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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
1B_157/2022  
 
 
Urteil vom 27. September 2022  
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Jametti, als Einzelrichterin, 
Gerichtsschreiber Forster. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführerin, 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Christophe A. Herzig und Rechtsanwältin Laura Jost, 
 
gegen  
 
B.________, 
privater Verfahrensbeteiligter, 
vertreten durch Rechtsanwalt Fabian Blum, 
 
Staatsanwaltschaft Zofingen-Kulm, Untere Grabenstrasse 32, 4800 Zofingen. 
 
Gegenstand 
Strafverfahren; Gesuch um Dispensation des Opfers / Verschiebung der Berufungsverhandlung, 
 
Beschwerde gegen die Verfügung des Obergerichts des Kantons Aargau, Strafgericht, 1. Kammer, Verfahrensleiterin, vom 18. März 2022 (SST.2021.216). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
In einer hängigen strafrechtlichen Berufungssache stellte die Privatklägerin A.________ am 17. März 2022 prozessuale Anträge. Soweit diese insbesondere um komplette Dispensation von der auf den 30. März 2022 angesetzten Berufungsverhandlung bzw. um Verschiebung der Verhandlung ersuchte, wies die Verfahrensleiterin des Obergerichts des Kantons Aargau, Strafgericht, 1. Kammer, das Gesuch mit Verfügung vom 18. März 2022 ab. Zur Begründung führte die Verfahrensleiterin Folgendes aus: "Es wird auf die Verfügung vom 10. März 2022 verwiesen. Der Entscheid über die Einvernahme von A.________ obliegt dem Obergericht und steht nicht in der Disposition der Privatklägerin. Die Voraussetzungen für eine Verschiebung sind nicht erfüllt. Wer an einer Lehrabschlussprüfung teilnehmen kann, kann auch an einer Einvernahme vor Obergericht teilnehmen. Sie muss sich hinsichtlich ihrer persönlichen Einvernahme auch nicht vorbereiten, zumal sie mit Ausnahme ihrer Einvernahme von der Teilnahme an der Berufungsverhandlung dispensiert worden ist. A.________ hat für ihre Einvernahme zur Berufungsverhandlung vom 30. März 2022 zu erscheinen". 
 
B.  
Gegen die obergerichtliche Verfügung vom 18. März 2022 gelangte die Privatklägerin mit Beschwerde vom 23. März 2022 an das Bundesgericht. Sie beantragt neben der Aufhebung des angefochtenen Entscheides die Absetzung und Verschiebung der auf den 30. März 2022 angesetzten Berufungsverhandlung. 
Der Beschuldigte B.________ liess sich am 25. März 2022 in dem Sinne vernehmen, dass er den Entscheid über die Beschwerde "in das Ermessen des Gerichts" stelle und er folglich auch keine Kosten- und Entschädigungsfolgen tragen wolle. Das Obergericht beantragt in seiner Stellungnahme vom 25. März (Posteingang: 28. März) 2022 die Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten wäre. Die Staatsanwaltschaft hat am 28. März 2022 auf eine Vernehmlassung verzichtet. Mit Verfügung vom 28. März 2022 hiess der Präsident der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung des Bundesgerichtes das Gesuch der Beschwerdeführerin um Erlass einer vorsorglichen Massnahme gut, indem er die Berufungsverhandlung vom 30. März 2022 absetzte. Die Beschwerdeführerin replizierte am 8. April 2022. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Angefochten ist eine kantonal letztinstanzliche prozessleitende Verfügung im Berufungsverfahren. Die Vorinstanz entschied, die auf den 30. März 2022 angesetzte Berufungsverhandlung werde nicht verschoben und die Beschwerdeführerin habe (für eine Einvernahme) daran teilzunehmen. Es handelt sich um einen Zwischenentscheid, der das hängige Strafverfahren nicht abschliesst (vgl. Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG). 
 
2.  
Der Instruktionsrichter entscheidet als Einzelrichter über die Abschreibung von Verfahren zufolge Gegenstandslosigkeit (Art. 32 Abs. 2 BGG). Über die Kostenfolgen ist aufgrund der Sachlage vor Eintritt des Erledigungsgrundes mit summarischer Begründung zu entscheiden (Art. 72 BZP i.V.m. Art. 71 BGG). 
Indem die auf den 30. März 2022 angesetzte Berufungsverhandlung mit bundesgerichtlicher Verfügung vom 28. März 2022 kurzfristig abgesetzt worden ist, wurde den streitigen Anträgen der Beschwerdeführerin vom 17. März 2022 und ihren Rechtsbegehren um Absetzung und Verschiebung der Berufungsverhandlung faktisch Folge geleistet. Die Beschwerde ist somit als gegenstandslos geworden abzuschreiben. 
Über die Kosten- und Entschädigungsfolgen ist nach dem voraussichtlichen Ausgang des Beschwerdeverfahrens vor Eintreten des Abschreibungsgrundes - mit summarischer Begründung - zu entscheiden. Auf die Beschwerde wäre vor Eintreten der Gegenstandslosigkeit voraussichtlich nicht einzutreten gewesen. Aus einer gerichtlichen Vorladung als Privatklägerin zur Berufungsverhandlung und einer allfälligen eigenen Beweisaussage als Partei wäre der Beschwerdeführerin kein erkennbarer Rechtsnachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG entstanden. Auch die von der Privatklägerin vorgebrachten persönlichen Motive, die Einvernahme zu verschieben, hätten für sich alleine wohl keinen nicht wieder gutzumachenden Rechtsnachteil im Sinne des Gesetzes begründet. Insbesondere erschiene kaum ausreichend dargetan, dass ihr eine erhebliche Gesundheitsbeeinträchtigung oder sonstwie eine rechtswidrige Behandlung gedroht hätte, die nicht mehr rechtzeitig hätte korrigiert werden können. Dies scheint hier umso weniger der Fall gewesen zu sein, als die Verfahrensleitung des Berufungsgerichtes nötigenfalls auch noch anlässlich der Berufungsverhandlung eine etwaige aktuelle Einvernahmeunfähigkeit oder einen sonstigen gesetzlichen Dispensationsgrund hätte feststellen können. Die Frage, ob für einen späteren Verhandlungstermin als der 30. März 2022 ein gesetzlicher Dispensations- oder Verschiebungsgrund bestünde oder nicht, bildet nicht Gegenstand der angefochtenen prozessleitenden Verfügung. Auch auf unzulässige Noven ist nicht einzugehen (Art. 99 Abs. 1 BGG). 
Das Gesuch der Beschwerdeführerin um unentgeltliche Rechtspflege kann im vorliegenden Fall gutgeheissen werden (Art. 64 und Art. 71 BGG i.V.m. Art. 72 BZP). Eine Parteientschädigung ist nicht zuzusprechen; das gilt auch für den privaten Verfahrensbeteiligten, der sich auf das Verfahren nicht mit eigenen Rechtsbegehren eingelassen hat (vgl. Art. 68 BGG). 
 
 
Demnacherkennt die Einzelrichterin:  
 
1.  
Das Verfahren wird zufolge Gegenstandslosigkeit abgeschrieben. 
 
2.  
Der Beschwerdeführerin wird die unentgeltliche Rechtspflege gewährt: 
 
2.1. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.  
 
2.2. Rechtsanwalt Dr. Christophe A. Herzig und Rechtsanwältin Laura Jost werden als unentgeltliche Rechtsvertreter ernannt und für das bundesgerichtliche Verfahren aus der Bundesgerichtskasse mit einem Honorar von insgesamt Fr. 1'500.-- (pauschal, inkl. MWST) entschädigt.  
 
3.  
Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten und dem Obergericht des Kantons Aargau, Strafgericht, 1. Kammer, Verfahrensleiterin, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 27. September 2022 
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Einzelrichterin: Jametti 
 
Der Gerichtsschreiber: Forster