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[AZA 7] 
C 304/01 Bh 
 
III. Kammer 
 
Präsident Borella, Bundesrichter Meyer und Lustenberger; 
Gerichtsschreiber Ackermann 
 
Urteil vom 17. Juli 2002 
 
in Sachen 
W.________, 1936, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwälte Schoch, Auer & Partner, Marktplatz 4, 9004 St. Gallen, 
gegen 
Kantonale Arbeitslosenkasse St. Gallen, Davidstrasse 21, 9001 St. Gallen, Beschwerdegegnerin, 
 
und 
Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen, St. Gallen 
 
A.- W.________, geboren 1936, meldete sich am 7. Dezember 1998 bei der Arbeitslosenversicherung zum Leistungsbezug an, da auf Ende Januar 1999 seine vorzeitige Pensionierung vorgesehen war. Nachdem ab Februar 1999 Taggelder ausgerichtet worden waren, forderte die Kantonale Arbeitslosenkasse St. Gallen mit Verfügung vom 30. Januar 2001 von Februar 1999 bis Oktober 2000 zu viel bezahlte Arbeitslosentaggelder in Höhe von Fr. 32'276. 60 zurück, dadie - von der ehemaligen Arbeitgeberfirma finanzierte und in der Anmeldung aufgeführte - seit Februar 1999 fliessende Altersrente der Pensionskasse bei der Bemessung der Taggelder nicht berücksichtigt worden sei. 
 
B.- Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen mit Entscheid vom 12. September 2001 ab. 
 
 
C.- W.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit den Anträgen, unter Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides und der Verwaltungsverfügung seien ihm die nicht ausgerichteten Arbeitslosenentschädigungen für die Monate November 2000 bis Januar 2001 von insgesamt Fr. 6486.- ohne Sozialversicherungsbeiträge auszubezahlen; eventualiter seien nur der kantonale Gerichtsentscheid und die Rückforderungsverfügung aufzuheben. 
Die Arbeitslosenkasse schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, während das Staatssekretariat für Wirtschaft auf eine Vernehmlassung verzichtet. 
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 
 
1.- Die Vorinstanz hat den Grundsatz der Rückforderung von Leistungen, auf die der Versicherte keinen Anspruch hatte (Art. 95 AVIG), sowie die Regeln zur Vermeidung einer Überentschädigung beim Zusammenfallen von Leistungen verschiedener Sozialversicherungen (Art. 99 Abs. 1 AVIG; Art. 18 Abs. 4 AVIG und Art. 32 AVIV in den jeweils vor und nach dem 1. September 1999 gültigen Fassungen) zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen. 
 
2.- a) Streitig ist, ob der Beschwerdeführer die durch Taggeldabrechnungen formlos erbrachten Leistungen teilweise zurückzuerstatten hat. Es geht also nicht nur um die Frage der Unrechtmässigkeit des erfolgten Leistungsbezuges (Art. 95 Abs. 1 AVIG), sondern auch darum, ob die Rückkommensvoraussetzungen - Wiedererwägung oder prozessuale Revision - gegeben sind: 
Gemäss einem allgemeinen Grundsatz des Sozialversicherungsrechts kann die Verwaltung eine formell rechtskräftige Verfügung, welche nicht Gegenstand materieller richterlicher Beurteilung gebildet hat, in Wiedererwägung ziehen, wenn sie zweifellos unrichtig und ihre Berichtigung von erheblicher Bedeutung ist (BGE 126 V 23 Erw. 4b, 46 Erw. 2b, 400 Erw. 2b/aa, je mit Hinweisen). 
Von der Wiedererwägung ist die so genannte prozessuale Revision von Verwaltungsverfügungen zu unterscheiden. Danach ist die Verwaltung verpflichtet, auf eine formell rechtskräftige Verfügung zurückzukommen, wenn neue Tatsachen oder neue Beweismittel entdeckt werden, die geeignet sind, zu einer andern rechtlichen Beurteilung zu führen (BGE 126 V 24 Erw. 4b, 46 Erw. 2b, je mit Hinweisen). 
 
b) Da der Versicherte bereits in seiner Anmeldung vom 7. Dezember 1998 auf die künftige Rente der Pensionskasse hingewiesen hatte und dies in der Arbeitgeberbescheinigung vom 18. Februar 1999 bestätigt worden ist, liegen keine neuen Tatsachen oder Beweismittel vor, weshalb einzig eine Wiedererwägung der erbrachten Leistungen in Betracht zu ziehen ist. 
 
 
c) Das für eine Wiedererwägung notwendige Erfordernis der Erheblichkeit der formlos erbrachten Taggeldleistungen ist angesichts des zur Debatte stehenden Betrages von Fr. 32'276. 60 ohne Weiteres zu bejahen. 
 
d) Fragen lässt sich deshalb nur noch, ob die ursprüngliche Leistungserbringung als zweifellos unrichtig beurteilt werden muss. In diesem Zusammenhang ist streitig, wie die - unbestrittenermassen von der ehemaligen Arbeitgeberin des Versicherten finanzierten - monatlichen Renten der Pensionskasse zu qualifizieren sind. Das kantonale Gericht hat eine für die Taggeldhöhe massgebende Altersleistung der beruflichen Vorsorge im Sinne des Art. 18 Abs. 4 AVIG, respektive eine Vorruhestandsleistung der beruflichen Vorsorge gemäss Art. 18 Abs. 4 AVIG in der bis 31. August 1999 geltenden Fassung, angenommen und weiter ausgeführt, dass sogar im Falle des Vorliegens einer Abgangsentschädigung dieser Vorsorgecharakter zukäme. Der Beschwerdeführer ist demgegenüber der Ansicht, dass es sich bei der Finanzierung der Rente um eine freiwillig erbrachte Abgangsentschädigung handelt, die gemäss einer Weisung des Bundesamtes für Wirtschaft und Arbeit (BWA; heute seco) vom 15. Mai 1998 in der Arbeitslosenversicherung nicht zu berücksichtigen sei. 
 
 
e) aa) Auszugehen ist davon, dass Altersleistungen der beruflichen Vorsorge von den Arbeitslosenentschädigungen abzuziehen sind (Art. 18 Abs. 4 AVIG in der seit 1. September 1999 gültigen Fassung); als Altersleistungen gelten dabei Leistungen der obligatorischen und weitergehenden beruflichen Vorsorge, auf die bei Erreichen der reglementarischen Altersgrenze für die vorzeitige Pensionierung ein Anspruch erworben wurde (Art. 32 AVIV in der seit 1. September 1999 geltenden Fassung). Gemäss der bis 31. August 1999 geltenden (und infolge der Taggeldzahlungen ab Februar 1999 hier teilweise massgebenden) Fassung des Art. 18 Abs. 4 AVIG durfte das Taggeld zusammen mit Vorruhestandsleistungen der beruflichen Vorsorge und allfälligen Zwischenverdiensten 90 % des letzten massgebenden versicherten Verdienstes vor der Pensionierung nicht übersteigen. Dabei wurden die Vorruhestandsleistungen als Leistungen der obligatorischen und weitergehenden beruflichen Vorsorge definiert (Art. 32 in Verbindung mit Art. 12 Abs. 3 AVIV in der bis 31. August 1999 gültigen Fassung). 
Stellt die von der Arbeitgeberfirma finanzierte monatliche Rente dagegen eine freiwillige Abgangsentschädigung im Rahmen der vorzeitigen Pensionierung dar, ist sie - entsprechend der Weisung des BWA vom 15. Mai 1998 - für die Taggeldhöhe nicht zu beachten. Diese Weisung ist zwar vom Eidgenössischen Versicherungsgericht als gesetzwidrig erkannt worden, wird jedoch von der Verwaltung konsequent angewandt, weshalb die Gleichbehandlung im Unrecht der Gesetzmässigkeit des Verwaltungshandelns vorgeht (BGE 126 V 390). 
 
bb) Die von der Pensionskasse erbrachten Rentenzahlungen stellen Leistungen der weitergehenden beruflichen Vorsorge im Sinne der beiden Fassungen des Art. 32 AVIV und des Art. 12 Abs. 3 AVIV dar. Der von der ehemaligen Arbeitgeberin im Voraus an die Pensionskasse bezahlten Leistung zugunsten des Beschwerdeführers liegt der Versicherungsgedanke zugrunde, da ein Jahr vor der frühzeitigen Pensionierung der Eintritt des Risikos Alter noch unsicher gewesen ist. Gedeckt ist der Lohnverlust infolge vorzeitiger Pensionierung, so dass das Risiko Alter (und nicht dasjenige der Arbeitslosigkeit) versichert worden ist, wobei im Rahmen der Frühpensionierung eine Vorverschiebung des Eintrittszeitpunktes erfolgte. 
Im Weiteren hat der Beschwerdeführer die reglementarische Altersgrenze (60 Jahre) für die frühzeitige Pensionierung überschritten. Es besteht ein Anspruch des Versicherten auf diese Leistungen der Pensionskasse, wobei nicht massgebend ist, dass der Anspruch nicht direkt aus dem Reglement abgeleitet werden kann, sondern gemäss Reglement einer speziellen Abmachung zwischen Versichertem, Arbeitgeberin und Pensionskasse bedarf, was hier angesichts der erfolgten Leistungen offensichtlich vorliegt. Die von der ehemaligen Arbeitgeberfirma an die Pensionskasse erbrachte Zahlung stellt somit keine Abgangsentschädigung dar; eine solche wäre frei verwendbar und bliebe nicht - wie der entsprechende Betrag in vorliegender Sache - der Vorsorge verhaftet. Es liegt eine Situation ähnlich derjenigen vor, in welcher der Arbeitgeber die gesamte zweite Säule finanziert (vgl. Art. 66 Abs. 1 BVG), der Versicherte den Versicherungsfall "Alter" erlebt und ein Ersatzeinkommen in Form einer Rente erzielt. Insoweit ist der vorliegende Fall nicht mit dem Urteil H. vom 9. März 2001, C 90/00, zu vergleichen, in welchem zwar eine freiwillige Leistung der Arbeitgeberfirma via Pensionskasse als Abgangsentschädigung taxiert wurde, jedoch von den Parteien ein Widerruf oder zumindest eine Änderung für den Fall des Findens einer neuen Arbeitsstelle vereinbart worden ist. 
 
cc) Nichts anderes ergibt sich auch aus einem Quervergleich mit der Regelung der Alters- und Hinterlassenenversicherung, wobei diese Qualifikation in der Weisung des BWA vom 15. Mai 1998 für die arbeitslosenversicherungsrechtliche Behandlung allerdings als nicht massgebend betrachtet wird. Nach Art. 6 Abs. 2 lit. h AHVV (in der seit 
1. Januar 2001 gültigen Fassung) gehören nicht zum Erwerbseinkommen reglementarische Leistungen von Einrichtungen der beruflichen Vorsorge, wenn der Begünstigte bei Eintritt des Vorsorgefalles die Leistungen persönlich beanspruchen kann. 
In der bis 31. Dezember 2000 gültigen Fassung des Art. 6 Abs. 2 lit. h AHVV waren nicht Erwerbseinkommen die reglementarischen Leistungen selbstständiger Vorsorgeeinrichtungen und vertraglich mit dem Arbeitnehmer vereinbarten Vorsorgeleistungen, wenn der Begünstigte bei Eintritt des Vorsorgefalles oder bei Auflösung der Vorsorgeeinrichtung die Leistungen persönlich beanspruchen konnte. 
Diese Voraussetzungen sind hier gegeben, so dass die Rente der Pensionskasse auch im Sinne der Alters- und Hinterlassenenversicherung kein Erwerbseinkommen darstellt. 
 
dd) Da es sich bei den von der Pensionskasse ausgerichteten, aber von der Arbeitgeberin finanzierten Renten um Leistungen der beruflichen Vorsorge handelt, war deren ursprüngliche Nichtberücksichtigung im Rahmen der Bemessung der Arbeitslosenentschädigung zweifellos unrichtig, weshalb die Verwaltung unter diesem Titel auf ihre formlos erbrachten Taggeldleistungen zurückkommen durfte. Die Weisung des BWA vom 15. Mai 1998 findet - mangels Vorliegens einer freiwilligen Abgangsentschädigung - keine Anwendung. 
 
3.- Zu prüfen bleibt jedoch, ob sich der Versicherte auf den Grundsatz von Treu und Glauben berufen kann, d.h. 
ob er auf die vorbehaltlose Auszahlung der Taggelder vertrauen durfte und nicht mit einer Rückerstattung rechnen musste. 
 
a) Der Grundsatz von Treu und Glauben schützt den Bürger in seinem berechtigten Vertrauen auf behördliches Verhalten und bedeutet u.a., dass falsche Auskünfte von Verwaltungsbehörden unter bestimmten Voraussetzungen eine vom materiellen Recht abweichende Behandlung des Rechtsuchenden gebieten. Gemäss der aus Art. 4 Abs. 1 aBV abgeleiteten und unter Art. 9 und 5 Abs. 3 BV weiterhin geltenden Rechtsprechung (RKUV 2000 Nr. KV 126 S. 223 f. 
Erw. 2) ist eine falsche Auskunft bindend, 
1. wenn die Behörde in einer konkreten Situation mit Bezug auf bestimmte Personen gehandelt hat; 
2. wenn sie für die Erteilung der betreffenden Auskunft zuständig war oder wenn die rechtsuchende Person die Behörde aus zureichenden Gründen als zuständig betrachten durfte; 
3. wenn die Person die Unrichtigkeit der Auskunft nicht ohne weiteres erkennen konnte; 
4. wenn sie im Vertrauen auf die Richtigkeit der Auskunft Dispositionen getroffen hat, die nicht ohne Nachteil rückgängig gemacht werden können; 
5. wenn die gesetzliche Ordnung seit der Auskunftserteilung keine Änderung erfahren hat (BGE 121 V 66 Erw. 2a mit Hinweisen; RKUV 2000 Nr. KV 126 S. 223 Erw. 2). 
 
b) Im Rahmen der Wiedererwägung (Erw. 2 hievor) ist die zweifellose Unrichtigkeit der Taggeldauszahlungen im Sinne des Nichtübereinstimmens mit der Rechtslage massgebend; es stellt sich die Frage, ob das Handeln der Verwaltung mit der objektiven Rechtslage nicht übereinstimmt oder konkret, ob die von der Pensionskasse ausbezahlten Renten hätten berücksichtigt werden müssen. Beim Grundsatz von Treu und Glauben geht es dagegen darum, ob ein Mangel im Verhalten der Behörden - also die Bezahlung zu hoher Taggelder - durch den guten Glauben des Versicherten geheilt werden kann. Insofern liegen diesen beiden Rechtsinstituten verschiedene Fragestellungen zugrunde. 
 
c) Die Berufung auf Treu und Glauben scheitert daran, dass der Beschwerdeführer die Unrichtigkeit der Höhe der ausgerichteten Taggelder ohne Weiteres hätte erkennen können. 
Mit Schreiben vom 10. Februar 1998 erläuterte die Arbeitgeberin dem Beschwerdeführer die Umstände und Folgen der vorzeitigen Pensionierung, wobei sie unter anderem auch darauf hinwies, dass das zu erwartende Einkommen aus Pensionskassenrente und Arbeitslosenentschädigung ungefähr 90 % des bisher bezogenen Gehaltes ausmachen werde. Wegen der Nichtberücksichtigung der Pensionskassenleistung durch die Arbeitslosenversicherung blieb das Einkommen des Versicherten in der Folge jedoch praktisch identisch oder steigerte sich sogar minim; der Versicherte hätte daher - ohne grosse Rechnerei - bemerken müssen, dass sein Einkommen immer noch in der Grössenordnung vor der vorzeitigen Pensionierung lag und nicht merklich (nämlich um etwa 10 %, ausmachend einige hundert Franken pro Monat) gesunken ist. Dabei ist zu berücksichtigen, dass gerade zu Beginn eines neuen Lebensabschnittes - wie hier bei der Frühpensionierung oder auch bei Antritt einer neuen Arbeitsstelle - die Abrechnungen genau studiert und kontrolliert werden, um etwaige Fehler vorneweg zu bemerken. 
 
4.- Damit konnte die Arbeitslosenkasse auf ihre formlos ausgerichteten Taggeldleistungen zurückkommen und die zu viel ausbezahlten Taggelder zurückfordern. Die Höhe der Rückforderung ist dabei weder bestritten noch zu beanstanden. 
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: 
 
I. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen. 
 
II. Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
III. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen, dem Amt für Arbeit des Kantons St. Gallen und dem Staatssekretariat für Wirtschaft 
 
 
zugestellt. 
Luzern, 17. Juli 2002 
 
Im Namen des 
Eidgenössischen Versicherungsgerichts 
Der Präsident der III. Kammer: 
 
Der Gerichtsschreiber: