Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet. Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
Zurück zur Einstiegsseite Drucken
Grössere Schrift
 
 
Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
1B_393/2022  
 
 
Urteil vom 30. Juni 2023  
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Müller, präsidierendes Mitglied, 
Bundesrichter Haag, Kölz, 
Gerichtsschreiberin Kern. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Staatsanwaltschaft für Wirtschaftsstraffälle und Organisierte Kriminalität des Kantons Thurgau, Maurerstrasse 2, 8510 Frauenfeld. 
 
Gegenstand 
Strafverfahren; Entsiegelung, 
 
Beschwerde gegen die Verfügung des Zwangsmassnahmengerichts des Kantons Thurgau, Zwangsmassnahmenrichter, vom 24. Juni 2022 (W5.2022.3/4). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Die Staatsanwaltschaft für Wirtschaftsstraffälle und Organisierte Kriminalität führt ein Strafverfahren gegen A.________ wegen Misswirtschaft, Unterlassung der Buchführung, mehrfacher Veruntreuung, mehrfacher Zechprellerei, mehrfacher Beschimpfung und Täuschung der Behörden. Die Kantonspolizei Thurgau stellte am 28. April 2022 bei Hausdurchsuchungen unter anderem ein Mobiltelefon der Marke Samsung, ein iPhone, ein iPad und einen Ordner mit Unterlagen sicher. A.________ beantragte am 3. Mai 2022 respektive 10. Mai 2022 deren Siegelung, zog seinen Siegelungantrag in Bezug auf das Mobiltelefon der Marke Samsung aber wieder zurück. Die Staatsanwaltschaft siegelte daraufhin das iPhone (Siegelungsnr. 2036) und das iPad (Siegelungsnr. 2037). Dagegen lehnte sie die Siegelung des sichergestellten Ordners mit Verfügung vom 27. Mai 2022 ab. 
 
B.  
Mit Eingabe vom 23. Mai 2022 beantragte die Staatsanwaltschaft die Entsiegelung des iPhones und des iPads beim Zwangsmassnahmengericht des Kantons Thurgau (Verfahren W5.2022.3). Am 30. Mai 2022 ersuchte sie zudem um Entsiegelung des sichergestellten Ordners für den Fall, dass eine allfällige Beschwerde gegen die Ablehnung der Siegelung desselben gutgeheissen würde (Verfahren W5.2022.4). Mit Verfügung vom 24. Juni 2022 vereinigte das Zwangsmassnahmengericht die beiden Verfahren (Dispositiv-Ziffer 1) und schrieb das Entsiegelungsverfahren "zufolge unzulässigen Widerrufs des Verzichts auf die Versiegelung respektive infolge Gegenstandslosigkeit des Entsiegelungsgesuchs" als erledigt ab (Dispositiv-Ziffer 2). 
 
C.  
Mit eigenhändiger Beschwerde in Strafsachen beantragt A.________ vor Bundesgericht, den Entscheid vom 24. Juni 2022 aufzuheben und das Zwangsmassnahmengericht anzuweisen, auf seine "Beschwerde einzutreten". 
Die Vorinstanz schliesst auf Abweisung der Beschwerde und hat im Übrigen auf Vernehmlassung verzichtet. Die Generalstaatsanwaltschaft schliesst mit Vernehmlassung vom 26. August 2022 ebenfalls auf Abweisung der Beschwerde. Der Beschwerdeführer hat mit Eingabe vom 10. November 2022 repliziert. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Gegen die angefochtene Verfügung steht gemäss Art. 78 Abs. 1 BGG die Beschwerde in Strafsachen offen. Ein kantonales Rechtsmittel steht nicht zur Verfügung. Die Beschwerde ist nach Art. 248 Abs. 3 lit. a i.V.m. Art. 380 StPO und Art. 80 Abs. 2 BGG zulässig. Der Beschwerdeführer ist gemäss Art. 81 Abs. 1 lit. a und b Ziff. 1 BGG zur Beschwerde berechtigt. Da er rechtlich geschützte Geheimnisinteressen hinreichend substanziiert anruft, kann ihm das angefochtene Urteil einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG verursachen (BGE 143 IV 462 E. 1; Urteil 1B_427/2018 vom 11. Februar 2019 E. 1.2 mit Hinweisen). Da auch die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind, ist auf die Beschwerde grundsätzlich und unter Vorbehalt der nachfolgenden Erwägungen einzutreten.  
 
1.2. Die Beschwerde an das Bundesgericht hat Rechtsbegehren zu enthalten (Art. 42 Abs. 1 BGG). Diese sind unter Berücksichtigung der Beschwerdebegründung nach dem Vertrauensprinzip auszulegen (BGE 137 II 313 E. 1.3; 136 V 131 E. 1.2). Der Antrag des Beschwerdeführers, die Vorinstanz sei anzuweisen, auf seine "Beschwerde" einzutreten, ist insofern unklar, als die Vorinstanz im kantonalen Verfahren keine Beschwerde, sondern das Entsiegelungsgesuch der Staatsanwaltschaft zu beurteilen hatte. Der Beschwerdeführer macht in seiner Beschwerdebegründung im Wesentlichen geltend, dass er die Siegelung gültig beantragt habe. Es ist somit davon auszugehen, dass er beantragen wollte, die Vorinstanz sei anzuweisen, auf das Entsiegelungsgesuch der Staatsanwaltschaft einzutreten.  
 
1.3. Die Beschwerde ist nur im Rahmen des Streitgegenstands zulässig. Dieser wird durch das Anfechtungsobjekt, d.h. den angefochtenen Entscheid, und die Parteibegehren bestimmt, wobei der angefochtene Entscheid den möglichen Streitgegenstand begrenzt (vgl. BGE 142 I 155 E. 4.4.2; Urteil 1B_78/2022 vom 2. März 2022 E. 1.2; je mit Hinweisen). Gegenstand des vorliegenden Verfahrens bildet allein die Frage, ob die Vorinstanz das Beschwerdeverfahren als gegenstandslos hat abschreiben dürfen bzw. ob sie auf das Entsiegelungsgesuch hätte eintreten müssen. Auf Rügen des Beschwerdeführers, die über diesen Streitgegenstand hinausgehen, kann deshalb nicht weiter eingegangen werden.  
 
1.4. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG), prüft die bei ihm angefochtenen Entscheide aber grundsätzlich nur auf Rechtsverletzungen hin, die von der beschwerdeführenden Person geltend gemacht und substanziiert begründet werden (vgl. Art. 42 Abs. 2 BGG). Der Beschwerdeführer bringt unter anderem vor, die Verfahren W5.2022.3 und W5.2022.4 seien getrennt zu behandeln. Es ist unklar, ob er damit die Verfahrensvereinigung im kantonalen Verfahren zu kritisieren wünscht oder die Trennung der Verfahren vor Bundesgericht beantragt. Die Frage kann offenbleiben; in Ermangelung einer Begründung ist darauf nicht weiter einzugehen.  
 
2.  
Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Die vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellung kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). "Offensichtlich unrichtig" bedeutet dabei "willkürlich" (BGE 147 IV 73 E. 4.1.2; 145 IV 154 E. 1.1; 143 IV 241 E. 2.3.1 mit Hinweis). 
 
3.  
 
3.1. Gemäss Art. 248 StPO sind Aufzeichnungen und Gegenstände, die nach Angaben der Inhaberin oder des Inhabers wegen eines Aussage- oder Zeugnisverweigerungsrechts oder aus anderen Gründen nicht durchsucht oder beschlagnahmt werden dürfen, zu versiegeln und dürfen von den Strafbehörden weder eingesehen noch verwendet werden (Abs. 1). Stellt die Strafbehörde nicht innert 20 Tagen ein Entsiegelungsgesuch, so werden die versiegelten Aufzeichnungen und Gegenstände der berechtigten Person zurückgegeben (Abs. 2). Stellt sie ein Entsiegelungsgesuch, so entscheidet im Vorverfahren darüber innerhalb eines Monats endgültig das Zwangsmassnahmengericht (Abs. 3 lit. a).  
Der Inhaber bzw. die Inhaberin von sichergestellten Aufzeichnungen und Gegenständen muss die Siegelung sofort beantragen. Ein mehrere Wochen oder Monate nach der vorläufigen Sicherstellung eingereichtes Siegelungsgesuch ist grundsätzlich verspätet. Demgegenüber kann ein Gesuch, das eine Woche danach gestellt wird, noch als rechtzeitig angesehen werden. Es kommt dabei auf die Umstände des Einzelfalles an. Damit die betroffene Person wirksam um Siegelung ersuchen kann, muss sie von den Strafbehörden rechtzeitig und ausreichend über ihre Siegelungsrechte informiert werden. Dies gilt insbesondere bei juristischen Laien (Urteile 1B_564/2022, 1B_569/2022 vom 14. Februar 2023 E. 3.1; 1B_381/2022 vom 3. November 2022 E. 2 mit Hinweisen). Die Information ist zu protokollieren (vgl. Art. 143 Abs. 1 lit. c und Abs. 2 StPO) und hat in verständlicher Weise zu erfolgen; ein blosser Abdruck von Gesetzesbestimmungen auf der Rückseite des von der betroffenen Person unterzeichneten Formulars vermag diesen Anforderungen regelmässig nicht zu genügen (Urteile 1B_277/2021 vom 17. August 2021 E. 2.3; 1B_85/2019 vom 8. August 2019 E. 4.2: je mit Hinweisen). 
 
3.2. Die Vorinstanz hält im angefochtenen Entscheid fest, der Beschwerdeführer habe bei der Hausdurchsuchung vom 28. April 2022 zwei Hausdurchsuchungsbefehle erhalten, mit denen er auf das Siegelungsrecht hingewiesen worden sei. Er habe im Durchsuchungs- und Sicherstellungsprotokoll zunächst vermerken lassen, dass er sich betreffend Siegelung mit seinem Rechtsvertreter absprechen wolle, bevor er eine Entscheidung treffe. Bei der anschliessenden Befragung habe er aber am gleichen Tag noch erklärt, dass er auf die Siegelung verzichte. Anlässlich der Einvernahme vom 3. Mai 2022 habe er wiederum nachträglich die Siegelung des iPhones und des iPads verlangt und dabei auf Nachfrage erklärt, er habe die Siegelung nicht schon früher verlangt, weil er nach der Hausdurchsuchung "nervlich völlig aufgebracht" und "angeschlagen" gewesen sei. Die Vorinstanz erwägt, dass die Strafbehörden den Beschwerdeführer rechtzeitig über sein Siegelungsrecht informiert hätten und ein gültiger Verzicht vorliege. Der Beschwerdeführer habe damit sein Recht auf Siegelung verwirkt. Des Weiteren sei gegen die Verfügung der Staatsanwaltschaft vom 27. Mai 2022 keine Beschwerde eingereicht worden. Das Entsiegelungsgesuch sei deshalb auch insoweit gegenstandslos geworden.  
 
3.3. Der Beschwerdeführer rügt eine willkürliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhaltes und sinngemäss eine Verletzung von Art. 248 StPO. Er macht geltend, entgegen der Auffassung der Vorinstanz habe er nach der Hausdurchsuchung nur bei einem "Gerät" auf die Siegelung verzichtet; für die anderen beiden "digitalen Geräte" habe er die Siegelung verlangt. Nachdem er sich mit seinem Rechtsbeistand besprochen habe, habe er bei seiner Befragung vom 3. Mai 2022 nochmals explizit die Siegelung beantragt. Seiner Ansicht nach hat er damit entgegen der Auffassung der Vorinstanz sein Recht auf Siegelung nicht verwirkt. Zudem habe er seinen Rechtsbeistand instruiert, gegen die Verfügung der Staatsanwaltschaft vom 27. Mai 2022 Beschwerde einzureichen. Sofern dieser seiner Anweisung nicht fristgerecht nachgekommen sei, könne ihm das nicht entgegengehalten werden.  
 
3.4. Der Argumentation des Beschwerdeführers kann nicht gefolgt werden: Aus den Vorakten geht hervor, dass er am 28. April 2022 eine "Empfangsbestätigung" mit Informationen über seine Siegelungsrechte unterzeichnete. Im Durchsuchungs- und Sicherstellungsprotokoll desselben Datums wurde vermerkt, dass er sich betreffend die Siegelung "mit seinem Anwalt" besprechen möchte. Wie aus dem Einvernahmeprotokoll vom 28. April 2022 hervorgeht, wurde der Beschwerdeführer noch am gleichen Tag von der Kantonspolizei im Beisein seiner Rechtsbeiständin einvernommen. Auf die Frage, ob er nun die Siegelung verlange, nachdem er während der Hausdurchsuchung den Wunsch geäussert habe, sich diesbezüglich mit seiner Rechtsbeiständin zu besprechen, antwortete der Beschwerdeführer gemäss Einvernahmeprotokoll, dass er auf die Siegelung "sämtlicher sichergestellter Gegenstände" verzichte und lediglich wünsche, die elektronischen Geräte so rasch wie möglich zurückzubekommen, da er sie für seine Arbeit und den täglichen Gebrauch benötige. Das Einvernahmeprotokoll wurde vom Beschwerdeführer paraphiert und unterzeichnet. Bei dieser Sachlage ist nicht ersichtlich, inwiefern die Vorinstanz bei der Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts in Willkür verfallen sein soll.  
Da der Beschwerdeführer somit hinreichend über seine Siegelungsrechte informiert worden war, ist nach der zitierten Rechtsprechung auch nicht zu beanstanden, dass die Vorinstanz im angefochtenen Entscheid von einem rechtsgültigen Verzicht auf Siegelung ausgeht. Die Staatsanwaltschaft hätte somit dem nachträglich gestellten Siegelungsantrag keine Folge leisten müssen bzw. durfte den Siegelungsantrag vom 10. Mai 2022 ablehnen (vgl. Urteil 1B_144/2020 vom 22. April 2020 E. 2). Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers hat die Vorinstanz somit kein Bundesrecht verletzt, indem sie das Entsiegelungsverfahren als gegenstandslos geworden abgeschrieben hat. 
 
4.  
Nach dem Vorangegangenen ist die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind die Gerichtskosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 und Art. 68 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3.  
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft für Wirtschaftsstraffälle und Organisierte Kriminalität des Kantons Thurgau und dem Zwangsmassnahmengericht des Kantons Thurgau, Zwangsmassnahmenrichter, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 30. Juni 2023 
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Das präsidierende Mitglied: Müller 
 
Die Gerichtsschreiberin: Kern