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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
9C_304/2021  
 
 
Urteil vom 28. Juli 2021  
 
II. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Parrino, Präsident, 
Bundesrichter Stadelmann, Bundesrichterin Viscione, 
Gerichtsschreiber Nabold. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. André Largier, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
AXA Stiftung Berufliche Vorsorge, Winterthur, 
c/o AXA Leben AG, General-Guisan-Strasse 40, 
8400 Winterthur, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Berufliche Vorsorge, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 20. April 2021 (BV.2019.00052). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Der 1983 geborene A.________ war ab 1. August 2013 als LKW-Chauffeur der B.________ AG bei der AXA Stiftung Berufliche Vorsorge (nachstehend: AXA) berufsvorsorgeversichert. Nachdem er sich im Sommer 2014 bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug angemeldet hatte, tätigte die IV-Stelle des Kantons Zürich medizinische und berufliche Abklärungen. Nach Vorliegen des polydisziplinären Gutachtens des Zentrums für Medizinische Begutachtung (ZMB) vom 9. November 2016 (Fachrichtungen: Orthopädie, Psychiatrie, Allgemeine Medizin und Innere Medizin) verneinte die IV-Stelle mit Verfügung vom 30. August 2017 einen Leistungsanspruch. Auf eine vom Versicherten hiegegen erhobene Beschwerde trat das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Beschluss vom 16. Oktober 2017 nicht ein. 
 
B.  
Am 14. Juni 2019 erhob A.________ vor dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich Klage gegen die AXA mit dem Begehren, ihm sei rückwirkend ab dem 17. September 2015 eine ganze Invalidenrente aus der obligatorischen und überobligatorischen Versicherung, zuzüglich 5 % Verzugszins ab Klageeinleitung, zuzusprechen; zudem sei ihm ab 17. Dezember 2013 volle Beitragsbefreiung zu gewähren. Das kantonale Gericht wies diese Klage mit Urteil vom 20. April 2021 ab. 
 
C.  
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt A.________, ihm sei unter Aufhebung des kantonalen Urteils rückwirkend ab dem 17. September 2015 eine ganze Invalidenrente aus der obligatorischen und überobligatorischen Versicherung zuzüglich 5 % Verzugszins ab Klageeinleitung zuzusprechen, zudem sei ihm ab 17. Dezember 2013 volle Beitragsbefreiung zu gewähren. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann eine Rechtsverletzung nach Art. 95 f. BGG gerügt werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Dennoch prüft es - offensichtliche Fehler vorbehalten - nur die in seinem Verfahren gerügten Rechtsmängel (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG; BGE 135 II 384 E. 2.2.1). Es legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann ihre Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Verfahrensausgang entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1, Art. 105 Abs. 2 BGG). 
 
2.  
Streitig und zu prüfen ist, ob das kantonale Gericht Bundesrecht verletzte, als es einen Anspruch auf Leistungen aus dem zwischen dem Beschwerdeführer und der Beschwerdegegnerin bestehenden Vorsorgeverhältnis verneinte. 
 
3.  
 
3.1. Anspruch auf Invalidenleistungen haben nach Art. 23 lit. a BVG unter anderem Personen, die im Sinne der IV zu mindestens 40 Prozent invalid sind und bei Eintritt der Arbeitsunfähigkeit, deren Ursache zur Invalidität geführt hat, versichert waren. Invalidenleistungen der obligatorischen beruflichen Vorsorge werden von derjenigen Vorsorgeeinrichtung geschuldet, bei welcher die ansprechende Person bei Eintritt der Arbeitsunfähigkeit, deren Ursache zur Invalidität geführt hat, versichert war (BGE 135 V 13 E. 2.6). Dieser Grundsatz findet auch in der weitergehenden Vorsorge Anwendung, wenn Reglement oder Statuten resp. gesetzliche Grundlagen nichts anderes vorsehen (BGE 136 V 65 E. 3.2).  
 
3.2. Ein Entscheid der IV-Stelle ist für eine Einrichtung der beruflichen Vorsorge verbindlich, sofern sie in das invalidenversicherungsrechtliche Verfahren einbezogen wurde, die konkrete Fragestellung für die Beurteilung des Rentenanspruchs gegenüber der Invalidenversicherung entscheidend war und die invalidenversicherungsrechtliche Betrachtungsweise aufgrund einer gesamthaften Prüfung der Akten nicht als offensichtlich unhaltbar erscheint (BGE 133 V 67 E. 4.3.2; 130 V 270 E. 3.1). Diese Bindungswirkung findet ihre positivrechtliche Grundlage in den Art. 23, 24 Abs. 1 und Art. 26 Abs. 1 BVG, welche an die Regelung des IVG anknüpfen oder diese übernehmen. Die Orientierung an der Invalidenversicherung bezieht sich insbesondere auf die sachbezüglichen Voraussetzungen des Rentenanspruchs, die Rentenhöhe und den Rentenbeginn (BGE 133 V 67 E. 4.3.2). Wurde die Vorsorgeeinrichtung nicht in das Verfahren der Invalidenversicherung einbezogen und stellt sie dennoch auf die invalidenversicherungsrechtliche Betrachtungsweise ab, muss sich die versicherte Person diese (unter Vorbehalt der erwähnten offensichtlichen Unhaltbarkeit) entgegenhalten lassen (BGE 130 V 270 E. 3.1 mit Hinweisen; SVR 2014 BVG Nr. 3 S. 8, 9C_944/2012 E. 1.2).  
 
3.3. Für die Beurteilung der Frage, ob sich die Invaliditätsbemessung der Invalidenversicherung als offensichtlich unhaltbar erweist, ist auf die Aktenlage, wie sie sich bei Verfügungserlass präsentierte, abzustellen. Nachträglich geltend gemachte Tatsachen oder Beweismittel, welche im invalidenversicherungsrechtlichen Verfahren nicht von Amtes wegen hätten erhoben werden müssen, sind nur beachtlich, sofern sie von der Verwaltung oder bei damaligem Beschwerdeverfahren vom Gericht im Rahmen einer prozessualen Revision hätten berücksichtigt werden müssen (BGE 138 V 409 E. 3.1; 130 V 270 E. 3.1; 126 V 308 E. 2a).  
 
4.  
 
4.1. Mit Verfügung vom 30. August 2017 verneinte die IV-Stelle des Kantons Zürich einen Anspruch des Beschwerdeführers auf Leistungen der Invalidenversicherung, obwohl ihm im Gutachten des ZMB vom 9. November 2016 eine vollständige Arbeitsunfähigkeit aus psychischen Gründen attestiert wurde. Dabei führte die IV-Stelle aus, eine Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) lediglich aufgrund des gelegentlichen Auftretens von Flashbacks und Albträumen und ohne bekanntes auslösendes Trauma sei nicht nachvollziehbar. Die objektiven Befunde seien weitgehend unauffällig, der Versicherte sei im Antrieb sehr gesteigert, sehr lebhaft, er habe keine Wahrnehmungsstörungen. Eine Tagesstruktur sei vorhanden. Der Versicherte gehe ausserhäuslichen Aktivitäten nach (u.a. Besuch von Cafés, Erledigung von Einkäufen für sich und für Bekannte). Aus invalidenversicherungsrechtlicher Sicht bestehe daher keine Einschränkung der Arbeitsfähigkeit. Zudem sei das psychische Leiden behandelbar; eine Verbesserung des Zustandes durch Weiterführung einer psychiatrisch-psychotherapeutischen Behandlung sei möglich.  
 
4.2. Auch wenn die Vorsorgeeinrichtung nicht in das Invalidenversicherungsverfahren einbezogen wurde, muss sich der Beschwerdeführer - da sich die Beschwerdegegnerin auf die Verbindlichkeit der IV-Verfügung beruft - diese unter Vorbehalt der offensichtlichen Unhaltbarkeit entgegen halten lassen (vgl. E. 3.2 hievor).  
 
5.  
 
5.1. Zu prüfen ist somit nachstehend, ob es sich als bundesrechtswidrig erweist, dass das kantonale Gericht diese leistungsablehnende Verfügung - mit Blick auf die im Verfügungszeitpunkt vorliegende Aktenlage und die damals geltende Rechtslage - nicht als offensichtlich unhaltbar qualifizierte. Zwar hat eine IV-Stelle rechtsprechungsgemäss auf ein im Verfahren nach Art. 44 ATSG eingeholtes Gutachten abzustellen, wenn nicht konkrete Indizien gegen die Zuverlässigkeit der Expertise sprechen (BGE 135 V 465 E. 4.4). Dies ändert aber nichts daran, dass hinsichtlich des Beweiswertes eines Arztberichtes entscheidend ist, ob dieser für die streitigen Belange umfassend ist, auf allseitigen Untersuchungen beruht, auch die geklagten Beschwerden berücksichtigt, in Kenntnis der Vorakten (Anamnese) abgegeben worden ist, in der Beurteilung der medizinischen Zusammenhänge sowie der medizinischen Situation einleuchtet und ob die Schlussfolgerungen der Experten begründet sind (BGE 134 V 231 E. 5.1; 125 V 351 E. 3a mit Hinweis). Diese Grundsätze gelten auch und besonders dann, wenn eine PTBS diagnostiziert ist. Im Rahmen der von der rechtsanwendenden Behörde vorzunehmenden Überprüfung, ob klassifikatorischen Vorgaben (gemäss ICD-10 oder einem anderen anerkannten Klassifikationssystem) tatsächlich eingehalten sind, kommt bei diesem Leiden der Frage, ob das auslösende Ereignis als geeigneter Stressor im Sinne der einschlägigen klassifikatorischen Vorgaben gemäss ICD-10 F43.1 betrachtet werden kann, besondere Bedeutung zu (vgl. Urteil 9C_289/2017 vom 4. September 2017 E. 4 mit weiteren Hinweisen). Im Lichte dieser im Verfügungszeitpunkt geltenden Rechtsprechung erscheint der Schluss der IV-Stelle, es sei bei unbekannt gebliebenem auslösenden Trauma, die Diagnose einer (komplexen) PTBS nicht hinreichend nachvollziehbar begründet, nicht als offensichtlich unhaltbar.  
 
5.2. Im Grundsatz zutreffend sind die Ausführungen des Beschwerdeführers, wonach die IV-Stelle bei mangelnder Nachvollziehbarkeit der durch das Gutachten gestellten Diagnose verpflichtet gewesen wäre, eine Neubegutachtung des Versicherten zu veranlassen (vgl. auch erwähntes Urteil 9C_289/2017 vom 4. September 2017 E. 4.4). Wenn die IV-Stelle im vorliegenden Fall darauf verzichtet und ohne weitere medizinische Abklärungen einen Leistungsanspruch verneint hat, erweist sich dies indessen aus zwei Gründen nicht als offensichtlich unhaltbar: Zum einen sprach die IV-Stelle in einer - wenn auch nur rudimentär vorhandenen - Indikatorenprüfung im Sinne BGE 141 V 281 einer durch die PTBS verursachten Arbeitsunfähigkeit die invalidenversicherungsrechtliche Relevanz ab (zur Anwendbarkeit der Indikatorenprüfung bei diagnostiziertem PTBS nach der im Zeitpunkt der Verfügung geltenden Rechtsprechung: BGE 142 V 342). Zum anderen wies sie darauf hin, dass das psychische Leiden des Versicherten einer Therapie zugänglich war, was nach der damaligen (erst durch BGE 143 V 409 vom 30. November 2017 geänderten) Rechtsprechung regelmässig zur Verneinung eines invalidenversicherungsrechtlichen Leistungsanspruchs führte (vgl. BGE 143 V 409 E. 4.1 mit weiteren Hinweisen).  
 
5.3. Hat das kantonale Gericht demnach kein Bundesrecht verletzt, als es die Verfügung der IV-Stelle des Kantons Zürich vom 30. August 2017 nicht als offensichtlich unhaltbar qualifizierte, so ist die Verneinung eines Leistungsanspruchs des Versicherten gegen die Vorsorgeeinrichtung nicht zu beanstanden. Seine Beschwerde ist somit abzuweisen.  
 
6.  
Dem Verfahrensausgang entsprechend sind die Gerichtskosten dem unterliegenden Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3.  
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 28. Juli 2021 
 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Parrino 
 
Der Gerichtsschreiber: Nabold