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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
5A_42/2011 
 
Urteil vom 21. März 2011 
II. zivilrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichterin Hohl, Präsidentin, 
Bundesrichter Marazzi, von Werdt, 
Gerichtsschreiber Zbinden. 
 
Verfahrensbeteiligte 
X.________ ag, 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Christoph Wildhaber, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen 
 
Y.________ SA, 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Martin Bernet, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Provisorische Rechtsöffnung, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Solothurn, Zivilkammer, vom 2. Dezember 2010. 
 
Sachverhalt: 
 
A. 
Die Y.________ SA ersuchte am 9. Juli 2010 in der gegen die X.________ ag eingeleiteten Betreibung Nr. 236'796 des Betreibungsamtes Z.________ beim Richteramt Z.________ um provisorische Rechtsöffnung für Fr. 627'991.35 nebst Zins zu 5% seit dem 9. Juli 2009 und die Kosten des Zahlungsbefehls von Fr. 200.--. Die angerufene Instanz entsprach dem Begehren mit Urteil vom 9. September 2010. 
 
B. 
Die X.________ ag gelangte gegen dieses Urteil an das Obergericht des Kantons Solothurn. Nachdem die Stellungnahme der Y.________ AG zum Rekurs angeblich am 25. November 2010 der X.________ ag zugestellt worden war, behielt sich diese ihren Aussagen zufolge gleichentags telefonisch eine Stellungnahme zur Eingabe der Y.________ AG vor und reichte am 1. Dezember 2010 ein Gesuch um Anordnung eines zweiten Schriftenwechsels ein. Mit Urteil vom 2. Dezember 2010 wies das Obergericht den gegen den erstinstanzlichen Entscheid eingereichten Rekurs ab. Überdies gab es mit Schreiben vom 2. Dezember 2010 dem Gesuch der X.________ ag um Anordnung eines zweiten Schriftenwechsels nicht statt mit der Begründung, der Entscheid in der Sache sei bereits ergangen. 
 
C. 
Die X.________ ag (Beschwerdeführerin) hat am 18. Januar 2011 beim Bundesgericht gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Solothurn vom 2. Dezember 2010 wegen Verletzung von Art. 29 Abs. 2 BV, Art. 6 Ziff. 1 EMRK und Art. 82 Abs. 1 SchKG Beschwerde in Zivilsachen erhoben. Sie beantragt zur Hauptsache, das Urteil des Obergerichts des Kantons Solothurn vom 2. Dezember 2010 aufzuheben. Eventualiter sei die provisorische Rechtsöffnung in der Betreibung Nr. 236'796 des Betreibungsamtes Z.________ zu verweigern. 
Mit Verfügung der Präsidentin der II. zivilrechtlichen Abteilung des Bundesgerichts vom 21. Januar 2011 wurde das Gesuch um aufschiebende Wirkung der Beschwerdeführerin entsprechend dem Antrag der Beschwerdegegnerin abgewiesen. 
 
D. 
In der Sache hat sich das Obergericht am 20. Januar 2011 erstmals vernehmen lassen. In einer weiteren Eingabe vom 8. Februar 2011 hat es auf die Motive des angefochtenen Entscheids verwiesen. Die Beschwerdegegnerin hat sich am 3. März 2011 zur Sache geäussert. Sie stellt den Antrag, die Beschwerde sei abzuweisen, soweit das Gericht nach erfolgter Prüfung der behaupteten Verletzung des rechtlichen Gehörs die Beschwerde auch in materieller Hinsicht prüfe. 
 
Erwägungen: 
 
1. 
Rechtzeitig angefochten (Art. 100 Abs. 1 BGG) ist ein kantonal letztinstanzlicher Endentscheid (Art. 75 Abs. 1, Art. 90 BGG) in einer Schuldbetreibungssache (Art. 72 Abs. 2 lit. a BGG). Der erforderliche Streitwert ist bei Weitem überschritten (Art. 74 Abs. 1 lit. b BGG). Der angefochtene Entscheid unterliegt der Beschwerde gemäss Art. 72 ff. BGG ohne Beschränkung der Beschwerdegründe (BGE 133 III 399). Mit der Beschwerde in Zivilsachen können somit Rechtsverletzungen im Sinne von Art. 95 und Art. 96 BGG beanstandet werden. Gegen die Feststellung des Sachverhalts lässt sich indes nur vorbringen, sie sei offensichtlich unrichtig, d.h. willkürlich (BGE 135 III 127 E. 1.5 S. 130 mit Hinweis), oder beruhe auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG, soweit die Behebung des Mangels für den Verfahrensausgang entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). 
 
2. 
2.1 Die Beschwerdeführerin rügt eine Verletzung von Art. 6 Ziff. 1 EMRK bzw. von Art. 29 Abs. 2 BV und macht zur Begründung geltend, ihr bzw. ihrem Vertreter sei die Rekursantwort der Beschwerdegegnerin vom 18. November 2010 am 25. November 2010 zugestellt worden, worauf ihr Anwalt sich noch am gleichen Tag beim Vorsitzenden des Obergerichts danach erkundigt habe, ob angesichts der umfangreichen Rekursantwort der Beschwerdegegnerin nicht ein zweiter Schriftenwechsel geplant werde. Auf die negative Antwort des Vorsitzenden habe sich ihr Anwalt eine Replik nach eingehender Prüfung der Rekursantwort und nach Rücksprache mit seiner Mandantin vorbehalten. In der Folge habe ihr Anwalt am 1. Dezember 2010 schriftlich um Ansetzung einer Frist zur Replik ersucht, worauf die Vorinstanz mit am 2. Dezember 2010 versandtem Schreiben das Gesuch mit dem Hinweis auf den bereits erfolgten Entscheid in der Sache abgewiesen habe. Mit dem nur vier Tage nach Erhalt der Rekursantwort (25. November 2010) erfolgten Entscheid in der Sache habe die Vorinstanz das Replikrecht der Beschwerdeführerin verletzt. 
Das Obergericht weist auf Art. 84 Abs. 2 SchKG hin, wonach im Rechtsöffnungsverfahren der Entscheid binnen fünf Tagen seit Eingang der Stellungnahme zu eröffnen sei. Die Beschwerdegegnerin schliesst sich dieser Auffassung im Wesentlichen an und hält unter Berufung auf BGE 132 V 387 E. 5.1 S. 390 dafür, selbst bei einer schwerwiegenden Verletzung des rechtlichen Gehörs sei von einer Rückweisung wegen Verletzung dieser Verfahrensgarantie abzusehen, wenn die Rückweisung zu einem formalistischen Lehrlauf und damit zu unnötigen Verzögerungen führte. Das sei zu bejahen, wenn die Vorinstanz trotz Rückweisung höchstwahrscheinlich zum gleichen Ergebnis gelangte. 
2.2 
2.2.1 Nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) umfasst die Garantie des fairen Verfahrens gemäss Art. 6 Ziff. 1 EMRK das Recht der Parteien, von jedem Aktenstück und jeder dem Gericht eingereichten Stellungnahme Kenntnis zu nehmen und sich dazu zu äussern, sofern sie dies für erforderlich halten. Unerheblich ist, ob eine Eingabe neue Tatsachen oder Argumente enthält und ob sie das Gericht tatsächlich zu beeinflussen vermag (Urteil Nideröst-Huber gegen Schweiz vom 18. Februar 1997, Recueil CourEDH 1997-I S. 101 § 24 auch in VPB 61/1997 Nr. 108 S. 959; BGE 133 I 100 E. 4.3 S. 103 f. mit Hinweis auf weitere Urteile des EGMR). Diese allgemeinen Verfahrensgrundsätze des "fair trial" gemäss Art. 6 Ziff. 1 EMRK und Art. 29 Abs. 1 BV gelten für alle gerichtlichen Verfahren (BGE 133 I 100 E. 4.6 S. 104). Der Anspruch einer Partei, im Rahmen eines Gerichtsverfahrens zu replizieren, bildet zugleich Teilgehalt des verfassungsmässigen Anspruchs auf rechtliches Gehör nach Art. 29 Abs. 2 BV. Im Hinblick auf das Replikrecht in gerichtlichen Verfahren kommt Art. 29 Abs. 2 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK dieselbe Tragweite zu (BGE 133 I 100 E. 4) 
2.2.2 Sieht das anwendbare Prozessrecht lediglich einen einfachen Schriftenwechsel vor, kann sich die Behörde in einer ersten Phase darauf beschränken, weitere Eingabe einer Partei der Gegenpartei zur Kenntnisnahme zuzustellen, ohne sie formell auf ihr Replikrecht hinzuweisen. Damit ist die Gegenpartei in der Lage, ihr Replikrecht auszuüben. Enthält sie sich einer Stellungnahme, kann nach Ablauf einer angemessenen Frist angenommen werden, sie habe auf ihr Replikrecht verzichtet (BGE 133 I 98 E. 2.2 S. 99; 132 I 42 E. 3.3.3 - 3.3.4 S. 46; Urteile des EGMR Göç gegen Türkei vom 11. Juni 2002, Recueil CourEDH 2002-V p. 221, § 57; Milatova gegen Tschechische Republik vom 21. Juni 2005 § 61; Urteil 9C_557/2008 vom 3. April 2009 E. 3 nicht veröffentlicht in BGE 135 III 289). 
Stellt indes eine Partei unverzüglich nach Erhalt einer Eingabe ausdrücklich ein Gesuch um Ansetzung einer Frist zur Stellungnahme, so hat das Gericht über diesen Antrag vor dem Sachentscheid zu befinden, andernfalls das rechtliche Gehör der ersuchenden Partei verletzt wird (BGE 133 I 100 E. 4.7 und 4.8 S. 104 f.). 
 
2.3 Im vorliegenden Fall ist mangels anderer Angaben in den Akten davon auszugehen, dass der Anwalt der Beschwerdeführerin die Rekursantwort der Beschwerdegegnerin vom 18. November 2010 am 25. November 2010 erhalten hat und sogleich beim Vorsitzenden des Obergerichts im Hinblick auf eine Anordnung eines zweiten Schriftenwechsels vorstellig geworden ist; dabei hat sich der Anwalt überdies ausdrücklich eine Replik nach Prüfung der gegnerischen Eingabe und nach Rücksprache mit seiner Mandantin vorbehalten. Als unbestritten gilt ferner, dass der Anwalt am 1. Dezember 2010, d.h. innert vier Arbeitstagen, noch schriftlich um Ansetzung einer Frist ersucht hat. Unter diesen Umständen kann weder ein Verzicht auf das Recht zur Stellungnahme noch eine Verwirkung desselben angenommen werden. Das Obergericht hat am 2. Dezember 2010 in der Sache entschieden und mit Schreiben vom gleichen Tag das Gesuch der Beschwerdeführerin um Anordnung eines zweiten Schriftenwechsels wegen des bereits erfolgten Entscheids in der Sache abgewiesen. Damit hat es die Beschwerdeführerin in Verletzung von Art. 29 Abs. 2 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK davon abgehalten, zu einer Eingabe der Beschwerdegegnerin Stellung zu nehmen. 
 
2.4 Das mit Art. 6 Ziff. 1 EMRK und Art. 29 Abs. 2 BV nicht zu vereinbarende Vorgehen lässt sich entgegen der Auffassung der Vorinstanz und der Beschwerdegegnerin auch nicht unter Hinweis auf Art. 84 Abs. 2 SchKG rechtfertigen, wonach der Richter sofort nach Eingang des Rechtsöffnungsgesuchs Gelegenheit zur mündlichen oder schriftlichen Stellungnahme eröffnet und danach innert 5 Tagen entscheidet. Bei dieser Frist handelt es sich um eine Ordnungsvorschrift (BGE 104 Ia 465 E. 3 S. 468; DANIEL STAEHELIN, Basler Kommentar SchKG I, 2. Aufl. 2010, N. 62 zu Art. 84 SchKG), die vor dem Anspruch der Beschwerdeführerin auf rechtliches Gehör nicht zuletzt im Lichte von Art. 6 Ziff. 1 EMRK grundsätzlich zurückzutreten hat (vgl. BGE 104 Ia 465 E. 3 S. 468; zuletzt bestätigt in Urteil 5D_69/2009 vom 3. September 2009 E. 2.3). 
 
2.5 Die Beschwerdegegnerin hält unter Berufung auf BGE 132 V 387 E. 5.1 S. 390 dafür, selbst bei einer schwerwiegenden Verletzung des rechtlichen Gehörs sei von einer Rückweisung wegen Verletzung dieser Verfahrensgarantie abzusehen, wenn die Rückweisung zu einem formalistischen Lehrlauf und damit zu unnötigen Verzögerungen führte. Das sei zu bejahen, wenn die Vorinstanz trotz Rückweisung höchstwahrscheinlich zum gleichen Ergebnis gelangte. 
Dieser Einwand scheitert vorliegend bereits daran, dass weder die Beschwerdegegnerin noch die Vorinstanz auf die Stellungnahme der Beschwerdeführerin eingehen und auch nicht abschätzen können, ob sie sich auf die Auffassung des Gerichts in der Sache auswirken kann. Das Obergericht hat sich denn auch nicht dahingehend geäussert, es werde bei einer Rückweisung erneut gleich entscheiden. Abgesehen davon erscheint fraglich, ob der Einwand der Beschwerdegegnerin im Lichte von Art. 6 Ziff. 1 EMRK noch zu hören ist, zumal das Recht auf Stellungnahme ungeachtet dessen besteht, ob die Stellungnahme das Sachgericht zu beeinflussen vermag. 
 
2.6 Angesichts der formellen Natur des Anspruchs auf rechtliches Gehör führt dies zur Aufhebung des angefochtenen Entscheids (BGE 135 I 190 E. 2.2, mit Hinweisen), zumal der Mangel im vorliegenden Beschwerdeverfahren infolge der beschränkten Kognition des Bundesgerichts nicht geheilt werden kann (BGE 126 I 68 E. 2 S. 72 die staatsrechtliche Beschwerde betreffend; Urteil 1C_326/2010 vom 19. Januar 2011 E. 2.5). Das Obergericht wird der Beschwerdeführerin nunmehr eine kurze Frist zur Stellungnahme zur Rekursantwort einzuräumen haben. 
 
3. 
Die Beschwerdegegnerin hat ausschliesslich um Abweisung der Beschwerde in der Sache ersucht und sich bezüglich der Verletzung des rechtlichen Gehörs eines Antrages enthalten. Dennoch ist sie in der Beschwerdeantwort ausführlich auf die Frage des rechtlichen Gehörs eingegangen und hat sich darin der Auffassung des Obergerichts über weite Strecken angeschlossen. Damit sind die Kosten des Verfahrens der Beschwerdegegnerin aufzuerlegen, die überdies die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche Verfahren zu entschädigen hat (Art. 66 Abs. 1 und Art. 68 Abs. 2 BGG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Beschwerde wird gutgeheissen und das Urteil des Obergerichts des Kantons Solothurn, Zivilkammer, vom 2. Dezember 2010 wird aufgehoben. Die Sache wird im Sinn der Erwägungen an die Vorinstanz zurückgewiesen. 
 
2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 7'000.-- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt. 
 
3. 
Die Beschwerdegegnerin hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 9'000.-- zu entschädigen. 
 
4. 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Solothurn, Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
Lausanne, 21. März 2011 
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Die Präsidentin: Der Gerichtsschreiber: 
 
Hohl Zbinden