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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
8C_624/2022  
 
 
Urteil vom 24. Februar 2023  
 
IV. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Wirthlin, Präsident, 
Bundesrichter Maillard, Bundesrichterin Heine, 
Gerichtsschreiber Cupa. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Advokatin Raffaella Biaggi, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
IV-Stelle Basel-Stadt, Aeschengraben 9, 4051 Basel, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung (Invalidenrente; Rückerstattung), 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Basel-Stadt vom 7. April 2022 (IV.2021.180). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
A.________, geboren 1960, ist gelernter Maurer und war zuletzt im Reinigungsdienst sowie auf dem Bau tätig. Per 1. November 2000 sprach ihm die IV-Stelle Basel-Stadt (nachfolgend: IV-Stelle oder Beschwerdegegnerin) eine ganze Rente basierend auf einem Invaliditätsgrad von 100 % zu, die sie im Zuge einer revisionsweisen Überprüfung in den Jahren 2003, 2006 und 2010 jeweils bestätigte. 
Aufgrund von Berichten des kantonalen Amts für Wirtschaft und Arbeit, wonach A.________ mehrfach bei Schwarzarbeitskontrollen in den Räumlichkeiten der B.________ und C.________ GmbH angetroffen worden sei, veranlasste die IV-Stelle eine Observation und erstatte am 4. Mai 2015 Strafanzeige gegen ihn wegen Missachtung der Meldepflicht und unrechtmässigem Leistungsbezug. Gemäss Empfehlung des Regionalen Ärztlichen Dienstes (RAD) veranlasste die IV-Stelle psychiatrische und rheumatologische Gutachten der PD Dr. med. D.________, vom 22. Juni 2018 und Dr. med. E.________, vom 12. Juni 2018. Mangels Diskussion des Observationsmaterials bei der Beurteilung durch die Sachverständigen sprach sich der RAD für die Erstattung eines polydisziplinären Gutachtens aus, welches die IV-Stelle bei der Medizinischen Abklärungsstelle Bern ZVMB GmbH (MEDAS Bern) einholte (psychiatrische, allgemein-internistische, neuropsychologische und orthopädische Expertise vom 3. Mai 2021; nachfolgend: MEDAS-Gutachten). Gestützt darauf hob die IV-Stelle die ganze Rente wiedererwägungsweise ab dem Zeitpunkt ihrer Sistierung per 1. August 2016 auf (Verfügung vom 25. Oktober 2021). 
 
B.  
Die von A.________ dagegen erhobene Beschwerde wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons Basel-Stadt ab (Urteil vom 7. April 2022). 
 
C.  
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten lässt A.________ sinngemäss beantragen, ihm sei unter Aufhebung des angefochtenen Urteils auch über den 1. August 2016 hinaus weiterhin eine ganze Rente der Invalidenversicherung auszurichten. Zudem ersucht er um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege und Verbeiständung. 
Erwägungen: 
 
 
1.  
 
1.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen Rechtsverletzungen gemäss den Art. 95 f. BGG erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG) und legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Unter Berücksichtigung der allgemeinen Pflicht zur Begründung der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG) prüft es grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 147 I 73 E. 2.1; 145 V 304 E. 1.1).  
 
1.2. Sachverhaltsrügen unterliegen dem qualifizierten Rügeprinzip, soweit damit offensichtliche Unrichtigkeit, mithin Willkür dargetan werden soll (vgl. Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 148 V 366 E. 3.3). Einen von den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz abweichenden Sachverhalt zu behaupten oder die eigene Beweiswürdigung zu erläutern, genügt nicht (vgl. BGE 137 II 353 E. 5.1). Es belegt keine Willkür, dass die Schlüsse der Vorinstanz nicht mit der eigenen Darstellung der beschwerdeführenden Partei übereinstimmen (vgl. BGE 142 II 433 E. 4.4). Die vorinstanzlichen Feststellungen zum Gesundheitszustand und zur Arbeitsfähigkeit der versicherten Person sowie die konkrete Beweiswürdigung beziehen sich auf Tatfragen, weshalb sie für das Bundesgericht grundsätzlich verbindlich sind (vgl. BGE 132 V 393 E. 3.2; SVR 2021 IV Nr. 16 S. 45, 9C_174/2020 E. 2.3, nicht publ. in: BGE 147 V 79). Dagegen betrifft die Beachtung des Untersuchungsgrundsatzes und der Beweiswürdigungsregeln Rechtsfragen, die das Bundesgericht im Rahmen der den Parteien obliegenden Begründungs- bzw. Rügepflicht frei prüft (vgl. BGE 146 V 240 E. 8.2; SVR 2016 BVG Nr. 11 S. 47, 9C_457/2014 E. 1.2, nicht publ. in: BGE 141 V 405). Gleiches gilt für die Frage, ob den medizinischen Gutachten und Arztberichten im Lichte der rechtsprechungsgemässen Anforderungen Beweiswert zukommt (siehe hernach E. 5.2 f.).  
 
2.  
Streitig ist, ob die Vorinstanz Bundesrecht verletzte, indem sie die wiedererwägungsweise Aufhebung der ganzen Rente rückwirkend per 1. August 2016 durch die IV-Stelle schützte. 
 
3.  
Das kantonale Gericht legte die für die Beurteilung des strittigen Anspruchs auf Versicherungsleistungen massgebenden Grundlagen korrekt dar, insbesondere in Bezug auf die Wiedererwägung (Art. 53 Abs. 2 ATSG; Art. 88 bis Abs. 2 lit. b IVV; BGE 148 V 195 E. 5.3; 141 V 405 E. 5.2; 138 V 147 E. 2.1). Darauf wird verwiesen (Art. 109 Abs. 3 BGG).  
 
4.  
Die Vorinstanz bejahte die Voraussetzungen der Wiedererwägung. Im Zuge der im Frühjahr 2014 eingeleiteten Rentenüberprüfung habe der Beschwerdeführer angegeben, er gehe keiner Erwerbstätigkeit nach, auch wenn er froh wäre, wieder arbeiten zu können. Allerdings habe sich sein Gesundheitszustand, so der Beschwerdeführer, weiter verschlechtert, indem zu den psychischen Leiden nun auch körperliche Beschwerden hinzugetreten seien. Die Vorinstanz stellte fest, zum damaligen Zeitpunkt sei ihm aus psychiatrischer Sicht eine mittelgradig bis schwere rezidivierende depressive Störung (ICD-10 F33.1/2) und eine schwere narzisstische Persönlichkeitsstörung (ICD-10 F60.6) mit einer Arbeitsunfähigkeit von mindestens 70-80 % für sämtliche Tätigkeiten attestiert worden. Bei Schwarzarbeitskontrollen im Dezember 2012, Januar 2013 und März 2015 sei er jeweils frühmorgens in den Räumlichkeiten der B.________ und C.________ GmbH angetroffen worden, deren Gesellschafter er bis September 2016 gewesen sei. Unter anderem habe der Beschwerdeführer gegenüber dem Amt für Wirtschaft und Arbeit angegeben, er sei nicht der Geschäftsinhaber, sondern handle in Vertretung seiner Tochter. Im Rahmen einer Observation von Dezember 2014 bis März 2015, die an sieben Tagen erfolgt sei, habe der Beschwerdeführer an jedem Tag Arbeitskleider getragen, sei mit dem Auto zu besagtem Geschäft und danach zu dessen mutmasslichen Kunden gefahren. Dabei sei der Eindruck entstanden, er sei für die Kontrolle der vom Personal durchgeführten Reinigungsarbeiten zuständig. Auch habe er ohne Anzeichen von Schwierigkeiten vier Autopneus ins Firmenauto zu laden vermocht. Im Zuge des von der IV-Stelle angehobenen Strafverfahrens habe sich herausgestellt, dass der Beschwerdeführer eine leitende Stellung bei der B.________ und C.________ GmbH inne gehabt habe und in relevantem Umfang für diese tätig gewesen sei. 
Dem bidisziplinären Gutachten der Dres. med. E.________ und PD D.________ sprach das kantonale Gericht den Beweiswert ab. Denn es fokussiere allein auf diagnostische Aspekte, ohne einen allfälligen Einfluss der Observationserkenntnisse im Zusammenhang mit der dadurch offensichtlich im Raum stehenden Frage der Aggravation respektive Simulation und ihren Einfluss auf die Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers zu diskutieren. Das anschliessend von der IV-Stelle in Auftrag gegebene polydisziplinäre MEDAS-Gutachten sei hingegen voll beweiswertig. Es attestierte dem Beschwerdeführer in der Gesamtschau ein erheblich aggravatorisches Verhalten mit dem Ergebnis, dass bei Einhaltung der Therapie sowohl aktuell als auch retrospektiv eine volle Arbeitsfähigkeit zu bejahen sei. Sein täuschendes Verhalten habe zur ungerechtfertigten Weiterausrichtung einer ganzen Rente geführt. Der Beschwerdeführer habe den Leistungsbezug unter den gegebenen Umständen unrechtmässig erwirkt, weshalb die Rente in Anwendung von Art. 53 Abs. 2 ATSG in Verbindung mit Art. 88 bis Abs. 2 lit. b IVV rückwirkend ab dem Zeitpunkt ihrer Sistierung per 1. August 2016 aufzuheben sei.  
 
5.  
 
5.1. Der Umstand, dass der Rentenanspruch in der Vergangenheit im Rahmen periodisch durchgeführter Revisionsverfahren - wie hier - mehrfach bestätigt worden ist, steht der wiedererwägungsweisen Aufhebung einer zweifellos unrichtigen Verfügung nicht entgegen (vgl. Art. 53 Abs. 2 ATSG; BGE 147 V 167 E. 6.1.1; SVR 2018 IV Nr. 59 S. 190, 8C_680/2017 E. 4.1.1; Urteil 8C_83/2022 vom 29. Juni 2022 E. 5.2.2; je mit Hinweisen).  
 
5.2. Das bidisziplinäre Gutachten der Dres. med. E.________ und PD D.________ wies explizit darauf hin, dass allfällige Anzeichen für eine Verdeutlichung, Aggravation oder Simulation nicht geprüft worden seien. Ebenso führte der psychiatrische Sachverständige PD Dr. med. D.________ darin aus, es sei nicht seine Aufgabe, zu den Dokumenten der Staatsanwaltschaft Stellung zu nehmen. Beim Verfassen der Expertise fokussierte er allein auf die Diagnostik, wobei er innerhalb der subjektiven Angaben des Beschwerdeführers im Vergleich zu den medizinisch erhobenen Befunden keine sicheren Inkonsistenzen zu erkennen vermochte. Dabei wäre er als medizinischer Sachverständiger dafür zuständig gewesen, das Observationsmaterial in Relation zu setzen mit den Diagnosen, mögliche aggravationsrelevante Inkonsistenzen zu erkennen und klar zu benennen (vgl. BGE 137 I 327 E. 5.4.2.1; SVR 2012 IV Nr. 31 S. 124, 8C_195/2011 E. 3.2, nicht publ. in: BGE 138 V 63; Urteil 8C_517/2021 vom 10. Juni 2022 E. 5.3). Weil er dies unterliess, sprach die Vorinstanz diesem Gutachten den Beweiswert zu Recht ab (vgl. BGE 143 V 124 E. 2.2.2; 137 V 210 E. 6.2.2; 134 V 231 E. 5.1; 125 V 351 E. 3; je mit Hinweisen).  
 
5.3. Folglich ging das kantonale Gericht wegen der fehlenden Klarheit über allfällige Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Aggravation oder Simulation respektive von Verdeutlichungstendenzen zutreffend davon aus, die IV-Stelle habe diese Aspekte weiter abklären müssen und zu diesem Zweck eine polydisziplinäre Expertise einholen dürfen (vgl. Art. 43 und 61 lit. c ATSG). Der Vorwurf des Beschwerdeführers, das MEDAS-Gutachten stelle eine unzulässige Zweitmeinung dar, trifft offensichtlich nicht zu (vgl. BGE 141 V 330 E. 5.2; 140 V 507 E. 3.1; SVR 2022 UV Nr. 18 S. 75, 8C_711/2020 E. 4.3; Urteile 8C_150/2022 vom 7. November 2022 E. 5.2; 9C_492/2021 vom 23. August 2022 E. 5.4). Anderweitig hinreichend substanziierte (siehe E. 1 hiervor) Einwendungen, die konkrete Indizien gegen die Zuverlässigkeit des MEDAS-Gutachtens aufzuzeigen vermöchten (vgl. BGE 147 V 79 E. 8.1; 135 V 465 E. 4.4), erhebt der Beschwerdeführer nicht. Im Übrigen macht er weder geltend noch ist ersichtlich, dass der am 8. Mai 2021 erlittene Herz-Kreislaufstillstand nach erfolgter Rehabilitation eine voraussichtlich längere Zeit andauernde Gesundheitsbeeinträchtigung (Art. 88a Abs. 1 IVV) in anspruchserheblichem Umfang zur Folge gehabt hätte.  
 
5.4. Die vorinstanzlichen Erwägungen, wonach die Weiterausrichtung der Rente infolge falscher Angaben und täuschenden Verhaltens des Beschwerdeführers zweifellos unrichtig im Sinne von Art. 53 Abs. 2 ATSG war, werden von diesem nicht grundsätzlich infrage gestellt und vermögen zu überzeugen. In diesem Zusammenhang erübrigen sich Weiterungen zur Meldepflichtverletzung und der entsprechenden Sanktionierungsmöglichkeit (Art. 88 bis Abs. 2 lit. b IVV).  
 
6.  
Demnach hält die verfügte und vorinstanzlich bestätigte wiedererwägungsweise Aufhebung der Invalidenrente per 1. August 2016 vor Bundesrecht stand, womit die Beschwerde abzuweisen ist. 
 
7.  
Da die Beschwerde offensichtlich unbegründet ist, wird sie im vereinfachten Verfahren nach Art. 109 Abs. 2 lit. a BGG ohne Schriftenwechsel und mit summarischer Begründung (Art. 109 Abs. 3 Satz 1 BGG) erledigt. Der unterliegende Beschwerdeführer trägt die Gerichtskosten (Art. 66 Abs. 1 BGG). Sein in der Beschwerdeschrift gestelltes Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung ist wegen Aussichtslosigkeit der Beschwerdeführung abzuweisen (Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.  
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird abgewiesen. 
 
3.  
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
4.  
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Basel-Stadt und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 24. Februar 2023 
 
Im Namen der IV. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Wirthlin 
 
Der Gerichtsschreiber: Cupa