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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
1B_244/2017  
   
   
 
 
 
Urteil vom 7. August 2017  
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Karlen, präsidierendes Mitglied, 
Bundesrichter Eusebio, Chaix, 
Gerichtsschreiber Stohner. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführer, 
vertreten durch Advokat Dr. Andreas Noll, 
 
gegen  
 
Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern, Maulbeerstrasse 10, Postfach 6250, 3001 Bern. 
 
Gegenstand 
Strafverfahren; erkennungsdienstliche Erfassung / 
DNA-Analyse, 
 
Beschwerde gegen den Beschluss vom 17. Mai 2017 
des Obergerichts des Kantons Bern, 
Beschwerdekammer in Strafsachen. 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
Die Regionale Staatsanwaltschaft Bern-Mittelland führt gegen A.________ eine Strafuntersuchung wegen Sachbeschädigung durch Farbsprayereien (BM 16 35031). A.________ wird vorgeworfen, am 11. Mai 2016, zusammen mit weiteren Personen, im BLS Depot Holligen an einer BLS-Zugskomposition Sprayereien angebracht zu haben. Die BLS AG hat Strafantrag gestellt und verlangt Schadenersatz im Betrag von Fr. 6'819.30 (Reinigungskosten für das Entfernen der Graffiti an zwei Zugwagons). In Tatortnähe wurde in einer mit Spraydosen gefüllten Stofftasche eine Baseballkappe sichergestellt. Die Auswertung der ab der Baseballkappe isolierten DNA-Mischspur (PCN-Nr. xxx) ergab eine auf A.________ entfallende Übereinstimmung mit dem DNA-Profil PCN-Nr. yyy. 
Am 13. Oktober 2016 verfügte die Staatsanwaltschaft die erkennungsdienstliche Erfassung und die Erstellung eines DNA-Profils bei A.________. Dagegen erhob dieser am 27. Oktober 2016 Beschwerde an das Obergericht des Kantons Bern, Beschwerdekammer in Strafsachen, und beantragte die Aufhebung der angefochtenen Verfügung. 
Mit Beschluss vom 17. Mai 2017 wies das Obergericht die Beschwerde ab, soweit es darauf eintrat. 
 
B.   
Mit Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht vom 19. Juni 2017 beantragt A.________ in der Hauptsache die Aufhebung des Entscheids des Obergerichts. 
Die Generalstaatsanwaltschaft und das Obergericht haben auf Vernehmlassungen verzichtet. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Entscheid in einer strafrechtlichen Angelegenheit, gegen den die Beschwerde in Strafsachen grundsätzlich offensteht (Art. 78 Abs. 1 und Art. 80 BGG). Die erkennungsdienstliche Erfassung und die Erstellung eines DNA-Profils dienen vorliegend nicht dazu, den Beschwerdeführer jener Straftat zu überführen, der er im jetzigen Strafverfahren beschuldigt wird. Vielmehr sollen damit andere - bereits begangene oder künftige - Straftaten geklärt werden. Den in Frage stehenden Massnahmen kommt demnach eine über das jetzige Strafverfahren hinausgehende eigenständige Bedeutung zu. Der vorinstanzliche Entscheid ist deshalb als Endentscheid zu qualifizieren (BGE 128 II 259 E. 1.4 S. 264), der nach Art. 90 BGG anfechtbar ist (vgl. zum Ganzen Urteile 1B_250/2016 vom 20. September 2016 E. 1.1; 1B_381/2015 vom 23. Februar 2016 E. 1.1; 1B_111/2015 vom 20. August 2015 E. 2.4 mit Hinweisen). Der Beschwerdeführer hat am vorinstanzlichen Verfahren teilgenommen und ist als Adressat der Zwangsmassnahmen zur Beschwerde befugt (Art. 81 Abs. 1 StPO). 
Auf die Beschwerde ist einzutreten. 
 
2.  
 
2.1. Zur Aufklärung eines Verbrechens oder eines Vergehens kann von der beschuldigten Person eine Probe genommen und ein DNA-Profil erstellt werden (Art. 255 Abs. 1 lit. a StPO). Ein solches Vorgehen kommt in Betracht, um jenes Delikt aufzuklären, welches dazu Anlass gegeben hat, oder zur Zuordnung von bereits begangenen und den Strafverfolgungsbehörden bekannten Delikten. Wie aus Art. 259 StPO i.V.m. Art. 1 Abs. 2 lit. a DNA-Profil-Gesetz vom 20. Juni 2003 (SR 363) klarer hervorgeht, muss die Erstellung eines DNA-Profils es auch erlauben, den Täter von Delikten zu identifizieren, die den Strafverfolgungsbehörden noch unbekannt sind. Dabei kann es sich um vergangene oder künftige Delikte handeln. Das DNA-Profil kann so Irrtümer bei der Identifikation einer Person und die Verdächtigung Unschuldiger verhindern. Es kann auch präventiv wirken und damit zum Schutz Dritter beitragen (Urteile 1B_250/2016 vom 20. September 2016 E. 2.1; 1B_381/2015 vom 23. Februar 2016 E. 2.2; 1B_111/2015 vom 20. August 2015 E. 3.1).  
Erkennungsdienstliche Massnahmen und die Aufbewahrung der Daten können das Recht auf persönliche Freiheit (Art. 10 Abs. 2 BV) und auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 13 Abs. 2 BV und Art. 8 EMRK; BGE 136 I 87 E. 5.1 S. 101; 128 II 259 E. 3.2 S. 268; je mit Hinweisen) tangieren. Dabei ist von einem leichten Grundrechtseingriff auszugehen (BGE 134 III 241 E. 5.4.3 S. 247; 128 II 259 E. 3.3 S. 269 f.; Urteil 2C_257/2011 vom 25. Oktober 2011 E. 6.7.3). Einschränkungen von Grundrechten müssen durch ein öffentliches Interesse gerechtfertigt und verhältnismässig sein (Art. 36 Abs. 2 und 3 BV). Dies konkretisiert Art. 197 Abs. 1 StPO. Danach können Zwangsmassnahmen nur ergriffen werden, wenn ein hinreichender Tatverdacht vorliegt (lit. b), die damit angestrebten Ziele nicht durch mildere Massnahmen erreicht werden können (lit. c) und die Bedeutung der Straftat die Zwangsmassnahme rechtfertigt (lit. d). Nach der Rechtsprechung ist die Erstellung eines DNA-Profils, das nicht der Aufklärung der Straftaten eines laufenden Strafverfahrens dient, nur dann verhältnismässig, wenn erhebliche und konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Beschuldigte in andere - auch künftige - Delikte verwickelt sein könnte (vgl. BGE 141 IV 87 E. 1.3.1 und 1.4.1). Dabei muss es sich allerdings um Delikte gewisser Schwere handeln (Urteile 1B_250/2016 vom 20. September 2016 E. 2.1; 1B_381/2015 vom 23. Februar 2016 E. 2.3; 1B_111/2015 vom 20. August 2015 E. 3.2; 1B_685/2011 vom 23. Februar 2012 E. 3.3, in: SJ 2012 I 440). 
Das Dargestellte gilt auch für die erkennungsdienstliche Erfassung gemäss Art. 260 Abs. 1 StPO, mit dem Unterschied, dass diese auch für Übertretungen angeordnet werden kann. 
 
2.2. Gegen den Beschwerdeführer wird wegen Sachbeschädigung i.S.v. Art. 144 StGB ermittelt, was eine Anlasstat nach Art. 255 Abs. 1 StPO bzw. Art. 260 StPO darstellt. Die flüchtende Täterschaft konnte von der Polizei nicht angehalten und daher nicht identifiziert werden. In Tatortnähe konnte jedoch in einer mit Spraydosen gefüllten Stofftasche eine Baseballkappe sichergestellt werden. Die Auswertung der Mischspur an der Baseballkappe (PCN-Nr. xxx) ergab eine Übereinstimmung mit dem bereits vorhandenen DNA-Profil (PCN-Nr. yyy) des Beschwerdeführers (vgl. auch Sachverhalt lit. A. hiervor). Wie dem von der Vorinstanz edierten Auszug vom 6. März 2017 entnommen werden kann, wurde das fragliche DNA-Profil PCN-Nr. yyy im Rahmen eines von der Staatsanwaltschaft Bern-Mittelland gegen den Beschwerdeführer geführten Strafverfahrens wegen Hausfriedensbruchs (BM 14 40305) erstellt. Mit Strafbefehl vom 21. November 2014 wurde der Beschwerdeführer wegen Hausfriedensbruchs verurteilt und mit einer Geldstrafe bestraft, deren Vollzug unter Ansetzung einer Probezeit von zwei Jahren aufgeschoben wurde. Zugleich wurde im Strafbefehl über den Zeitpunkt der Löschung entschieden. Dem edierten Auszug vom 6. März 2017 ist zu entnehmen, dass das fragliche DNA-Profil am 21. November 2021 gelöscht wird (vgl. insoweit Art. 16 Abs. 1 lit. e DNA-Profil-Gesetz, wonach das DNA-Profil fünf Jahre nach Ablauf der Probezeit bei bedingtem oder teilbedingtem Strafvollzug gelöscht wird). Dieser Strafbefehl ist rechtskräftig. Soweit der Beschwerdeführer die Rechtmässigkeit der im Jahr 2014 verfügten und in Rechtskraft erwachsenen DNA-Profilerstellung im Strafverfahren wegen Hausfriedensbruchs bestreitet (BM 14 40305), ist er damit im vorliegenden Verfahren nicht zu hören. Dieses DNA-Profil ist mithin ohne Weiteres verwertbar. Der hinreichende Tatverdacht gegen den Beschwerdeführer wegen Sachbeschädigung, welcher unter Vorbehalt der weiteren Voraussetzungen eine erkennungsdienstliche Erfassung und eine DNA-Probenahme erlaubt, ist von der Vorinstanz aufgrund der Aktenlage zu Recht bejaht worden.  
 
2.3. Der Beschwerdeführer bestreitet wie bereits im vorinstanzlichen Verfahren die Erforderlichkeit der erneuten Erstellung eines DNA-Profils.  
Die Vorinstanz hat hierzu erwogen, infolge des Umstands, dass vom Beschwerdeführer bereits ein DNA-Profil bestehe, welches zu einem Hit mit der Tatortspur geführt habe, erscheine eine erneute Profilerstellung zur Aufklärung der ihm nun vorgeworfenen Sachbeschädigung auf den ersten Blick nicht erforderlich. Indessen weise die Generalstaatsanwaltschaft zu Recht darauf hin, dass eine Erfassung mittels PCN-Nr. mit einem bestimmten Verfahren verbunden sei. Die Daten einer beschuldigten Person würden bei neuerlicher Delinquenz unter einer neuen PCN-Nr. erfasst, was sich allein schon mit Blick auf die unterschiedlichen Löschungsfristen rechtfertige. Dies verlange jedoch nicht zwingend, dass sich die betroffene Person (erneut) physisch den erkennungsdienstlichen Massnahmen unterziehen müsse. Sei die Qualität der bereits erfassten Daten nicht zu beanstanden und würden die Daten dem aktuellen Stand der Technik/Wissenschaft entsprechen, könnten die bereits vorhandenen Daten im Rahmen einer administrativen Nacherfassung unter der neuen PCN-Nr. gebucht werden. Einzig fehlende, schlecht erfasste oder technisch nicht aktuelle Daten würden bei der betroffenen Person neu erhoben bzw. erfasst. Der Entscheid darüber, ob eine (physische) Neu- oder (administrative) Nacherfassung erfolgen solle, werde vom Kriminaltechnischen Dienst der Kantonspolizei getroffen. Die Verfügung der Staatsanwaltschaft, mit welcher die erkennungsdienstliche Behandlung angeordnet und mit welcher der Beschwerdeführer darauf hingewiesen worden sei, dass er dem entsprechenden Aufgebot der Kantonspolizei Bern Folge zu leisten habe, sei folglich auch unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismässigkeit (Erforderlichkeit) nicht zu beanstanden. 
Mit dieser Begründung der Vorinstanz setzt sich der Beschwerdeführer in seiner Beschwerde an das Bundesgericht nicht substanziiert auseinander. Inwiefern die Ausführungen der Vorinstanz Bundesrecht verletzen sollten, ist nicht ersichtlich. 
 
2.4. Die Vorinstanz hat weiter zu Recht geschlossen, dass sich die angefochtenen Massnahmen mit Blick auf künftige Delikte begründen lassen. Der Beschwerdeführer ist mehrfach und teilweise einschlägig vorbestraft. Am 6. Juli 2007 wurde er wegen Sachbeschädigung, am 22. November 2014 wegen Hausfriedensbruchs und am 14. September 2015 erneut wegen Sachbeschädigung verurteilt. Aufgrund dieser Vorstrafen bestehen ernsthafte und konkrete Anhaltspunkte, dass der Beschwerdeführer auch in Zukunft Sachbeschädigungen begehen könnte. Entgegen seiner Auffassung sind die drohenden Sachbeschädigungen durch Farbsprayereien - selbst wenn sie Antragsdelikte darstellen - nicht als Bagatelldelikte einzustufen, sondern erfüllen die im Sinn der bundesgerichtlichen Rechtsprechung geforderte Deliktsschwere (vgl. hierzu E. 2.1 hiervor). Die Zwangsmassnahmen erweisen sich auch unter diesem Aspekt als verhältnismässig.  
 
3.   
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Der Beschwerdeführer ersucht um unentgeltliche Rechtspflege. Da die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind, kann dem Gesuch entsprochen werden (Art. 64 BGG). Angemessen erscheint eine Entschädigung von Fr. 1'500.--. 
 
 
  
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten werden kann. 
 
2.   
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird gutgeheissen. 
 
2.1. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.  
 
2.2. Advokat Andreas Noll wird zum unentgeltlichen Rechtsbeistand ernannt und für das bundesgerichtliche Verfahren aus der Bundesgerichtskasse mit Fr. 1'500.-- entschädigt.  
 
3.   
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern und dem Obergericht des Kantons Bern, Beschwerdekammer in Strafsachen, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 7. August 2017 
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Das präsidierende Mitglied: Karlen 
 
Der Gerichtsschreiber: Stohner