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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
9C_96/2011 
 
Urteil vom 31. März 2011 
II. sozialrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter U. Meyer, Präsident, 
Bundesrichter Borella, Bundesrichterin Pfiffner Rauber, 
Gerichtsschreiberin Dormann. 
 
Verfahrensbeteiligte 
J.________, 
vertreten durch Rechtsanwältin Cordula Spörri, 
 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen 
 
IV-Stelle des Kantons Aargau, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung (Drittauszahlung), 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau 
vom 16. Dezember 2010. 
 
Sachverhalt: 
 
A. 
Die 1958 geborene J.________ war bis 31. März 2005 vollzeitig und anschliessend bis 31. Oktober 2006 zu 40 % als Verwaltungssekretärin tätig und in diesem Rahmen bei der Beamtenversicherungskasse für die berufliche Vorsorge versichert. Im Februar 2004 meldete sie sich bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Im Anschluss an ein erstes Administrativ- und Beschwerdeverfahren sprach ihr die IV-Stelle des Kantons Aargau - nach Durchführung des Vorbescheidverfahrens - mit Verfügung vom 26. November 2009 eine ganze Invalidenrente ab 1. März 2004 bei einem Invaliditätsgrad von 83 % zu. Die Nachzahlung der Rentenbetreffnisse verrechnete sie im Umfang von Fr. 35'388.90 mit Rückforderungen der BVK sowie in Höhe von Fr. 42'358.35 mit solchen des Kantons Zürich. 
 
B. 
Dagegen liess J.________ Beschwerde erheben und beantragen, es seien "die Verrechnung des Personalamtes Zürich als Arbeitgeberin" von Fr. 42'358.35 auf Fr. 25'565.- herabzusetzen und die IV-Stelle zu verpflichten, ihr "die zu Unrecht dem Personalamt des Kantons Zürich ausgerichteten" IV-Renten im Umfang von Fr. 16'793.35 zu bezahlen. Das Versicherungsgericht des Kantons Aargau wies das Rechtsmittel mit Entscheid vom 16. Dezember 2010 ab. 
 
C. 
J.________ lässt mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten die Aufhebung des Entscheids vom 16. Dezember 2010 beantragen und die vorinstanzlich gestellten Anträge erneuern. 
 
Erwägungen: 
 
1. 
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 ff. BGG) kann wegen Rechtsverletzungen gemäss den Art. 95 f. BGG erhoben werden. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zu Grunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG), und kann eine - für den Ausgang des Verfahrens entscheidende (vgl. Art. 97 Abs. 1 BGG) - Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG). 
 
2. 
2.1 Laut dem der Verfügung vom 26. November 2009 beigelegten Berechnungsblatt entfallen vom gesamten den Kanton Zürich betreffenden Verrechnungsbetrag Fr. 25'565.- auf die Zeit vom 1. März 2004 bis 31. März 2005 und Fr. 16'793.35 auf jene vom 15. Oktober 2005 bis 31. Oktober 2006. Streitig und zu prüfen ist, ob die Verrechnung des zweitgenannten Teilbetrags zu Recht erfolgte. 
 
2.2 Das kantonale Gericht hat nicht offensichtlich unrichtig und daher für das Bundesgericht verbindlich (E. 1) festgestellt, die Versicherte habe bis am 14. Oktober 2005 entsprechend ihrem Pensum zu 40 % gearbeitet, sei danach zu 100 % arbeitsunfähig gewesen und habe von ihrem Arbeitgeber bis am 31. Oktober 2006 trotz fehlender Gegenleistung den vollen Lohn erhalten. Folglich hat es auch den Rückforderungsanspruch des Kantons für die Zeitperiode vom 15. Oktober 2005 bis 31. Oktober 2006 anerkannt und dessen Verrechnung (im Umfang von Fr. 16'793.35) mit der Rentennachzahlung bestätigt. 
 
3. 
3.1 Nach Art. 85bis IVV (SR 831.201) können u.a. Arbeitgeber, welche im Hinblick auf eine Rente der Invalidenversicherung Vorschussleistungen erbracht haben, verlangen, dass die Nachzahlung dieser Rente bis zur Höhe ihrer Vorschussleistung verrechnet und an sie ausbezahlt wird (Abs. 1). Als Vorschussleistungen gelten insbesondere vertraglich oder aufgrund eines Gesetzes erbrachte Leistungen, soweit aus dem Vertrag oder dem Gesetz ein eindeutiges Rückforderungsrecht infolge der Rentennachzahlung abgeleitet werden kann (Abs. 2 lit. b). Die Nachzahlung darf der bevorschussenden Stelle höchstens im Betrag der Vorschussleistung und für den Zeitraum, in welchem diese erbracht worden ist, ausbezahlt werden (Abs. 3). 
 
3.2 Als Grundlage für eine Verrechnung fällt im konkreten Fall nur § 105 der zürcherischen Vollzugsverordnung vom 19. Mai 1999 zum Personalgesetz (VV PG; ZH-Lex 177.111) in Betracht. Dieser lautet wie folgt: 
"1 Wird wegen Krankheit oder Unfalls eine Rente der obligatorischen Unfallversicherung, der Invalidenversicherung oder der Militärversicherung zugesprochen, hat der Staat das Recht, den Lohn, den er trotz fehlender oder eingeschränkter Arbeitsfähigkeit geleistet hat, bis zum Betrag der für die entsprechende Periode nachzuzahlenden Rente beim Versicherer zurückzufordern. 
2 Im Falle künftiger Dienstaussetzungen wegen des Ereignisses, das zur Rente geführt hat, entscheidet die Direktion im Einvernehmen mit der Finanzdirektion oder das zuständige oberste kantonale Gericht über die Anrechnung auf den Lohn. 
3 Wurde die Rente vor Eintritt in den Staatsdienst zugesprochen, wird ihre Anrechnung bei der Anstellung geregelt. 
4 Die Rente wird nicht angerechnet, soweit ihr Grund, namentlich herabgesetzte Leistungsfähigkeit oder Notwendigkeit häufiger Arzt- oder Therapiebesuche, bei der Festsetzung des Lohnes berücksichtigt wurde oder sich nicht auf das Arbeitsverhältnis auswirkt." 
 
3.3 Dass § 105 Abs. 1 VV PG dem Kanton Zürich grundsätzlich ein eindeutiges Rückforderungsrecht im Sinne von Art. 5bis Abs. 2 lit. b IVV vermittelt, wird auch von der Beschwerdeführerin nicht bestritten. Sie macht indessen geltend, in Anwendung von § 105 Abs. 4 VV PG entfalle ein Rückforderungsanspruch des Kantons. Mit der Reduktion des Beschäftigungsgrades sei der eingeschränkten Arbeitsfähigkeit Rechnung getragen worden. 
 
3.4 Bereits der Wortlaut des § 105 VV PG spricht gegen die Auffassung der Versicherten. Absatz 1 regelt das Rückforderungsrecht des Kantons gegenüber der Versicherung, welches lediglich die "nachzuzahlenden" Renten betrifft. Diese Bestimmung ist daher anwendbar auf Rentenansprüche, welche bei Erlass der entsprechenden (rechtskräftigen) Rentenverfügung bereits entstanden waren. In den Bestimmungen der Absätze 2 bis 4 hingegen geht es um "künftige Dienstaussetzungen", "vor Eintritt in den Staatsdienst" zugesprochene Renten und deren "Anrechnung auf den Lohn". Diese Regelungen erfassen somit nur die laufenden Rentenansprüche sowie deren Auswirkungen auf den Lohn. Die entsprechende Umsetzung erfolgt denn auch direkt durch die zuständige kantonale Behörde und ohne die Mitwirkung einer Sozialversicherung. 
 
3.5 Die Frage, ob § 105 Abs. 4 VV PG nach Sinn und Zweck der Bestimmung dennoch anwendbar ist, wenn es um die Nachzahlung von Rentenbetreffnissen geht, kann aber letztlich offen bleiben. Selbst wenn dem so wäre, könnte die Beschwerdeführerin nichts für sich ableiten: Zwar steht fest, dass der Arbeitgeber aufgrund der gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Versicherten deren Beschäftigungsgrad ab 1. April 2005 reduzierte. Indessen fehlen Anhaltspunkte dafür, dass er für das verbliebene Pensum von 40 % nicht von einer entsprechenden Arbeits- und Leistungsfähigkeit ausging und ausgehen durfte. Nach nicht offensichtlich unrichtiger vorinstanzlicher Feststellung (E. 1) wurde der Lohn der Versicherten lediglich im Rahmen der Pensenreduktion angepasst. Auch die IV-Stelle berücksichtigte in der - bisher noch nicht rechtskräftigen - Rentenverfügung eine verbliebene Arbeitsfähigkeit von immerhin 30 %. Es besteht daher kein Grund für die Annahme, dass der Kanton bei der Festsetzung des reduzierten Arbeitspensums eine vollständige Arbeitsunfähigkeit einkalkuliert haben soll. Dem steht auch der Anspruch auf eine ganze Invalidenrente nicht entgegen, zumal ein solcher auch bei verbliebener Restarbeitsfähigkeit entstehen kann (Art. 28 Abs. 2 IVG in Verbindung mit Art. 16 ATSG) und für die Berücksichtigung der Rente deren "Grund, namentlich herabgesetzte Leistungsfähigkeit" (§ 105 Abs. 4 VV PG), und nicht deren Umfang ausschlaggebend ist. Zudem würde - angesichts der gegebenen Umstände - die gegenteilige Auffassung dazu führen, dass Teilinvalide kaum mehr in einem Teilpensum weiterbeschäftigt würden. 
 
3.6 Nach dem Gesagten hat die Vorinstanz auch für die Zeit ab 15. Oktober 2005 die Verrechnung der Rentennachzahlung mit Rückforderungen des Kantons zu Recht bestätigt. Die Beschwerde ist unbegründet. 
 
4. 
Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind die Gerichtskosten (Art. 65 BGG) von der Beschwerdeführerin als unterliegender Partei zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
Luzern, 31. März 2011 
 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin: 
 
Meyer Dormann