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Eidgenössisches Versicherungsgericht 
Tribunale federale delle assicurazioni 
Tribunal federal d'assicuranzas 
 
Sozialversicherungsabteilung 
des Bundesgerichts 
 
Prozess 
{T 7} 
U 82/00 
 
Urteil vom 22. April 2002 
II. Kammer 
 
Besetzung 
Bundesrichter Meyer, Lustenberger und Ferrari; Gerichtsschreiberin Helfenstein Franke 
 
Parteien 
M.________, 1956, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Urs Späti, Stadthausgasse 16, 8200 Schaffhausen, 
 
gegen 
 
Schweizerische Unfallversicherungsanstalt, Fluhmattstrasse 1, 6004 Luzern, Beschwerdegegnerin 
 
Vorinstanz 
Versicherungsgericht des Kantons Aargau, Aarau 
 
(Entscheid vom 19. Januar 2000) 
 
Sachverhalt: 
A. 
Der 1956 geborene, gelernte Maschinenschlosser M.________ arbeitete seit Mai 1988 als Maschinist bei der Firma K.________ AG, und war bei der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) obligatorisch gegen die Folgen von Berufs- und Nichtberufsunfällen versichert. Am 9. November 1993 geriet er beim Reinigen einer Doppelwalze mit der linken Hand in die Walzenräder und erlitt dabei ein Degloving des linken Daumens und Quetschwunden im Bereich der Endglieder und -gelenke der Finger II, IV und V sowie eine Zerrung und Distraktionsverletzung der gesamten linken oberen Extremität. Operativ erfolgte am linken Daumen gleichentags eine Weichteildefektdeckung mit einem Vorderarmlappen im Spital X.________, wo M.________ bis 29. Dezember 1993 hospitalisiert war. Am 21. März 1994 wurde eine Resensibilisierung mittels eines neurovaskulären Insellappens von Finger III durchgeführt. Zur Abklärung und Behandlung weilte M.________ sodann vom 25. Mai bis 29. Juni 1994 und vom 10. bis 31. August 1994 in der Klinik Y.________ und vom 28. November bis 16. Dezember 1994 im Spital Z.________. Die SUVA sprach ihm mit Verfügung vom 30. April 1997 nebst einer Integritätsentschädigung von 20 % eine Invalidenrente auf der Basis einer Erwerbsunfähigkeit von 25 % ab dem 1. März 1997 zu. Ihre Leistungspflicht für die psychogene Beinträchtigung der Erwerbsfähigkeit lehnte sie ab, weil es sich dabei nicht um adäquate Folgen des Unfallereignisses handle. Auf Einsprache hin hielt die SUVA mit Entscheid vom 23. April 1998 an ihrem Standpunkt fest. 
B. 
Die hiegegen erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons Aargau mit Entscheid vom 19. Januar 2000 ab. 
C. 
M.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit folgenden Rechtsbegehren: 
 
"1. Das Urteil des Versicherungsgerichtes des Kantons Aargau vom 19. Januar 2000 sei aufzuheben. 
2. Über die Frage der Ursachen der psychogenen Störung des Beschwerdeführers sei eventuell ein weiteres Facharztgutachten einzuholen. 
3. Die Akten der Schweizerischen Invalidenversicherung IV, IV-Stelle des Kantons Aargau seien beizuziehen. 
4. Anschliessend sei dem Beschwerdeführer eine UVG-Invalidenrente auf der Basis einer dauernden hundertprozentigen Arbeitsunfähigkeit zuzusprechen. 
5. Dem Beschwerdeführer sei eine Integritätsentschädigung für eine hundertprozentige UVG-Invalidität zuzusprechen. 
6. Die Verfahrenskosten seien der Beschwerdegegnerin zu belasten. 
7. Dem Beschwerdeführer sei für seine anwaltlichen Bemühungen eine Prozessentschädigung zu gewähren." 
 
Die SUVA schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, während das Bundesamt für Sozialversicherung auf eine Vernehmlassung verzichtet. 
D. 
Am 22. April 2002 hat das Eidgenössische Versicherungsgericht eine parteiöffentliche Beratung durchgeführt. 
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 
1. 
Die Vorinstanz hat die Rechtsprechung zu dem für die Leistungspflicht des Unfallversicherers vorausgesetzten natürlichen (BGE 119 V 337 Erw. 1, 118 V 289 Erw. 1b, 117 V 376 Erw. 3a mit Hinweisen) und adäquaten Kausalzusammenhang (BGE 119 V 406 Erw. 4a, 118 V 290 Erw. 1c, 117 V 382 Erw. 4a mit Hinweisen) zwischen dem Unfallereignis und dem eingetretenen Schaden zutreffend dargelegt. Richtig sind auch die Hinweise auf die unfallbezogenen Kriterien, nach welchen sich praxisgemäss (BGE 115 V 138 ff. Erw. 6) beurteilt, ob es sich bei einer psychischen Fehlentwicklung um eine adäquate Unfallfolge handelt, für welche der Unfallversicherer einzustehen hat. Darauf wird ebenso verwiesen wie auf die vorinstanzlichen Erwägungen zum Beweiswert ärztlicher Gutachten. 
2. 
Die SUVA hat anerkannt, dass die gesundheitlichen Beschwerden, soweit sie den Zustand der linken Hand, insbesondere des Daumens, und das Arm-/ Schulter-Syndrom betreffen, auf den Unfall vom 9. November 1993 zurückzuführen sind. Die Anstalt hat deshalb, nebst einer Integritätsentschädigung von 20 %, eine Invalidenrente auf der Basis einer Erwerbsunfähigkeit von 25 % zugesprochen. Gegenstand des Verfahrens bildet die Frage, ob die SUVA auch für die Symptomausweitung zu einem die ganze linke Körperhälfte befallenden Schmerzkomplex leistungspflichtig wird. Dabei kann auf Grund der von SUVA und Vorinstanz beigezogenen Arztberichte und Gutachten, insbesondere der psychiatrischen Administrativexpertise des Dr. med. S.________ als erstellt gelten, dass es sich beim Halbseiten-Schmerzzsyndrom, das sich nach dem Unfallereignis entwickelte, um eine natürliche Folge des versicherten Unfallereignisses handelt (BGE 119 V 337 Erw. 1, 118 V 289 Erw. 1b). Zu prüfen bleibt einzig, ob diese gesundheitliche Störung auch in einem adäquaten Kausalzusammenhang zum Unfall vom 9. November 1993 steht. 
 
3. 
3.1 Unbestritten ist der am 9. November 1993 erlittene Unfall als mittelschwer einzustufen. Für die Bejahung der Adäquanz ist daher erforderlich, dass ein einzelnes der von der Rechtsprechung herausgearbeiteten unfallbezogenen Kriterien (BGE 115 V 140 Erw. 6c) in besonders ausgeprägter Weise erfüllt ist oder mehrere dieser Kriterien in gehäufter oder auffallender Weise gegeben sind. 
3.2 Die Vorinstanz gelangte im angefochtenen Entscheid zum Schluss, diese Voraussetzungen seien nicht erfüllt. Sie verneinte nicht nur die Eindrücklichkeit des Unfalles, da der Beschwerdeführer mit der Maschine, an welcher der Unfall passierte, vertraut gewesen sei, sondern sprach der Daumenverletzung auch eine besondere Schwere ab, sei doch die adominante Hand betroffen und könnten die Folgen durch operative Behandlung in Grenzen gehalten werden. Zur langen Dauer bemerkte sie, auf Grund der zwei einwöchigen Aufenthalte in der Klinik Y.________ könne eine solche nicht bejaht werden, ebensowenig wie ein schwieriger Heilungsverlauf, wobei insbesondere die späteren therapeutischen Probleme psychisch bedingt seien und deshalb nicht als Komplikationen betrachtet werden könnten. 
3.2.1 Beim Unfall geriet der Beschwerdeführer mit seiner linken Hand in die Doppelwalze. Dabei wurde die Hand schwer verletzt; gleichzeitig drohte der ganze Arm hineingezogen zu werden, was der Versicherte nur durch noch rechtzeitiges Erreichen des Ausschaltknopfes mit der anderen Hand verhindern konnte. Dem Unfallereignis kann eine gewisse Dramatik nicht abgesprochen werden und es ist auch begreiflich, wenn der Versicherte den Unfall subjektiv als bedrohlich erlebt hat, obwohl die erlittene Verletzung nicht direkt lebensbedrohend war. Indes sind eine besondere Eindrücklichkeit oder besonders dramatische Begleitumstände nicht gegeben, wie sich auch aus dem Vergleich mit ähnlichen Fällen (z.B. Urteil B. vom 19. Januar 2001, U 69/99) ergibt. 
3.2.2 Nach den medizinischen Akten ist davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer beim Unfallgeschehen vom 9. November 1993 eine Traktions- oder Distorsionsverletzung der gesamten linken oberen Extremität sowie Verletzungen an der linken Hand erlitt. Neben Quetschwunden im Bereich der Endglieder und -gelenke der Langfinger II, IV und V zog er sich insbesondere ein Degloving des Daumens zu, wobei dieser bis auf Höhe der Grundgelenke völlig denudiert war. Noch am Unfalltag wurde die Daumenblessur ein erstes Mal operativ behandelt, indem eine Weichteilrekonstruktion mittels Deckung durch einen Vorderarmlappen erfolgte. 
 
Körperliche Dauerschmerzen sind nicht ausgewiesen. Es fragt sich weiter, ob das Kriterium der besonderen Art der erlittenen Verletzung, namentlich ihre erfahrungsgemässe Eignung, psychische Fehlentwicklungen auszulösen, gegeben ist. Dazu ist einerseits festzuhalten, dass für manuell tätige Versicherte schwere Handverletzungen erfahrungsgemäss oft besonders traumatisierend wirken (RKUV 1999 Nr. U 346 S. 428 mit Hinweis). Andererseits ist gemäss Urteil L. vom 22. November 2001, U 25/99, auch bei Handwerkern für die Beurteilung der besonderen Art der Verletzung auf die gesamten Umstände des Einzelfalles abzustellen. So ist hier wesentlich, dass der Versicherte Rechtshänder ist und die Verletzung an seiner linken adominanten Hand erlitten hat. Zudem ist das Behandlungsresultat zu berücksichtigen. Dieses ist hier, wie ärztlicherseits eingestanden wird, objektiv insofern ungünstig, als sich der Daumen hässlich, plump, einem normalen Daumen unähnlich präsentiert. Nicht ausser Acht zu lassen ist indes, dass der Daumen resensibilisiert werden konnte und auch die Funktionsfähigkeit erhalten wurde. Es kann deshalb nicht nur auf das ästhetisch unschöne Behandlungsresultat abgestellt werden. Zudem wären weitere operative Eingriffe zur Verbesserung des Resultats angezeigt und auch ohne besondere Risiken möglich gewesen, wie sie die rekonstruktive Chirurgie zur ästhetischen Korrektur erlaubt; diese wurden jedoch seitens des Beschwerdeführers abgelehnt. Die erlittenen Verletzungen sind vergleichbar mit denjenigen im unveröffentlichten Urteil K. vom 17. Dezember 1996, U 185/96, in welchem die besondere Art und Schwere der Verletzung ebenfalls verneint worden war. Unter Berücksichtigung aller Umstände muss deshalb das Adäquanzkriterium der Schwere oder besonderen Art der Verletzung verneint werden. 
3.2.3 Was im Weiteren die ungewöhnlich lange Dauer der ärztlichen Behandlung betrifft, ist zunächst festzuhalten, dass entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers mit einer Arbeitsunfähigkeit von 100 % während eines Jahres nicht von vornherein das Kriterium der schweren Verletzung oder der langen Dauer der ärztlichen Behandlung erfüllt ist. Vielmehr sind auch hier alle Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen. Bei der medizinischen Behandlung selbst, den beiden von Fachärzten in Lokalanästhesie lege artis vorgenommenen operativen Eingriffen am geschädigten Daumen, traten keine Komplikationen auf. Erst nach den Operationen ergaben sich erhebliche Schwierigkeiten; der Verlauf war protrahiert. Indes verzögerte sich die Wundheilung auch auf Grund des Verhaltens des Beschwerdeführers, indem er beispielsweise entgegen den Empfehlungen der Ärzte das Rauchen nicht unterliess. Zudem war der protrahierte Heilungsverlauf wesentlich auch psychisch bedingt; allein auf Grund der physisch bedingten Beeinträchtigung kann das Kriterium von Grad und Dauer der Arbeitsunfähigkeit nicht als erfüllt betrachtet werden (vgl. RKUV 2001 Nr. U 442 S. 544 ff). Selbst wenn jedoch davon auszugehen wäre, dass beim Beschwerdeführer der Heilungsverlauf langwierig war, so ist dieses Kriterium jedenfalls nicht in besonders ausgeprägter Weise erfüllt. Da somit weder ein Beurteilungskriterium in besonders ausgepägter Weise erfüllt ist noch mehrere der massgebenden Kriterien erfüllt sind, ist die Unfalladäquanz der bestehenden psychischen Beschwerden zu verneinen. 
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: 
 
1. 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen. 
2. 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt. 
Luzern, 22. April 2002 
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts 
Der Vorsitzende der II. Kammer: Die Gerichtsschreiberin: