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[AZA] 
I 270/99 Ca 
 
III. Kammer  
 
Bundesrichter Schön, Spira und Bundesrichterin Widmer; 
Gerichtsschreiberin Berger 
 
Urteil vom 17. März 2000  
 
in Sachen 
 
D.________, 1972, Beschwerdeführer, vertreten durch 
Rechtsanwalt B.________, 
 
gegen 
 
IV-Stelle des Kantons Thurgau, St. Gallerstrasse 13, 
Frauenfeld, Beschwerdegegnerin, 
 
und 
 
AHV/IV-Rekurskommission des Kantons Thurgau, Weinfelden 
 
    A.- Der 1972 geborene D.________ war nach seiner Ein- 
reise in die Schweiz im Mai 1993 zunächst als Chauffeur in 
der Firma G.________ AG tätig. In seiner Stellungnahme vom 
6. Juli 1998 diagnostizierte Dr. med. G.________, Innere 
Medizin FMH, seit November 1997 bestehende belastungsabhän- 
gige Rückenschmerzen bei kleiner Diskusprotrusion dorsome- 
dial L5/S1, und hielt fest, als Lastwagenführer, der beim 
Auf- und Abladen helfen müsse, sei sein Patient zur Zeit 
sicherlich kaum arbeitsfähig. Seit 8. Februar 1998 setzt 
die Arbeitgeberin den Versicherten bei gleich hohem Lohn in 
einer rückenschonenden Beschäftigung als Qualitätskontrol- 
leur/Disponent ein. 
    Mit Anmeldung vom 4. Juni 1998 ersuchte D.________ die 
Invalidenversicherung um Umschulung auf eine neue Tätig- 
keit. Die IV-Stelle des Kantons Thurgau holte nebst der 
Stellungnahme des Dr. med. G.________ vom 6. Juli 1998 die 
Auskünfte der G.________ AG vom 15. Juli 1998 ein. Nach 
Durchführung des Vorbescheidverfahrens und in Berücksichti- 
gung des Berichtes des Dr. med. G.________ vom 28. Septem- 
ber 1998 lehnte die IV-Stelle einen Anspruch auf Umschulung 
ab (Verfügung vom 21. Oktober 1998). 
 
    B.- Hiegegen erhob D.________ Beschwerde. Im Rahmen 
eines zweiten Schriftenwechsels reichte Dr. med. 
T.________, Spezialarzt für physikalische Medizin und Reha- 
bilitation FMH, für den Versicherten einen Bericht vom 
26. Januar 1999 ein. Die IV-Stelle gab im Verlauf des Ver- 
fahrens unter anderem die Stellungnahmen des Dr. med. 
T.________ vom 3. November 1998 und des Dr. med. G.________ 
vom 26. Januar 1999 sowie das Schreiben der G.________ AG 
vom 4. Februar 1999 zu den Akten. Die AHV/IV-Rekurskommis- 
sion des Kantons Thurgau wies die Beschwerde ab (Entscheid 
vom 22. März 1999). 
 
    C.- D.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde 
führen und beantragen, in Aufhebung des angefochtenen Ent- 
scheides sei die Umschulung zum Qualitätskontrolleur/Dispo- 
nenten zu bewilligen; eventuell sei die Sache zur Neubeur- 
teilung an die Rekurskommission bzw. an die Verwaltung 
zurückzuweisen. Der Eingabe liegt nebst weiteren Unterlagen 
eine Bestätigung der G.________ AG vom 3. Mai 1999 bei. 
    Während Rekurskommission und IV-Stelle auf Abweisung 
der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliessen, lässt sich 
das Bundesamt für Sozialversicherung nicht vernehmen. 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:  
 
    1.- a) Die Rekurskommission hat die massgebenden ge- 
setzlichen Bestimmungen über den Invaliditätsbegriff 
(Art. 4 Abs. 1 IVG), den Anspruch auf Eingliederungsmass- 
nahmen im Allgemeinen (Art. 8 Abs. 1 IVG) und auf Umschu- 
lung auf eine neue Erwerbstätigkeit im Besonderen (Art. 8 
Abs. 3 lit. b in Verbindung mit Art. 17 Abs. 1 IVG) sowie 
die dazu ergangene Rechtsprechung, wonach die den Anspruch 
auf Umschulung begründende Invalidität eine bleibende oder 
längere Zeit dauernde Erwerbseinbusse von etwa 20 % voraus- 
setzt (BGE 124 V 110 Erw. 2b mit Hinweisen), zutreffend 
dargelegt. Darauf kann verwiesen werden. 
 
    b) Für die Ermittlung des mit dem invalidisierenden 
Gesundheitsschaden zumutbarerweise noch erzielbaren Er- 
werbseinkommens kann auf den von invaliden Versicherten 
tatsächlich erzielten Verdienst abgestellt werden, wenn 
- kumulativ - besonders stabile Arbeitsverhältnisse eine 
Bezugnahme auf den allgemeinen Arbeitsmarkt praktisch er- 
übrigen, wenn die versicherte Person eine Tätigkeit ausübt, 
bei der anzunehmen ist, dass sie die ihr verbliebene Ar- 
beitsfähigkeit in zumutbarer Weise voll ausschöpft, und 
wenn das Einkommen aus der Arbeitsleistung als angemessen 
und nicht als Soziallohn erscheint (BGE 117 V 18 mit Hin- 
weisen). 
    Nach Art. 25 Abs. 1 lit. b IVV gehören Lohnbestandtei- 
le, für die der Arbeitnehmer nachgewiesenermassen wegen be- 
schränkter Arbeitsfähigkeit keine Gegenleistung erbringen 
kann, nicht zu dem für die Invaliditätsbemessung massgeben- 
den Erwerbseinkommen. Praxisgemäss sind an den Nachweis von 
Soziallohn indessen strenge Anforderungen zu stellen, da 
vom Grundsatz ausgegangen werden muss, dass ausbezahlte 
Löhne normalerweise das Äquivalent einer entsprechenden Ar- 
beitsleistung sind (BGE 117 V 18). Bei der richterlichen 
Würdigung von Arbeitgeberbescheinigungen ist auch zu beden- 
ken, dass Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber ein eigenes In- 
teresse daran haben können, die Bezahlung von Soziallohn zu 
behaupten (BGE 110 V 277, 104 V 93; ZAK 1980 S. 345 
Erw. 2b). Als Indiz für eine freiwillige Sozialleistung 
fallen insbesondere verwandtschaftliche Beziehungen zur 
versicherten Person oder eine lange Dauer des Arbeitsver- 
hältnisses in Betracht. 
 
    2.- Streitig und zu prüfen ist, ob der Beschwerdefüh- 
rer Anspruch auf Umschulung hat. Dabei stellt sich vorab 
die Frage, ob er in einem anspruchsberechtigenden Ausmass 
invalid ist. 
 
    a) Es ist unbestritten und steht auf Grund der medizi- 
nischen Akten fest, dass dem Beschwerdeführer - welcher 
laut Diagnose des Dr. med. T.________ vom 3. November 1998 
an einem lumbospondylogenen Schmerzsyndrom links infolge 
fortgeschrittener Osteochondrose und Spondylarthrose L5/S1 
leidet - die vor Eintritt des Gesundheitsschadens ausge- 
übte, mit Auf- und Abladearbeiten verbundene Tätigkeit als 
Lastwagenchauffeur für Gemüsetransporte nicht mehr zumutbar 
ist (zur Bedeutung ärztlicher Auskünfte im Rahmen der Inva- 
liditätsbemessung vgl. BGE 115 V 134 Erw. 2, 114 V 314 
Erw. 3c, 105 V 158 Erw. 1). 
 
    b) Nach Ansicht der Vorinstanz lässt sich trotz der 
Umplatzierung des Versicherten im Betrieb der G.________ AG 
keine Lohneinbusse verzeichnen, die einen Anspruch auf Um- 
schulung begründen würde. Dies schliesst sie aus den Anga- 
ben der Arbeitgeberin, wonach der in der neuen Tätigkeit 
erzielte Lohn der Arbeitsleistung des Versicherten ent- 
spreche. 
 
    c) Im Fragebogen für den Arbeitgeber vom 15. Juli 1998 
wurde zur Frage, ob der angegebene Lohn der Arbeitsleistung 
des Versicherten entspreche, zwar tatsächlich das Feld "JA" 
angekreuzt. Allein darauf darf jedoch nicht ohne weiteres 
abschliessend abgestellt werden. Erfahrungsgemäss sind sich 
die Geschäftsverantwortlichen häufig nicht bewusst, welche 
Kriterien bei der Beantwortung dieser Frage zu beachten 
sind. Sofern betriebsintern Massnahmen ergriffen werden 
können, welche es erlauben, das aus gesundheitlichen Grün- 
den eingeschränkte Leistungsvermögen bewährter Angestellter 
zu kompensieren, zeigen sich verständnisvolle Arbeitgebe- 
rinnen und Arbeitgeber immer wieder bereit, jene trotz 
ihrer Behinderung weiterhin bei vollem Lohn zu beschäfti- 
gen. Es werden den Betroffenen beispielsweise weitere Mit- 
arbeiter zur Seite gestellt, ihr bisheriger Aufgabenbereich 
anders eingeteilt oder sie werden gar von der Verrichtung 
gewisser Tätigkeiten freigestellt. Vorliegend wies die 
G.________ AG in ihrem der Anmeldung zum Bezug von Leistun- 
gen der Invalidenversicherung beigelegten Schreiben vom 
1. Juni 1998 darauf hin, dass sie den Versicherten weiter- 
hin beschäftigen werde, dafür jedoch eine Umschulung drin- 
gend notwendig sei. Am 4. Februar 1999 gab sie an, sie 
könne den Beschwerdeführer unmöglich in seiner ursprüngli- 
chen Funktion einsetzen. Sie müsse ihn jeden Tag schonen 
und mit speziell leichten Arbeiten beauftragen. Mit Bestä- 
tigung vom 3. Mai 1999 führte sie aus, zufolge des Gesund- 
heitszustandes ihres Mitarbeiters habe sie diesen nicht 
mehr in seiner ursprünglichen Funktion als Chauffeur ein- 
setzen können. Da er jedoch seit acht Jahren stets treue 
Dienste geleistet und sehr gute Leistungen erbracht habe, 
sehe sie sich moralisch verpflichtet, ihn in einer körper- 
lich weniger belastenden Funktion weiterzubeschäftigen und 
ihm die Ausbildung zum Qualitätskontrolleur zu ermöglichen. 
In der Einarbeitungszeit habe sein Lohn nicht der Arbeits- 
leistung entsprochen. Weil er die neue Tätigkeit allerdings 
mit viel Elan ausübe, könne er laufend geschult werden. So 
habe er Pilz- und Computerkurse absolvieren und die Ausbil- 
dung zum eidgenössisch diplomierten Früchte- und Gemüsespe- 
zialisten anfangen können. Mit Blick auf diese Angaben ist 
davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer seit seiner Um- 
platzierung im bisherigen Betrieb zumindest während der 
Einarbeitung einen Lohn bezog, der über der tatsächlich von 
ihm erbrachten Leistung lag und damit einen Soziallohnan- 
teil enthielt. Hinweise auf das allfällige Vorhandensein 
einer Soziallohnkomponente ergeben sich bereits aus den 
Berichten der Dres. med. G.________ (vom 6. Juli 1998) und 
T.________ (vom 3. November 1998 und 26. Januar 1999), in 
welchen wiederholt das Entgegenkommen der Arbeitgeberin und 
insbesondere deren Förderung der Eingliederung durch die 
Ermöglichung von Kursbesuchen erwähnt wird. 
 
    d) Allein gestützt auf die vorhandenen Unterlagen 
lässt sich allerdings die Höhe des Soziallohnanteiles nicht 
feststellen. Es drängt sich deshalb eine Befragung der per- 
sonalverantwortlichen und der mit der Einteilung und Durch- 
führung der verschiedenen Tätigkeiten betrauten Person in 
der G.________ AG über die Ausgestaltung des Arbeitsver- 
hältnisses sowohl in der Zeit vor als auch nach Eintritt 
des Gesundheitsschadens bis zum Erlass der ablehnenden Ver- 
fügung (21. Oktober 1998; vgl. BGE 121 V 366 Erw. 1b mit 
Hinweisen) an Ort und Stelle auf, welche von der Verwaltung 
vorzunehmen ist. Entgegen den Ausführungen im angefochtenen 
Entscheid wird sich erst dann herausstellen, inwieweit die 
vom Beschwerdeführer in den Jahren 1988 bis 1990 in 
X.________ absolvierte und mit dem Fähigkeitsausweis abge- 
schlossene Transport- und Speditionslehre seine Einsatz- 
und Erwerbsmöglichkeiten nach Eintritt des Gesundheitsscha- 
dens zu verbessern vermochte. Gestützt auf die Ergebnisse 
dieser Abklärung wird die IV-Stelle zu beurteilen haben, ob 
die allfällige Erwerbseinbusse das geforderte Mass von un- 
gefähr 20 % erreicht. Trifft dies zu und sind auch die 
übrigen Anspruchsvoraussetzungen erfüllt, hat die Invali- 
denversicherung Umschulungsleistungen zu erbringen. 
 
    3.- Das Verfahren ist kostenlos (Art. 134 OG). Dem 
Prozessausgang entsprechend steht dem anwaltlich vertrete- 
nen Beschwerdeführer eine Parteientschädigung zu (Art. 159 
in Verbindung mit Art. 135 OG). 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:  
 
I.In teilweiser Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbe- 
    schwerde werden der Entscheid der AHV/IV-Rekurskomis- 
    sion des Kantons Thurgau vom 22. März 1999 und die 
    Verwaltungsverfügung vom 21. Oktober 1998 aufgehoben, 
    und die Sache wird an die IV-Stelle des Kantons Thur- 
    gau zurückgewiesen, damit sie, nach erfolgter Abklä- 
    rung im Sinne der Erwägungen, über den Anspruch auf 
    Umschulung neu verfüge. 
 
II.Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
III.Die IV-Stelle des Kantons Thurgau hat dem Beschwerde- 
    führer für das Verfahren vor dem Eidgenössischen Ver- 
    sicherungsgericht eine Parteientschädigung von 
    Fr. 2500.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezah- 
    len. 
 
IV.Dieses Urteil wird den Parteien, der AHV/IV-Rekurskom- 
    mission des Kantons Thurgau, der Ausgleichskasse des 
    Kantons Thurgau und dem Bundesamt für Sozialversiche- 
    rung zugestellt. 
 
 
Luzern, 17. März 2000 
 
Im Namen des 
Eidgenössischen Versicherungsgerichts 
Der Präsident der III. Kammer: 
 
Die Gerichtsschreiberin: