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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
1B_399/2010 
 
Urteil vom 21. Dezember 2010 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Féraud, Präsident, 
Bundesrichter Aemisegger, Fonjallaz, 
Gerichtsschreiber Härri. 
 
Verfahrensbeteiligte 
X.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Bernhard Jüsi, 
 
gegen 
 
Staatsanwaltschaft IV des Kantons Zürich, Molkenstrasse 15/17, Postfach, 8026 Zürich. 
 
Gegenstand 
Untersuchungshaft, 
 
Beschwerde gegen die Verfügung vom 2. November 2010 des Bezirksgerichts Zürich, Haftrichterin. 
 
Sachverhalt: 
 
A. 
Die Staatsanwaltschaft IV des Kantons Zürich führt ein Strafverfahren gegen den tunesischen Staatsangehörigen X.________. Sie wirft ihm vor, als Mitglied einer Bande an mindestens einem Raub sowie verschiedenen Einbruchdiebstählen und Betäubungsmitteldelikten beteiligt gewesen zu sein. 
 
Am 3. Mai 2010 nahm die Polizei X.________ fest. Mit Verfügung vom 4. Mai 2010 versetzte ihn der Haftrichter des Bezirksgerichts Zürich in Untersuchungshaft. 
 
Am 2. August 2010 verlängerte die Haftrichterin die Untersuchungshaft bis zum 4. November 2010. 
 
Mit Verfügung vom 2. November 2010 ordnete die Haftrichterin die Fortsetzung der Untersuchungshaft bis zum 4. Februar 2011 an. Sie bejahte den dringenden Tatverdacht; ebenso Kollusionsgefahr. Ob zusätzlich Fluchtgefahr gegeben sei, liess sie offen. 
 
B. 
X.________ führt Beschwerde in Strafsachen mit dem Antrag, die haftrichterliche Verfügung vom 2. November 2010 sei aufzuheben. Der Beschwerdeführer sei aus der Untersuchungshaft zu entlassen und der vorzeitige Strafantritt zu bewilligen. Eventualiter sei ein Amtsbericht zur Untersuchungshafterstehungsfähigkeit des Beschwerdeführers durch den Gefängnisarzt erstellen zu lassen. 
 
C. 
Die Haftrichterin hat auf Gegenbemerkungen verzichtet. 
 
Die Staatsanwaltschaft hat sich vernehmen lassen mit dem Antrag, die Beschwerde sei abzuweisen. 
 
X.________ hat hierzu Stellung genommen. Er hält an der Beschwerde fest. 
 
Erwägungen: 
 
1. 
Gegen den angefochtenen Entscheid ist gemäss Art. 78 Abs. 1 BGG die Beschwerde in Strafsachen gegeben. 
 
Ein kantonales Rechtsmittel steht nicht zur Verfügung. Die Beschwerde ist nach Art. 80 i.V.m. Art. 130 Abs. 1 BGG zulässig. 
 
Der Beschwerdeführer ist gemäss Art. 81 Abs. 1 BGG zur Beschwerde befugt. 
 
Die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass. 
 
2. 
2.1 Der Beschwerdeführer rügt, der angefochtene Entscheid verletze sein verfassungsmässiges Recht auf persönliche Freiheit. 
 
2.2 Bei Beschwerden, die gestützt auf das Recht der persönlichen Freiheit (Art. 10 Abs. 2, Art. 31 BV) wegen der Verlängerung der Untersuchungshaft erhoben werden, prüft das Bundesgericht im Hinblick auf die Schwere des Eingriffes die Auslegung und Anwendung des entsprechenden kantonalen Rechtes frei (BGE 135 I 71 E. 2.5 S. 73 f. mit Hinweis). 
 
2.3 Gemäss § 58 Abs. 1 Ziff. 2 der Strafprozessordnung des Kantons Zürich vom 4. Mai 1919 (StPO; LS 321) darf Untersuchungshaft angeordnet werden, wenn der Angeschuldigte eines Verbrechens oder Vergehens dringend verdächtigt wird und ausserdem Kollusionsgefahr besteht. 
 
Der Beschwerdeführer stellt den dringenden Tatverdacht nicht in Frage. Er macht geltend, es fehle an der Kollusionsgefahr. 
2.4 
2.4.1 Kollusion bedeutet nach der bundesgerichtlichen Praxis insbesondere, dass sich der Angeschuldigte mit Zeugen, Auskunftspersonen, Sachverständigen oder Mitangeschuldigten ins Einvernehmen setzt oder sie zu wahrheitswidrigen Aussagen veranlasst, oder dass er Spuren und Beweismittel beseitigt. Die strafprozessuale Haft wegen Kollusionsgefahr soll verhindern, dass der Angeschuldigte die Freiheit dazu missbrauchen würde, die wahrheitsgetreue Abklärung des Sachverhaltes zu vereiteln oder zu gefährden. Die theoretische Möglichkeit, dass der Angeschuldigte in Freiheit kolludieren könnte, genügt indessen nicht, um die Fortsetzung der Haft unter diesem Titel zu rechtfertigen. Es müssen vielmehr konkrete Indizien für die Annahme von Verdunkelungsgefahr sprechen. Das Vorliegen des Haftgrundes ist nach Massgabe der Umstände des jeweiligen Einzelfalles zu prüfen (BGE 132 I 21 E. 3.2 mit Hinweisen). 
 
Konkrete Anhaltspunkte für Kollusionsgefahr können sich nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts namentlich ergeben aus dem bisherigen Verhalten des Angeschuldigten im Strafprozess, aus seinen persönlichen Merkmalen, aus seiner Stellung und seinen Tatbeiträgen im Rahmen des untersuchten Sachverhaltes sowie aus den persönlichen Beziehungen zwischen ihm und den ihn belastenden Personen. Bei der Frage, ob im konkreten Fall eine massgebliche Beeinträchtigung des Strafverfahrens wegen Verdunkelung droht, ist auch der Art und Bedeutung der von Beeinflussung bedrohten Aussagen bzw. Beweismittel, der Schwere der untersuchten Straftaten sowie dem Stand des Verfahrens Rechnung zu tragen (BGE 132 I 21 E. 3.2.1 mit Hinweisen). 
2.4.2 Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen rund 40 Straftaten. Die Untersuchung mit mehreren Angeschuldigten ist - wie der Beschwerdeführer (Beschwerde S. 7) einräumt - komplex und umfangreich. Mitte Oktober wurden neue Delikte bekannt, bei denen der Verdacht einer Beteiligung des Beschwerdeführers besteht. Bei derartigen komplexen und umfangreichen Strafuntersuchungen mit mehreren Angeschuldigten ist mit Kollusionshandlungen eher zu rechnen als bei einfachen Sachverhalten mit einem einzigen Angeschuldigten. Zwar befinden sich die Mitangeschuldigten, mit denen noch Konfrontationseinvernahmen durchzuführen sein werden, offenbar alle in Haft. Es sind jedoch auch noch Zeugen zu befragen. Bei einer Freilassung bestünde die Gefahr, dass der nur teilweise geständige Beschwerdeführer auf diese einwirken könnte, um sie zu einer für ihn günstigen Aussage zu bewegen. Auch die Beeinflussung der sich in Haft befindlichen Mitangeschuldigten könnte nicht völlig ausgeschlossen werden, da der Beschwerdeführer diesen allenfalls über Dritte, die ein Besuchsrecht haben, Informationen zukommen lassen könnte. 
Dem Beschwerdeführer werden Raub sowie zahlreiche Einbruchdiebstähle und Betäubungsmitteldelikte mit bandenmässiger Tatbegehung vorgeworfen. Dabei handelt es sich um schwerwiegende Delikte. Entsprechend besteht an der Verhinderung von Kollusionshandlungen ein erhöhtes öffentliches Interesse. 
Würdigt man dies gesamthaft, verletzt es kein Verfassungsrecht, wenn die Vorinstanz Kollusionsgefahr bejaht hat. 
 
3. 
3.1 Der Beschwerdeführer bringt vor, mit seiner Verlegung in den vorzeitigen Strafvollzug könnte die Kollusionsgefahr hinreichend gebannt werden. 
 
3.2 Gemäss § 71a StPO bewilligt die Staatsanwaltschaft auf Antrag des Angeschuldigten den vorzeitigen Strafantritt (Abs. 1). Nach Anklageerhebung ist hierfür der Richter zuständig, der über die Sicherheitshaft entscheidet. Er holt vorgängig die Stellungnahme des zuständigen Staatsanwaltes ein (Abs. 2). 
 
Im vorliegenden Fall ist noch keine Anklage erhoben worden. Für den Entscheid über den vorzeitigen Strafantritt ist daher die Staatsanwaltschaft zuständig. Diese legt das (Vernehmlassung S. 2) zutreffend dar. Wie sich der Replik (S. 1 und Beilage 2) entnehmen lässt, hat der Beschwerdeführer denn auch am 2. Dezember 2010 bei der Staatsanwaltschaft ein Gesuch um vorzeitigen Strafantritt gestellt. Für das Bundesgericht besteht damit kein Anlass, sich dazu zu äussern. Die Staatsanwaltschaft wird über das Gesuch beförderlich zu entscheiden haben. 
 
4. 
4.1 Der Beschwerdeführer bringt vor, indem die Vorinstanz die Einholung eines ärztlichen Amtsberichts zur Hafterstehungsfähigkeit abgelehnt habe, habe sie sein Recht auf Leben und Gesundheit nach Art. 10 Abs. 2 BV verletzt. Die Begründung der Vorinstanz dazu sei zudem überspitzt formalistisch und verstosse damit gegen Art. 29 Abs. 1 BV
 
4.2 Die Vorinstanz erwägt (angefochtener Entscheid S. 3), der Antrag auf Erstellung eines Amtsberichts durch den Gefängnisarzt betreffend die Hafterstehungs- und Transportfähigkeit sei abzulehnen, zumal der Verteidiger gerade nicht geltend mache, der Angeschuldigte sei nicht hafterstehungsfähig und lediglich ausführe, der Angeschuldigte sei auf seine lebensnotwendigen Medikamente - welche er im Strafvollzug (gemeint offenbar: in der Untersuchungshaft) erhalte - angewiesen. 
 
4.3 Der Beschwerdeführer beantragte in seiner Stellungnahme vom 1. November 2010 (S. 2) zum Haftverlängerungsantrag der Staatsanwaltschaft die Erstellung eines Amtsberichts durch den Gefängnisarzt "was die Hafterstehungs- und Transportfähigkeit sowie den allgemeinen Gesundheitszustand unter Einbezug der psychischen Gesundheit schildert." Diesen Antrag begründete er nicht näher. Zwar äusserte er sich im Zusammenhang mit der Fluchtgefahr zu seinen gesundheitlichen Problemen. Er führte dort jedoch aus, er fürchte, im anstehenden tunesischen Strafvollzug mangels ausreichender finanzieller Mittel seinerseits nicht die notwendige medizinische Versorgung zu erhalten. Dass ihm diese in der schweizerischen Untersuchungshaft vorenthalten werde, machte er nicht geltend. 
 
Bestritt der Beschwerdeführer somit selber nicht, dass im schweizerischen Untersuchungshaftvollzug seine medizinische Versorgung gewährleistet ist und machte er keine nachvollziehbaren Ausführungen dazu, weshalb an seiner Hafterstehungsfähigkeit zu zweifeln sei, ist es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn die Vorinstanz die Einholung des beantragten ärztlichen Berichts abgelehnt hat. Einzuräumen ist, dass der angefochtene Entscheid insoweit knapp begründet ist. Auch dies verletzt jedoch kein Verfassungsrecht. Da der Beschwerdeführer seinen Antrag nicht weiter und nachvollziehbar begründet hatte, hatte die Vorinstanz keinen Anlass, dazu längere Ausführungen zu machen. 
 
Die Beschwerde ist auch insoweit unbehelflich. 
 
5. 
5.1 Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung des Beschleunigungsgebots nach Art. 31 Abs. 3 BV und Art. 5 Ziff. 3 EMRK
 
5.2 Nach der Rechtsprechung ist die Rüge, das Strafverfahren werde nicht mit der verfassungs- und konventionsrechtlich gebotenen Beschleunigung geführt, im Haftprüfungsverfahren nur soweit zu beurteilen, als die Verfahrensverzögerung geeignet ist, die Rechtmässigkeit der Untersuchungshaft in Frage zu stellen und zu einer Haftentlassung zu führen. Dies ist nur der Fall, wenn sie besonders schwer wiegt und zudem die Strafverfolgungsbehörden, z.B. durch eine schleppende Ansetzung der Termine für die anstehenden Untersuchungshandlungen, erkennen lassen, dass sie nicht gewillt oder nicht in der Lage sind, das Verfahren nunmehr mit der für Haftfälle verfassungs- und konventionsrechtlich gebotenen Beschleunigung voranzutreiben und zum Abschluss zu bringen (BGE 128 I 149 E. 2.2.1 S. 151 f.). 
 
5.3 Wie sich den Haftverlängerungsanträgen der Staatsanwaltschaft vom 29. Juli und 27. Oktober 2010 (je S. 2 f.) entnehmen lässt, führt die Staatsanwaltschaft die Strafuntersuchung ohne nennenswerte zeitliche Unterbrüche. Eine besonders schwerwiegende Verfahrensverzögerung, welche nach der dargelegten Rechtsprechung einzig zur Haftentlassung führen könnte, ist damit offensichtlich zu verneinen. Im Übrigen wäre auch nicht ersichtlich, dass die Staatsanwaltschaft nicht gewillt oder in der Lage wäre, das Verfahren mit der für Haftfälle gebotenen Beschleunigung voranzutreiben und zum Abschluss zu bringen. 
 
Die Beschwerde erweist sich daher auch im vorliegenden Punkt als unbegründet. 
 
6. 
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. 
 
Da sie aussichtslos war, kann die unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung nach Art. 64 BGG nicht bewilligt werden. Unter den gegebenen Umständen rechtfertigt es sich jedoch, auf die Erhebung von Kosten zu verzichten (Art. 66 Abs. 1 Satz 2 BGG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2. 
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird abgewiesen. 
 
3. 
Es werden keine Kosten erhoben. 
 
4. 
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft IV des Kantons Zürich und dem Bezirksgericht Zürich, Haftrichterin, schriftlich mitgeteilt. 
 
Lausanne, 21. Dezember 2010 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: 
 
Féraud Härri