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Eidgenössisches Versicherungsgericht 
Tribunale federale delle assicurazioni 
Tribunal federal d'assicuranzas 
 
Sozialversicherungsabteilung 
des Bundesgerichts 
 
Prozess 
{T 7} 
C 85/04 
 
Urteil vom 11. Oktober 2004 
IV. Kammer 
 
Besetzung 
Präsident Ferrari, Bundesrichter Meyer und Kernen; Gerichtsschreiber Traub 
 
Parteien 
H.________, 1954, Beschwerdeführerin, 
 
gegen 
 
Arbeitslosenkasse SYNA, Regionalsekretariat, Neumarkt 2, 5200 Brugg, Beschwerdegegnerin 
 
Vorinstanz 
Versicherungsgericht des Kantons Solothurn, Solothurn 
 
(Entscheid vom 22. April 2004) 
 
Sachverhalt: 
A. 
Die Arbeitslosenkasse Syna forderte von H.________ Arbeitslosenentschädigung für die Abrechnungsperioden März bis Mai, August und Oktober 2002 in der Höhe von Fr. 13'283.50 zurück mit der Begründung, sie habe in den Monaten März bis Mai und August 2002 undeklarierten Zwischenverdienst erzielt; zudem seien vom kantonalen Amt für Wirtschaft und Arbeit verfügte Einstellungen in der Anspruchsberechtigung von insgesamt 41 Tagen per Oktober 2002 zu berücksichtigen (Verfügung vom 26. November 2002). 
B. 
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons Solothurn mit Entscheid vom 22. April 2004 ab. 
C. 
H.________ führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag auf Herabsetzung der Rückforderungssumme. Die rückwirkend verfügten Einstellungstage seien bei deren Berechnung unberücksichtigt zu lassen; zudem sei die Rückforderung um im Zusammenhang mit der Erzielung des Zwischenverdienstes entstandene Wegspesen zu reduzieren. 
 
Die Arbeitslosenkasse schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde; das Staatssekretariat für Wirtschaft verzichtet auf Vernehmlassung. 
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 
1. 
1.1 Das kantonale Gericht hat zu Recht festgehalten, dass das am 1. Januar 2003 in Kraft getretene Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 nicht anwendbar ist, da nach dem massgebenden Zeitpunkt des Erlasses der streitigen Verfügung (26. November 2002) eingetretene Rechts- und Sachverhaltsänderungen vom Sozialversicherungsgericht nicht berücksichtigt werden (BGE 129 V 4 Erw. 1.2). Ebenfalls zutreffend ist die vorinstanzliche Darstellung der gesetzlichen Bestimmung über die Rückforderung von Leistungen (Art. 95 AVIG in der bis zum 31. Dezember 2002 gültigen Fassung). 
1.2 
1.2.1 Zu Unrecht bezogene Geldleistungen, die auf einer formell rechtskräftigen Verfügung beruhen, können nur zurückgefordert werden, wenn entweder die für die Wiedererwägung oder die prozessuale Revision erforderlichen Voraussetzungen erfüllt sind (BGE 129 V 110 Erw. 1, 126 V 399 Erw. 1). Bei formloser Zusprechung von Arbeitslosentaggeldern sind - wie in andern Fällen faktischen Verwaltungshandelns - die Rückkommenstitel der Wiedererwägung oder prozessualen Revision jedoch nur erforderlich, wenn die in Frage stehende Taggeldabrechnung auch vom Versicherten nicht mehr beanstandet werden kann, das Verwaltungshandeln vielmehr eine mit dem Ablauf der Beschwerdefrist bei formellen Verfügungen eintretende vergleichbare Rechtsbeständigkeit erreicht hat. Dies ist der Fall, wenn anzunehmen ist, ein Versicherter habe sich mit einer getroffenen Regelung abgefunden, wenn er sich also nicht innert (nach den Umständen) angemessener Überlegungs- und Prüfungsfrist dagegen verwahrt. Vorher darf die Verwaltung - unter Vorbehalt des Vertrauensschutzes - grundsätzlich frei, das heisst ohne Bindung an Wiedererwägung oder Revision, auf ihre Abrechnung zurückkommen (Meyer-Blaser, Die Rückerstattung von Sozialversicherungsleistungen, in: ZBJV 131/1995 S. 498 Fn. 125), wie es ihr auch zusteht, während laufender Rechtsmittelfrist voraussetzungslos auf eine formelle Verfügung zurückzukommen (BGE 122 V 368 Erw. 3 mit Hinweisen). 
1.2.2 Gemäss einem allgemeinen Grundsatz des Sozialversicherungsrechts kann die Verwaltung eine formell rechtskräftige Verfügung, welche nicht Gegenstand materieller richterlicher Beurteilung gebildet hat, in Wiedererwägung ziehen, wenn sie zweifellos unrichtig und ihre Berichtigung von erheblicher Bedeutung ist (BGE 127 V 469 Erw. 2c mit Hinweisen). Die für die Wiedererwägung rechtskräftiger Verfügungen vorausgesetzte zweifellose Unrichtigkeit liegt praxisgemäss vor, wenn kein vernünftiger Zweifel daran möglich ist, dass die Verfügung unrichtig war. Es ist nur ein einziger Schluss - derjenige auf die Unrichtigkeit der Verfügung - möglich (BGE 125 V 393 oben; vgl. Urteil B. vom 19. Dezember 2002, I 222/02, Erw. 3.2; Thomas Locher, Grundriss des Sozialversicherungsrechts, 3. Auflage, Bern 2003, S. 470 Rz. 16; Ueli Kieser, ATSG-Kommentar, Zürich/Basel/Genf 2003, Art. 53 Rz. 20). 
1.2.3 Von der Wiedererwägung ist die sogenannte prozessuale (besser: prozedurale) Revision von Verwaltungsverfügungen zu unterscheiden. Danach ist die Verwaltung verpflichtet, auf eine formell rechtskräftige Verfügung zurückzukommen, wenn neue Tatsachen oder neue Beweismittel entdeckt werden, die geeignet sind, zu einer andern rechtlichen Beurteilung zu führen (BGE 127 V 469 Erw. 2c mit Hinweisen). 
 
Nach der Rechtsprechung ist die prozessuale Revision von Verwaltungsverfügungen nur innerhalb der für die Revision von Beschwerdeentscheiden (Art. 67 VwVG) massgebenden Fristen zulässig (RKUV 1994 Nr. U 191 S. 145; vgl. in diesem Zusammenhang auch Art. 53 Abs. 1 ATSG: Kieser, a.a.O., Art. 53 Rz. 16). Danach gilt nebst der absoluten zehnjährigen Frist, welche mit der Eröffnung des Entscheids einsetzt, eine relative 90-tägige Frist, welche mit der Entdeckung des Revisionsgrundes zu laufen beginnt. Bei einer Revision von Amtes wegen hat die Verwaltung in der Regel innert einer Frist von 90 Tagen seit Kenntnis des Revisionsgrundes zu verfügen. Eine Ausnahme ist vorzusehen für den Fall, dass der Revisionstatbestand länger dauernde Abklärungen erforderlich macht. Diesfalls genügt es, wenn die Verwaltung dem Versicherten den Revisionsgrund und die (voraussichtliche) Abänderung der Verfügung fristgerecht anzeigt, die erforderlichen Abklärungen innert angemessener Frist nachholt und anschliessend verfügt (analog der Regelung bezüglich der Verwirkung des Rückforderungsanspruchs: BGE 112 V 182 Erw. 4b; vgl. zum Ganzen Urteil H. vom 23. April 2004, C 214/03, Erw. 3.2.1). 
1.3 Im vorliegenden Fall ist hinsichtlich der formlosen Zusprache und Ausrichtung der Taggelder insofern eine die prozessuale Revision der Verfügung begründende neue Tatsache eingetreten, als die Arbeitslosenkasse nachträglich erfuhr, dass die Versicherte Zwischenverdienst erzielt hat und von der kantonalen Amtsstelle in der Anspruchsberechtigung eingestellt worden ist. Die Arbeitslosenkasse hat mit der Rückforderungsverfügung vom 26. November 2002 die für die prozessuale Revision von Verfügungen geltenden Fristen (vgl. Erw. 1.2.3 hievor) eingehalten. Nach unwidersprochen gebliebener Feststellung in der strittigen Verfügung erlangte sie erst am 1. Oktober 2002 durch Mitteilung des zuständigen Regionalen Arbeitsvermittlungszentrums Kenntnis über den von März bis Mai sowie August 2002 erzielten Zwischenverdienst; die Einstellungsverfügungen ergingen Ende Oktober 2002. 
 
Das Gesagte gilt für die Abrechnungsperioden März bis Mai und August 2002. Zweifelhaft ist, ob sich die Verwaltung auch hinsichtlich der Auszahlungsperiode Oktober 2002 auf den Rückkommenstitel der prozessualen Revision zu stützen vermag: Die entsprechende Abrechnung datiert vom 4. November 2002, als die Arbeitslosenkasse bereits Kenntnis der Zwischenverdienste und möglicherweise auch der Einstellungsverfügungen hatte. Verhält es sich so, hat dies gleichwohl keinen Einfluss auf die Rückforderbarkeit von im Oktober ausbezahlten Taggeldern, da jedenfalls die Voraussetzungen für eine Wiedererwägung erfüllt sind. 
2. 
2.1 Die Beschwerdeführerin anerkennt die Rückforderung der Arbeitslosenentschädigung im Umfang, in welchem sie in den Monaten März bis Mai und August 2002 Zwischenverdienst erzielt hat, zu Recht. 
2.2 Strittig ist, ob die Arbeitslosenkasse für die Kontrollperiode Oktober 2002 zufolge nachträglicher Tilgung von 23 Einstelltagen einen (Teil-)Betrag von Fr. 3'157.75 zurückfordern durfte. Das Amt für Wirtschaft und Arbeit des Kantons Solothurn stellte die Versicherte am 30. Oktober 2002 für die Dauer von 10 Tagen und am 31. Oktober 2002 für die Dauer von 31 Tagen, dies jeweils mit Wirkung ab dem 21. September 2002, in der Anspruchsberechtigung ein. Das Eidgenössische Versicherungsgericht reduzierte die letztere Sanktion auf 15 Tage (Urteil vom 6. Januar 2004, C 213/03). Es ergibt sich somit eine gesamthafte Einstellungsdauer von 25 (statt 41) Tagen. Das Vorgehen der Vorinstanzen ist rechtens, sofern ausserhalb der Kontrollperiode Oktober 2002 nicht mehr als zwei Einstellungstage zur Tilgung gelangten (Beginn der Einstellung: 21. September 2004; vgl. Art. 45 Abs. 1 AVIV). Dazu lässt sich den Akten indes nichts Abschliessendes entnehmen. Es kann daher nicht ohne weiteres ausgeschlossen werden, dass die per Oktober 2002 zum Tragen kommenden 23 Einstellungstage (entsprechend der Anzahl kontrollierter Tage) zusammen mit weiteren, ausserhalb der Kontrollperiode Oktober 2002 getilgten Einstellungstagen den (erst nach Eröffnung des Urteils vom 6. Januar 2004 feststehenden) Gesamtumfang von 25 Tagen überschreiten. Die letztinstanzlich eingereichten Belege vermögen diese Unsicherheit nicht zu beseitigen. Die Sache wird daher an die Verwaltung zurückgewiesen, damit sie diese Frage gestützt auf die vollständigen Kassenakten, welche dem Eidgenössischen Versicherungsgericht nicht vorliegen, überprüfe und neu verfüge. 
2.3 Die Beschwerdeführerin verlangt noch, die Rückforderung sei teilweise gegen "Spesen" aufzurechnen, die ihr im August 2002 bei der Ausübung des Zwischenverdienstes (im Wesentlichen durch den Arbeitsweg) entstanden seien. Da sie den Zwischenverdienst den Organen der Arbeitslosenversicherung nicht gemeldet hatte, unterblieb zwangsläufig auch das für die Ausrichtung von Pendlerkostenbeiträgen (Art. 69 und 71 AVIG) erforderliche vorgängige Gesuch. Wird ein solches ohne entschuldbaren Grund erst nachträglich eingereicht, kann die Leistung nach (gesetzmässiger; BGE 111 V 404 Erw. 2) Verordnungsvorschrift erst von diesem Zeitpunkt an ausgerichtet werden (Art. 95 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 81 Abs. 3 AVIV). Die Bestimmung, wonach der Versicherte das Gesuch um einen Pendlerkostenbeitrag vor dem auswärtigen Arbeitsantritt einreichen muss, stellt keine blosse Ordnungsvorschrift, sondern eine formelle Anspruchsvoraussetzung dar. Der Zweck der Voranmeldung besteht darin, der kantonalen Amtsstelle die Prüfung zu ermöglichen, ob die im Gesetz umschriebenen materiellen Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind (ARV 1986 Nr. 37 S. 177 Erw. 1b). Ein Anspruch auf Pendlerkostenbeiträge besteht somit bereits aus diesem formellen Grund nicht; die materiellen Anspruchsvoraussetzungen, so hinsichtlich der Frage, in welcher Höhe die Fahrtkosten notwendig im Sinne von Art. 69 AVIG waren, brauchen daher nicht geklärt zu werden. Angesichts der Umstände (Nichtdeklaration des Zwischenverdienstes) bleibt es der Beschwerdeführerin auch von vornherein verwehrt, sich darauf zu berufen, die Verwaltung habe sie nicht über den entsprechenden Leistungstitel informiert. 
3. 
Nach dem Gesagten steht fest, dass die Rückforderungsvoraussetzungen im Grundsatz gegeben sind. Die Beschwerdegegnerin wird allerdings die in masslicher Hinsicht verbliebene offene Frage hinsichtlich der Tilgung der Einstellungstage zu klären und hernach neu zu verfügen haben (Erw. 2.2 hievor). 
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: 
1. 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird in dem Sinne teilweise gutgeheissen, dass der Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Solothurn vom 22. April 2004 sowie die Rückforderungsverfügung vom 26. November 2002 aufgehoben werden und die Sache an die Arbeitslosenkasse SYNA zurückgewiesen wird, damit sie, nach erfolgter Abklärung im Sinne der Erwägungen, neu verfüge. 
2. 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Solothurn, dem Amt für Wirtschaft und Arbeit des Kantons Solothurn sowie dem Staatssekretariat für Wirtschaft zugestellt. 
Luzern, 11. Oktober 2004 
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts 
Der Präsident der IV. Kammer: Der Gerichtsschreiber: