Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet. Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
Zurück zur Einstiegsseite Drucken
Grössere Schrift
 
Eidgenössisches Versicherungsgericht 
Tribunale federale delle assicurazioni 
Tribunal federal d'assicuranzas 
 
Sozialversicherungsabteilung 
des Bundesgerichts 
 
Prozess 
{T 7} 
P 12/04 
 
Urteil vom 14. September 2005 
I. Kammer 
 
Besetzung 
Präsident Borella, Bundesrichterin Leuzinger, Bundesrichter Ferrari, Bundesrichterin Widmer und Bundesrichter Ursprung; Gerichtsschreiberin Riedi Hunold 
 
Parteien 
Sozialversicherungsanstalt des Kantons St. Gallen, Brauerstrasse 54, 9016 St. Gallen, Beschwerdeführerin, 
 
gegen 
 
M.________, 1943, Beschwerdegegner, vertreten durch Rechtsanwalt Daniel Ehrenzeller, Engelgasse 214, 9053 Teufen 
 
Vorinstanz 
Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen, St. Gallen 
 
(Entscheid vom 12. Februar 2004) 
 
Sachverhalt: 
A. 
M.________ (geboren 1943) ist Bezüger einer Invalidenrente. Mit Anmeldung vom 5. Mai 2003 ersuchte er um Ergänzungsleistungen. In diesem Zusammenhang legte er eine von ihm und seiner Ehefrau unterzeichnete Vereinbarung vom 10./22. Juli 2003 auf, wonach er sich verpflichtete, ihr einen Unterhaltsbeitrag von monatlich Fr. 500.- zu bezahlen. Die Sozialversicherungsanstalt St. Gallen (nachfolgend: SVA) wies das Gesuch mit Verfügung vom 12. Juni 2003, bestätigt mit Einspracheentscheid vom 21. August 2003, ab, indem sie den geltend gemachten monatlichen Unterhaltsbeitrag an die in Bosnien lebende Ehefrau von Fr. 500.- zuzüglich Fr. 50.- für Medikamente nicht als anrechenbare Ausgabe anerkannte. 
B. 
Die hiegegen erhobene Beschwerde hiess das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen mit Entscheid vom 12. Februar 2004 teilweise gut und wies die Sache an die SVA zurück, damit diese den Anspruch auf Ergänzungsleistungen unter Berücksichtigung eines monatlichen Unterhaltsbeitrags von Fr. 500.- als Ausgabe neu berechne. 
C. 
Die SVA führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, der vorinstanzliche Entscheid sei aufzuheben. Das kantonale Gericht und M.________ schliessen auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Zusätzlich ersucht M.________ um unentgeltliche Verbeiständung. Das Bundesamt für Sozialversicherung verzichtet auf eine Vernehmlassung. 
D. 
Mit Eingabe vom 22. November 2004 lässt M.________ einen seine Ehefrau betreffenden ärztlichen Bericht vom 2. August 2004 einreichen. 
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 
1. 
Die Vorinstanz hat die Bestimmungen über den Nichteinbezug eines längere Zeit im Ausland lebenden Ehegatten in die Berechnung des Anspruchs auf Ergänzungsleistungen (Art. 10 ELV) sowie über die anerkannten Ausgaben (Art. 3b Abs. 1 und 3 ELG), insbesondere die geleisteten familienrechtlichen Unterhaltsbeiträge (Art. 3b Abs. 3 lit. e ELG), und die anrechenbaren Einnahmen (Art. 3c Abs. 1 ELG) zutreffend wiedergegeben. Darauf wird verwiesen. 
2. 
Die SVA macht einzig geltend, dass es nicht Sache der EL-Durchführungsstelle sei, den angemessenen Betrag einer Unterhaltsleistung zu bestimmen, und ein solcher nur in die Berechnung der Ergänzungsleistungen miteinbezogen werden könne, sofern er von einem Zivilgericht festgelegt worden sei. Hingegen bestreitet sie nicht, dass der Beschwerdegegner den geltend gemachten Unterhaltsbeitrag von jährlich Fr. 6000.- auch tatsächlich an seine Ehefrau leistet. 
3. 
Die Vorinstanz hat in ihrem Entscheid erwogen, dass eheliche Unterhaltspflichten dann nicht gegen Art. 3c Abs. 1 lit. g ELG verstiessen, wenn sie nicht nur den finanziellen Möglichkeiten des pflichtigen EL-Ansprechers, sondern auch dem Bedarf des berechtigten Ehegatten entsprächen; massgebend für diese Beurteilung sei der gebührende Unterhalt gemäss Art. 163 ZGB, wie er etwa vom Eheschutzrichter festgesetzt würde. Diese Ermittlung des gebührenden Unterhalts könne im konkreten Fall nicht dem Eheschutzrichter delegiert werden, sondern habe durch die Verwaltung zu erfolgen, da es dem Ehegatten nicht zugemutet werden könne, ein Eheschutzverfahren lediglich zur Ermittlung des gebührenden Unterhalts zuhanden der EL-Durchführungsstelle anzustrengen. Diesen Ausführungen ist zuzustimmen. Die Durchführungsstellen und im Streitfall das Gericht haben über den geschuldeten Unterhalt vorfrageweise zu befinden. 
4. 
4.1 Weiter hat das kantonale Gericht ausgeführt, dass bei alleinigem Abstellen auf den Wortlaut von Art. 3b Abs. 3 lit. e ELG beliebig hohe Unterhaltsleistungen abzugsfähig wären, sofern sie nur effektiv erbracht würden. Das könne dazu führen, dass die entsprechend überhöhten Ergänzungsleistungen zu einem Teil nur dazu dienen würden, dem Unterstützten durch hohe Unterhaltsleistungen einen gehobenen Lebensstandard zu finanzieren. Eine dem systematischen und dem teleologischen Auslegungselement Rechnung tragende Interpretation des Art. 3b Abs. 3 lit. e ELG müsse deshalb auch den in Art. 3c Abs. 1 lit. g ELG verankerten Gedanken der Unbeachtlichkeit eines Einkommensverzichts berücksichtigen. Damit solle ein missbräuchlicher Bezug von Ergänzungsleistungen verhindert werden. Entgegen der zu engen Formulierung des Art. 3c Abs. 1 lit. g. ELG seien deshalb nicht nur Einkünfte anzurechnen, auf die ohne Rechtspflicht oder zwingenden Grund verzichtet werde. Vielmehr müsse auch der Abzug von Ausgaben ausgeschlossen sein, welche die versicherte Person ohne Rechtspflicht oder zwingenden Rechtsgrund vornehme, denn auch der Abzug übersetzter Ausgaben habe eine missbräuchliche Ausrichtung von Ergänzungsleistungen zur Folge. Bezogen auf die familienrechtlichen Unterhaltsbeiträge bedeute diese aus systematischen und teleologischen Gründen vom Wortlaut abweichende Interpretation des Art. 3b Abs. 3 lit. e ELG, dass die Abzugsfähigkeit auf jene Beiträge beschränkt sein müsse, die in Erfüllung einer familienrechtlichen Pflicht geleistet werden. Freiwillig über diese familienrechtliche Pflicht hinaus erbrachte Unterhaltsleistungen seien nicht abzugsfähig. Von solcherart freiwillig erbrachten Unterhaltsleistungen sei u.a. dann auszugehen, wenn der - dem Grundsatz nach - unterhaltspflichtige Ehegatte nur über Einkünfte verfüge, die unter dem Existenzminimum lägen, er aber trotzdem Unterhaltsleistungen erbringe. Auch diese vorinstanzlichen Erwägungen sind zutreffend. 
4.2 Auf Grund der Akten erachtet es das Eidgenössische Versicherungsgericht nicht als hinreichend ausgewiesen, dass es sich beim Betrag von monatlich Fr. 500.- um einen den Umständen entsprechenden gebührenden Unterhalt im Sinne von Art. 163 ZGB handelt. Wegen des erheblichen Kaufkraftunterschieds zwischen der Schweiz und Bosnien ist nicht auszuschliessen, dass die Ehegatten den Unterhaltsbeitrag mit Blick auf die Ergänzungsleistungen über dem tatsächlichen Bedarf vereinbart haben, sodass er rechtsmissbräuchlich erscheint. Zur Beantwortung dieser Frage sind weitere Abklärungen bezüglich des der Ehefrau zumutbaren Beitrags an die eheliche Gemeinschaft sowie über die Höhe des Betrags zur Finanzierung eines angemessenen Lebensstandards nötig. 
4.3 Die SVA wird nach Vornahme der weiteren Abklärungen (Erw. 4.2) den anrechenbaren Betrag selbst zu ermitteln und hierbei zu berücksichtigen haben, dass die Ehefrau in einem Land mit erheblich niedrigerem Niveau der Lebenskosten wohnt (vgl. in BGE 128 III 257 nicht publizierte Erw. 3 zu Art. 151 Abs. 1 aZGB; vgl. auch BGE 125 II 556 Erw. 3a und 558 Erw. 4 sowie BGE 123 III 10) und der Betrag maximal den tatsächlich geleisteten Zahlungen entsprechen darf (AHI 2004 S. 148 mit Hinweis). 
5. 
Da er bedürftig und auf Grund seiner verfahrensrechtlichen Stellung als Beschwerdegegner die Aussichtslosigkeit nicht zu prüfen ist, hat er Anspruch auf unentgeltliche Verbeiständung (Art. 152 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 135 OG). 
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: 
1. 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird in dem Sinne gutgeheissen, dass der Entscheid vom 12. Februar 2004 und der Einspracheentscheid vom 21. August 2003 aufgehoben werden und die Sache an die Sozialversicherungsanstalt St. Gallen zurückgewiesen wird, damit sie, nach erfolgter Abklärung im Sinne der Erwägungen, über den Anspruch auf Ergänzungsleistungen neu verfüge. 
2. 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
3. 
Zufolge Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung wird Rechtsanwalt Ehrenzeller für das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht aus der Gerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 2000.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) ausgerichtet. 
4. 
Die Akten werden dem Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen zugestellt, damit es über das Gesuch um unentgeltliche Verbeiständung für das kantonale Verfahren entscheide. 
5. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt. 
Luzern, 14. September 2005 
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts 
Der Präsident der I. Kammer: Die Gerichtsschreiberin: