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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                 
 
 
1B_147/2020  
 
 
Urteil vom 22. April 2020  
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Chaix, Präsident, 
Bundesrichter Fonjallaz, Kneubühler, 
Gerichtsschreiber Härri. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführer, 
vertreten durch Advokat Dr. Stefan Suter, 
 
gegen  
 
Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt. 
 
Gegenstand 
Vorzeitiger Strafvollzug, 
 
Beschwerde gegen die Verfügung der Appellationsgerichtspräsidentin des Kantons 
Basel-Stadt vom 6. März 2020 (SB.2018.52). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Die Staatsanwaltschaft Basel-Stadt führte eine Strafuntersuchung gegen A.________ insbesondere wegen des Verdachts der häuslichen Gewalt zum Nachteil seiner Ehefrau. 
Vom 3. bis zum 6. August 2015 befand er sich in Polizeigewahrsam. Am 15. März 2017 nahm ihn die Polizei erneut fest. Mit Verfügung vom 17. März 2017 versetzte ihn das Zwangsmassnahmengericht des Kantons Basel-Stadt in Untersuchungshaft, welche es zweimal verlängerte. Am 15. August 2017 bewilligte die Staatsanwaltschaft A.________ den vorzeitigen Strafvollzug. 
 
B.  
Am 11. Januar 2018 erkannte das Strafgericht des Kantons Basel-Stadt A.________ schuldig der versuchten schweren Körperverletzung, der mehrfachen einfachen Körperverletzung, der mehrfachen Tätlichkeiten, der mehrfachen Nötigung, der Gewalt und Drohung gegen Beamte sowie der Übertretung des Betäubungsmittelgesetzes. Es erklärte eine im Jahr 2013 wegen Verletzungen des Strassenverkehrsgesetzes ausgesprochene bedingte Freiheitsstrafe von 8 Monaten für vollziehbar und verurteilte A.________ unter deren Einbezug zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 4 ¼ Jahren sowie zu einer Busse von Fr. 2'000.--. 
Auf Berufung von A.________ und Anschlussberufung der Staatsanwaltschaft hin verurteilte ihn das Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt am 27. Februar 2019 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 4 ½ Jahren und zu einer Busse von Fr. 2'000.--. 
Hiergegen erhob A.________ Beschwerde beim Bundesgericht. Die Sache ist bei dessen Strafrechtlicher Abteilung hängig (Verfahren 6B_745/2019). 
 
C.  
Am 6. Dezember 2019 ersuchte A.________ um Haftentlassung nach Verbüssung von zwei Dritteln der vom Appellationsgericht ausgesprochenen Freiheitsstrafe, d.h. per 11. März 2020. 
Am 6. März 2020 wies die Appellationsgerichtspräsidentin das Gesuch ab. Sie verfügte, die Haft bleibe aufrecht bis zur Feststellung der Rechtskraft des Urteils bzw. bis zum Ablauf der Dauer der mit Urteil des Appellationsgerichts vom 27. Februar 2019 nicht rechtskräftig verhängten Freiheitsstrafe. Die Appellationsgerichtspräsidentin bejahte den dringenden Tatverdacht und Wiederholungsgefahr. Die Dauer der Haft erachtete sie als verhältnismässig. 
 
D.  
A.________ führt Beschwerde in Strafsachen mit dem Antrag, den Entscheid der Appellationsgerichtspräsidentin vom 6. März 2020 aufzuheben und diese anzuweisen, ihn umgehend freizulassen. 
 
E.  
Die Appellationsgerichtspräsidentin beantragt unter Hinweis auf ihren Entscheid die Abweisung der Beschwerde. Die Staatsanwaltschaft hat sich nicht vernehmen lassen. 
A.________ hat eine Replik eingereicht. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Gegen den angefochtenen Entscheid ist gemäss Art. 78 Abs. 1 BGG die Beschwerde in Strafsachen gegeben. Ein kantonales Rechtsmittel steht nicht zur Verfügung. Die Beschwerde ist somit nach Art. 80 BGG zulässig. Der Beschwerdeführer ist gemäss Art. 81 Abs. 1 lit. a und b Ziff. 1 BGG zur Beschwerde berechtigt. Der angefochtene Entscheid stellt einen Zwischenentscheid dar, der dem Beschwerdeführer einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG verursachen kann. Die weiteren Sachurteilsvoraussetzungen sind ebenfalls erfüllt und geben zu keinen Bemerkungen Anlass. 
 
2.  
Da der Beschwerdeführer gegen das Urteil des Appellationsgerichts vom 27. Februar 2019 Beschwerde beim Bundesgericht erhoben hat, ist die Freiheitsstrafe von 4 ½ Jahren nicht vollstreckbar (Art. 103 Abs. 2 lit. b BGG). Der Beschwerdeführer befindet sich somit nach wie vor im vorzeitigen Strafvollzug nach Art. 236 StPO (vgl. BGE 107 Ia 3 E. 2 S. 5 f.; BERNARD CORBOZ, in: Commentaire de la LTF, 2. Aufl. 2014, N. 21 zu Art. 103 BGG). Auch für die Aufrechterhaltung des vorzeitigen Strafvollzugs müssen die Haftgründe nach Art. 221 StPO gegeben sein. Zudem muss er verhältnismässig sein (BGE 143 IV 160 E. 2.1 S. 162; 143 I 241 E. 3.5 S. 246). 
 
3.  
 
3.1. Der Beschwerdeführer stellt den dringenden Tatverdacht und die Wiederholungsgefahr (Art. 221 Abs. 1 lit. c StPO) nicht in Frage. Er bringt vor, da er am 11. März 2020 zwei Drittel der ihm vom Appellationsgericht auferlegten Freiheitsstrafe verbüsst habe, sei er freizulassen. Dass er gegen das Urteil des Appellationsgerichts vom 27. Februar 2019 Beschwerde erhoben habe, dürfe ihm nicht zum Nachteil gereichen.  
 
3.2. Hat der Gefangene zwei Drittel seiner Strafe (...) verbüsst, so ist er gemäss Art. 86 Abs. 1 StGB durch die zuständige Behörde bedingt zu entlassen, wenn es sein Verhalten im Strafvollzug rechtfertigt und nicht anzunehmen ist, er werde weitere Verbrechen oder Vergehen begehen.  
Nach der Rechtsprechung ist bei der Prüfung der zulässigen Dauer der strafprozessualen Haft die Möglichkeit der bedingten Entlassung nach Art. 86 Abs. 1 StGB grundsätzlich ausser Acht zu lassen. Die bedingte Entlassung hängt vom Verhalten des Gefangenen im Strafvollzug und von der Prognose hinsichtlich seines künftigen Verhaltens in Freiheit ab. Die Beantwortung dieser Fragen fällt in das Ermessen der zuständigen Behörde (Art. 86 Abs. 2 StGB), hier des Amts für Justizvollzug des Kantons Basel-Stadt (§ 2 Abs. 1 lit. b und § 3 lit. d des Gesetzes vom 13. Dezember 2007 des Kantons Basel-Stadt über den Vollzug der Strafurteile [SG 258.200] i.V.m. § 2 und § 3 Abs. 1 der Verordnung vom 11. Februar 2014 des Kantons Basel-Stadt über den Justizvollzug [SG 258.210]). Es ist in der Regel nicht Sache des Haftrichters, eine solche Prognose zu stellen. Die Möglichkeit der bedingten Entlassung ist nach der Rechtsprechung nur ausnahmsweise zu berücksichtigen, wenn es die konkreten Umstände des Einzelfalles gebieten, insbesondere wenn absehbar ist, dass die bedingte Entlassung mit grosser Wahrscheinlichkeit erfolgen dürfte (BGE 143 IV 160 E. 4.2 S. 166 mit Hinweisen). 
 
3.3. Nach den Erwägungen im angefochtenen Entscheid (S. 2/3) besteht beim Beschwerdeführer eine grosse Reizbarkeit und ein erschreckendes Gewaltpotential, welches nicht nur die Sicherheit seiner Ehefrau, sondern auch seiner beiden Kinder und weiterer Personen erheblich gefährdet. Die Vorinstanz erachtet die Rückfallprognose als sehr ungünstig. Wie sich aus der Stellungnahme vom 27. Februar 2020 des Amts für Justizvollzug an die Vorinstanz ergibt, nimmt auch dieses eine erhebliche Wiederholungsgefahr an. Das Amt hätte deshalb die bedingte Entlassung nach zwei Dritteln der vom Appellationsgericht verhängten Freiheitsstrafe abgelehnt. Angesichts dessen hatte die Vorinstanz offensichtlich keinen Grund, bei der Beurteilung der Verhältnismässigkeit der Dauer der Haft ausnahmsweise die Möglichkeit der bedingten Entlassung nach zwei Dritteln der Strafe zu berücksichtigen. Ihr Entscheid ist nicht zu beanstanden.  
Da das Amt die bedingte Entlassung abgelehnt hätte, ist dem Beschwerdeführer daraus, dass er gegen das Urteil des Appellationsgerichts vom 27. Februar 2019 Beschwerde erhoben hat, auch kein Nachteil erwachsen. Hätte er von der Beschwerde abgesehen, wäre ihm die Freiheit ebenso nach wie vor entzogen. 
 
4.  
Soweit der Beschwerdeführer in der Replik eine Verletzung des Gebots der rechtsgleichen Behandlung geltend macht, da andere Gefangene wegen der Corona-Krise entlassen würden, kann darauf nicht eingetreten werden, weil er die Rüge nicht genügend substanziiert. Er verweist auf lediglich einen Fall, in welchem die Vollzugsbehörden wegen der Corona-Krise die Unterbrechung des Strafvollzugs beabsichtigen (Replikbeilage 1). Dass sein Fall in jeder Hinsicht gleich gelagert sei, zeigt der Beschwerdeführer nicht auf. 
 
5.  
Die Beschwerde ist deshalb abzuweisen. 
Da sie aussichtlos war, kann die unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung nach Art. 64 BGG nicht bewilligt werden. Unter den gegebenen Umständen - dem Beschwerdeführer ist seit über drei Jahren die Freiheit entzogen - rechtfertigt es sich jedoch, auf die Erhebung von Gerichtskosten zu verzichten (Art. 66 Abs. 1 Satz 2 BGG). 
 
 
  
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.  
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird abgewiesen. 
 
3.  
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
4.  
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer sowie der Staatsanwaltschaft und der Appellationsgerichtspräsidentin des Kantons Basel-Stadt schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 22. April 2020 
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Chaix 
 
Der Gerichtsschreiber: Härri