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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
7B_123/2023  
 
 
Urteil vom 29. November 2023  
 
II. strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Abrecht, Präsident, 
Bundesrichterin Koch, 
Bundesrichter Kölz, 
Gerichtsschreiber Stadler. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Thomas Heeb, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen, Spisergasse 15, 9001 St. Gallen. 
 
Gegenstand 
Strafverfahren; Entsiegelung, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Kantonalen Zwangsmassnahmengerichts St. Gallen, Kantonaler Zwangsmassnahmenrichter, vom 29. Dezember 2022 (ZK.2022.343-TO1ZRK-FMÜ). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Im Rahmen des gegen A.________ laufenden Strafverfahrens betreffend gewerbsmässigen Betrugs und gewerbsmässiger Geldwäscherei wurde am 24. November 2022 in seinem Hotelzimmer eine Hausdurchsuchung durchgeführt, bei welcher ein Mobiltelefon iPhone 13, eine Apple Watch, mehrere Bankkarten, ein Boarding Pass sowie eine Travel Health Insurance sichergestellt wurden. A.________ verlangte gleichentags die Siegelung der sichergestellten Gegenstände. 
 
B.  
Am 30. November 2022 stellte die Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen, Kantonales Untersuchungsamt, beim Kantonalen Zwangsmassnahmengericht einen Antrag auf Entsiegelung der sichergestellten Gegenstände, abgesehen vom Boarding Pass und der Travel Health Insurance. Das Zwangsmassnahmengericht gab diesem Antrag mit Entscheid vom 29. Dezember 2022 statt. 
 
C.  
 
C.a. Nachdem A.________ am 20. Januar 2023 mit in Englisch verfasster Eingabe an das Bundesgericht gelangt war und diese zur Änderung zurückgewiesen wurde, führt er mit Eingaben vom 24. und 30. Januar 2023 Beschwerde in Strafsachen und beantragt, der Entscheid des Zwangsmassnahmengerichts sei aufzuheben, der Entsiegelungsantrag der Staatsanwaltschaft sei vollumfänglich abzuweisen und die sichergestellten Aufzeichnungen und Gegenstände seien herauszugeben sowie die kopierten Daten zu löschen. Mit Eingabe vom 17. Februar 2023 lässt er ausserdem, nunmehr über seinen Vertreter Rechtsanwalt Thomas Heeb, die unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung beantragen.  
 
C.b. Mit Verfügung des präsidierenden Mitglieds der - damals zuständigen - I. öffentlich-rechtlichen Abteilung vom 14. Februar 2023 wurde der Beschwerde antragsgemäss die aufschiebende Wirkung zuerkannt.  
 
C.c. Die Staatsanwaltschaft und das Zwangsmassnahmengericht haben auf Vernehmlassung verzichtet.  
 
 
C.d. Am 3. Juli 2023 wurde den Parteien mitgeteilt, dass aufgrund einer internen Reorganisation des Bundesgerichts die Beschwerde neu durch die II. strafrechtliche Abteilung behandelt werde.  
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Die Beschwerde ist innert der Beschwerdefrist (Art. 100 Abs. 1 BGG) vollständig begründet einzureichen (Art. 42 Abs. 1 BGG). Soweit der Beschwerdeführer in seiner Eingabe vom 7. Mai 2023 die Beschwerde ergänzen will, können seine Ausführungen nicht berücksichtigt werden.  
 
1.2. Ebenso wenig ist auf die Eingabe des Beschwerdeführers vom 24. Januar 2023 einzugehen, soweit er darin weitere Rechtsbegehren stellt. Für die Behandlung des Gesuchs um Übersetzung der "wesentlichen Akten" in die Muttersprache des Beschwerdeführers und Einsicht in die kantonalen Akten ist das Bundesgericht nicht zuständig (siehe Art. 80 Abs. 1 und 99 Abs. 2 BGG).  
 
2.  
Angefochten ist ein nach Art. 248 Abs. 3 lit. a StPO kantonal letztinstanzlicher Entscheid eines Zwangsmassnahmengerichts. Dagegen steht gemäss Art. 80 Abs. 2 Satz 3 BGG die Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht nach Art. 78 ff. BGG grundsätzlich offen. Der Beschwerdeführer ist als beschuldigte Person zur Beschwerde legitimiert (Art. 81 Abs. 1 lit. a und b Ziff. 1 BGG). 
 
3.  
 
3.1. Der angefochtene Entsiegelungsentscheid schliesst die gegen den Beschwerdeführer laufende Strafuntersuchung nicht ab und betrifft weder die Zuständigkeit noch ein Ausstandsbegehren im Sinne von Art. 92 BGG. Demnach ist er gemäss Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG nur dann unmittelbar mit Beschwerde an das Bundesgericht anfechtbar, wenn er einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken kann. Beim drohenden nicht wieder gutzumachenden Nachteil im Sinne dieser Bestimmung muss es sich um einen solchen rechtlicher Natur handeln. Ein lediglich tatsächlicher Nachteil wie die Verteuerung oder Verlängerung des Verfahrens genügt nicht. Nicht wieder gutzumachend bedeutet, dass er auch mit einem für die beschwerdeführende Person günstigen Endentscheid nicht oder nicht vollständig behoben werden kann (BGE 148 IV 155 E. 1.1; 144 IV 321 E. 2.3; je mit Hinweisen). Woraus sich der nicht wieder gutzumachende Nachteil ergeben soll, ist in der Beschwerdeschrift darzulegen, sofern dies nicht offensichtlich ist (BGE 141 IV 284 E. 2.3, 289 E. 1.3, je mit Hinweisen).  
Wird im Entsiegelungsverfahren ausreichend substanziiert geltend gemacht, dass einer Entsiegelung geschützte Geheimhaltungsrechte entgegenstehen, droht nach der Praxis des Bundesgerichts ein nicht wieder gutzumachender Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG, weil die Offenbarung eines Geheimnisses nicht rückgängig gemacht werden kann. Werden dagegen (lediglich) andere Beschlagnahmehindernisse wie insbesondere ein mangelnder Deliktskonnex geltend gemacht, fehlt es grundsätzlich am nicht wieder gutzumachenden Nachteil (Urteile 7B_292/2023 vom 31. August 2023 E. 2.1; 7B_127/2023 vom 14. August 2023 E. 2.2; 7B_58/2023 vom 10. Juli 2023 E. 2.1; je mit weiteren Hinweisen). Der bloss pauschale Hinweis auf private Korrespondenz oder Fotos begründet keine schutzwürdigen Geheimnisinteressen im Sinne von Art. 248 Abs. 1 StPO (Urteile 7B_292/2023 vom 31. August 2023 E. 2.1; 7B_58/2023 vom 10. Juli 2023 E. 2.3; 1B_40/2022 vom 1. Dezember 2022 E. 2.2; je mit Hinweisen). 
 
3.2. Was die Eintretensvoraussetzung von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG betrifft, wiederholt der Beschwerdeführer im Wesentlichen die vor der Vorinstanz geltend gemachten Geheimnisrechte.  
 
3.2.1. Die Vorinstanz erwog zusammengefasst, der Beschwerdeführer komme mit seinen allgemeinen Ausführungen zu den vermeintlich schützenswerten Geheimhaltungsinteressen seiner prozessualen Obliegenheit, allfällige Entsiegelungshindernisse konkret darzulegen, nicht nach. Ein absolut geschütztes Geheimnis des Beschwerdeführers sei auch nicht erkennbar. So unterlasse er es, betreffend die behauptete Tätigkeit als Privatdetektiv im Kosovo konkret darzutun, in welchen Datenträgern und wo auf diesen Datenträgern (z.B. in welcher Applikation) sich geheimnisgeschützte Aufzeichnungen befinden sollten. Der Beschwerdeführer könne nicht einmal die Namen der vermeintlich involvierten Personen nennen, mit denen er im Rahmen seiner Tätigkeit in Kontakt gestanden habe. Ohnehin sei er nur befugt, eigene Geheimnisinteressen geltend zu machen, und nicht legitimiert, im eigenen Namen angebliche Geheimnisrechte von Drittpersonen als verletzt anzurufen. Selbst wenn der Beschwerdeführer eigene Geheimnisinteressen geltend gemacht hätte, könne die Akteneinsicht im Entsiegelungsverfahren nicht der Durchsuchung von sichergestellten und gesiegelten Geräten durch die beschuldigte Person dienen, damit diese - ex post - noch nach allfälligen Argumenten für einen Geheimnisschutz forschen könne.  
Auch betreffend die geltend gemachten Geschäftsgeheimnisse komme der Beschwerdeführer seiner Substantiierungsobliegenheit nicht nach. Zunächst sei nicht einmal klar, ob er überhaupt bei der B.________ GmbH tätig sei, was er nicht beweise und sich auch nicht aus dem eingereichten Handelsregisterauszug der genannten Gesellschaft ergebe. Selbst wenn es zutreffen würde, vermöchte der Beschwerdeführer seine Mitwirkungsobliegenheit nicht zu erfüllen. Es sei nicht ausreichend, lediglich pauschal auf geschützte Geschäftsgeheimnisse zu verweisen. Namentlich lege er nicht dar, um welche Art von Geschäftsgeheimnissen es sich handle und wo genau sich diese befinden würden. Überdies gehe aus seinen Ausführungen auch nicht hinreichend hervor, weshalb er überhaupt in eigenen, gesetzlich geschützten Geheimnisrechten betroffen sein solle. Ohnehin erscheine der Einwand der Staatsanwaltschaft plausibel, dass der Beschwerdeführer mit der B.________ GmbH bzw. deren Geschäftsführer zu kolludieren versucht habe. Damit wären die Aufzeichnungen zwischen dem Beschwerdeführer und der B.________ GmbH untersuchungsrelevant (insbesondere die Kommunikation zwischen dem Beschwerdeführer und dem Geschäftsführer der genannten Gesellschaft), weshalb der Einwand des Beschwerdeführers, diese Aufzeichnungen seien geheimnisgeschützt, unbeachtlich wäre. 
 
3.2.2. Soweit der Beschwerdeführer im Beschwerdeverfahren vor dem Bundesgericht auf diese Erwägungen der Vorinstanz überhaupt Bezug nimmt, tut er - nach wie vor - nicht substanziiert dar, inwiefern einer Entsiegelung der fraglichen Gegenstände schützenswerte Geheimhaltungsinteressen entgegenstehen sollten. Seine pauschalen Hinweise auf seine angebliche Tätigkeit als Privatdetektiv im Kosovo sowie auf private und "intime" Daten auf seinem iPhone vermögen nach der vorerwähnten Rechtsprechung jedenfalls nicht zu belegen, dass ihm durch die Entsiegelung ein nicht wieder gutzumachender Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG droht. Sein Vorbringen, er sei "nicht gehalten, auch die Geheimnisrechte inhaltlich offenzulegen", geht an der Sache vorbei. Folglich fehlt es an den Voraussetzungen einer selbständigen Anrufung des Bundesgerichts. Der Entsiegelungsentscheid ist stattdessen gemäss Art. 93 Abs. 3 BGG durch Beschwerde gegen den Endentscheid anfechtbar, soweit er sich auf dessen Inhalt auswirkt.  
 
Soweit der im vorinstanzlichen Verfahren amtlich verteidigte Beschwerdeführer im Übrigen behauptet, vor dem Zwangsmassnahmengericht sei eine effektive Verteidigung nicht gegeben gewesen, ist auf diese Rüge mangels rechtsgenüglicher Begründung nicht einzutreten (vgl. Art. 42 Abs. 2 und Art. 106 Abs. 2 BGG). Dass der Beschwerdeführer im Verfahren vor der Vorinstanz "weder Zeit noch Gelegenheit" gehabt hätte, seine Verteidigungs- und Gehörsrechte wahrzunehmen, ist ohnehin nicht ersichtlich, bringt er doch in seiner Beschwerde vor Bundesgericht im Vergleich zum kantonalen Verfahren gerade keine neuen Argumente vor. 
 
4.  
Auf die Beschwerde ist nicht einzutreten. Ausgangsgemäss wird der Beschwerdeführer kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG). Da die Beschwerde aussichtslos war, kann dem Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege nicht entsprochen werden (Art. 64 Abs. 1 BGG). Der finanziellen Lage des Beschwerdeführers ist bei der Bemessung der Gerichtskosten Rechnung zu tragen (Art. 65 Abs. 2 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten. 
 
2.  
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen. 
 
3.  
Die Gerichtskosten von Fr. 600.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
4.  
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen und dem Kantonalen Zwangsmassnahmengericht St. Gallen, Kantonaler Zwangsmassnahmenrichter, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 29. November 2023 
 
Im Namen der II. strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Abrecht 
 
Der Gerichtsschreiber: Stadler