil die physiotherapeutischen 
Vorkehren in erster Linie auf sekundäre Folgen der Lähmung 
gerichtet seien und andererseits weil die Massnahme dauernd 
erforderlich sei, um den Status quo zu bewahren, und damit 
als Behandlung des Leidens an sich zu bewerten sei. 
 
    3.- Die Physiotherapeutin H.________ führte in ihrem 
Bericht vom 11. Juni 1992 aus, dass die Beschwerdegegnerin 
seit 1986 wegen einer Paraplegie zwei Mal monatlich auf 
ärztliche Verordnung bei ihr in Behandlung sei. Beschwerden 
verursache der Versicherten, da sie zu 80 % berufstätig sei 
und ständig sitzen müsse, auch die starke Skoliose, welche 
die Wirbelsäule im lumbovertebralen Bereich aufweise. In 
seinem Bericht vom 18. Juni 1991 hielt Dr. med. E.________, 
fest, dass es sich bei der seit Jahren durchgeführten Phy- 
siotherapie, welche vorwiegend aktive Heilgymnastik bein- 
halte, um eine Dauertherapie zwecks Erhalt des neurologi- 
schen Status quo handle. Auf die Notwendigkeit ständiger 
Physiotherapie zur Erhaltung der Arbeitsfähigkeit wies auch 
Dr. med. B.________, FMH Allgemeinmedizin, in seinem Be- 
richt vom August 1998 hin. 
    Aus diesen medizinischen Unterlagen zieht das Be- 
schwerde führende Bundesamt zu Recht den Schluss, dass die 
bei der Beschwerdegegnerin seit Jahren durchgeführte Phy- 
siotherapie voraussichtlich dauernd weiter benötigt wird, 
weshalb die in Frage stehenden Vorkehren nicht auf stabile 
Folgen der Lähmungen und damit auch nicht auf einen zumin- 
dest relativ stabilisierten Zustand gerichtet sind. Bei den 
umstrittenen Therapien handelt es sich vielmehr primär da- 
rum, den durch Abnützung der Wirbelsäule hervorgerufenen 
Problemen des Rückens und der bestehenden grossen Rezidiv- 
gefahr durch dauernde physiotherapeutische Behandlung vor- 
zubeugen und auf diese Weise den Zustand einigermassen im 
Gleichgewicht zu halten (vgl. Erw. 1 hievor). Wie das Bun- 
desamt zutreffend darlegt, liegt damit ein im Sinne der 
Rechtsprechung stationärer, nicht aber stabiler Zustand 
vor, weshalb die anbegehrten Therapien invalidenversiche- 
rungsrechtlich als Behandlung des Leidens an sich zu bewer- 
ten sind. Bei diesen Gegebenheiten kann die streitige Phy- 
siotherapie rechtsprechungsgemäss (AHI 1999 S. 125) nicht 
als medizinische Eingliederungsmassnahme im Sinne von 
Art. 12 IVG in Verbindung mit Art. 2 Abs. 3 IVV qualifi- 
ziert werden. Die Argumentation der Beschwerdegegnerin 
beruht dabei offenbar auf der früheren, seit längerem 
überholten Rechtsprechung gemäss BGE 100 V 37 (vgl. AHI 
1999 S. 125), so dass insofern nichts zu ihren Gunsten 
abgeleitet werden kann. 
    Dass die vorgenommenen Behandlungen sich günstig auf 
die Arbeits- resp. Erwerbsfähigkeit auswirken bzw. für die 
Erhaltung derselben wesentlich sind, wie sich insbesondere 
den Berichten der Physiotherapeutin H.________ vom 11. Juni 
1992 und des Dr. med. B.________ vom August 1998 entnehmen 
lässt, gibt zu keiner andern Beurteilung Anlass. Denn ein 
- in der Regel mit jeder Therapie verbundener - Eingliede- 
rungserfolg allein ist nicht entscheidend dafür, ob eine 
medizinische Vorkehr als Eingliederungsmassnahme im Sinne 
des Art. 12 Abs. 1 IVG anerkannt werden kann (BGE 120 V 279 
Erw. 3a, 115 V 194 Erw. 3, 112 V 349 Erw. 2). Unter diesen 
Umständen erübrigen sich weitere Abklärungen und muss es 
bei der Feststellung sein Bewenden haben, dass die Invali- 
denversicherung die anbegehrte, an sich zweckmässige und 
sinnvolle Physiotherapie gleichwohl nicht zu übernehmen 
hat, indem die Massnahme in den Bereich der Krankenversi- 
cherung gehört. 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:  
 
I.In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird 
    der Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons 
    Aargau vom 26. Januar 1999 aufgehoben. 
 
II.Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
III.Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsge- 
    richt des Kantons Aargau, der IV-Stelle des Kantons 
    Aargau und der Ausgleichskasse des Kantons Aargau 
    zugestellt. 
 
 
Luzern, 20. März 2000 
 
Im Namen des 
Eidgenössischen Versicherungsgerichts 
Der Präsident der IV. Kammer: 
 
Die Gerichtsschreiberin: