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[AZA 7] 
U 394/99 Vr 
 
II. Kammer 
 
Präsident Lustenberger, Bundesrichter Meyer und Ferrari; 
Gerichtsschreiber Arnold 
 
 
Urteil vom 18. April 2001 
 
in Sachen 
 
H.________, 1946, Beschwerdeführer, vertreten durch den 
Rechtsdienst X.________, 
gegen 
 
Schweizerische Unfallversicherungsanstalt, Luzern, 
Beschwerdegegnerin, 
und 
 
Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Bern 
 
 
A.- H.________, geb. 1946, war seit 1. Mai 1988 als 
Heizungsmonteur bei der Firma C.________ AG angestellt und 
bei der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) 
gegen die Folgen von Unfällen und Berufskrankheiten 
versichert. Laut Unfallmeldung (vom 30. September 1992) 
verrichtete er am 16. September 1992, am Boden liegend, 
während ca. 3/4 Stunden Schweissarbeiten, erhob sich anschliessend, 
worauf Schwindelanfälle mit Übelkeit und 
Schweissausbrüchen auftraten. Er musste notfallmässig in 
das Spital Y.________ überführt werden, wurde nach zwei 
Stunden indes bereits wieder entlassen, da die Symptome 
verschwunden waren und ein Elektrokardiogramm (EKG) unauffällig 
ausgefallen war. In der Folge persistierten die 
Schwindelanfälle, zudem trat ein fluktuierender Tinnitus 
auf. Die SUVA erbrachte die gesetzlichen Leistungen - 
Heilbehandlung und Taggeld, letzteres auf der Grundlage 
voller Arbeitsunfähigkeit. Im Anschluss an verschiedene 
medizinische Abklärungen - worunter die magnetische Kernresonanz 
(MRI) der hinteren Schädelgrube sowie der inneren 
Gehörgänge vom 30. Dezember 1992, neurootologische Untersuchungen 
des Dr. med. G.________, Abteilung Arbeitsmedizin 
SUVA, vom 14. April 1993, 22. Juni 1993 sowie 19. April 
1994 und das Gutachten der Dres. med. B.________ und 
L.________, Spital Y.________, vom 24. September 1994 - 
eröffnete die SUVA H.________ mit Verfügung vom 14. November 
1994, es lägen keine organischen Unfallfolgen mehr vor 
und die noch bestehenden Beschwerden seien auf psychogene 
Faktoren zurückzuführen, wobei es insoweit mangels adäquaten 
kausalen Zusammenhangs mit dem Unfallereignis vom 
16. September 1992 an einer Leistungspflicht fehle. Entgegenkommenderweise 
würden die vorübergehenden Leistungen 
(Heilbehandlung/Taggeld) bis 30. November 1994 ausgerichtet. 
Daran hielt sie auf Einsprache hin fest (Entscheid vom 
6. Oktober 1995). 
 
B.- Beschwerdeweise liess H.________ beantragen, in 
Aufhebung des Einspracheentscheides sei die SUVA zu verpflichten, 
ab 1. Dezember 1994 eine Invalidenrente auf 
Grund einer Erwerbsunfähigkeit von 50 % sowie eine Integritätsentschädigung 
zuzusprechen. Mit Entscheid vom 1. Oktober 
1999 wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern die 
Beschwerde ab. 
 
C.- H.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde 
führen und das vorinstanzliche Rechtsbegehren erneuern. 
Die SUVA beantragt Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. 
Das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) 
lässt sich nicht vernehmen. 
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 
 
1.- Auf Grund der medizinischen Unterlagen ist als 
erstellt zu betrachten und zu Recht nicht strittig, dass 
keine somatischen Beschwerden mehr vorliegen, für welche 
sich die Frage der Leistungspflicht der Beschwerdegegnerin 
stellen würde. Streitig und zu prüfen ist, ob die im Nachgang 
zum Vorfall vom 16. September 1992 eingetretene psychische 
Fehlentwicklung - laut Bericht der Dres. med. 
B.________ und L.________ (vom 24. September 1994) handelt 
es sich um eine Somatisierungsstörung mit diffusen, intermittierenden 
Schwindelattacken als Ausdruck einer Angstsymptomatik 
bei Status nach Boenninghaus'schem Unfall im 
September 1992 - Folge eines versicherten Unfalles (Art. 6 
Abs. 1 UVG in Verbindung mit Art. 9 Abs. 1 UVV) ist, eine 
unfallähnliche Körperschädigung (Art. 6 Abs. 2 UVG in Verbindung 
mit Art. 9 Abs. 2 UVV) darstellt oder ob eine Berufskrankheit 
gemäss Art. 9 UVG vorliegt. 
 
2.- a) Im Bericht zur neurootologischen Untersuchung 
vom 19. April 1994 fasste Dr. med. G.________ zusammen, der 
Beschwerdeführer habe einen akuten cochleo-vestibulären 
Funktionsausfall im Rahmen eines sogenannten Boenninghaus'schen 
Unfalls erlitten, wobei der vestibuläre Funktionsausfall 
rechts zentral wieder vollständig kompensiert 
sei. Die Zunahme der Tieftonschwerhörigkeit auf der rechten 
Seite, vor allem im medio-cochleären Anteil, sei eigentlich 
typisch für den sogenannten akustischen Unfall nach Boenninghaus, 
wahrscheinlich im Rahmen eines Hydrops cochleae. 
Die Dres. med. B.________ und L.________ diagnostizierten 
im Bericht vom 24. September 1994 eine Somatisierungsstörung 
mit diffusen, intermittierenden Schwindelattacken als 
Ausdruck einer Angstsymptomatik bei Status nach Boenninghaus'schem 
Unfall im September 1992. 
 
b) Laut Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 
258. Aufl., S. 222, bezeichnet das Boenninghaus Syndrom 
eine einseitige lärmbedingte Schwerhörigkeit in Zusammenhang 
mit Durchblutungsstörungen des Innenohrs. Im Roche-Lexikon 
Medizin, 4. Aufl., S. 220, wird das Boenninghaus 
Syndrom als "akute, meist dauerhafte Hörstörung als Kombinationsschaden 
(?) nach akutem Lärmtrauma bei posturaler 
(von der Körperhaltung abhängiger) Innenohr-Durchblutungsstörung" 
umschrieben. 
 
3.- a) Im Unterschied zu den zitierten Arztberichten, 
welche von einem Unfall nach Boenninghaus reden, wird in 
der angeführten medizinischen Fachliteratur der Begriff 
Boenninghaus Syndrom verwendet. Die medizinische Terminologie 
lässt indes - ungeachtet, ob die Ärzte von Syndrom 
oder Unfall sprechen - nicht darauf schliessen, ob ein 
Unfall im rechtlichen Sinne vorliegt. Dies bestimmt sich 
einzig nach den Normen des Unfallversicherungsrechts und 
der hiezu ergangenen Rechtsprechung. 
Als Unfall gilt die plötzliche, nicht beabsichtigte 
schädigende Einwirkung eines ungewöhnlichen äusseren Faktors 
auf den menschlichen Körper (Art. 9 Abs. 1 UVV). Das 
Begriffsmerkmal der Ungewöhnlichkeit bezieht sich nicht auf 
die Wirkung des äusseren Faktors, sondern nur auf diesen 
selber. Ohne Belang für die Prüfung der Ungewöhnlichkeit 
ist somit, dass der äussere Faktor allenfalls schwerwiegende, 
unerwartete Folgen nach sich zog. Der äussere Faktor 
ist ungewöhnlich, wenn er den Rahmen des im jeweiligen Lebensbereich 
Alltäglichen oder Üblichen überschreitet. Ob 
dies zutrifft, beurteilt sich im Einzelfall, wobei grundsätzlich 
nur die objektiven Verumständungen in Betracht 
fallen (BGE 122 V 233 Erw. 1, 121 V 38 Erw. 1a, je mit 
Hinweisen). Nach Lehre und Rechtsprechung kann das Merkmal 
des ungewöhnlichen äusseren Faktors auch in einer unkoordinierten 
Bewegung (RKUV 1999 Nr. U 333 S. 199 Erw. 3c/aa und 
Nr. U 345 S. 422 Erw. 2b; Maurer, Schweizerisches Unfallversicherungsrecht, 
S. 176 f.) oder in einer (im Hinblick 
auf die Konstitution und berufliche oder ausserberufliche 
Gewöhnung der betreffenden Person) ausserordentlichen 
Überanstrengung (vgl. BGE 116 V 139 Erw. 3b; RKUV 1994 Nr. 
U 180 S. 38 Erw. 2) bestehen. 
 
b) Der Beschwerdeführer hat gemäss Unfallmeldung am 
16. September 1992 während ca. 3/4 Stunden Schweissarbeiten 
in liegender Körperstellung verrichtet, sich anschliessend 
erhoben, worauf Schwindelanfälle mit Übelkeit und Schweissausbrüchen 
auftraten. Nach den Akten ist davon auszugehen, 
dass sich der Kopf während der gesamten Arbeitszeit in 
annähernd gleich bleibender, stark abgedrehter Stellung 
befand (Bericht des Dr. med. F.________, Spezialarzt für 
Neurologie FMH, vom 30. September 1992; Berichte des Dr. 
med. G.________ vom 16. April 1993, 23. Juni 1993 und 
25. April 1994). Störende, in der Aussenwelt begründete 
Umstände sind weder aus den Akten ersichtlich, noch werden 
sie vom Beschwerdeführer geltend gemacht. Es finden sich 
namentlich keine Hinweise dafür, dass der Beschwerdeführer 
beim Geschehnis vom 16. September 1992 einer erheblichen 
Lärmbelastung ausgesetzt gewesen wäre. Mit Blick auf die 
seit mehreren Jahren ausgeübte Tätigkeit als Heizungsmonteur 
sind die bei den Schweissarbeiten eingenommene Körper- 
und insbesondere die stark abgedrehte Kopfhaltung sodann 
nicht derart ungewöhnlich, dass sie einer ausserordentlichen 
Überanstrengung gleichkämen. Ein Unfall im Sinne von 
Art. 9 Abs. 1 UVV liegt somit nicht vor. Ebenso wenig ist 
eine unfallähnliche Körperschädigung gemäss Art. 6 Abs. 2 
UVG gegeben, da bedingt durch das Geschehnis vom 16. September 
1992 keine der in Art. 9 Abs. 2 UVV aufgezählten, 
den Unfällen gleichgestellten Körperschädigungen aufgetreten 
ist (vgl. BGE 116 V 140 Erw. 4a, 147 Erw. 2b, je mit 
Hinweisen; Maurer, Schweizerisches Unfallversicherungsrecht, 
2. Aufl., S. 202). 
 
4.- Als Anspruchsgrundlage zu prüfen bleibt das Vorliegen 
einer Berufskrankheit gemäss Art. 9 UVG
 
a) Eine Listenkrankheit nach Art. 9 Abs. 1 UVG in 
Verbindung mit Anhang I zur UVV fällt ausser Betracht. Es 
liegt insbesondere keine erhebliche Schädigung des Gehörs 
auf Grund von Arbeiten im Lärm vor (Anhang I Ziff. 2 
lit. a). 
 
b) Gemäss Art. 9 Abs. 2 UVG gelten als Berufskrankheiten 
auch andere Krankheiten, von denen nachgewiesen 
wird, dass sie ausschliesslich oder stark überwiegend durch 
eine berufliche Tätigkeit verursacht worden sind. Diese 
Generalklausel bezweckt, allfällige Lücken zu schliessen, 
die dadurch entstehen könnten, dass die bundesrätliche 
Liste gemäss Anhang I zur UVV entweder einen schädigenden 
Stoff, der eine Krankheit verursachte, oder eine Krankheit 
nicht aufführt, die durch die Arbeit verursacht wurde (BGE 
119 V 201 Erw. 2b mit Hinweis). Nach der Rechtsprechung ist 
die Voraussetzung des "ausschliesslichen oder stark überwiegenden" 
Zusammenhangs gemäss Art. 9 Abs. 2 UVG erfüllt, 
wenn die Berufskrankheit mindestens zu 75 % durch die 
berufliche Tätigkeit verursacht worden ist (BGE 119 V 201 
Erw. 2b mit Hinweis). Die versicherte Person muss während 
einer gewissen Dauer einem für ihren Beruf typischen oder 
damit verbundenen Risiko ausgesetzt gewesen sein. Ein 
einmaliges Ereignis, durch welches die Gesundheitsschädigung 
ausgelöst wird, genügt nicht (BGE 116 V 144 Erw. 5d). 
Wird - wie vorliegend der Fall - eine gesundheitliche 
Schädigung im Rahmen der beruflichen Arbeit durch ein 
einmaliges Geschehen ausgelöst, ist die berufliche Tätigkeit 
nur Anlass und nicht Ursache des Leidens. 
 
5.- Die psychischen Beschwerden stehen nach dem Gesagten 
weder in natürlich noch adäquat kausalem Zusammenhang 
mit einem versicherten Unfall (Art. 6 Abs. 1 UVG in 
Verbindung mit Art. 9 Abs. 1 UVV), einer unfallähnlichen 
Körperschädigung (Art. 6 Abs. 2 UVG in Verbindung mit 
Art. 9 Abs. 2 UVV) oder einer Berufskrankheit gemäss Art. 9 
UVG, weshalb der vorinstanzliche Entscheid im Ergebnis 
nicht zu beanstanden ist. 
 
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: 
 
I. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen. 
 
II. Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
III. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht 
des Kantons Bern, Sozialversicherungsrechtliche 
Abteilung, und dem Bundesamt für Sozialversicherung 
zugestellt. 
 
Luzern, 18. April 2001 
 
Im Namen des 
Eidgenössischen Versicherungsgerichts 
Der Präsident der II. Kammer: 
 
 
 
 
 
Der Gerichtsschreiber: