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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
1B_171/2008 /fun 
 
Urteil vom 24. Juli 2008 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Aemisegger, präsidierendes Mitglied, 
Bundesrichter Reeb, Eusebio, 
Gerichtsschreiberin Scherrer. 
 
Parteien 
X.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Fürsprecher Peter Stein, 
 
gegen 
 
Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat, Stauffacherstrasse 55, Postfach, 8026 Zürich. 
 
Gegenstand 
Haftentlassung, 
 
Beschwerde gegen die Verfügung vom 16. Juni 2008 
des Bezirksgerichts Zürich, Haftrichter. 
 
Sachverhalt: 
 
A. 
X.________ wird vorgeworfen, als Geschäftsleiter der Z.________ GmbH, einer Kaffeerösterei, zusammen mit seinem Bruder und Mitangeschuldigten Y.________ im August/September 2007 bei der Firma A.________ 48 Tonnen und 4 Container Rohkaffee bestellt und erhalten sowie im März 2006 bei der Firma B.________ (heute Firma C.________) 169 Säcke Rohkaffee im Wert von Fr. 21'326.62 bestellt und erhalten zu haben; dabei hätten die beiden nie die Absicht gehabt, den geschuldeten Kaufpreis zu zahlen, sondern in betrügerischer Weise die im Kaffeehandel herrschenden Gepflogenheiten auszunützen. Weiter soll der Angeschuldigte im September 2007 bei der Firma D.________ 18'144 Flaschen Olivenöl für Fr. 75'818.70 und im März 2008 bei der Firma E.________ 18'000 Flaschen Olivenöl für Fr. 72'971.00 bestellt haben, obwohl er nie beabsichtigt habe, die geschuldete Summe zu bezahlen. Schliesslich soll er vor dem Handelsgericht des Kantons Zürich versucht haben, mittels einer gefälschten Rechnung und eines gefälschten Lieferscheins über Lieferungen der Firma F.________ vorzutäuschen, dass er von letzterer lediglich leere Kaffeebeutel und keinen Kaffee erhalten und schliesslich bezahlt habe. Mit dieser Behauptung habe er zum Nachteil der Firma F.________ erreichen wollen, deren Kaffeelieferungen im Wert von ca. Fr. 212'571.00 nicht bezahlen zu müssen. 
 
B. 
Aufgrund dieser Vorwürfe wurde X.________ mit Verfügung des Haftrichters vom 23. Mai 2008 in Untersuchungshaft versetzt. Am 12. Juni 2008 reichte der Angeschuldigte ein Haftentlassungsgesuch ein, welches vom Haftrichter am 16. Juni 2008 wegen Kollusions- und Fluchtgefahr abgewiesen wurde. 
 
C. 
Am 27. Juni 2008 erhebt der Angeschuldigte Beschwerde in Strafsachen und beantragt - unter Aufhebung des haftrichterlichen Entscheids vom 16. Juni 2008 - die Anordnung seiner Entlassung aus der Untersuchungshaft. 
 
Der Haftrichter verzichtet auf eine Stellungnahme, während die Staatsanwältin auf Abweisung der Beschwerde schliesst. 
In seiner Replik hält der Beschwerdeführer vollumfänglich an seinen Anträgen fest. 
 
Erwägungen: 
 
1. 
Die Eintretensvoraussetzungen sind erfüllt und geben zu keinen weiteren Bemerkungen Anlass. 
 
2. 
Der Beschwerdeführer ficht den Haftprüfungsentscheid vorab wegen Verletzung des rechtlichen Gehörs an. Entgegen seinem ausdrücklichen Verfahrensantrag sei ihm die persönliche Anhörung durch den Haftrichter verweigert worden. 
 
Im angefochtenen Entscheid wird der Verzicht auf die persönliche Befragung des Inhaftierten damit begründet, dass bereits vor dem Ergehen des haftrichterlichen Entscheides vom 23. Mai 2008 eine sehr ausführliche mündliche Anhörung stattgefunden habe. 
 
3. 
Nach der Praxis des Bundesgerichtes verlangen Art. 31 Abs. 4 BV bzw. Art. 5 Ziff. 4 EMRK nicht, dass im Haftprüfungsverfahren eine mündliche Verhandlung vor dem Haftrichter stattfinden müsse. Eine Vorführung vor die haftanordnende Behörde hat (gestützt auf Art. 31 Abs. 3 BV bzw. Art. 5 Ziff. 3 EMRK) lediglich bei der Haftanordnung zu erfolgen. Das kantonale Strafprozessrecht kann jedoch über diese grundrechtlichen Minimalansprüche hinausgehen und eine richterliche Anhörung auch für das Haftprüfungs- und Haftverlängerungsverfahren gewährleisten (BGE 125 I 113 E. 2a S. 115 mit Hinweisen). Soweit das rechtliche Gehör durch kantonales Verfahrensrecht geregelt wird, verlangt die Bundesverfassung die Einhaltung dieser kantonalen Vorschriften (vgl. BGE 126 I 97 E. 2 S. 102 f. mit Hinweisen). 
 
3.1 § 61 Abs. 1 des Zürcher Gesetzes betreffend den Strafprozess vom 4. Mai 1919 (StPO/ZH; LS 321) lautet wie folgt: 
- Der Haftrichter gibt dem Angeschuldigten und seinem Verteidiger Gelegenheit, sich zu den Vorbringen der Untersuchungsbehörde zu äussern. Er gewährt ihnen Einsicht in die vom Untersuchungsbeamten unterbreiteten Akten. Der Angeschuldigte ist auf sein Verlangen persönlich anzuhören." 
 
3.2 Das Zürcher Strafprozessrecht beschränkt den Anspruch auf persönliche Anhörung durch den Haftrichter auf Verlangen (§ 61 Abs. 1 Satz 3 StPO/ZH) nicht auf das Verfahren der ersten Haftanordnung. Zwar regeln die §§ 64-65 StPO/ZH das Haftprüfungsverfahren gestützt auf einen Haftentlassungsantrag des Inhaftierten bzw. gestützt auf einen Haftverlängerungsantrag des Untersuchungsbeamten. In § 65 Abs. 2 StPO/ZH wird jedoch für das "weitere Verfahren" ausdrücklich auf die "§§ 61 und 62" verwiesen. Analoges gilt für Gesuche um Entlassung aus der Sicherheitshaft (§ 68 Satz 3 StPO/ZH). 
 
Gegenteiliges geht auch aus BGE 125 I 113 nicht hervor. In diesem Entscheid war eine Haftprüfung zu beurteilen, welche von Amtes wegen, gestützt auf einen Haftverlängerungsantrag der Bezirksanwaltschaft, erfolgt war (§ 65 Abs. 1 Ziff. 1 StPO/ZH). Das Bundesgericht erwog, dass sich das Verfahren (laut § 65 Abs. 2 StPO/ZH) auch in diesem Fall nach den §§ 61 und 62 StPO/ZH richte. Auf Verlangen des Inhaftierten sei dieser daher vom Haftrichter persönlich anzuhören (vgl. BGE 125 I 113 E. 2b S. 116). 
 
3.3 Zwar findet sich im Gesetzestext von § 64 StPO/ZH kein ausdrücklicher Hinweis auf die Anwendbarkeit der §§ 61-62 StPO/ZH. Sowohl in der Praxis des Bundesgerichtes als auch in der einschlägigen Literatur wird jedoch die Auffassung vertreten, dass auch bei Haftprüfungen gestützt auf Haftentlassungsgesuche des Inhaftierten die §§ 61-62 StPO/ZH anwendbar seien. Insbesondere habe der Gesuchsteller den Anspruch, vom Haftrichter (auf Verlangen) persönlich angehört zu werden (Urteil des Bundesgerichtes 1P.520/2002 vom 16. Oktober 2002 i.S. A. c. Haftrichteramt des Bezirksgerichts Zürich, E. 2 und 1P.636/2000 vom 30. Oktober 2000 i.S. Y. c. Haftrichteramt des Bezirksgerichtes Zürich, E. 4; vgl. Andreas Donatsch, in: Donatsch/ Schmid, Kommentar zur Strafprozessordnung des Kantons Zürich, § 64 N. 29-30). 
 
An dieser Praxis hat das Bundesgericht auch im Urteil 1P.546/2002 vom 25. November 2002 (publ. in Pra 2003 Nr. 97 S. 519) festgehalten. Aus der Perspektive des Rechtsschutzes wäre es nur schwer einzusehen, weshalb sich der ausdrücklich vorgesehene Anspruch auf persönliche Anhörung durch den Haftrichter auf die erste Haftanordnung und auf die Haftprüfungen von Amtes wegen (gestützt auf einen Haftverlängerungsantrag des Untersuchungsbeamten) beschränken sollte. Dies um so weniger, als jedenfalls für die Prüfung von Sicherheitshaft auf Haftentlassungsgesuch des Inhaftierten hin ausdrücklich auf die sinngemässe Anwendbarkeit der "§§ 61-66" hingewiesen wird (§ 68 Satz 3 StPO/ZH). Im Übrigen ist an die Gewährung des rechtlichen Gehörs kein tiefer Massstab anzulegen, gerade weil es sich beim Haftrichter im einstufigen zürcherischen System um die einzige richterliche Haftprüfungsinstanz handelt (vgl. BGE 125 I 113 E. 2d S. 117 mit Hinweisen). 
 
4. 
Nach dem Gesagten ist die Beschwerde gutzuheissen und der angefochtene Entscheid aufzuheben. Indes ist der Anspruch auf rechtliches Gehör formeller Natur. Seine Verletzung führt zwar - ungeachtet der Frage der materiellrechtlichen Begründetheit der Beschwerde - zur Gutheissung des Rechtsmittels und zur Aufhebung des genannten Haftprüfungsentscheides, nicht aber zur Haftentlassung des Beschwerdeführers. Vielmehr haben die kantonalen Behörden dem Beschwerdeführer das rechtliche Gehör zu gewähren und unverzüglich neu über sein Haftentlassungsgesuch zu entscheiden. 
 
Gerichtskosten sind nicht zu erheben (Art. 66 Abs. 4 BGG). Hingegen hat der Kanton Zürich dem anwaltlich vertretenen Beschwerdeführer eine angemessene Parteientschädigung zu entrichten (Art. 68 Abs. 4 i.V. mit Art. 68 Abs. 3 BGG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Beschwerde wird gutgeheissen und der angefochtene Entscheid des Haftrichters des Bezirksgerichts Zürich vom 16. Juni 2008 aufgehoben. 
 
2. 
Der Antrag auf Haftentlassung wird abgewiesen. 
 
3. 
Es werden keine Kosten erhoben. 
 
4. 
Der Kanton Zürich hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'000.-- zu entschädigen. 
 
5. 
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat und dem Bezirksgericht Zürich, Haftrichter, schriftlich mitgeteilt. 
Lausanne, 24. Juli 2008 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Das präsidierende Mitglied: Die Gerichtsschreiberin: 
 
Aemisegger Scherrer