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Eidgenössisches Versicherungsgericht 
Tribunale federale delle assicurazioni 
Tribunal federal d'assicuranzas 
 
Sozialversicherungsabteilung 
des Bundesgerichts 
 
Prozess {T 7} 
C 144/06 
 
Urteil vom 19. Oktober 2006 
III. Kammer 
 
Besetzung 
Präsident Ferrari, Bundesrichter Lustenberger und Seiler; Gerichtsschreiberin Schüpfer 
 
Parteien 
L.________, Beschwerdeführer, vertreten durch die DAS Rechtsschutz-Versicherungs-AG, Wengistrasse 7, 8004 Zürich, 
 
gegen 
 
Arbeitslosenkasse des Kantons Zürich, Brunngasse 6, 8400 Winterthur, Beschwerdegegnerin 
 
Vorinstanz 
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Winterthur 
 
(Entscheid vom 24. Mai 2006) 
 
Sachverhalt: 
A. 
Gemäss Arbeitsvertrag vom 13. April 2004 war der 1981 geborene L.________ ab dem 1. Mai 2004 zu einem Monatslohn von Fr. 3'700.- brutto als Hilfsreiniger bei der Firma X.________ angestellt. Bereits am 30. Juni 2004 kündigte diese das Arbeitsverhältnis aus wirtschaftlichen Gründen auf Ende August 2004. Am 11. August wurde über die Firma X.________ der Konkurs eröffnet. L.________ machte im Konkurs offene Forderungen im Betrag von Fr. 4'601.50 geltend und stellte am 25. Oktober 2004 bei der Arbeitslosenkasse des Kantons Zürich Antrag auf Insolvenzentschädigung in der gleichen Höhe. Die Kasse lehnte mit Verfügung vom 1. April 2005 ihre Leistungspflicht mit der Begründung ab, der Versicherte habe seine Schadenminderungspflicht verletzt. Auch auf Einsprache hin hielt sie daran fest (Entscheid vom 4. Mai 2005). 
B. 
Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich wies die dagegen erhobene Beschwerde mit Entscheid vom 24. Mai 2006 ab. 
C. 
L.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen und beantragen, in Aufhebung des Einspracheentscheides vom 4. Mai 2005 und des kantonalen Entscheides vom 24. Mai 2006 sei die Sache an die Arbeitslosenkasse zurückzuweisen, damit diese über seinen Anspruch auf Insolvenzentschädigung neu verfüge. 
 
Die Arbeitslosenkasse des Kantons Zürich schliesst sinngemäss auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Staatssekretariat für Wirtschaft verzichtet auf eine Stellungnahme. 
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 
1. 
1.1 Im vorinstanzlichen Entscheid werden die gesetzlichen Bestimmungen über den Anspruch auf Insolvenzentschädigung (Art. 51 Abs. 1 AVIG), den Umfang des Anspruchs (Art. 52 Abs. 1 AVIG in der seit 1. Juli 2003 gültigen Fassung) sowie über die Pflichten des Arbeitnehmers im Konkurs- oder Pfändungsverfahren (Art. 55 Abs. 1 AVIG; BGE 114 V 59 Erw. 3d; ARV 2002 Nr. 8 S. 62 ff. und Nr. 30 S. 190 ff., 1999 Nr. 24 S. 140 ff.) zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen. 
1.2 Die Bestimmung von Art. 55 Abs. 1 AVIG, wonach der Arbeitnehmer im Konkurs- oder Pfändungsverfahren alles unternehmen muss, um seine Ansprüche gegenüber dem Arbeitgeber zu wahren, bezieht sich dem Wortlaut nach auf das Konkurs- und Pfändungsverfahren. Sie bildet jedoch Ausdruck der allgemeinen Schadenminderungspflicht, welche auch dann Platz greift, wenn das Arbeitsverhältnis vor der Konkurseröffnung aufgelöst wird (BGE 114 V 60 Erw. 4; ARV 1999 Nr. 24 S. 140 ff.). Sie obliegt der versicherten Person in reduziertem Umfang schon vor der Auflösung des Arbeitsverhältnisses, wenn der Arbeitgeber der Lohnzahlungspflicht nicht oder nur teilweise nachkommt und mit einem Lohnverlust zu rechnen ist (ARV 2002 Nr. 30 S. 190). 
2. 
Das kantonale Gericht hat erwogen, es sei nicht nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführer bei einem vereinbarten Monatsbruttolohn von Fr. 3'700.- am 1. Juni 2004 zwar einen zu hohen Betrag von netto Fr. 4'000.- habe entgegennehmen können, sich aber danach mit unregelmässigen Zahlungen von Fr. 1'500.- Ende Juli 2004 und Fr. 2'000.- am 7. August 2004 begnügt habe, ohne gegen seine Arbeitgeberin rechtliche Schritte zu unternehmen, wobei bereits eine schriftliche Mahnung als solche gälte. Spätestens nach der Kündigung des Arbeitsverhältnisses habe kein Anlass mehr bestanden, von einer Geltendmachung der Lohnausstände abzusehen. Da die Kündigung aus wirtschaftlichen Gründen erfolgte, habe er mit einem Lohnverlust rechnen müssen. Indem er keinerlei rechtliche Schritte unternommen habe, habe er seine Schadenminderungspflicht verletzt, womit ein Anspruch auf Insolvenzentschädigung entfalle. 
3. 
3.1 Auch eine ursprüngliche Leistungsverweigerung infolge Verletzung der Schadenminderungspflicht im Sinne der zu Art. 55 Abs. 1 AVIG ergangenen Rechtsprechung (Erw. 1.2) setzt voraus, dass dem Versicherten ein schweres Verschulden, also vorsätzliches oder grobfahrlässiges Handeln oder Unterlassen vorgeworfen werden kann (Urteile S. vom 13. März 2006, C 256/05 und F. vom 6. Februar 2006, C 270/05 mit Hinweis auf Urs Burgherr, Die Insolvenzentschädigung, des Arbeitgebers als versichertes Risiko, Diss. Zürich 2004, S. 166 und FN 640). Das Ausmass der vorausgesetzten Schadenminderungspflicht richtet sich nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls. Vom Arbeitnehmer wird in der Regel nicht verlangt, dass er bereits während des bestehenden Arbeitsverhältnisses gegen den Arbeitgeber Betreibung einleitet oder eine Klage einreicht. Er hat jedoch diesem gegenüber seine Lohnforderung in eindeutiger und unmissverständlicher Weise geltend zu machen (ARV 2002 Nr. 30 S. 190). Zu weitergehenden Schritten ist die versicherte Person dann gehalten, wenn es sich um erhebliche Lohnausstände handelt und sie konkret mit einem Lohnverlust rechnen muss. Denn es geht auch für die Zeit vor Auflösung des Arbeitsverhältnisses nicht an, dass die versicherte Person ohne hinreichenden Grund während längerer Zeit keine rechtlichen Schritte zur Realisierung erheblicher Lohnausstände unternimmt, obschon sie konkret mit dem Verlust der geschuldeten Gehälter rechnen muss (Urteile F. vom 6. Februar 2006, C 270/05; B. vom 20. Juli 2005, C 264/04; G. vom 14. Oktober 2004, C 114/04, und G. vom 4. Juli 2002, C 33/02). 
3.2 Entgegen den Ausführungen der Arbeitslosenkasse bestand nicht schon für den Monat Mai ein Lohnrückstand. Im Gegenteil wurde dem Beschwerdeführer am 1. Juni 2004 bedeutend mehr als der geschuldete Nettolohn ausbezahlt. Nach seiner unwidersprochenen Darstellung hat er nach Ausbleiben der Lohnzahlung Ende Juni seine Forderung mündlich bei der Arbeitgeberin gemahnt. In der Folge erhielt er dann am 29. Juli und am 7. August 2004 weitere Teilzahlungen. Im Zeitpunkt der Kündigung am 30. Juni 2004 war nur ein Teil des Juni-Lohnes offen. Es bestand für den Beschwerdeführer also noch keine Veranlassung, gegen seine Arbeitgeberin rechtliche Schritte zu unternehmen. Da im Zeitpunkt der Konkurseröffnung am 11. August 2004 insgesamt nur drei Monatslöhne fällig geworden waren - die Fälligkeit des Augustlohnes trat erst nach der Konkurseröffnung ein -, bezifferte sich die offene Forderung netto auf nur noch Fr. 2'598.75, also weniger als einen ganzen Monatslohn (Fr. 3'700.- x 3 abzüglich 9,02 % Sozialversicherungsbeiträge und Zahlungen von insgesamt Fr. 7'500.-). Es kann also nicht von "erheblichen Lohnausständen" (vgl. Erwägung 3.1) gesprochen werden. In Würdigung des vorliegenden konkreten Einzelfalles ist entscheidend, dass der Beschwerdeführer nicht untätig geblieben war, sondern seine Forderungen stets wieder mündlich geltend machte und darauf hin auch immer wieder Zahlungen erfolgten, dass er nicht mit einer unbefriedigenden Auftragslage und damit mit einem Lohnverlust rechnen musste, nachdem er eben erst angestellt worden war, dass er nicht während längerer Zeit ohne Lohn weiterarbeitete, und dass es angesichts der Art des Anstellungsverhältnisses nicht als üblich bezeichnet werden kann, dass Arbeitnehmer und Arbeitgeber schriftlich miteinander kommunizieren. Eine schriftliche Mahnung konnte vom Beschwerdeführer insbesondere angesichts der relativ kurzen Dauer des Zahlungsrückstandes nicht erwartet werden. Es bestand für ihn auch kein zwingender Anlass, bereits vor der Auflösung des Arbeitsverhältnisses weitergehende rechtliche Schritte zur Realisierung der Lohnforderung zu unternehmen. Offen bleiben kann dabei die Frage, ob angesichts der sehr kurzen Zeit zwischen dem ersten Zahlungsrückstand am 1. Juli bis zur Konkurseröffnung am 10. August das Einleiten solcher Schritte überhaupt hätten zum Erfolg führen können, mit anderen Worten, ob eine tatsächliche Untätigkeit kausal zum Schaden der Arbeitslosenkasse gewesen wäre. Wollte man hier von einer Verletzung der Schadenminderungspflicht sprechen, gäbe es wohl kaum Fälle, in denen Insolvenzentschädigung geschuldet wäre. Ein Verschulden des Beschwerdeführers ist nicht ersichtlich, schon gar kein qualifiziertes. 
4. 
Nach dem Gesagten ist die Sache an die Arbeitslosenkasse zurückzuweisen, damit sie die weiteren Anspruchsvoraussetzungen prüfe und über den Anspruch auf Insolvenzentschädigung neu verfüge. 
5. 
Da es um Versicherungsleistungen geht, ist das Verfahren kostenlos (Art. 134 OG). Entsprechend dem Ausgang des Prozesses hat der Beschwerdeführer Anspruch auf eine Parteientschädigung zu Lasten der Beschwerdegegnerin (Art. 159 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 135 OG). 
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: 
1. 
In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde werden der Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 24. Mai 2006 und der Einspracheentscheid der Arbeitslosenkasse des Kantons Zürich vom 4. Mai 2005 aufgehoben und die Sache wird an die Arbeitslosenkasse des Kantons Zürich zurückgewiesen, damit sie, nach erfolgter Abklärung im Sinne der Erwägungen, über den Anspruch auf Insolvenzentschädigung neu verfüge. 
2. 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
3. 
Die Beschwerdegegnerin hat dem Beschwerdeführer für das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht eine Parteientschädigung von Fr. 2'000.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen. 
4. 
Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich wird über eine Parteientschädigung für das kantonale Verfahren entsprechend dem Ausgang des letztinstanzlichen Prozesses zu befinden haben. 
5. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, dem Amt für Wirtschaft und Arbeit des Kantons Zürich und dem Staatssekretariat für Wirtschaft zugestellt. 
Luzern, 19. Oktober 2006 
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts 
Der Präsident der III. Kammer: Die Gerichtsschreiberin: