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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
{T 0/2} 
 
8C_435/2014  
   
   
 
 
 
Urteil vom 25. August 2014  
 
I. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Leuzinger, Präsidentin, 
Bundesrichter Maillard, Bundesrichterin Heine, 
Gerichtsschreiberin Hofer. 
 
Verfahrensbeteiligte 
1. A.________, 
2. B.________, 
3. C.________, 
4. D.________, 
alle vier vertreten durch Rechtsanwältin Denise Dornier-Zingg, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Politische Gemeinde St. Margrethen, Soziale Dienste, Hauptstrasse 117, Postfach, 9430 St. Margrethen SG,  
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Sozialhilfe (Nothilfe, innerkantonale Zuständigkeit), 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 16. April 2014. 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
 
A.a. A.________ und B.________ reisten im Jahre 2006 in die Schweiz ein, wo sie um Asyl ersuchten. Das Bundesamt für Migration wies die Asylgesuche (Verfügungen vom 1. Oktober 2009 und 24. September 2008) ab und ordnete die Wegweisung an. Daran hielt das Bundesverwaltungsgericht in der Folge fest (Urteile vom 11. Mai 2012). Bis zum unbenützten Ablauf der ihnen auferlegten Ausreisefrist im Juni 2012 wurden sie und ihre beiden Kinder C.________ (geb. 2008) und D.________ (geb. 2011) in der Gemeinde St. Margrethen von der Sozialhilfe unterstützt. Ab Juli 2012 erhielt die Familie von dieser Gemeinde lediglich noch Nothilfe. In Absprache mit der Koordinationsstelle der St. Galler Gemeinden für Migrationsfragen (KOMI) wurde die Familie zum Bezug der Nothilfe ab 7. Mai 2013 in die Gruppenunterkunft Seeben in der Gemeinde Nesslau-Krummenau umgeteilt. Die Gemeinde St. Margrethen meldete die Familie daher auf den 6. Mai 2013 hin ab und stellte die Nothilfe ein.  
 
A.b. Das Ersuchen der Familie vom 10. Mai 2013, den Kindern weiterhin Sozialhilfe und den Eltern Nothilfe durch die Gemeinde St. Margrethen auszurichten und die Tochter C.________ den bisherigen Kindergarten besuchen zu lassen, wurde vom Sozialamt am 4. Juni 2013 mit der Begründung, die Nothilfeleistungen würden in der Gruppenunterkunft Seeben angeboten, wo die Familie gegen Voranmeldung jederzeit eintreten könne, abschlägig beschieden. Den dagegen erhobenen Rekurs wies das Sicherheits- und Justizdepartement des Kantons St. Gallen (SJD) am 1. Oktober 2013 ab.  
 
B.   
Die hiegegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons St. Gallen mit Entscheid vom 16. April 2014 ab. 
 
C.   
A.________ und B.________ sowie die Kinder C.________ und D.________ führen Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und beantragen, in Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids sei die Gemeinde St. Margrethen anzuweisen, den Kindern Sozialhilfe und den Eltern Nothilfe zu leisten. Eventualiter sei die Sache zur ergänzenden Abklärung und Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Ferner wird darum ersucht, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zu erteilen und den Beschwerdeführern die unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren. 
Das Verwaltungsgericht schliesst auf Abweisung der Beschwerde, während die politische Gemeinde St. Margrethen auf eine Vernehmlassung verzichtet. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
Dem angefochtenen Entscheid liegt der durch das SJD bestätigte Beschluss des Sozialamtes St. Margrethen vom 4. Juni 2013 zugrunde, mit welchem das Ersuchen um Gewährung von Not- bzw. Sozialhilfe abgelehnt wurde. Die Vorinstanz ging davon aus, die Beschwerdeführer seien aufgrund einer internen Abmachung zwischen der Gemeinde und der KOMI der Gruppenunterkunft Seeben in der Gemeinde Nesslau zugewiesen worden. Eine Gemeinde dürfe gemäss der kantonalrechtlichen Zuständigkeitsordnung zwar nicht eine Umteilung von abgewiesenen Asylbewerbern mit Wegweisungsverfügung auf eine andere Gemeinde verfügen, doch könne sie - gestützt auf eine Zuteilungsverfügung des Migrationsamtes oder die entsprechende interne organisatorische Abmachung zwischen den kantonalen und den kommunalen Behörden - feststellen, sie sei nicht zur Leistung von Unterstützung verpflichtet. Die Gemeinde St. Margrethen habe daher die geltend gemachte Unterstützung zu Recht mit dem Hinweis verweigert, die entsprechenden Leistungen würden in der Gruppenunterkunft Seeben erbracht. Weiter hat die Vorinstanz erwogen, es sei fraglich, ob die Verweigerung der Nothilfe am bisherigen Unterstützungswohnsitz mit der Begründung angefochten werden könne, mit der Umteilung werde den schulpflichtigen Kindern der ihnen verfassungsrechtlich zustehende Unterricht entzogen. Mangels hinreichender Anhaltspunkte für einen den Anforderungen von Art. 19 BV nicht genügenden Unterricht in der Gruppenunterkunft Seeben musste dies im angefochtenen Entscheid indessen nicht abschliessend beurteilt werden. 
 
2.   
Die Beschwerdeführer machen eine unrichtige Sachverhaltsfeststellung unter Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes und der Beweisabnahme- und Beweiswürdigungspflicht durch die Vorinstanz geltend und rügen im Wesentlichen die Verletzung von Grundrechten (insbesondere Art. 2 in Verbindung mit Art. 28 des Übereinkommens vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes [UNO-Kinderrechtskonvention, KRK; SR 0.107]). 
 
2.1. Im Kanton St. Gallen regelt die Verordnung vom 3. Dezember 2002 über die Aufnahme von Asylsuchenden (Asylverordnung; sGS 381.12) den Vollzug der eidgenössischen Asylgesetzgebung im Bereich der Betreuung von Asylsuchenden (Art. 1 Abs. 1). Asylsuchende nach dieser Verordnung sind: Asylsuchende mit Ausweis N, vorläufig Aufgenommene mit Ausweis F und Schutzbedürftige mit Ausweis S (Art. 1 Abs. 2). Gemäss Art. 2bis Asylverordnung vollzieht das Migrationsamt die Bundesgesetzgebung im Asylbereich, soweit nicht andere Behörden zuständig sind. Es weist die Asylsuchenden in der Regel nach Massgabe der Zuweisungsquote der politischen Gemeinde monatlich zu (Art. 6 Abs. 1 Asylverordnung). Die politische Gemeinde betreut die ihr zugewiesenen Asylsuchenden und kann die Aufgaben der Betreuung und Unterbringung gemeinsam mit anderen politischen Gemeinden erfüllen oder mit Leistungsvereinbarungen Dritten übertragen (Art. 3 Abs. 1 und 3 Asylverordnung). Die kantonale Verordnung zur Bundesgesetzgebung über die Ausländerinnen und Ausländer (Ausländerverordnung; sGS 453.51) bezeichnet in Art. 1 Abs. 1 ebenfalls das Migrationsamt als kantonale Ausländerbehörde. Dieses vollzieht gemäss Abs. 2 derselben Bestimmung die Bundesgesetzgebung über Einreise, Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer. Die ausländerrechtliche Regelung des Aufenthalts während und nach dem Asylverfahren fällt damit in die Zuständigkeit des Kantons (BGE 139 I 265 E. 3.3 und 3.4 S. 269 f.).  
 
Die Vereinigung der St. Galler Gemeindepräsidentinnen und Gemeindepräsidenten (VSGP) hat in Zusammenarbeit mit der St. Gallischen Konferenz der öffentlichen Sozialhilfe (KOS) ab 1. Januar 2010 gültige Richtlinien der Gemeinden im Flüchtlings- und Asylwesen erlassen (VSGP/KOS-Richtlinie), welche ausdrücklich auch Personen mit rechtskräftiger Wegweisungsverfügung erfasst (Ziff. AA/1/d der Richtlinie). Gemäss dieser Richtlinie übernimmt die VSGP die Koordination mit dem Ausländeramt und unterstützt dieses bei der Zuteilung der betroffenen Personengruppen an die Gemeinden. Die Zuweisungsverfügung ist gemäss kantonaler Asylverordnung durch das Ausländeramt vorzunehmen, welches die Personenlisten führt. Die Zuteilung erfolgt aufgrund der SOLL/IST Liste, welche für jede Gemeinde verbindlich ist (Ziff. AA/2). Die Gemeinden betreuen die Personen nach dem Zentrumsaustritt und weisen ihnen eine Unterkunft zu (BGE 139 I 265 E. 3.5 S. 270). 
 
Nach der geltenden st. gallischen Rechtsordnung begründet der effektive Aufenthalt in einer anderen als der zugewiesenen Gemeinde keinen Unterstützungswohnsitz, da es dafür einer Zuweisung durch die zuständige Behörde bedarf. Steht der Aufenthaltsort nach erfolgter Zuweisung fest, ist es Sache derjenigen Gemeinde, der die Person zugewiesen wird, ihr die nötige Hilfe zu leisten (BGE 139 I 265 E. 5.1 S. 271). Da die Gemeinde St. Margrethen keine Entscheidungsbefugnis hinsichtlich der Regelung des Aufenthalts abgewiesener Asylbewerber mit rechtskräftiger Wegweisungsverfügung zusteht, ging die Vorinstanz richtigerweise davon aus, diese habe das Gesuch um Gewährung von Nothilfe bzw. Sozialhilfe zu Recht abschlägig behandelt. Die Beschwerde ist daher insoweit unbegründet. 
 
2.2. Eine Verletzung des gemäss Art. 12 BV gewährten Grundrechts auf Hilfe in Notlagen (vgl. dazu BGE 139 I 272 E. 3.2 S. 276; 135 I 119 E. 5.3 S. 123, je mit Hinweisen) wird von den Beschwerdeführern nicht geltend gemacht. Gemäss eigenen Angaben wohnen sie bei einer Familie in der Gemeinde E.________, welche ihnen unentgeltlich Kost und Logis gewährt.  
 
Die Beschwerdeführer begründen den geltend gemachten Anspruch auf Nothilfe für die Eltern und Sozialhilfe für die Kinder in der Gemeinde St. Margrethen vielmehr in erster Linie mit dem Umstand, dass in der Gruppenunterkunft Seeben wohnhafte Kinder nicht die örtliche Schule besuchen können, sondern separaten Gruppenunterricht im Nothilfezentrum erhalten. Da die Gemeinde St. Margrethen für die Beurteilung dieser Frage nach dem hievor Gesagten nicht zuständig ist, braucht nicht geprüft zu werden, ob die vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellung betreffend Schulunterricht in der Gruppenunterkunft Seeben auf einer Rechtsverletzung beruht und ob eine solche von den Beschwerdeführern überhaupt rechtsgenüglich gerügt wird (vgl. Art. 42 Abs. 2, 97 und 105 BGG). Offen bleiben kann damit auch die Frage, ob der im Nothilfezentrum Seeben den dort wohnhaften Kindern gewährte separate Gruppenunterricht - wie von den Beschwerdeführern geltend gemacht - gegen das Recht auf Grundschulbildung und das Diskriminierungsverbot bzw. Gleichbehandlungsgebot verstösst (zum Ganzen: STEPHANIE MOTZ/SERAINA NUFER, Die Rechte von Kindern in Nothilfe - Ausgewählte menschenrechtliche Anspekte, in: Jusletter vom 18. März 2013, Rz 66 ff.). 
 
2.3. Die Zu- oder Umteilung von Nothilfebezügern entfaltet in der Regel keine Aussenwirkung, sondern stellt eine die beteiligte (n) Gemeinde (n) betreffende organisatorische Anordnung dar, geht es doch darum, die öffentliche Unterstützung auf die Gemeinden zu verteilen. Anders kann es sich dann verhalten, wenn ein legitimes Rechtsschutzinteresse der Nothilfebezüger im Raum steht. Dies kann beispielsweise dann der Fall sein, wenn die Einheit der Familie durch die Zuweisung nicht gewahrt würde (vgl. dazu BGE 137 I 113 E. 6 S. 118). Wie es sich damit mit Bezug auf die Beschwerdeführer verhält, kann hier offen bleiben. Laut eigenen Angaben besuchte die ältere Tochter in der Gemeinde E.________, wo die Familie auch wohnt, das zweite Kindergartenjahr, sie sei dort gut integriert und könne eingeschult werden. Es ist daher durchaus denkbar, dass sie dort auch die örtliche Grundschule besuchen kann. Etwas anderes wird jedenfalls nicht geltend gemacht. Sollte der Besuch in einer öffentlichen Schule für die Kinder nicht möglich sein, müssen sich die Beschwerdeführer an die dafür zuständige Behörde wenden. Nötigenfalls wird der Regierungsrat des Kantons St. Gallen die verfügungspflichtige Behörde zu bezeichnen haben.  
 
3.   
Das Gesuch um aufschiebende Wirkung wird mit dem Entscheid in der Sache gegenstandslos. 
 
4.   
Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 65 BGG). Die Gerichtskosten werden den unterliegenden Beschwerdeführern auferlegt (Art. 66 Abs. 1 BGG). Die unentgeltliche Rechtspflege (im Sinne der vorläufigen Befreiung von den Gerichtskosten und der unentgeltlichen Verbeiständung, Art. 64 Abs. 1 und Abs. 2 BGG) kann den Beschwerdeführern gewährt werden, weil die Bedürftigkeit aktenkundig ist und die Vertretung durch einen Rechtsanwalt oder eine Rechtsanwältin geboten war. Es wird indessen ausdrücklich auf Art. 64 Abs. 4 BGG aufmerksam gemacht, wonach die begünstigte Partei der Gerichtskasse Ersatz zu leisten haben wird, wenn sie später dazu im Stande ist. 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.   
Den Beschwerdeführern wird die unentgeltliche Rechtspflege gewährt und Rechtsanwältin Denise Dornier-Zingg wird als unentgeltliche Anwältin bestellt. 
 
3.   
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden den Beschwerdeführern auferlegt, indes vorläufig auf die Gerichtskasse genommen. 
 
4.   
Der Rechtsvertreterin der Beschwerdeführer wird aus der Gerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 2800.- ausgerichtet. 
 
5.   
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Verwaltungsgericht des Kantons St. Gallen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 25. August 2014 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: Leuzinger 
 
Die Gerichtsschreiberin: Hofer