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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
1B_263/2008 /daa 
 
Urteil vom 23. Oktober 2008 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Féraud, Präsident, 
Bundesrichter Aemisegger, Reeb, 
Gerichtsschreiber Dold. 
 
Parteien 
X.________, Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Pablo Blöchlinger, 
 
gegen 
 
Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat, 
Stauffacherstrasse 55, Postfach, 8026 Zürich. 
 
Gegenstand 
Haftentlassung, 
 
Beschwerde gegen die Verfügung vom 17. September 2008 des Bezirksgerichts Zürich, Haftrichter. 
Sachverhalt: 
 
A. 
X.________ befindet sich seit dem 14. Februar 2008 in Haft. Sie wird der Beteiligung an der Einfuhr von mehreren Kilogramm Kokain und damit der qualifizierten Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz verdächtigt. Die Untersuchungshaft wurde mit dringendem Tatverdacht und Kollusionsgefahr im Sinne von § 58 Abs. 1 Ziff. 2 der Strafprozessordnung des Kantons Zürich vom 4. Mai 1919 (StPO/ZH) begründet. Mit Verfügungen vom 13. Mai 2008 und vom 8. August 2008 verlängerte der Haftrichter des Bezirksgerichts Zürich die Untersuchungshaft um jeweils drei Monate. 
 
Mit Schreiben vom 11. September 2008 stellte die Verdächtigte ein Haftentlassungsgesuch, das der Haftrichter mit Verfügung vom 17. September 2008 ablehnte. 
 
B. 
Mit Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht vom 1. Oktober 2008 beantragt X.________ im Wesentlichen, die Verfügung des Haftrichters vom 17. September 2008 sei aufzuheben und sie selbst sei aus der Haft zu entlassen. Sie rügt eine Verletzung der persönlichen Freiheit (Art. 10 Abs. 2 i.V.m. Art. 31 BV), des Beschleunigungsgebots (Art. 31 Abs. 3 BV und Art. 5 Ziff. 3 EMRK) und der Begründungspflicht (Art. 29 Abs. 2 BV). 
 
Der Haftrichter des Bezirksgerichts Zürich und die Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat verzichten auf eine Vernehmlassung. 
 
Erwägungen: 
 
1. 
Gemäss Art. 78 Abs. 1 BGG beurteilt das Bundesgericht Beschwerden gegen Entscheide in Strafsachen. Ein kantonales Rechtsmittel gegen den angefochtenen Entscheid steht nicht zur Verfügung. Die Beschwerde ist nach Art. 80 i.V.m. Art. 130 Abs. 1 BGG zulässig. Die Beschwerdeführerin nahm vor der Vorinstanz am Verfahren teil und hat ein rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung des angefochtenen Entscheids. Sie ist nach Art. 81 Abs. 1 BGG zur Beschwerde befugt. Das Bundesgericht kann nach Art. 107 Abs. 2 BGG bei Gutheissung der Beschwerde in der Sache selbst entscheiden. Deshalb ist der Antrag auf Haftentlassung zulässig. Da auch die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind, ist auf die Beschwerde einzutreten. 
 
2. 
2.1 Die Untersuchungshaft darf nach Zürcher Strafprozessrecht nur angeordnet bzw. fortgesetzt werden, wenn der Angeschuldigte eines Verbrechens oder Vergehens dringend verdächtigt wird und ausserdem ein besonderer Haftgrund vorliegt (§ 58 Abs. 1 StPO/ZH). Kollusionsgefahr als besonderer Haftgrund liegt vor, wenn aufgrund bestimmter Anhaltspunkte ernsthaft befürchtet werden muss, der Angeschuldigte werde Spuren oder Beweismittel beseitigen, Dritte zu falschen Aussagen zu verleiten suchen oder die Abklärung des Sachverhalts auf andere Weise gefährden (§ 58 Abs. 1 Ziff. 2 StPO/ZH). 
 
Die Beschwerdeführerin bestreitet den dringenden Tatverdacht nicht. Sie wendet sich aber gegen die Annahme von Kollusionsgefahr. 
 
2.2 Der besondere Haftgrund der Kollusionsgefahr wird im angefochtenen Entscheid nur summarisch begründet. Der Haftrichter stellt fest, dass noch weitere Untersuchungshandlungen, insbesondere (Konfrontations-)Einvernahmen mit dem Geldgeber der Angeschuldigten durchzuführen seien, zumal auch der Verteidiger davon ausgehe, dass dieser sachdienliche Angaben machen könne. Falls die Angeschuldigte aus der Haft entlassen würde, könnte sie versucht sein, den Geldgeber unter Druck zu setzen oder zu falschen Aussagen zu verleiten beziehungsweise sich mit ihm abzusprechen. Im Antrag der Staatsanwaltschaft vom 12. September 2008 auf Fortsetzung der Untersuchungshaft wird zur Frage der Kollusionsgefahr vermerkt, dass die Angeschuldigte noch mit den Lieferanten, dem Geldgeber und den Abnehmern zu konfrontieren sei. All diese Personen sollten ihre Aussagen unbeeinflusst von der Angeschuldigten zu Protokoll geben können, weshalb es unumgänglich sei, die Angeschuldigte weiterhin in Haft zu behalten. 
 
Die Beschwerdeführerin wendet ein, der Geldgeber sei bislang unbehelligt geblieben. Sie selbst sei erst ein halbes Jahr nach der Drogeneinfuhr und den Belastungen durch einen Mitangeschuldigten verhaftet worden. Sinngemäss bringt sie zudem vor, Kollusionsgefahr bestehe in erster Linie seitens einer weiteren, sich im vorzeitigen Strafvollzug befindenden Mitangeschuldigten und seitens des Fahrers der Drogenkurierin, der nicht verhaftet worden sei. Es gehe nicht an, bei ihr selbst, nicht aber bei den genannten beiden Personen die Kollusionsgefahr zu bejahen. 
 
2.3 Bei Beschwerden, die gestützt auf das Recht der persönlichen Freiheit wegen der Ablehnung eines Haftentlassungsgesuchs erhoben werden, prüft das Bundesgericht im Hinblick auf die Schwere des Eingriffes die Auslegung und Anwendung des entsprechenden Prozessrechts frei. Soweit jedoch reine Sachverhaltsfragen und damit Fragen der Beweiswürdigung zu beurteilen sind, greift das Bundesgericht nur ein, wenn die tatsächlichen Feststellungen des vorinstanzlichen Haftrichters willkürlich sind (vgl. BGE 132 I 21 E. 3.2.3 S. 24 mit Hinweisen). 
 
2.4 Kollusion bedeutet insbesondere, dass sich der Angeschuldigte mit Zeugen, Auskunftspersonen, Sachverständigen oder Mitangeschuldigten ins Einvernehmen setzt oder sie zu wahrheitswidrigen Aussagen veranlasst, oder dass er Spuren und Beweismittel beseitigt. Die strafprozessuale Haft wegen Kollusionsgefahr soll verhindern, dass der Angeschuldigte die Freiheit dazu missbraucht, die wahrheitsgetreue Abklärung des Sachverhalts zu vereiteln oder zu gefährden. Die theoretische Möglichkeit, dass der Angeschuldigte in Freiheit kolludieren könnte, genügt indessen nicht, um die Fortsetzung der Haft unter diesem Titel zu rechtfertigen. Es müssen vielmehr konkrete Indizien für die Annahme von Kollusionsgefahr sprechen (BGE 132 I 21 E. 3.2 S. 23; 128 I 149 E. 2.1 S. 151, je mit Hinweisen). 
 
Konkrete Anhaltspunkte für Kollusion können sich nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts namentlich ergeben aus dem bisherigen Verhalten des Angeschuldigten im Strafprozess (Aussageverhalten, Kooperationsbereitschaft, Neigung zu Kollusion usw.), aus seinen persönlichen Merkmalen (Leumund, allfällige Vorstrafen usw.), aus seiner Stellung und seinen Tatbeiträgen im Rahmen des untersuchten Sachverhalts sowie aus den persönlichen Beziehungen zwischen ihm und den ihn belastenden Personen (Art der beruflichen, freundschaftlichen, familiären oder sozialen Kontakte). Bei der Frage, ob im konkreten Fall eine massgebliche Beeinträchtigung des Strafverfahrens wegen Kollusionsgefahr droht, ist auch der Art und Bedeutung der von Beeinflussung bedrohten Aussagen bzw. Beweismittel, der Schwere der untersuchten Straftaten sowie dem Stand des Verfahrens Rechnung zu tragen. Je weiter das Strafverfahren vorangeschritten ist und je präziser der Sachverhalt bereits abgeklärt werden konnte, desto höhere Anforderungen sind grundsätzlich an den Nachweis von Kollusionsgefahr zu stellen (BGE 132 I 21 E. 3.2.1 und 3.2.2 S. 23 f. mit Hinweisen). 
 
Gerade weil es sich beim Haftrichter im einstufigen zürcherischen System um die einzige richterliche Haftprüfungsinstanz handelt, darf an das Vorliegen eines hinreichend begründeten Haftgrundes kein tiefer Massstab angelegt werden. Zu berücksichtigen ist auch, dass es bei der Frage der Zulässigkeit von Untersuchungshaft wie erwähnt um einen schwerwiegenden Eingriff in die persönliche Freiheit geht (BGE 133 I 270 E. 3.5.1 S. 283 mit Hinweisen). 
 
2.5 Worauf die konkrete Befürchtung gründet, dass die Beschwerdeführerin kolludieren könnte, wird im angefochtenen Entscheid nicht hinreichend dargelegt. Hinzu kommt, dass es der Haftrichter unterlassen hat, wenigstens nachträglich, in einer Vernehmlassung zur vorliegenden Beschwerde, auf die Argumente der Beschwerdeführerin einzugehen. Die diesbezügliche Einladung des Bundesgerichts ist mit dem Vermerk "Auf Vernehmlassung wird verzichtet" retourniert worden (vgl. BGE 133 I 270 E. 3.5.1 S. 283 mit Hinweis). 
 
Aufgrund der unzulänglichen Begründung durch die Vorinstanz ist das Bundesgericht nicht in der Lage, das Vorliegen des Haftgrundes der Kollusionsgefahr zu prüfen. Es ist nicht Aufgabe des Bundesgerichts, weitere Beweisabklärungen zu treffen oder von sich aus in den Akten nach ausreichenden Haftgründen zu forschen. Die Beschwerde ist deshalb gutzuheissen und der angefochtene Entscheid aufzuheben. 
 
3. 
3.1 Die Beschwerdeführerin rügt weiter eine Verletzung des in Art. 31 Abs. 3 BV und Art. 5 Ziff. 3 EMRK verankerten Beschleunigungsgebots. Nach diesen Bestimmungen hat eine Person in strafprozessualer Haft Anspruch darauf, innerhalb einer angemessenen Frist richterlich beurteilt oder während des Strafverfahrens aus der Haft entlassen zu werden. Eine übermässige Haftdauer stellt eine unverhältnismässige Beschränkung dieses Grundrechts dar. Sie liegt dann vor, wenn die Haftfrist die mutmassliche Dauer der zu erwartenden freiheitsentziehenden Sanktion übersteigt. Im Weiteren kann eine Haft die zulässige Dauer auch dann überschreiten, wenn das Strafverfahren nicht genügend vorangetrieben wird, wobei sowohl das Verhalten der Justizbehörden als auch dasjenige des Inhaftierten in Betracht gezogen werden müssen (BGE 126 I 172 E. 5a S. 176 f.; 133 I 270 E. 1.2.2 S. 274, je mit Hinweisen). 
 
3.2 Die Rüge, das Strafverfahren werde nicht mit der verfassungs- und konventionsrechtlich gebotenen Beschleunigung geführt, ist im Haftprüfungsverfahren nur soweit zu beurteilen, als die Verfahrensverzögerung geeignet ist, die Rechtmässigkeit der Untersuchungshaft in Frage zu stellen und zu einer Haftentlassung zu führen. Dies ist nur der Fall, wenn sie besonders schwer wiegt und zudem die Strafverfolgungsbehörden, z.B. durch eine schleppende Ansetzung der Termine für die anstehenden Untersuchungshandlungen, erkennen lassen, dass sie nicht gewillt oder nicht in der Lage sind, das Verfahren nunmehr mit der für Haftfälle verfassungs- und konventionsrechtlich gebotenen Beschleunigung voranzutreiben und zum Abschluss zu bringen. 
 
Ist die gerügte Verzögerung des Verfahrens weniger gravierend, kann offen bleiben, ob eine Verletzung des Beschleunigungsgebots vorliegt. Es genügt diesfalls, die zuständige Behörde zur besonders beförderlichen Weiterführung des Verfahrens anzuhalten und die Haft gegebenenfalls allein unter der Bedingung der Einhaltung bestimmter Fristen zu bestätigen. Ob eine Verletzung des Beschleunigungsgebots gegeben ist, kann oft erst der Sachrichter beurteilen, der auch darüber zu befinden hat, in welcher Weise - z.B. durch eine Strafreduktion - eine allfällige Verletzung des Beschleunigungsgebots wieder gutzumachen ist (BGE 128 I 149 E. 2.2.1 und 2.2.2 S. 151 f. mit Hinweis). 
 
3.3 Vorliegend rügt die Beschwerdeführerin, das Verfahren sei nicht genügend vorangetrieben worden. Konkret bemängelt sie insbesondere, dass die Strafverfolgungsbehörden den mutmasslichen Geldgeber bislang weder verhaftet noch auch nur befragt hätten, obwohl dieser von einem Mitangeschuldigten bereits am 17. Dezember 2007 identifiziert worden sei. 
 
3.4 Konkrete Anhaltspunkte für eine Verletzung des Beschleunigungsgebots sind nicht ersichtlich. Das Beschleunigungsgebot steht vorliegend in engem Zusammenhang mit der Kollusionsgefahr, wird doch diese im vorinstanzlichen Entscheid vor allem damit begründet, dass der Geldgeber der Angeschuldigten einzuvernehmen sei. Auf die Frage der Verletzung des Beschleunigungsgebots ist daher nicht weiter einzugehen. 
 
4. 
Die Beschwerdeführerin beantragt, sie sei aus der Untersuchungshaft zu entlassen. Angesichts der schwerwiegenden strafrechtlichen Vorwürfe und der von den kantonalen Behörden geltend gemachten, aber nicht ausreichend dargelegten Haftgründe rechtfertigt sich im gegenwärtigen Zeitpunkt eine Entlassung der Beschwerdeführerin aus der Untersuchungshaft nicht (vgl. BGE 133 I 270 E. 3.4.3 S. 282; 128 I 149 E. 4.4 S. 154; Urteil 1P.90/2005 vom 23. Februar 2005, E. 4, publ. in Pra 2006 Nr. 1 S. 1). 
Die Sache wird zur neuen Beurteilung im Sinne der vorangehenden Erwägungen an den Haftrichter zurückgewiesen (Art. 107 Abs. 2 BGG). Der Haftrichter wird das Vorliegen von Kollusionsgefahr oder einem anderen Haftgrund erneut zu prüfen haben. Seinen Entscheid wird der Haftrichter in einer den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügenden Weise zu begründen haben (vgl. BGE 133 I 270 E. 3.5.1 S. 283 f.). 
 
Entsprechend dem Ausgang des bundesgerichtlichen Verfahrens sind keine Gerichtskosten zu erheben (Art. 66 Abs. 1 und 4 BGG). Der Kanton Zürich hat der Beschwerdeführerin eine angemessene Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 68 Abs. 2 BGG). Damit erweist sich ihr Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege als gegenstandslos. 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen und die Verfügung des Bezirksgerichts Zürich, Haftrichter, vom 17. September 2008 aufgehoben. Die Sache wird zur neuen Beurteilung im Sinne der Erwägungen an den Haftrichter zurückgewiesen. 
 
2. 
Das Haftentlassungsgesuch wird abgewiesen. 
 
3. 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
4. 
Der Kanton Zürich hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'000.-- zu entschädigen. 
 
5. 
Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin, der Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat und dem Bezirksgericht Zürich, Haftrichter, schriftlich mitgeteilt. 
 
Lausanne, 23. Oktober 2008 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: 
 
Féraud Dold