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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
1C_165/2017  
   
   
 
 
 
Urteil vom 22. Juni 2017  
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Merkli, Präsident, 
Bundesrichter Eusebio, Chaix, 
Gerichtsschreiber Störi. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführer, 
vertreten durch Rechtsanwalt Felix Keller, 
 
gegen  
 
Verkehrsamt des Kantons Schwyz. 
 
Gegenstand 
Strassenverkehrsrecht; Führerausweisentzug, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid vom 31. Januar 2017 des Verwaltungsgerichts des Kantons Schwyz, Kammer III. 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Laut Rapport der Kantonspolizei Schwyz vom 21. März 2011 führten die Polizisten Schönmann und Suren am Nachmittag des 14. März 2011 bei der Autobahneinfahrt Brunnen, Fahrtrichtung Seewen, eine Verkehrskontrolle durch. Dabei fiel ihnen ein grauer Mercedes-Benz auf, der auf der Autobahneinfahrt angehalten hatte und rund eine Wagenlänge rückwärts fuhr. In der Annahme, der Lenker, dessen Fahrzeug nicht über eine gültige Autobahnvignette verfügte, wolle sich der Kontrolle entziehen, hielten sie das Fahrzeug an und vernahmen den Fahrer, A.________, ein. 
Am 15. September 2016 sprach das Kantonsgericht Schwyz A.________ in zweiter Instanz wegen dieses Manövers der vorsätzlichen Verkehrsregelverletzung durch Rückwärtsfahren auf der Autobahn gemäss Art. 90 Ziff. 1 aSVG i.V.m. Art. 27 Abs. 1 SVG, Art. 43 Abs. 3 SVG, Art. 36 Abs. 1 VRV und Art. 45 SSV mit Anhang 2 Ziff. 4.01 schuldig. Es bestrafte ihn mit einer Busse von Fr. 500.--. 
Am 28. November 2016 entzog das Verkehrsamt des Kantons Schwyz A.________ in Anwendung von Art. 16b Abs. 1 lit. a und Abs. 2 lit a SVG und Art. 33 Abs. 1 VZV den Führerausweis für einen Monat. 
Am 31. Januar 2017 wies das Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz die Beschwerde von A.________ gegen diese Entzugsverfügung ab. 
 
B.  
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt A.________, dieses Urteil des Verwaltungsgerichts und die Verfügung des Verkehrsamts ersatzlos aufzuheben. Die Kosten des vorinstanzlichen und des bundesgerichtlichen Verfahrens seien auf die Staatskasse zu nehmen, und ihm sei für beide Verfahren eine angemessene Parteientschädigung zu Lasten des Kantons Schwyz zuzusprechen. Ausserdem ersucht er, der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen. 
 
C.  
Das Verwaltungsgericht und das Bundesamt für Strassen (BAFU) beantragen, die Beschwerde abzuweisen. 
 
D.  
Am 7. April 2017 erkannte der Präsident der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung der Beschwerde aufschiebende Wirkung zu. 
 
E.  
A.________ hält in seiner Replik an der Beschwerde fest. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Entscheid über eine Administrativmassnahme gegen einen Fahrzeuglenker. Dagegen steht die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten nach Art. 82 ff. BGG offen; ein Ausnahmegrund ist nicht gegeben (Art. 83 BGG). Der Beschwerdeführer ist zur Beschwerde befugt (Art. 89 Abs. 1 BGG). Die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass, sodass auf die Beschwerde grundsätzlich einzutreten ist. 
Nicht einzutreten ist auf die Beschwerde allerdings insoweit, als sie sich gegen die Verfügung des Verkehrsamts richtet. Diese ist im Rahmen des Streitgegenstands durch den angefochtenen Entscheid des Verwaltungsgerichts ersetzt worden (Devolutiveffekt) und gilt als inhaltlich mitangefochten (BGE 134 II 142 E. 1.4 S. 144). 
 
2.  
 
2.1. Das Gesetz unterscheidet zwischen der leichten, mittelschweren und schweren Widerhandlung (Art. 16a-c SVG). Gemäss Art. 16a SVG begeht eine leichte Widerhandlung, wer durch Verletzung von Verkehrsregeln eine geringe Gefahr für die Sicherheit anderer hervorruft und ihn dabei nur ein leichtes Verschulden trifft (Abs. 1 lit. a). Die fehlbare Person wird verwarnt, wenn in den vorangegangenen zwei Jahren der Ausweis nicht entzogen war und keine andere Administrativmassnahme verfügt wurde (Abs. 3). Gemäss Art. 16b SVG begeht eine mittelschwere Widerhandlung, wer durch Verletzung von Verkehrsregeln eine Gefahr für die Sicherheit anderer hervorruft oder in Kauf nimmt (Abs. 1 lit. a). Nach einer mittelschweren Widerhandlung wird der Führerausweis für mindestens einen Monat entzogen (Abs. 2 lit. a) bzw. für mindestens vier Monate, wenn in den vorangegangenen zwei Jahren der Ausweis bereits einmal wegen einer schweren oder mittelschweren Widerhandlung entzogen war (Abs. 2 lit. b). Leichte und mittelschwere Widerhandlungen werden von Art. 90 Ziff. 1 SVG als einfache Verkehrsregelverletzungen erfasst (BGE 135 II 138 E. 2.4 S. 143). Gemäss Art. 16c SVG begeht eine schwere Widerhandlung, wer durch grobe Verletzung von Verkehrsregeln eine ernstliche Gefahr für die Sicherheit anderer hervorruft oder in Kauf nimmt (Abs. 1 lit. a). Nach einer schweren Widerhandlung, welche einer groben Verkehrsregelverletzung im Sinne von Art. 90 Ziff. 2 SVG entspricht (BGE 132 II 234 E. 3 S. 237), wird der Führerausweis für mindestens drei Monate entzogen (Abs. 2 lit. a). Eine Unterschreitung der gesetzlichen Mindestentzugsdauer ist ausgeschlossen (Art. 16 Abs. 3 SVG; zum Ganzen: Urteil 1C_424/2012 vom 15. Januar 2013 E. 2.1).  
 
2.2. Die mittelschwere Widerhandlung stellt nach Art. 16b Abs. 1 lit. a SVG einen Auffangtatbestand dar. Sie liegt vor, wenn nicht alle privilegierenden Elemente einer leichten Widerhandlung nach Art. 16a Abs. 1 lit. a SVG und nicht alle qualifizierenden Elemente einer schweren Widerhandlung nach Art. 16c Abs. 1 lit. a SVG gegeben sind (Urteil 6A.16/2006 vom 6. April 2006 E. 2.1.1, in: JdT 2006 I S. 442; Botschaft vom 31. März 1999 zur Änderung des Strassenverkehrsgesetzes, BBl 1999 4487). Die Annahme einer schweren Widerhandlung setzt kumulativ eine qualifizierte objektive Gefährdung und ein qualifiziertes Verschulden voraus. Ist die Gefährdung gering, aber das Verschulden hoch, oder umgekehrt die Gefährdung hoch und das Verschulden gering, liegt eine mittelschwere Widerhandlung vor (Botschaft a.a.O. 4489; Cédric Mizel, Die Grundtatbestände der neuen Warnungsentzüge des SVG und ihre Beziehung zum Strafrecht, in ZStrR 124/2006, S. 31 ff., insbesondere S. 63 f.; zum Ganzen: Urteil 1C_456/2011 vom 28. Februar 2012 E. 2.2).  
 
2.3. Ein Strafurteil vermag die Verwaltungsbehörde grundsätzlich nicht zu binden. Allerdings gebietet der Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung, widersprüchliche Entscheide im Rahmen des Möglichen zu vermeiden, weshalb die Verwaltungsbehörde beim Entscheid über die Massnahme von den tatsächlichen Feststellungen des Strafrichters nur abweichen darf, wenn sie Tatsachen feststellt und ihrem Entscheid zugrunde legt, die dem Strafrichter unbekannt waren, wenn sie zusätzliche Beweise erhebt oder wenn der Strafrichter bei der Rechtsanwendung auf den Sachverhalt nicht alle Rechtsfragen abgeklärt, namentlich die Verletzung bestimmter Verkehrsregeln übersehen hat. In der rechtlichen Würdigung des Sachverhalts - namentlich auch des Verschuldens - ist die Verwaltungsbehörde demgegenüber frei, ausser die rechtliche Qualifikation hängt stark von der Würdigung von Tatsachen ab, die der Strafrichter besser kennt, etwa weil er den Beschuldigten persönlich einvernommen hat (BGE 136 II 447 E. 3.1; 127 II 302 nicht publ. E. 3a; 124 II 103 E. 1c/aa und bb). Auch in diesem Zusammenhang hat er jedoch den eingangs genannten Grundsatz (Vermeiden widersprüchlicher Urteile) gebührend zu berücksichtigen (Urteil 1C_424/2012 vom 15. Januar 2013 E 2.3).  
 
3.  
Die Autobahn, auf der die besonderen Regeln für den Verkehr auf Autobahnen gelten, beginnt mit dem Signal 4.01 "Autobahn" (Art. 45 Abs. 1 SSV). Auf Autobahnen ist Rückwärtsfahren und Wenden verboten (Art. 36 Abs. 1 VRV). 
Bei der in Rechtskraft erwachsenen strafrechtlichen Verurteilung ist das Kantonsgericht davon ausgegangen (Urteil vom 15. September 2016 E. 3 S. 14 ff.), dass der Beschwerdeführer auf der Autobahneinfahrt, nach dem Passieren des Signals "Autobahn", anhielt und eine Wagenlänge zurücksetzte. Nicht ganz klar ist, ob es auch davon ausging, dass dieses Manöver ein nachfolgendes Fahrzeug zwang, seinerseits rückwärts zu fahren, um eine Kollision zu vermeiden. Das Verwaltungsgericht nimmt das an, was der Beschwerdeführer als aktenwidrig rügt. Das Kantonsgericht hat sich dazu nicht explizit geäussert, aber immerhin festgehalten, es sei nicht zu beanstanden, dass der Vorderrichter auf die Aussagen der Polizeibeamten - worunter auch die Darstellung, dass das nachfolgende Auto zurückweichen musste - abgestellt habe (S. 18 unten). Die Frage kann indessen offenbleiben, da sie nicht entscheidrelevant ist. 
Fest steht jedenfalls, dass der Beschwerdeführer bei nicht unerheblichem Verkehrsaufkommen - die Verkehrskontrolle hatte einen Rückstau bewirkt - auf der Autobahneinfahrt rund eine Wagenlänge zurücksetzte. Weiter ist auf der Fotodokumentation des Polizeirapports klar ersichtlich, dass wenige Meter vor der Signalisationstafel "Autobahn" - also knapp ausserhalb des Autobahnbereichs - ein Fussgängerstreifen die Fahrbahn überquert, dem sich der Beschwerdeführer bei seinem Rückwärtsfahrmanöver näherte. Wer unter diesen Gegebenheiten verbotenerweise rückwärts fährt, schafft ohne Zweifel eine erhöhte abstrakte Gefährdung für die Verkehrssicherheit, weil andere Verkehrsteilnehmer - etwa nachfolgende Fahrzeuge, insbesondere aber auch Fussgänger auf dem Fussgängerstreifen - nicht mit einem derart verkehrswidrigen Verhalten rechnen müssen. Das reicht für die Annahme einer mittelschweren Verkehrsregelverletzung aus, gleichgültig darum, ob der Beschwerdeführer durch sein Manöver ein nachfolgendes Fahrzeug konkret gefährdet hat oder nicht. Dazu kommt, dass der Beschwerdeführer dieses Manöver vorsätzlich ausführte, um dem Stau (und/oder der Verkehrskontrolle) auszuweichen, weshalb auch sein Verschulden nicht bagatellisiert werden kann. Das Verwaltungsgericht hat kein Bundesrecht verletzt, indem es das Manöver als mittelschwere Verkehrsregelverletzung einstufte. 
Damit erweist sich auch der Führerausweisentzug von einem Monat, was dem gesetzlichen Minimum entspricht, ohne weiteres als rechtens. Die Beschwerde ist offensichtlich unbegründet. 
 
4.  
Die Beschwerde ist abzuweisen. Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird der Beschwerdeführer kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.   
Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3.   
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Verkehrsamt des Kantons Schwyz, dem Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz, Kammer III, und dem Bundesamt für Strassen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 22. Juni 2017 
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Merkli 
 
Der Gerichtsschreiber: Störi