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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
7B_92/2022  
 
 
Urteil vom 18. Juli 2023  
 
II. strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Abrecht, Präsident, 
Bundesrichter Hurni, Kölz, 
Gerichtsschreiber Stadler. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Patrik Odermatt, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Staatsanwaltschaft des Kantons Obwalden, Enetriederstrasse 1, 6060 Sarnen. 
 
Gegenstand 
Strafverfahren; Ausstand, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Obwalden vom 2. Februar 2022 
(AB 21/018/SKE). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Im Rahmen des Strafverfahrens gegen A.________ wegen versuchter Nötigung und Verleumdung zum Nachteil von Rechtsanwältin B.________ sandte der damals für das Vorverfahren zuständige stv. Oberstaatsanwalt Bernhard Schöni am 8. Juli 2021 den Parteien eine Parteimitteilung i.S.v. Art. 318 Abs. 1 StPO, wonach er beabsichtige, die Strafuntersuchung wegen Nötigung einzustellen und diejenige wegen Verleumdung mit einem Strafbefehl zu erledigen. In der Folge reichte A.________ am 10. September 2021 insgesamt 18 Beweisanträge ein. Am 29. September 2021 wies der fallführende Staatsanwalt Bernhard Schöni die Beweisanträge ab. Am 4. Oktober 2021 reichte A.________ ein Ausstandsgesuch gegen diesen ein und beantragte, sämtliche Verfahrenshandlungen, die unter der Leitung von Bernhard Schöni direkt oder indirekt angeordnet, veranlasst oder durchgeführt wurden, seien aufzuheben und zu wiederholen. Die von ihm erhobenen Beweise seien aus den Verfahrensakten zu entfernen. Am 8. Oktober 2021 nahm Bernhard Schöni zum Ausstandsgesuch Stellung und widersetzte sich diesem, weshalb er die Sache an das Obergericht des Kantons Obwalden zur weiteren Behandlung überwies. Mit Entscheid vom 2. Februar 2022 hiess das Obergericht das Ausstandsbegehren teilweise gut. Es ging davon aus, dass Bernhard Schöni ab dem Zeitpunkt der Behandlung der von A.________ eingereichten Beweisanträge am 29. September 2021 befangen gewesen sei. 
 
B.  
 
B.a. A.________ führt Beschwerde in Strafsachen und beantragt, der Entscheid des Obergerichts sei insoweit aufzuheben, als sein Ausstandsbegehren vollumfänglich gutzuheissen und Bernhard Schöni für die gesamte Dauer des Strafverfahrens in den Ausstand zu stellen sei. Eventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung des Ausstandsgesuchs inkl. der Folgen der Verletzung der Ausstandsvorschriften und zur Neuverlegung der Kosten und Entschädigung zurückzuweisen.  
 
B.b. Das Obergericht hat auf eine Vernehmlassung verzichtet. Die Staatsanwaltschaft des Kantons Obwalden beantragt in ihrer Stellungnahme die Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei. A.________ hat eine Replik eingereicht. Daraufhin hat sich die Staatsanwaltschaft erneut vernehmen lassen.  
 
B.c. Das präsidierende Mitglied der - vormals zuständigen - I. öffentlich-rechtlichen Abteilung hat am 5. April 2022 die Gesuche von A.________ um Gewährung der aufschiebenden Wirkung sowie Sistierung des Verfahrens abgewiesen. Am 24. August 2022 hat es das erneute Gesuch von A.________ um Sistierung des Verfahrens ebenso abgewiesen.  
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Die Sachurteilsvoraussetzungen von Art. 78 ff. bzw. Art. 92 Abs. 1 BGG sind erfüllt und geben zu keinen Bemerkungen Anlass. 
 
2.  
 
2.1. Der Beschwerdeführer macht zusammenfassend geltend, die Vorinstanz habe sein Vorbringen nicht geprüft, wonach die ehemalige Oberstaatsanwältin und Vorgesetzte von Bernhard Schöni am 16. Januar 2019 in einem Brief an die Vorinstanz mitgeteilt habe, aus Sicht der Staatsanwaltschaft sei der Anschein der Befangenheit für sämtliche Mitglieder der Staatsanwaltschaft Obwalden gegeben. Die Berücksichtigung dieses Umstands führe dazu, dass im Ergebnis Bernhard Schöni von Anfang an befangen gewesen sei. Das Schreiben von Bernhard Schöni vom 29. September 2021 sei nur der letzte Tropfen gewesen, der das Fass zum Überlaufen gebracht habe, obschon seit dem 29. März 2019 bzw. der Verfahrenseröffnung durch denselben nach einer langen Abfolge von einseitigen Ermittlungen zu Lasten des Beschwerdeführers ermittelt worden sei.  
 
2.2. Die Vorinstanz hielt im Wesentlichen fest, die Begründungen von Bernhard Schöni, mit denen er am 29. September 2021 die Beweisanträge des Beschwerdeführers abgewiesen habe, seien insgesamt deplatziert, unprofessionell und unangebracht. Sie erreichten die Qualität einer schweren Verfehlung im Sinne der bundesgerichtlichen Rechtsprechung, welche die unbefangene Verfahrensführung ernsthaft in Frage stellen könnte. Das Ausstandsbegehren sei daher insoweit gutzuheissen. Im Übrigen räume der Beschwerdeführer ein, dass sich nicht bestimmen lasse, ab wann das Verfahren parteiisch geführt worden sei. Dies könne auch nicht eruiert werden. Dass keine Untersuchungshandlung zu Entlastungsbeweisen dokumentiert sei, könne hieran ebenso wenig ändern wie der Umstand, dass Bernhard Schöni die Einvernahme der Strafklägerin als Auskunftsperson unterlassen habe. Es sei dem Beschwerdeführer unbenommen, die Erhebung von Entlastungsbeweisen und die Befragung von Personen zu beantragen. Bei dieser Sachlage sei davon auszugehen, dass Bernhard Schöni ab dem Zeitpunkt der Behandlung der vom Beschwerdeführer eingereichten Beweisanträge am 29. September 2021 befangen gewesen sei. Entsprechend seien ab diesem Stichtag die Verfahrenshandlungen aufzuheben und zu wiederholen. Dies betreffe namentlich die Behandlung der vom Beschwerdeführer am 10. September 2021 eingereichten Beweisanträge, die ein neu zu bestimmender fallverantwortlicher Staatsanwalt erneut zu beurteilen haben werde. Von einer Aufhebung und Wiederholung sämtlicher Verfahrenshandlungen sei dabei ebenso abzusehen wie von der Entfernung der bis zum Stichtag erhobenen Beweise aus den Verfahrensakten.  
 
2.3.  
 
2.3.1. Die Ausstandsgründe für die in einer Strafbehörde tätigen Justizpersonen sind in Art. 56 StPO geregelt. Zu den Strafbehörden gehören neben den Gerichten (Art. 13 StPO) die Strafverfolgungsbehörden, darunter die Organe der Staatsanwaltschaft (Art. 12 lit. b StPO). Von den in Art. 56 lit. a-e StPO geregelten besonderen Ausstandsgründen abgesehen (persönliches Interesse an der Strafsache, Vorbefassung in anderer Stellung, persönliche Beziehung zu Parteien usw.), tritt in den Ausstand, wer aus anderen Gründen, insbesondere wegen Freundschaft oder Feindschaft mit einer Partei oder deren Rechtsbeistand, befangen sein könnte (Art. 56 lit. f StPO).  
Befangenheit einer staatsanwaltlichen Untersuchungsleiterin oder eines Untersuchungsleiters (Art. 56 lit. f StPO) ist nach der Praxis des Bundesgerichtes nicht leichthin anzunehmen. Zu bejahen ist sie, wenn nach objektiver Betrachtung besonders krasse oder ungewöhnlich häufige Fehlleistungen der Untersuchungsleitung vorliegen, welche bei gesamthafter Würdigung eine schwere Verletzung der Amtspflichten darstellen und sich einseitig zulasten einer der Prozessparteien auswirken (BGE 143 IV 69 E. 3.2; 141 IV 178 E. 3.2.3; 138 IV 142 E. 2.3; Urteile 1B_567/2022 vom 12. Juni 2023 E. 3.2; 1B_118/2021 vom 13. Juli 2021 E. 3.2; 1B_149/2019 vom 3. September 2019 E. 2.2; je mit Hinweisen). Diesbezüglich sind primär die zur Verfügung stehenden Rechtsmittel gegen beanstandete Verfahrenshandlungen auszuschöpfen (vgl. BGE 143 IV 69 E. 3.2; 114 Ia 153 E. 3b/bb; je mit Hinweisen). 
 
2.3.2. Im Allgemeinen verpflichtet der verfassungsmässige Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV) die Behörden, die Vorbringen der Parteien tatsächlich zu hören, zu prüfen und in der Entscheidfindung zu berücksichtigen. Dementsprechend müssen sie ihre Entscheide ausreichend und nachvollziehbar begründen (BGE 145 IV 99 E. 3.1 mit Hinweisen). Dabei ist es nicht erforderlich, dass sie sich mit allen Parteistandpunkten einlässlich auseinandersetzen und jedes einzelne Vorbringen ausdrücklich widerlegen. Vielmehr können sie sich auf die für den Entscheid wesentlichen Punkte beschränken. Die Begründung muss so abgefasst sein, dass sich die betroffene Person über die Tragweite des Entscheids Rechenschaft geben und ihn in voller Kenntnis der Sache an die höhere Instanz weiterziehen kann. In diesem Sinne müssen wenigstens kurz die Überlegungen genannt werden, von denen sich die Behörde hat leiten lassen und auf die sich ihr Entscheid stützt (BGE 143 III 65 E. 5.2; ferner BGE 147 IV 409 E. 5.3.4; 146 IV 297 E. 2.2.7; je mit Hinweisen).  
 
2.3.3. Die Beschwerde an das Bundesgericht ist zu begründen (Art. 42 Abs. 1 BGG). In der Begründung ist in gedrängter Form darzulegen, inwiefern der angefochtene Akt Recht verletzt (Art. 42 Abs. 2 BGG; BGE 143 I 377 E. 1.2). Die Begründung muss sachbezogen sein und erkennen lassen, dass und weshalb nach Auffassung des Beschwerdeführers Recht verletzt ist (BGE 142 I 99 E. 1.7.1). Die beschwerdeführende Partei kann in der Beschwerdeschrift nicht bloss erneut die Rechtsstandpunkte bekräftigen, die sie im kantonalen Verfahren eingenommen hat, sondern hat mit ihrer Kritik an den als rechtsfehlerhaft erachteten Erwägungen der Vorinstanz anzusetzen (BGE 146 IV 297 E. 1.2 mit Hinweisen). Eine qualifizierte Begründungspflicht obliegt, soweit die Verletzung von Grundrechten einschliesslich Willkür behauptet wird (Art. 97 Abs. 1 i.V.m. Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 148 IV 39 E. 2.3.5). Auf ungenügend begründete Rügen oder allgemeine appellatorische Kritik am angefochtenen Entscheid tritt das Bundesgericht nicht ein (BGE 147 IV 73 E. 4.1.2; 146 IV 114 E. 2.1; je mit Hinweisen).  
 
2.4.  
 
2.4.1. Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers hat die Vorinstanz einen Ausstandsgrund von Bernhard Schöni ausdrücklich erst ab dem 29. September 2021 bejaht. Sie begründet diesen mit den Äusserungen von Bernhard Schöni in Zusammenhang mit dessen Behandlung der vom Beschwerdeführer eingereichten Beweisanträge am 29. September 2021. Folgerichtig hat die Vorinstanz das Ausstandsgesuch teilweise gutgeheissen. Inwiefern der vorinstanzliche Entscheid dem Beschwerdeführer die Anfechtung vor Bundesgericht erschwert haben soll, ist nicht ersichtlich. Jedenfalls strebt der Beschwerdeführer eine Korrektur des angefochtenen Entscheids insofern an, als dass Bernhard Schöni vollständig und von Anfang an, d.h. bereits ab der Verfahrenseröffnung am 29. März 2019, in den Ausstand zu stellen sei.  
 
2.4.2. Der Entscheid der Vorinstanz ist nicht zu beanstanden. Selbst unter Mitberücksichtigung des Umstands, dass die ehemalige Oberstaatsanwältin in der gegenständlichen Angelegenheit am 21. Dezember 2018 für sämtliche Staatsanwälte des Kantons Obwalden bei der Vorinstanz ein Ausstandsbegehren stellte, sind keine Gründe ersichtlich, die zumindest objektiv den Anschein der Befangenheit von Bernhard Schöni ab dem Tag der Eröffnung des Strafverfahrens rechtfertigen würden. Die Oberstaatsanwältin begründete ihr Ausstandsgesuch damit, dass gemäss Ansicht des Beschwerdeführers zwischen der Strafklägerin als (damaliger) Rechtspflegekommissionspräsidentin und u.a. der Staatsanwaltschaft eine Abhängigkeit bestehen soll. Darüber hinaus machte sie eine "sehr gute Freundschaft seit Kindesalter" zwischen ihr (der Oberstaatsanwältin) und der Strafklägerin geltend. Die Person von Bernhard Schöni erwähnte die Oberstaatsanwältin im fraglichen Schreiben vom 16. Januar 2019 nicht. Der Beschwerdeführer geht in Bezug auf Bernhard Schöni denn auch von einer "weniger substantiierten" Mitteilung aus. Wie er sodann selber vorbringt, wurde das Ausstandsgesuch der Oberstaatsanwältin von der Vorinstanz am 6. Februar 2019 "nur" teilweise gutgeheissen, wobei der Ausstand der Oberstaatsanwältin bewilligt wurde; für die übrigen Staatsanwälte der Staatsanwaltschaft Obwalden wurde ein Ausstandsgrund verneint. Zudem wurde der Antrag der Staatsanwaltschaft Obwalden auf Einsetzung eines ausserkantonalen Staatsanwalts am 21. Februar 2019 abgewiesen, woraufhin Bernhard Schöni am 29. März 2019 als Staatsanwalt die Verfahrensleitung übernahm. Inwiefern die früheren Entscheide der Vorinstanz, nicht sämtliche innerkantonalen Staatsanwälte - mithin auch nicht Bernhard Schöni - als befangen zu erklären, zu kritisieren wären, legt der Beschwerdeführer nicht dar. Ebenso wenig ist ersichtlich, was die späteren schriftlichen Äusserungen von Bernhard Schöni vom 29. September 2021 an der damaligen Einschätzung der Vorinstanz rückwirkend ändern sollten.  
Auch im Übrigen vermag der Beschwerdeführer nicht im Ansatz darzutun und ist nicht ersichtlich, inwiefern Bernhard Schöni vor dem 29. September 2021 befangen gewesen sein sollte. Soweit er weitschweifig und unsubstanziiert behauptet, Bernhard Schöni habe von Beginn an einseitig gegen ihn ermittelt, kommt er den Begründungsanforderungen von Art. 42 Abs. 2 BGG nicht nach. Dass Bernhard Schöni als fallführender Staatsanwalt vor dem erwähnten Stichtag krasse oder ungewöhnlich häufige Verfahrensfehler begangen oder zu verantworten hätte, ergibt sich aus den - für das Bundesgericht verbindlichen (Art. 105 Abs. 1 BGG) - vorinstanzlichen Feststellungen jedenfalls nicht. Was der Beschwerdeführer hiergegen vorbringt, geht nicht über eine appellatorische Kritik am angefochtenen Entscheid hinaus. Zusammenfassend verletzt die Vorinstanz kein Bundesrecht, wenn sie für Bernhard Schöni vor dem 29. September 2021 einen Ausstandsgrund verneint. Die Rügen der Verletzung von Art. 56 StPO und des Willkürverbots verfangen nicht, soweit sie überhaupt hinreichend begründet werden. Gleiches gilt für die Rüge der Verletzung der Begründungspflicht, brauchte sich die Vorinstanz doch nicht mit jedem einzelnen Einwand des Beschwerdeführers ausdrücklich auseinanderzusetzen (vgl. E. 2.3.2 hiervor). 
 
3.  
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Ausgangsgemäss werden die Gerichtskosten dem Beschwerdeführer auferlegt (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten wird. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3.  
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft des Kantons Obwalden und dem Obergericht des Kantons Obwalden schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 18. Juli 2023 
 
Im Namen der II. strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Abrecht 
 
Der Gerichtsschreiber: Stadler