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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
8C_898/2011 
 
Urteil vom 6. Juni 2012 
I. sozialrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Ursprung, Präsident, 
Bundesrichterin Leuzinger, Bundesrichter Maillard, 
Gerichtsschreiberin Schüpfer. 
 
Verfahrensbeteiligte 
H.________, vertreten durch 
lic. iur. Mathias Zihlmann, 
CAP Rechtsschutz-Versicherungsgesellschaft AG, Beschwerdeführer, 
 
gegen 
 
Arbeitslosenkasse des Kantons Zug, Industriestrasse 24, 6300 Zug, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Arbeitslosenversicherung (Insolvenzentschädigung), 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Zug vom 27. Oktober 2011. 
 
Sachverhalt: 
 
A. 
Der 1968 geborene H.________ war ab 1. September 2008 als Project Coordinator für die G.________ AG, Zug, tätig. Nachdem er für die Monate Juli, August und September 2009 keinen Lohn erhalten hatte, legte er seine Arbeit auf Beginn des Monats Oktober 2009 nieder. Das Arbeitsverhältnis wurde am 22. Dezember 2009 "rückwirkend" auf Ende September 2009 aufgelöst. Mit separater Vereinbarung gleichen Datums anerkannte die G.________ AG, H.________ den Bruttolohn von Fr. 19'876.50 zu schulden und diesen Betrag bis zum 28. Februar 2010 zu bezahlen, sofern sie bis dahin die dafür notwendigen Mittel habe. In der Folge wurden am 19. Februar 2010 Fr. 2'200.-, am 11. März 2010 Fr. 1'500.-, am 15. April 2010 wiederum Fr. 2'200.- und am 20. Mai 2010 nochmals Fr. 1'500.- bezahlt. Nach Ausbleiben weiterer Zahlungen im Juni 2010 drohte H.________ seiner ehemaligen Arbeitgeberin an, sie zu betreiben, sollte die Restanz bis Ende Juli 2010 nicht beglichen sein. Am 21. Juli 2010 stellte er einen Antrag auf Insolvenzentschädigung. Unmittelbar nachdem ihm mitgeteilt wurde, dass dafür eine erfolglose Betreibung oder der Konkurs der Arbeitgeberin vorausgesetzt sei, leitete er die Betreibung seiner Forderung ein. Im Betreibungsverfahren wurde ein Rechtsöffnungsbegehren mit Entscheid vom 28. Dezember 2010 abgewiesen. Über die G.________ AG wurde am 26. Januar 2011 der Konkurs eröffnet. Die Arbeitslosenkasse des Kantons Zug verneinte mit Verfügung vom 7. März 2011 ihre Leistungspflicht mit der Begründung, der Versicherte sei seiner Schadenminderungspflicht nicht hinreichend nachgekommen. Daran hielt sie auf Einsprache hin fest (Einspracheentscheid vom 12. Juli 2011). 
 
B. 
Das Verwaltungsgericht des Kantons Zug wies die dagegen erhobene Beschwerde ab (Entscheid vom 27. Oktober 2011). 
 
C. 
H.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen und beantragen, in Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides sei ihm eine Insolvenzentschädigung in der Höhe von Fr. 15'243.65 auszurichten. 
De Arbeitslosenkasse des Kantons Zug und das vorinstanzliche Gericht schliessen auf Abweisung der Beschwerde. Das Staatssekretariat für Wirtschaft verzichtet auf eine Stellungnahme. 
 
Erwägungen: 
 
1. 
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 ff. BGG) kann wegen Rechtsverletzung gemäss Art. 95 f. BGG erhoben werden. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG), und kann deren Sachverhaltsfeststellung nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG). 
 
2. 
2.1 Im angefochtenen Gerichtsentscheid werden die Bestimmungen und Grundsätze zum Anspruch auf Insolvenzentschädigung (Art. 51 Abs. 1 und Art. 58 AVIG; vgl. auch BGE 134 V 88), zum Umfang des Anspruchs (Art. 52 Abs. 1 AVIG) sowie zu den Pflichten des Arbeitnehmers im Konkurs- oder Pfändungsverfahren (Art. 55 Abs. 1 AVIG; BGE 114 V 56 E. 3d S. 59; ARV 2002 Nr. 8 S. 62, C 91/01, und Nr. 30 S. 190, C 367/01; ARV 1999 Nr. 24 S. 140, C 183/97) zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen. 
 
2.2 Die Bestimmung von Art. 55 Abs. 1 AVIG, wonach der Arbeitnehmer im Konkurs- oder Pfändungsverfahren alles unternehmen muss, um seine Ansprüche gegenüber dem Arbeitgeber zu wahren, bezieht sich dem Wortlaut nach auf das Konkurs- und Pfändungsverfahren. Sie bildet jedoch Ausdruck der allgemeinen Schadenminderungspflicht, welche auch dann Platz greift, wenn das Arbeitsverhältnis vor der Konkurseröffnung aufgelöst wird (BGE 114 V 56 E. 4 S. 60; ARV 1999 Nr. 24 S. 140, C 183/97). Die Vorinstanz hält in diesem Zusammenhang richtig fest, auch eine ursprüngliche Leistungsverweigerung infolge Verletzung der Schadenminderungspflicht im Sinne der zu Art. 55 Abs. 1 AVIG ergangenen Rechtsprechung setze voraus, dass dem Versicherten ein schweres Verschulden, also vorsätzliches oder grobfahrlässiges Handeln oder Unterlassen vorgeworfen werden kann (vgl. URS BURGHERR, Die Insolvenzentschädigung, S. 166). Das Ausmass der geforderten Schadenminderungspflicht richtet sich nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls (ARV 2010 S. 46 E. 3.2). 
 
3. 
3.1 Vorliegend ist umstritten, ob der Beschwerdeführer nach Auflösung des Arbeitsverhältnisses, aber vor der Konkurseröffnung vom 26. Januar 2011, seiner Schadenminderungspflicht nachgekommen ist. 
 
3.2 Das kantonale Gericht ging davon aus, zwischen der eigentlichen Arbeitsniederlegung am 15. September 2009 und der ersten betreibungsrechtlichen Geltendmachung der Forderung am 10. August 2010 seien knapp elf Monate verstrichen; nach Eingang der letzten Teilzahlung seien beinahe drei Monate vergangen, bis das Betreibungsbegehren gestellt worden sei. Der Beschwerdeführer habe seit Ausbleiben der ersten Lohnzahlungen um die prekären finanziellen Verhältnisse der Arbeitgeberin gewusst oder wissen müssen. Spätestens die Formulierung in der Abzahlungsvereinbarung vom 22. Dezember 2009, die Begleichung der Schuld erfolge bis Ende Februar 2010 "sofern die Gesellschaft bis dann die notwendigen Mittel besitze", habe dem Beschwerdeführer die Unsicherheit der versprochenen Lohnzahlungen verdeutlichen müssen. Dass es der Beschwerdeführer bis Ende September 2009 bei Mahnungen habe bewenden lassen, sei vertretbar. Da sich Mahnungen allein als nicht ausreichend erwiesen hätten, hätte der Versicherte indessen spätestens im Januar 2010 härtere Massnahmen ergreifen, beziehungsweise rechtliche, konkret: betreibungsrechtliche Schritte einleiten müssen. Die auf der Grundlage der Vereinbarung vom 22. Dezember 2009 in den Monaten Februar bis Mai 2010 geleisteten - eher geringen - Teilzahlungen hätten kein Vertrauen in die Zahlungswilligkeit beziehungsweise -fähigkeit der Arbeitgeberin gerechtfertigt. Der Beschwerdeführer habe mit konkreten rechtlichen Schritten viel zu lange zugewartet, weshalb ihm eine Missachtung der Schadenminderungspflicht vorzuwerfen sei. 
 
3.3 Gemäss den für das Bundesgericht grundsätzlich verbindlichen Feststellungen (Erwägung 1 hievor) hat der Versicherte nach Ausbleiben des Julilohnes 2009 seine Arbeitgeberin mehrmals gemahnt und ab dem 15. September 2009 seine Arbeit niedergelegt. Es folgten ca. drei Monate mit weiteren mündlichen Mahnungen, bis am 22. Dezember 2009 eine Abzahlungsvereinbarung getroffen und das Arbeitsverhältnis rückwirkend auf Ende September 2009 aufgelöst wurde. Gleichzeitig nahm der Beschwerdeführer Kontakt mit seiner Rechtschutzversicherung auf und liess sich juristisch beraten. Am 19. Februar (Fr. 2'200.-), 11. März (Fr. 1'500.-), 15. April (Fr. 2'200.-) und 20. Mai 2010 (Fr. 1'500.-) erfolgten Teilzahlungen. Nachdem die Junizahlung ausblieb, mahnte er seine Schuldnerin innert drei Wochen erneut schriftlich und drohte am 7. Juli 2010 eine Betreibung an. Am 21. Juli 2010 stellte er Antrag auf Insolvenzentschädigung. Am 9. August 2010 informierte ihn die Arbeitslosenkasse darüber, dass für entsprechende Leistungen ein Konkurs der Arbeitgeberin vorausgesetzt werde und er daher eine Betreibung einleiten müsse. Am 10. August 2010 stellte er das Betreibungsbegehren. 
 
3.4 Mit der Vorinstanz steht fest, dass dem Beschwerdeführer jedenfalls bis im Dezember 2009 keine Verletzung seiner Schadenminderungspflicht vorgeworfen werden kann. Immerhin wurde durch die "rückwirkende" Vertragsauflösung das Anwachsen der Lohnforderung verhindert. Durch weitere Mahnungen und Verhandlungen hat er erreicht, dass am 22. Dezember 2009 eine Tilgungsvereinbarung zustande kam. Demnach schuldete die G.________ AG dem Beschwerdeführer nebst dem Arbeitgeberanteil an die Sozialversicherungen einen Bruttolohn von Fr. 19'876.50. Diese Vereinbarung - auch wenn sie der Versicherte auf Anraten seiner Rechtsschutzversicherung letztlich nicht unterzeichnete - und die Kontaktaufnahme mit seiner Rechtsschutzversicherung können als geeignete Schritte zur Geltendmachung der Lohnforderung (vgl. ARV 2002 Nr. 30 S. 190, C 367/01) gewertet werden. In den Monaten Februar bis Mai 2010 erfolgten denn auch nicht sehr hohe, aber regelmässige Zahlungen. Bis Mitte Juni 2010, also dem Zeitpunkt, bis zu welchem er die Tilgung der nächsten Rate erwarten durfte, konnte vom Beschwerdeführer nicht erwartet werden, dass er rechtliche Schritte gegen die G.________ AG unternimmt, da er - namentlich angesichts der bereits geleisteten - auf weitere Akontozahlungen hoffen durfte. Ab diesem Zeitpunkt bis zur Einreichung des Betreibungsbegehrens am 10. August 2010 verstrichen knapp zwei Monate. Dies stellt keine Verletzung der Schadenminderungspflicht dar (vgl. Urteil C 163/06 E. 4.2 vom 19. Oktober 2006), zumal der Beschwerdeführer währenddessen nicht einfach zugewartet, sondern am 7. Juli 2010 und damit lediglich zwei bis drei Wochen nach Ausbleiben der Rate schriftlich gemahnt und sich am 20. Juli, also einen Monat nach Ausbleiben der Juni-Teilzahlung, an die Arbeitslosenkasse gewandt hat. Unmittelbar nach Auskunfterteilung durch die Arbeitslosenkasse leitete er die Betreibung ein. Zu berücksichtigen ist zudem, dass die ausstehende Lohnforderung brutto Fr. 19'876.- mit den bereits erfolgten Teilzahlungen bis auf eine Restanz von ca. Fr. 12'000.- abbezahlt war. Soweit eine Verletzung der Schadenminderungspflicht überhaupt anzunehmen wäre, wiegt sie nach den gesamten Umständen jedenfalls nicht derart schwer, als dass sie als grobfahrlässig zu qualifizieren und mit einer Leistungsverweigerung zu sanktionieren wäre. 
 
4. 
Nach dem Gesagten ist die Sache an die Arbeitslosenkasse zurückzuweisen, damit sie die weiteren Anspruchsvoraussetzungen prüfe und über den Anspruch auf Insolvenzentschädigung neu verfüge. 
 
5. 
Ausgangsgemäss hat die Beschwerdegegnerin die Gerichtskosten (Art. 66 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 68 Abs. 1 BGG) zu tragen und dem Beschwerdeführer eine Parteientschädigung zu entrichten (Art. 68 Abs. 2 BGG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Beschwerde wird in dem Sinne gutgeheissen, dass der Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Zug, Sozialversicherungsrechtliche Kammer, vom 27. Oktober 2011 und der Einspracheentscheid der Arbeitslosenkasse des Kantons Zug vom 12. Juli 2011 aufgehoben werden und die Sache an die Arbeitslosenkasse zurückgewiesen wird, damit sie im Sinne der Erwägungen über den Anspruch auf Insolvenzentschädigung neu verfüge. 
 
2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt. 
 
3. 
Die Beschwerdegegnerin hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 1'500.- zu entschädigen. 
 
4. 
Die Sache wird zur Neuverlegung der Parteientschädigung des vorangegangenen Verfahrens an das Verwaltungsgericht des Kantons Zug, Sozialversicherungsrechtliche Kammer, zurückgewiesen. 
 
5. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Zug, Sozialversicherungsrechtliche Kammer, dem Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) und dem Amt für Wirtschaft und Arbeit (AWA) schriftlich mitgeteilt. 
 
Luzern, 6. Juni 2012 
 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Ursprung 
 
Die Gerichtsschreiberin: Schüpfer