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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
6B_557/2009 
 
Urteil vom 14. August 2009 
Strafrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Favre, Präsident, 
Bundesrichter Schneider, Mathys, 
Gerichtsschreiber Störi. 
 
Parteien 
X.________, vertreten durch Rechtsanwalt Simon Iseli, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen 
 
Generalprokurator des Kantons Bern, 3001 Bern, 
Beschwerdegegner. 
 
Gegenstand 
Anordnung der Rückversetzung bezüglich Strafrest, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Bern, 2. Strafkammer, vom 3. März 2009. 
 
Sachverhalt: 
 
A. 
Die Gerichtspräsidentin 1 des Gerichtskreises III Aarberg-Büren-Erlach sprach X.________ am 25. September 2008 des Betrugs, der Urkundenfälschung und der Widerhandlung gegen das SVG schuldig. Sie ordnete die Rückversetzung in Bezug auf den Strafrest von 2 Jahren, 2 Monaten und 2 Tagen Zuchthaus an, welcher nach der vom Justiz- und Sicherheitsdepartement des Kantons Luzern am 30. Dezember 2003 verfügten bedingten Entlassung aus dem Strafvollzug vom 5. Januar 2004 noch offen war. Sie verurteilte X.________, unter Einbezug der Rückversetzung, zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren, 8 Monaten und zwei Tagen. 
 
Auf Appellation von X.________ hin bestätigte das Obergericht des Kantons Bern die erstinstanzliche Verurteilung, ordnete die Rückversetzung bezüglich des Strafrestes von 2 Jahren, 2 Monaten und 2 Tagen an und verurteilte ihn im Sinne einer Gesamtstrafe nach Art. 89 Abs. 6 i.V.m. Art. 49 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 27 Monaten. 
 
B. 
Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt X.________, von der Rückversetzung abzusehen und ihn zu einer Freiheitsstrafe von 6 Monaten zu verurteilen. Er ersucht um unentgeltliche Rechtspflege und Verteidigung. 
 
C. 
Vernehmlassungen wurden keine eingeholt. 
 
Erwägungen: 
 
1. 
Das Obergericht ordnete im angefochtenen Entscheid die Rückversetzung in Bezug auf Strafen an, die der Beschwerdeführer vor dem Inkrafttreten des revidierten Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuches am 1. Januar 2007 erwirkt hatte. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts gehört indessen Art. 89 StGB über die Rückversetzung ebenso wie Art. 86 StGB über die bedingte Entlassung zu den Bestimmungen über das Vollzugsregime, welche auch auf altrechtliche Strafen anwendbar sind (BGE 133 IV 201 E. 2.1; Entscheid des Bundesgerichts 6B_303/2007 vom 6. Dezember 2007 E. 4). Das Obergericht hat die Rückversetzung des Beschwerdeführers zu Recht nach dem neurechtlichen Art. 89 StGB beurteilt. 
 
2. 
2.1 Hat sich der bedingt Entlassene bis zum Ablauf der Probezeit bewährt, so ist er endgültig zu entlassen (Art. 88 StGB). Begeht er während der Probezeit ein Verbrechen oder Vergehen, so ordnet das für die Beurteilung der neuen Tat zuständige Gericht die Rückversetzung an (Art. 89 Abs. 1 StGB). Ist trotz des während der Probezeit begangenen Verbrechens oder Vergehens nicht zu erwarten, dass der Verurteilte weitere Straftaten begehen wird, so verzichtet das Gericht auf eine Rückversetzung (Art. 89 Abs. 2 Satz 1 StGB). 
 
Nach dieser Regelung ist die Rückversetzung grundsätzlich anzuordnen, wenn der bedingt Entlassene während der Probezeit ein Verbrechen oder Vergehen begangen hat, es sei denn, es handle sich um eine blosse "Zufallstat", die nicht unbesehen darauf schliessen lässt, er werde weiter delinquieren. Angesichts der bloss relativen Sicherheit von Legalprognosen dürfen an die Erwartung, dass keine weiteren Straftaten begangen werden, keine übermässig hohen Anforderungen gestellt werden. Wie beim Entscheid über die bedingte Entlassung muss genügen, wenn dies vernünftigerweise erwartet werden darf. Für die prognostische Bewertung der neuen Straftat (Art. 89 Abs. 2 StGB) können die vom Bundesgericht entwickelten Prognosekriterien für die Gewährung des bedingten Strafvollzuges (Art. 42 Abs. 1 StGB) beigezogen werden. So ist bei der Prüfung, ob der Verurteilte für ein dauerndes Wohlverhalten Gewähr bietet, eine Gesamtwürdigung aller wesentlichen Umstände vorzunehmen. In die Beurteilung mit einzubeziehen sind neben den Tatumständen auch das Vorleben und der Leumund sowie alle weiteren Tatsachen, die gültige Schlüsse auf den Charakter des Täters und die Aussichten seiner Bewährung zulassen. Für die Einschätzung des Rückfallrisikos ist ein Gesamtbild der Täterpersönlichkeit unerlässlich. 
 
Relevante Faktoren sind etwa strafrechtliche Vorbelastung, Sozialisationsbiographie und Arbeitsverhalten, das Bestehen sozialer Bindungen, Hinweise auf Suchtgefährdungen usw. Dabei sind die persönlichen Verhältnisse bis zum Zeitpunkt des Entscheides mit einzubeziehen. Es ist unzulässig, einzelnen Umständen eine vorrangige Bedeutung beizumessen und andere zu vernachlässigen oder überhaupt ausser Acht zu lassen. Wie bei der Strafzumessung (Art. 50 StGB) müssen die Gründe im Urteil so wiedergegeben werden, dass sich die richtige Anwendung des Bundesrechts überprüfen lässt (BGE 134 IV 1 E. 3.3.1). Bei der Beurteilung der Bewährungsaussicht steht dem zuständigen Gericht ein Ermessensspielraum zu. Das Bundesgericht greift in die Beurteilung nur ein, wenn das Gericht sein Ermessen über- oder unterschritten oder missbraucht und damit Bundesrecht verletzt hat. Eine Ermessensüberschreitung kann etwa darin liegen, auf eine Gesamtwürdigung aller für die Prognose relevanten Umstände zu verzichten und auf die Vorstrafen allein abzustellen (BGE 133 IV 201 E. 2.3; zum Ganzen und mit weiteren Hinweisen: Entscheid des Bundesgerichts 6B_303/2007 vom 6. Dezember 2007 E. 6). 
 
2.2 Der am 5. Januar 2004 bedingt entlassene Beschwerdeführer hat unbestrittenermassen während der Probezeit delinquiert, was nach der Überzeugung des Obergerichts weitere Straftaten erwarten lässt. Es hat dazu, teilweise unter Verweis auf das erstinstanzliche Urteil, erwogen (angefochtener Entscheid S. 29 ff.), der Beschwerdeführer habe seit 1978 immer wieder schwere Vermögensdelikte und damit verbundene Urkundenfälschungen begangen. Die neu zu beurteilenden, während der Halbfreiheit und der Probezeit begangenen Straftaten würden sich nahtlos daran anschliessen. Er habe sich auch von mehrjährigen Freiheitsstrafen nicht beeindrucken lassen, und die ihm durch Strafaufschub, ambulante Behandlung und bedingte Entlassung eingeräumten Chancen, sich zu bewähren, habe er nie wahrgenommen. 1996 sei er knapp einer altrechtlichen Verwahrung als Gewohnheitsverbrecher entgangen. Es sei daher davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer ein festgefahrenes Verhaltensmuster aufweise, das die letzten 30 Jahre seines Lebens geprägt habe, nach welchem Delinquenz auch während der Probezeit typisch sei. Zwar habe sich der Beschwerdeführer seit gut drei Jahren bewährt, wobei zu berücksichtigen sei, dass er unter gesundheitlichen Problemen gelitten und sich zwei Diskushernieoperationen habe unterziehen müssen. Es habe zudem bereits in der Vergangenheit vergleichbare Zeitperioden gegeben, in denen er nicht delinquiert habe. Weder das fortgeschrittene Alter des am 29. November 1943 geborenen Beschwerdeführers noch sein angeschlagener Gesundheitszustand könnten die Prognose verbessern, da Vermögensdelikte keine besondere physische Leistungsfähigkeit voraussetzten. 
 
Der Beschwerdeführer machte zwar geltend, er habe seine selbständige Tätigkeit aufgegeben und sich pensionieren lassen, womit er sämtliche Schnittstellen aufgegeben habe, die ihn früher mit dem Gesetz in Konflikt gebracht hätten. Er lebe nunmehr ein zwar bescheidenes, aber stabiles Leben, pflege Kontakte zu seinen Kindern, wenigen Kollegen und einer Frau, weshalb mit allergrösster Wahrscheinlichkeit davon ausgegegangen werden könne, er begehe in Zukunft keine Straftaten mehr. Diese Einwände überzeugten das Obergericht nicht. Es bezweifelt, dass dem Beschwerdeführer eine AHV-Rente von monatlich 2'500 Franken genügt, um seine Bedürfnisse zu decken, und hält seine finanzielle Situation, auch abgesehen von seinem millionenschweren Schuldenberg, für prekär. Es hält die Gefahr für gross, dass er versuchen könnte, sich durch eine selbständige Tätigkeit einen Zustupf zu erwirtschaften und dabei rasch wieder ins alte, kriminelle Fahrwasser geraten würde. Nicht ersichtlich ist für das Obergericht, inwiefern ihn seine guten Kontakte zu seinen Kindern davon abhalten könnten, da er solche immer gepflegt und trotzdem Straftaten begangen habe. 
 
2.3 Diese Erwägungen sind plausibel und bundesrechtskonform. Der Beschwerdeführer wiederholt in der Beschwerde im Wesentlichen bloss bereits die in der Berufung vorgebrachten Einwände. Das Obergericht hat nachvollziehbar und zutreffend dargelegt, dass und weshalb das Hauptargument des Beschwerdeführers - er sei nunmehr pensioniert und gehe keiner selbständigen Erwerbstätigkeit mehr nach, welche ihn zu kriminellen Handlungen hinreissen lassen könnte - nicht stichhaltig ist. Selbst wenn er, was nicht feststeht, AHV-Ergänzungsleistungen beziehen könnte, würde dies seine prekäre finanzielle Situation zwar etwas verbessern, angesichts seiner hohen Schulden aber keineswegs entscheidend verändern. Die Einschätzung des Obergerichts, der Beschwerdeführer könnte nach alter (schlechter) Gewohnheit wiederum versuchen, sich durch kriminelle Machenschaften ein Zusatzeinkommen zu verschaffen, würde daher durch den allfälligen Bezug von Ergänzungsleistungen nicht entkräftet. Seine zusammenfassende Würdigung, die vom Beschwerdeführer während der Probezeit begangenen, für ihn typischen Straftaten würden eine günstige Prognose und damit ein Absehen von der Rückversetzung nicht erlauben, ist nicht zu beanstanden. 
 
Unerfindlich ist in diesem Zusammenhang die Berufung auf die Unschuldsvermutung, betreffen deren Garantien doch das Verfahren vor einer rechtskräftigen Verurteilung, nicht das Rücksetzungsverfahren nach Art. 89 Abs. 1 und 2 StGB (Mark Villiger, Handbuch der EMRK, 2.A. Zürich 1999, N. 401 S. 255). 
 
3. 
Die Beschwerde ist somit abzuweisen. Bei diesem Ausgang des Verfahrens trägt der Beschwerdeführer die Kosten (Art. 66 Abs. 1 BGG). Er hat zwar ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege gestellt, welches indessen abzuweisen ist, da die Beschwerde aussichtslos war (Art. 64 Abs. 1 BGG). Den finanziellen Verhältnissen wird bei der Bemessung der Kosten Rechnung getragen. 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2. 
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird abgewiesen. 
 
3. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
4. 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Bern, 2. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
Lausanne, 14. August 2009 
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: 
 
Favre Störi