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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
{T 0/2} 
 
6B_511/2014  
   
   
 
 
 
Urteil vom 23. Oktober 2014  
 
Strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Mathys, Präsident, 
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari, 
Bundesrichter Denys, Oberholzer, Rüedi, 
Gerichtsschreiberin Schär. 
 
Verfahrensbeteiligte 
X.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Thomas Fingerhuth, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Aargau, 
Frey-Herosé-Strasse 20, Wielandhaus, 5001 Aarau, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Grobe Verletzung von Verkehrsregeln; Entbindung vom Amtsgeheimnis, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau, Strafgericht, 3. Kammer, vom 1. April 2014. 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
 
 X.________ fuhr am 19. April 2012 auf dem Gemeindegebiet von Wettingen mit einem Personenwagen auf dem Normalstreifen der Autobahn A1 in Richtung Bern. Ihm wird vorgeworfen, einen auf dem ersten Überholstreifen fahrenden Personenwagen rechts überholt zu haben. 
 
B.  
 
 Die Staatsanwaltschaft Baden sprach X.________ mit Strafbefehl vom 15. Mai 2012 der groben Verletzung der Verkehrsregeln (durch unerlaubtes Rechtsüberholen auf der Autobahn) schuldig. Sie bestrafte ihn mit einer bedingten Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu Fr. 260.-- bei einer Probezeit von 2 Jahren und auferlegte ihm eine Busse von Fr. 1'000.--. X.________ erhob gegen diesen Strafbefehl Einsprache. 
 
C.  
 
 Das Bezirksgericht Baden bestätigte am 26. Februar 2013 den Schuldspruch, die Anzahl Tagessätze und die Busse. Es reduzierte die Tagessatzhöhe auf Fr. 250.--. Die Berufung von X.________ wies das Obergericht des Kantons Aargau am 1. April 2014 ab. 
 
D.  
 
 X.________ führt Beschwerde in Strafsachen. Er beantragt, das Urteil des Obergerichts sei aufzuheben und die Sache sei an die Vorinstanz zurückzuweisen. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
 Der Beschwerdeführer macht geltend, die Kantonspolizistin A.________ habe anlässlich der erstinstanzlichen Hauptverhandlung als Zeugin ausgesagt, ohne von der vorgesetzten Behörde gemäss Art. 170 Abs. 3 StPO vom Amtsgeheimnis entbunden worden zu sein. Zeugenaussagen, welche entgegen den in Art. 170 Abs. 1 und 2 StPO statuierten Ermächtigungsvoraussetzungen ergangen seien, seien rechtswidrig und unterlägen dem strikten Verwertungsverbot von Art. 141 Abs. 1 Satz 2 StPO. Die Vorinstanz stütze sich auf die Aussagen der Zeugin A.________, womit sie Art. 141 Abs. 1 StPO verletze. 
 
2.  
 
 Die Vorinstanz erwägt, Beamte dürften über Tatsachen, die dem Amtsgeheimnis unterliegen, nur aussagen, wenn sie von ihrer vorgesetzten Behörde zur Aussage schriftlich ermächtigt worden seien. Keiner Ermächtigung durch die vorgesetzte Behörde bedürfe es, wenn gesetzliche Informationsrechte oder Meldepflichten oder eine Verpflichtung zur Leistung von Amts- oder Rechtshilfe bestehe. Das Amtsgeheimnis gelte nicht gegenüber den mit der gleichen Angelegenheit in unterschiedlichen Funktionen befassten Behörden. So könne sich insbesondere die Polizei gegenüber Staatsanwaltschaften und Gerichten nicht auf das Amtsgeheimnis berufen, wenn sie im Rahmen einer Strafuntersuchung Amtshandlungen vorgenommen habe. Sofern rapportiert worden sei, habe die Polizei den Strafbehörden grundsätzlich alle Unterlagen zugänglich zu machen, soweit diese mit der konkreten Strafuntersuchung in beweismässiger Beziehung stünden. Die Aussage der Zeugin A.________ gegenüber der ersten Instanz sei im Rahmen der Strafuntersuchung erfolgt. Ihre Aussagen dürften auch ohne schriftliche Ermächtigung der vorgesetzten Behörde als Beweismittel verwertet werden (Entscheid, S. 7, mit Verweis auf NIKLAUS OBERHOLZER, Grundzüge des Strafprozessrechts, 3. Aufl. 2012, N. 768). 
 
3.  
 
 Beamtinnen und Beamte im Sinne von Art. 110 Abs. 3 StGB sowie Mitglieder von Behörden können das Zeugnis über Geheimnisse verweigern, die ihnen in ihrer amtlichen Eigenschaft anvertraut worden sind oder die sie bei der Ausübung ihres Amtes wahrgenommen haben (Art. 170 Abs. 1 StPO). Sie haben auszusagen, wenn sie von ihrer vorgesetzten Behörde zur Aussage schriftlich ermächtigt worden sind (Art. 170 Abs. 2 StPO). Die vorgesetzte Behörde erteilt die Ermächtigung zur Aussage, wenn das Interesse an der Wahrheitsfindung das Geheimhaltungsinteresse überwiegt (Art. 170 Abs. 3 StPO). Grundlage des Zeugnisverweigerungsrechts von Art. 170 Abs. 1 StPO, im Grunde genommen einer Zeugnisverweigerungspflicht, sind die Strafnorm von Art. 320 StGB sowie das im einschlägigen Verwaltungs- beziehungsweise Personalrecht statuierte Amtsgeheimnis von Behördenmitgliedern respektive Angestellten von Bund, Kantonen und Gemeinden ( NIKLAUS SCHMID, Schweizerische Strafprozessordnung, Praxiskommentar, 2. Aufl. 2013, N. 1 zu Art. 170 StPO). 
 
3.1. Der Entwurf zur Schweizerischen Strafprozessordnung sah vor, dass Beamte nicht nur aufgrund einer Ermächtigung durch die vorgesetzte Behörde, sondern auch auszusagen haben, wenn sie einer Anzeigepflicht unterliegen (Art. 167 Abs. 2 lit. a des Entwurfs vom 21. Dezember 2005 zu einer Schweizerischen Strafprozessordnung, BBl 2006 1438; nachfolgend: E-StPO). Diese Bestimmung wurde vom Parlament gestrichen mit der Begründung, es gehe um eine kleine Anzahl Fälle und die Entbindungspflicht dürfe nicht durch die Anzeigepflicht umgangen werden (AB S 2006 1018). Die spiegelbildliche Bestimmung des Art. 171 Abs. 2 lit. a StPO, welche sich auf Träger eines Berufsgeheimnisses bezieht, wurde hingegen beibehalten.  
 
3.2. Ein Teil der Lehre geht davon aus, auch mit der geltenden Fassung bedürfe die Strafbehörde keiner Ermächtigung zur Aussage, falls es sich bei deren Inhalt um Tatsachen handle, welche eine Anzeigepflicht gemäss Art. 302 StPO begründen ( ANDREAS DONATSCH, in: Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung, Donatsch/Hansjakob/Lieber [Hrsg.], 2. Aufl. 2014, N. 12 zu Art. 170 StPO; OBERHOLZER, a.a.O., N. 768; JEANNERET/KUHN, Précis de procédure pénale, 2013, N. 12033 mit Hinweisen; MOREILLON/PAREIN-REYMOND, Petit commentaire du Code de procédure pénale, 2013, N. 8 zu Art. 170 StPO). Das Amtsgeheimnis wirke deshalb nicht zwischen Beamten, die aufgrund der gemeinsamen Zielsetzungen notwendigerweise zusammenarbeiten, um eine bestimmte staatliche Aufgabe zu erfüllen, wie es etwa unter Strafverfolgungsbehörden der Fall sei ( STEFAN HEIMGARTNER, in: Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung, Donatsch/Hansjakob/Lieber [Hrsg.], 2. Aufl. 2014, N. 12 zu 264 StPO; OBERHOLZER, a.a.O., N. 768; JEANNERET/KUHN, a.a.O., N. 12033; vgl. PIQUEREZ/MACALUSO, Procédure pénale suisse, 3. Aufl. 2011, N. 1062; HANS SCHULZ, Der Beamte als Zeuge im Strafverfahren, in: ZBl 86/1985 S. 187; FRANZ-MARTIN SPILLMANN, Begriff und Unrechtstatbestand der Verletzung der Amtsgeheimnisse nach Artikel 320 des Strafgesetzbuches, 1984, S. 270).  
 
 Andere Autoren vertreten hingegen die Auffassung, dass mit der Streichung von Art. 167 Abs. 2 lit. a E-StPO auch Polizisten, welche über die Feststellungen an einem Tatort als Zeuge aussagen, einer Ermächtigung durch die vorgesetzte Behörde bedürfen. Jedoch sei kaum vorstellbar, dass die vorgesetzte Behörde die Einwilligung verweigern könnte. Insofern handle es sich um einen administrativen Leerlauf (S CHMID, a.a.O., N. 3 zu Art. 170 StPO; DERSELBE, Handbuch des schweizerischen Strafprozessrechts, 2. Aufl. 2013, N. 891; VEST/HORBER, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 2011, N. 9 zu Art. 170 StPO). 
 
3.3. Die Beweggründe des Gesetzgebers, Art. 167 Abs. 2 lit. a E-StPO zu streichen, sind nicht nachvollziehbar (vgl. dazu VEST/HORBER, a.a.O., N. 9 zu Art. 170 StPO). Einerseits wurde die gleichlautende Bestimmung des Art. 171 Abs. 2 lit. a StPO, welche sich auf Träger eines Berufsgeheimnisses bezieht, beibehalten. Andererseits besteht in der Lehre in Bezug auf Art. 320 StGB Einigkeit darüber, dass keine Einwilligung durch die vorgesetzte Behörde erforderlich ist und somit keine Amtsgeheimnisverletzung vorliegt, sofern gesetzliche Offenbarungs-, Anzeige- oder Meldepflichten bestehen. Deren Vorrang verstehe sich nach Art. 14 StGB von selbst ( STRATENWERTH/BOMMER, Schweizerisches Strafrecht, Besonderer Teil II, 7. Aufl. 2013, § 61 N. 11; NADINE HAGENSTEIN, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 2011, N. 35 zu Art. 302 StPO; TRECHSEL/VEST, in: Schweizerisches Strafgesetzbuch, Praxiskommentar, Trechsel/Pieth [Hrsg.], 2. Aufl. 2013, N. 11 zu Art. 320 StGB; N IKLAUS OBERHOLZER, in: Basler Kommentar, Strafrecht II, 3. Aufl. 2013, N. 14 zu Art. 320 StGB; BERNARD CORBOZ, Les infractions en droit suisse, Bd. II, 3. Aufl. 2010, N. 42 f. zu Art. 320 StGB). Es kann nicht die Meinung des Gesetzgebers gewesen sein, die Frage, ob eine Entbindung vom Amtsgeheimnis erforderlich ist oder nicht, im Strafgesetzbuch und in der Strafprozessordnung unterschiedlich zu regeln und damit eine Diskrepanz zwischen den beiden Erlassen zu schaffen. Vielmehr muss in Bezug auf Art. 170 StPO gelten, was auch für Art. 320 StGB gilt, nämlich dass keine Ermächtigung der vorgesetzten Behörde erforderlich ist, wenn ein Polizist im Zuge des Strafverfahrens Aussagen über Feststellungen am Tatort macht, sofern er diesbezüglich einer Anzeigepflicht unterliegt. Das Amtsgeheimnis gilt nicht zwischen der Polizei, der Staatsanwaltschaft und den Gerichten, welche mit der gleichen Angelegenheit befasst sind. Eine Ermächtigung ist hingegen erforderlich für Aussagen über Tatsachen, die ausserhalb der Anzeigepflicht liegen oder für Personen, welche keiner Anzeigepflicht unterstehen (vgl. Botschaft vom 21. Dezember 2005 zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts, BBl 2006 1201 Ziff. 2.4.3.2; MOREILLON/PAREIN-REYMOND, a.a.O., N. 8 zu Art. 170 StPO).  
 
3.4. Die Zeugin A.________ wurde anlässlich der erstinstanzlichen Hauptverhandlung zum Rechtsüberholmanöver des Beschwerdeführers am 19. April 2012 auf der Autobahn A1 befragt. Als Kantonspolizistin trifft sie in Bezug auf diesen Vorgang eine Anzeigepflicht (Art. 302 Abs. 1 StPO in Verbindung mit Art. 12 lit. a StPO), weshalb für die Zeugenaussage im Rahmen des Strafverfahrens keine Ermächtigung durch die vorgesetzte Behörde erforderlich war. Eine Verletzung von Bundesrecht ist nicht ersichtlich. Die Beschwerde erweist sich als unbegründet.  
 
4.  
 
 Die Beschwerde ist abzuweisen. Bei diesem Ausgang des Verfahrens hat der Beschwerdeführer die bundesgerichtlichen Kosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.   
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3.   
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau, Strafgericht, 3. Kammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 23. Oktober 2014 
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Mathys 
 
Die Gerichtsschreiberin: Schär