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Eidgenössisches Versicherungsgericht 
Tribunale federale delle assicurazioni 
Tribunal federal d'assicuranzas 
 
Sozialversicherungsabteilung 
des Bundesgerichts 
 
Prozess 
{T 7} 
I 413/02 
 
Urteil vom 31. Januar 2003 
III. Kammer 
 
Besetzung 
Präsident Borella, Bundesrichter Meyer und Kernen; Gerichtsschreiberin Bollinger 
 
Parteien 
IV-Stelle Schwyz, Rubiswilstrasse 8, 6438 Ibach, Beschwerdeführerin, 
 
gegen 
 
M.________, 1962, Seewernstrasse 26, 6423 Seewen, Beschwerdegegnerin, vertreten durch die Firma X.________, Gewerbestrasse 14, 6438 Ibach 
 
Vorinstanz 
Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz, Schwyz 
 
(Entscheid vom 17. April 2002) 
 
Sachverhalt: 
A. 
Die 1963 geborene M.________ leidet seit ihrer Kindheit an einem hochgradigen Astigmatismus myopicus compositus links mehr als rechts, einem Offenwinkelglaukom beidseits sowie einer relativen konzentrischen Gesichtsfeldeinengung auf 80 bis 90° (Bericht des Dr. med. O.________, vom 6. Juni 1997). Am 26. Mai 1997 meldete sie sich zum Bezug von Leistungen bei der IV-Stelle des Kantons Schwyz an, welche das Leistungsbegehren am 18. Juli 1997 ablehnte. Ende Mai 1997 verlor sie ihre Stelle als Lagermitarbeiterin bei der Firma T.________, die sie seit dem 1. November 1979 innegehabt hatte. Bis zum Antritt einer neuen Stelle am 1. Mai 1998 als stundenweise Aushilfe in der Schaukäserei S.________, bezog M.________ Taggelder der Arbeitslosenversicherung. Am 4. Januar 2000 liess sie sich erneut zum Bezug von IV-Leistungen anmelden, nachdem eine neuropsychologische Untersuchung am Universitätsspital Zürich vom 12. November 1999 verschiedene Defizite ergeben hatte. Die Stelle in der Schaukäserei S.________ wurde ihr auf den 1. Oktober 2001 gekündigt. Im November 2001 absolvierte M.________ ein Schnupperpraktikum im Personalrestaurant des B.________, und arbeitet seit dem 7. Januar 2002 als Festangestellte an einem geschützten Arbeitsplatz in dieser Institution. Nach medizinischen und erwerblichen Abklärungen sprach die IV-Stelle des Kantons Schwyz M.________ mit Verfügung vom 26. Oktober 2001 eine halbe Invalidenrente ab 1. Januar 1999 zu. 
B. 
Beschwerdeweise liess M.________ die Aufhebung der Verfügung vom 26. Oktober 2001, die Prüfung der Rentenerhöhung durch die IV-Stelle und die rückwirkende Rentenausrichtung ab 1. Januar 1995, eventuell die Rückweisung an die Verwaltung zur genaueren Abklärung der Nachzahlungspflicht, beantragen. Mit Entscheid vom 17. April 2002 hob das Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz unter Zusprechung einer Parteientschädigung von Fr. 1'500.- die Verfügung vom 26. Oktober 2001 insoweit auf, als es die Verwaltung verpflichtete, M.________ eine halbe Invalidenrente ab 1. Mai 1998 zu entrichten; zudem wies es die Sache zur weiteren Sachverhaltsabklärung und Erlass einer neuen Verfügung über den Leistungsanspruch in der Zeit ab 1. Januar 2001 an die IV-Stelle zurück. 
C. 
Die IV-Stelle führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde und beantragt die Aufhebung des angefochtenen Entscheids. 
 
M.________ und die Vorinstanz schliessen auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherung beantragt deren Gutheissung. 
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 
1. 
Am 1. Januar 2003 ist das Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 in Kraft getreten. Mit ihm sind zahlreiche Bestimmungen in der Invalidenversicherung geändert worden. Weil in zeitlicher Hinsicht grundsätzlich diejenigen Rechtssätze massgebend sind, die bei der Erfüllung des zu Rechtsfolgen führenden Tatbestandes Geltung haben (BGE 127 V 467 Erw. 1), und weil ferner das Sozialversicherungsgericht bei der Beurteilung eines Falles grundsätzlich auf den bis zum Zeitpunkt des Erlasses der streitigen Verfügung eingetretenen Sachverhalt abstellt (BGE 121 V 366 Erw. 1b), sind im vorliegenden Fall die bis zum 31. Dezember 2002 geltenden Bestimmungen anwendbar. 
2. 
Die Beschwerdeführerin beantragt in ihrem Rechtsbegehren die uneingeschränkte Aufhebung des angefochtenen Entscheids. Der Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt sich jedoch entnehmen, dass nurmehr der Zeitpunkt des Rentenbeginns streitig ist. Das Rechtsbegehren ist daher dahin zu verstehen, der vorinstanzliche Entscheid sei in diesem Punkt aufzuheben (BGE 123 V 336 Erw. 1a mit Hinweisen). Darauf hat sich die materielle Prüfung des Eidgenössischen Versicherungsgerichts zu beschränken, nachdem das weitergehend lautende Rechtsbegehren insoweit nicht begründet wird. 
3. 
Nach Art. 48 Abs. 2 IVG werden Leistungen lediglich für die zwölf der Anmeldung vorangehenden Monate ausgerichtet, wenn sich eine versicherte Person mehr als zwölf Monate nach der Entstehung des Anspruches anmeldet. Weitergehende Nachzahlungen werden erbracht, wenn sie den anspruchsbegründenden Sachverhalt nicht kennen konnte und die Anmeldung innerhalb von zwölf Monaten seit Kenntnisnahme vornimmt. Unter dem anspruchsbegründenden Sachverhalt ist in Anlehnung an Art. 4 und 5 IVG der körperliche oder geistige Gesundheitsschaden zu verstehen, der eine voraussichtlich bleibende oder längere Zeit dauernde Erwerbsunfähigkeit verursacht oder den nichterwerbstätigen Versicherten in seinem bisherigen Aufgabenbereich beeinträchtigt. Mit der Kenntnis des anspruchsbegründenden Sachverhalts ist nicht das subjektive Einsichtsvermögen des Versicherten gemeint, sondern es geht nach dem Wortlaut von Art. 48 Abs. 2 IVG vielmehr darum, ob der anspruchsbegründende Sachverhalt objektiv feststellbar ist oder nicht (BGE 100 V 120; ZAK 1984 S. 404 f. Erw. 1, 1975 S. 128). 
4. 
Die Beschwerdegegnerin, welche mit der Vorinstanz als urteilsfähig zu betrachten ist, liess sich am 4. Januar 2000 zum zweiten Mal zum Bezug von Leistungen der Invalidenversicherung anmelden, nachdem sich anlässlich einer Untersuchung am Universitätsspital Zürich vom 12. November 1999 verschiedene neuropsychologische Defizite (mnestische Defizite, Frontalhirndysfunktion, leichte sprachliche Auffälligkeiten) herausgestellt hatten. Wie die Vorinstanz an sich ebenfalls zutreffend erwägt, wurden die schon vorher feststellbaren Anzeichen (verminderte Konzentrationsfähigkeit, langsames Arbeitstempo, fehlende Förderbarkeit im intellektuellen Bereich) bis im Herbst 1999 stets und ausschliesslich auf das Augenleiden zurückgeführt. Die ausgeprägte Kurzsichtigkeit war auch Anlass für die erstmalige Anmeldung bei der Invalidenversicherung im Mai 1997 gewesen. Erst als sich die Beschwerdegegnerin zu Frau Dr. med. Q.________, in Behandlung begab, leitete diese eine neuropsychologische Abklärung in die Wege (vgl. Arztbericht vom 13. Januar 2000), anlässlich der die erwähnten Auffälligkeiten festgestellt und als weitere Ursache für die gesundheitlichen Beeinträchtigungen diagnostiziert wurden. Wieweit die Beschwerden der Versicherten auf ihr Augenleiden und/oder die neuropsychologischen Defizite zurückzuführen sind, braucht nicht weiter geprüft zu werden. Dem neuropsychologischen Bericht vom 12. November 1999 ist zu entnehmen, dass die Versicherte bei der Untersuchung verlangsamt mitarbeitete, wobei die Lernfähigkeit als knapp genügend erachtet wurde, jedoch verschiedene Defizite (verminderte Abrufleistung von auditiv-verbalem Material, eine Sprachstörung in Form semantischer Paraphasien, verminderte Leistungen in der visuell-figuralen Modalität) festgestellt wurden. Hinsichtlich der Frontalhirndysfunktion konstatierten die untersuchenden Fachleute eine verminderte Ideenproduktion nach verbalem und figuralem Kriterium sowie Schwierigkeiten beim Finden von abstrakten Konzepten und beim Unterdrücken visuell-verbaler Störreize. Sodann gelang es der Versicherten nicht, geometrische Figuren korrekt zu kopieren. Während die Spontansprache als unauffällig erschien, wurden eine leichte Dysorthographie sowie leichte Lese- und Rechenschwierigkeiten bemerkt. Agnostische oder apraktische Defizite fanden sich nicht. 
 
Diese neuropsychologischen Erkenntnisse liefern (zum ophtalmologischen Leiden hinzu) einen zusätzlichen Grund, der dafür mitursächlich gewesen sein dürfte, dass die Beschwerdegegnerin ihre langjährige Anstellung bei der Firma Tschümperlin schliesslich verlor, dies in Anbetracht der vom Betrieb angeführten teilweise ungenügenden Leistungen, die sich mit den neuropsychologischen Defiziten plausibel erklären lassen. Darin liegt indessen, entgegen der vorinstanzlichen Auffassung, keine objektive Nichterkennbarkeit des anspruchsbegründenden Sachverhalts. Entscheidend ist allein, dass die Auswirkungen der (zum Teil verborgenen) gesundheitlichen Schädigungen auf die Arbeits- und Erwerbsfähigkeit und damit der anspruchsbegründende Sachverhalt allen Beteiligten schon vor der Untersuchung vom 12. November 1999 bekannt waren. Dass im Herbst 1999 hiefür eine zusätzliche, neue Ursache diagnostiziert wurde, ändert im Rahmen von Art. 48 Abs. 2 zweiter Satz IVG nichts. 
5. 
Es bleibt zu prüfen, ob sich aus dem Umstand etwas anderes ergibt, dass sich die Beschwerdegegnerin schon am 26. Mai 1997 ein erstes Mal zum Leistungsbezug angemeldet hatte. Dieses Verfahren ist mit unangefochten gebliebener Verfügung vom 18. Juni 1997 abgeschlossen worden. Gründe für ein prozessual-revisionsrechtliches Zurückkommen bestehen nicht, wie die Vorinstanz zutreffend erkannte. Bei dieser Sachlage kommt der Anmeldung vom 26. Juni 1997 keine anspruchswahrende Wirkung für die Folgezeit zu (ZAK 1965 S. 384). 
6. 
Da es um die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen geht, werden keine Gerichtskosten erhoben (Art. 134 OG). 
 
Die unentgeltliche Verbeiständung kann der Beschwerdegegnerin im Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht nicht gewährt werden (Art. 152 in Verbindung mit Art. 135 OG), da diese patentierten Rechtsanwälten vorbehalten ist (vgl. zuletzt Urteil K. vom 17. Januar 2002, I 47/01 mit Hinweisen). 
7. 
Der letztinstanzliche Verfahrensausgang ist geeignet, der vom kantonalen Gericht zugesprochenen Parteientschädigung teilweise die Grundlage zu entziehen, da der Prozesserfolg der Beschwerdegegnerin geringer ausfällt. Ob und inwieweit die gesprochenen Fr. 1'500.- zu reduzieren sind, hat die Vorinstanz zu beurteilen. 
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: 
 
1. 
In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird der Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Schwyz vom 17. April 2002 im Punkte des Rentenbeginns und bezüglich der Parteientschädigung aufgehoben. 
2. 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
3. 
Das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung wird abgewiesen. 
4. 
Das Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz hat über eine allfällige Neuverlegung der Parteikosten für das kantonale Verfahren, entsprechend dem Ausgang des letztinstanzlichen Prozesses, zu befinden. 
5. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz, der Ausgleichskasse Schwyz und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt. 
 
Luzern, 31. Januar 2003 
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts 
Der Präsident der III. Kammer: Die Gerichtsschreiberin: