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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
9C_735/2010 
 
Urteil vom 21. Oktober 2010 
II. sozialrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter U. Meyer, Präsident, 
Bundesrichter Seiler, Bundesrichterin Pfiffner Rauber, 
Gerichtsschreiber Fessler. 
 
Verfahrensbeteiligte 
H.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Alois Kessler, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen 
 
Luzerner Pensionskasse, Zentralstrasse 7, 6002 Luzern, vertreten durch Rechtsanwalt 
Dr. Mark Kurmann, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Berufliche Vorsorge, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungs-gerichts des Kantons Luzern vom 2. August 2010. 
 
Sachverhalt: 
 
A. 
Die 1958 geborene H.________, ausgebildete Primar- und Werklehrerin, war im Zeitraum vom ... bis 31. Juli 2000 in verschiedenen Funktionen und an verschiedenen Schulen des Kantons Luzern tätig. In dieser Eigenschaft war sie bei der Luzerner Pensionskasse berufsvorsorgeversichert. Im April 2006 meldete sich H.________ bei der Invalidenversicherung an und beantragte u.a. eine Rente. Nach Abklärung der beruflichen und erwerblichen Verhältnisse teilte ihr die IV-Stelle Luzern mit Vorbescheid vom 14. November 2007 mit, sie sei seit 31. Juli 2000 (Beginn der einjährigen Wartezeit) in der Arbeitsfähigkeit als Lehrerin erheblich eingeschränkt. Sie habe ab 1. April 2005 (12 Monate vor der Anmeldung) Anspruch auf eine ganze Rente. Die Luzerner Pensionskasse erhob "Einsprache" und beantragte, der Beginn des Wartejahres sei auf den Januar 2004 zu setzen. Mit Verfügungen vom 5. und 19. Februar 2008 sprach die IV-Stelle H.________ im Sinne des Vorbescheids eine ganze Rente ab 1. April 2005 zu. Die Luzerner Pensionskasse reichte beim Verwaltungsgericht des Kantons Luzern Beschwerde ein, welche sie auf den instruktionsrichterlichen Hinweis hin, den Feststellungen der IV-Stelle zum Beginn der Wartezeit komme keine Verbindlichkeitswirkung für die Frage der Leistungspflicht aus beruflicher Vorsorge zu, weshalb auf das Rechtsmittel nicht eingetreten werden könne, zurückzog. 
Mit Schreiben vom 9. April 2009 teilte die Luzerner Pensionskasse H.________ mit, dass sie eine Leistungspflicht nicht anerkenne. 
 
B. 
Am 13. April 2009 liess H.________ beim Verwaltungsgericht des Kantons Luzern Klage einreichen mit dem Rechtsbegehren, die Luzerner Pensionskasse sei zu verpflichten, ihr rückwirkend ab 1. Mai 2004 bis auf Weiteres eine volle Invalidenrente zu bezahlen. Nach Antwort der Beklagten wies die Sozialversicherungsrechtliche Abteilung des angerufenen Gerichts mit Entscheid vom 2. August 2010 die Klage ab. 
 
C. 
H.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen mit dem Rechtsbegehren, der Entscheid vom 2. August 2010 sei aufzuheben und die Luzerner Pensionskasse zu verpflichten, ihr rückwirkend ab 1. Mai 2005 eine volle Rente zu bezahlen. 
Erwägungen: 
 
1. 
Streitgegenstand bildet die Frage, ob die Arbeitsfähigkeit, deren Ursache zur Invalidität geführt hat (Art. 23 BVG in der bis 31. Dezember 2004 gültig gewesenen Fassung) während der Dauer des Vorsorgeverhältnisses (einschliesslich der Nachdeckungsfrist nach Art. 10 Abs. 2 BVG), somit im Zeitraum vom 1. August 1980 bis 31. August 2000 eingetreten war. Die Vorinstanz hat diese Frage ohne Bindung an den von der IV-Stelle im Vorbescheid vom 14. November 2007 sowie in der Verfügung vom 5. Februar 2008 auf den 31. Juli 2000 festgesetzten Beginn der einjährigen Wartezeit nach aArt. 29 Abs. 1 lit. b IVG frei geprüft. Dies ist rechtsprechungskonform (BGE 130 V 270 E. 3.2 S. 274; Urteil 9C_414/2007 vom 25. Juli 2008 E. 2.4). Die Beschwerdeführerin hatte sich im April 2006 bei der Invalidenversicherung u.a. zum Bezug einer Rente angemeldet. Mit Blick auf den unbestrittenen frühest möglichen Beginn der Ausrichtung von Leistungen ab 1. April 2005 (Art. 48 Abs. 2 IVG in Kraft gestanden bis 31. Dezember 2007) brauchte daher die IV-Stelle lediglich bis zum 1. April 2004 mit ihren Abklärungen zur Arbeitsfähigkeit zurückzugehen. Diesbezügliche Feststellungen, welche einen früheren Zeitpunkt betrafen, sind daher im Streit um Invalidenleistungen der beruflichen Vorsorge unbeachtlich. Was in der Beschwerde dagegen vorgebracht wird, gibt zu keiner anderen Betrachtungsweise Anlass. 
 
2. 
Die für die Beurteilung der Streitfrage massgebende Rechtsprechung wird im vorinstanzlichen Entscheid zutreffend wiedergegeben. Darauf wird verwiesen (vgl. auch Urteil 9C_847/2009 vom 19. März 2010 E. 2.1). 
 
3. 
Der Zeitpunkt des Eintritts der Arbeitsunfähigkeit, deren Ursache zur Invalidität geführt hat (aArt. 23 BVG), ist eine Tatfrage. Diesbezügliche Feststellungen der Vorinstanz sind daher für das Bundesgericht verbindlich, soweit sie nicht offensichtlich unrichtig sind oder auf einer unhaltbaren Beweiswürdigung beruhen und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG; SVR 2008 BVG Nr. 31 S. 126, 9C_182/2007 E. 4.1.1; Urteil 9C_689/2008 vom 25. Februar 2009 E. 3.1 mit Hinweis). Dabei ist eine Sachverhaltsfeststellung nicht schon dann offensichtlich unrichtig, wenn sich Zweifel anmelden, sondern erst, wenn sie eindeutig und augenfällig unzutreffend ist (BGE 132 I 42 E. 3.1 S. 44). Es liegt noch keine offensichtliche Unrichtigkeit vor, nur weil eine andere Lösung ebenfalls in Betracht fällt, selbst wenn diese als die plausiblere erschiene (vgl. BGE 129 I 8 E. 2.1 S. 9; Urteil 9C_967/2008 vom 5. Januar 2009 E. 5.1). Diese Grundsätze gelten auch in Bezug auf die konkrete Beweiswürdigung (Urteil 9C_161/2009 vom 18. September 2009 E. 1.2 mit Hinweisen). Will eine Partei eine rechtsfehlerhafte Sachverhaltsfeststellung durch die Vorinstanz rügen, kann sie sich grundsätzlich nicht darauf beschränken, den nach ihrer Auffassung richtigen Sachverhalt darzulegen oder ihre eigene Beweiswürdigung zu erläutern. Vielmehr muss sie hinreichend genau angeben, inwiefern die vorinstanzlichen Feststellungen rechtswidrig oder mit einem klaren Mangel behaftet sind. Eine diesen Anforderungen nicht genügende (appellatorische) Kritik ist unzulässig (Urteil 9C_597/2008 vom 3. Dezember 2008 E. 2.1.1). 
 
4. 
4.1 Die Vorinstanz hat die Akten dahingehend gewürdigt, dass von Seiten des Arbeitgebers keine Hinweise vorhanden seien, wonach die Klägerin während der Tätigkeit an ihrer letzten Stelle in ihrer Arbeitsfähigkeit oder in ihrem Leistungsvermögen eingeschränkt gewesen sein könnte. Dass sie über längere Zeit hinweg oder gehäuft der Arbeit ferngeblieben wäre, mache sie im Übrigen selbst nicht geltend. Auch aus ärztlicher Sicht lägen keine echtzeitlichen Bestätigungen vor, dass sie insbesondere im Verlaufe des Jahres 2000 arbeitsunfähig gewesen wäre. Die ärztlichen Angaben zur Arbeitsfähigkeit stammten allesamt aus einer Zeit längst nach Auflösung des Arbeitsverhältnisses. Dass sie sich auf Ende des Schuljahres als krank und arbeitsunfähig erachtet und dies selbst gegenüber Ärzten und weiteren Personen in der Schulleitung und -pflege bekundet habe, genüge nicht zum Nachweis einer insbesondere arbeitsrechtlich in Erscheinung getretenen psychisch bedingten Einschränkung des funktionellen Leistungsvermögens. 
 
4.2 Die Beschwerdeführerin rügt, die Feststellung der Vorinstanz, es lägen keine Echtzeitbestätigungen der Arbeitsunfähigkeit und der krankheitsbedingten Arbeitsaufgabe vor, sei aktenwidrig. Sodann habe die Vorinstanz trotz Unklarheiten in den Aussagen des Hausarztes und weiterer Personen betreffend Arbeitsunfähigkeit und Arbeitsaufgabe im Sommer 2000 keine diesbezüglichen Abklärungen vorgenommen und damit Art. 43 Abs. 1 ATSG (Untersuchungsgrundsatz; recte: Art. 73 Abs. 2 BVG) verletzt. 
4.3 
4.3.1 Entgegen den Vorbringen der Beschwerdeführerin bestehen keine echtzeitlichen, in der hier vorab interessierenden Zeit von Januar bis August 2000 ausgestellte ärztliche Atteste über eine berufsvorsorgerechtlich relevante Arbeitsunfähigkeit. Auch aus der in diesem Verfahren eingereichten Krankengeschichte von Oktober 1997 bis August 2010 des Hausarztes, auf welche sich die Beschwerdeführerin hauptsächlich beruft, ergibt sich nichts anderes, soweit diese überhaupt zulässig sein sollte (Art. 99 Abs. 1 BGG). Sie unterlässt es denn auch anzugeben, unter welchen Behandlungs- oder Konsultationsdaten der Hausarzt welche Arbeitsunfähigkeit aus hier einzig interessierenden psychischen Gründen vermerkt hatte. Aus den Aufzeichnungen ergibt sich, dass sie 2000 vor allem über Müdigkeit, Erschöpfung und Stimmungsschwankungen geklagt hatte. Anderseits wurde unter dem Datum des ... Dezember 1999 ein Autounfall erwähnt, bei welchem die Beschwerdeführerin offenbar von der Strasse abgekommen war, was riesige Ängste ausgelöst hatte. Der Hausarzt warf die Frage nach Psychotherapie auf und stellte gegebenenfalls eine Woche Arbeitsunfähigkeit "in Option". Die Folgen dieses Ereignisses waren indessen nicht invalidisierend. Eine Arbeitsunfähigkeit von einer Woche im Januar/Februar 2000 wurde wegen Sinusitis attestiert, eine weitere vom 5. bis 9. Juni 2000 ohne nähere Angabe. 
4.3.2 Ob es sich beim invalidisierenden psychischen Leiden (chronifizierte rezidivierende depressive Störung, aktuell mittelgradige Episode mit somatischem Syndrom [ICD-10 F33.11] und kombinierte Persönlichkeitsstörung mit selbstunsicheren, abhängigen, ängstlich vermeidenden, passiv-aggressiven, emotional-instabilen und histrionischen Zügen nach traumatisierenden Kindheitserfahrungen [ICD-10 F61.0]; Gutachten Dr. med. O.________ vom 30. April 2007) um eine schwierige Diagnose handelt, welche weder vom Hausarzt noch von dem Anfang Juni 2000 konsultierten Neurologen sofort richtig gestellt werden konnte, wie die Beschwerdeführerin geltend macht, kann offenbleiben. Die genannten Ärzte sind nicht Fachärzte, weshalb eine (genaue) Diagnosestellung weder ihre Aufgabe war noch darauf ohne weiteres hätte abgestellt werden können. Anderseits ist davon auszugehen, dass sie bei Vorliegen von Symptomen, welche (auch) auf eine latente oder manifest zu werden drohende psychische Erkrankung hindeuten konnten, entsprechende Abklärungen angeordnet oder therapeutische Massnahmen in die Wege geleitet hätten, wie die Vorinstanz festgehalten hat. Abgesehen davon muss grundsätzlich eine gesundheitliche Beeinträchtigung nicht notwendigerweise zu einer Einschränkung der Arbeitsfähigkeit führen (Urteile 9C_967/2008 vom 5. Januar 2009 E. 5.2.3 und I 687/06 vom 24. April 2007 E. 5.2; vgl. auch BGE 132 V 65 E. 3.4 S. 69). 
4.3.3 Die weiteren Vorbringen der Beschwerdeführerin stellen entweder unzulässige appellatorische Kritik an der vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellung und Beweiswürdigung dar (vorne E. 3), oder sie sind nicht stichhaltig. Entgegen der Feststellung der Vorinstanz kann zwar nicht gesagt werden, der Hausarzt habe in seinem Schreiben vom 29. November 2007 an die Beschwerdegegnerin die im Arztbericht vom 20. Januar 2007 für den Sommer 2000 bescheinigte Arbeitsunfähigkeit von 100 % aufgrund einer psychischen Erkrankung relativiert. Dies ändert jedoch nichts daran, dass eine echtzeitliche, d.h. aus dem Frühjahr/Sommer 2000 stammende, psychisch bedingte ärztlich attestierte Arbeitsunfähigkeit fehlt. Ebenfalls ist die vorinstanzliche Feststellung, die Klägerin habe nie geltend gemacht, über längere Zeit oder gehäuft der Arbeit ferngeblieben zu sein, insofern aktenwidrig, als sie in der Klage vorgebracht hatte, vier Mal eine ganze Woche wegen Krankheit gefehlt zu haben, was sie jeweils mit einem Arztzeugnis belegt habe. Welcher Arzt aufgrund welcher gesundheitlichen Beeinträchtigung die Arbeitsunfähigkeit bescheinigt hatte, wurde jedoch nicht gesagt. Auch in diesem Verfahren macht die Beschwerdeführerin keine diesbezüglichen Angaben. Insbesondere finden sich in der Krankengeschichte des Hausarztes (E. 4.3.1) keine Hinweise für eine viermalige ärztlich attestierte psychisch bedingte Arbeitsabsenz von jeweils einer Woche Dauer. 
4.3.4 Umstände, welche auf eine von der arbeitsrechtlich zu Tage getretenen Situation in Wirklichkeit abweichenden Lage - etwa in dem Sinne, dass die Beschwerdeführerin zwar zur Erbringung einer vollen Arbeitsleistung verpflichtet war und auch entsprechend entlöhnt wurde, tatsächlich aber doch keine volle Arbeitsleistung erbringen konnte - hindeuten könnten (Urteil 9C_339/2007 vom 5. März 2008 E. 5.2 in fine mit Hinweis), werden nicht geltend gemacht. 
 
4.4 Fehlt es nach dem Gesagten am hinreichend klaren Nachweis einer für die Entstehung des Anspruchs auf Invalidenleistungen der beruflichen Vorsorge wesentlichen Arbeitsunfähigkeit bis zum Ablauf der Nachdeckungsfrist am 31. August 2000, kann auch die Auflösung des Arbeitsverhältnisses auf Ende Juli 2000 berufsvorsorgerechtlich nicht als gesundheitlich bedingt gelten. Die Beschwerde ist somit unbegründet. 
 
5. 
Bei diesem Ausgang des Verfahrens hat die Beschwerdeführerin die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Luzern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
Luzern, 21. Oktober 2010 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: 
 
Meyer Fessler