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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
6B_6/2021  
 
 
Urteil vom 26. Oktober 2022  
 
Strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Denys, als präsidierendes Mitglied, 
Bundesrichterin van de Graaf, 
Bundesrichter Hurni, 
Gerichtsschreiber Clément. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Franz Hollinger, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
1. Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Aargau, 
Frey-Herosé-Strasse 20, Wielandhaus, 5001 Aarau, 
2. B.A.________, 
vertreten durch Fürsprecher Gino Keller, 
Beschwerdegegner. 
 
Gegenstand 
Nichtanhandnahme (üble Nachrede), 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Aargau, Beschwerdekammer in Strafsachen, vom 12. November 2020 (SBK.2020.91/va). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
A.A.________ erstattete am 5. Februar 2020 Strafantrag gegen ihren getrennt lebenden Ehemann B.A.________ wegen übler Nachrede, eventualiter Verleumdung, subeventualiter Beschimpfung. B.A.________ solle am 15. November 2019 im Rahmen einer Verhandlung vor Strafgericht Brugg sein letztes Wort als Beschuldigter genutzt haben, um die anwesende Beschwerdeführerin in ihrer Ehre anzugreifen. 
 
B.  
Am 24. Februar 2020 verfügte die Staatsanwaltschaft Brugg-Zurzach die Nichtanhandnahme der Strafsache gegen B.A.________ wegen Verleumdung, evtl. übler Nachrede, evtl. Beschimpfung. 
Die gegen diese Verfügung am 19. März 2020 von A.A.________ erhobene Beschwerde wies die zuständige Beschwerdekammer in Strafsachen des Obergerichts des Kantons Aargau am 12. November 2020 ab. Das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege und Bestellung eines unentgeltlichen Rechtsbeistands wurde ebenfalls abgewiesen. 
 
C.  
A.A.________ führt Beschwerde in Strafsachen und beantragt, das Urteil der Beschwerdekammer in Strafsachen des Obergerichts des Kantons Aargau vom 12. November 2020 sei aufzuheben und die Sache sei an die Staatsanwaltschaft Brugg-Zurzach zurückzuweisen mit der Anweisung, die Strafsache gemäss Strafantrag vom 5. Februar 2020 an die Hand zu nehmen. Eventualiter sei die Sache zur neuen Beurteilung und entsprechenden Anweisung an die Staatsanwaltschaft (Anhandnahme der Strafsache gemäss Strafantrag vom 5. Februar 2020) an die Vorinstanz zurückzuweisen und der Kanton Aargau sei zu verpflichten, ihr für das vorinstanzliche Verfahren eine Parteientschädigung zu bezahlen. Zudem sei ihr für das kantonale Verfahren die unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren, der unterzeichnende Anwalt sei als unentgeltlicher Rechtsvertreter zu bestellen und die Vorinstanz sei anzuweisen, das Honorar des unentgeltlichen Rechtsvertreters festzusetzen. Subeventualiter sei die Sache zur neuen Beurteilung betreffend Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege an die Vorinstanz zurückzuweisen. Zudem ersucht A.A.________ um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung sowie um Gewährung der aufschiebenden Wirkung. 
Mit Präsidialverfügung vom 20. Januar 2021 wurde das Gesuch von A.A.________ um aufschiebende Wirkung abgewiesen. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Zur Beschwerde ist berechtigt, wer vor der Vorinstanz am Verfahren teilgenommen oder keine Möglichkeit zur Teilnahme erhalten hat (Art. 81 Abs. 1 lit. a BGG) und (kumulativ) ein rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Entscheids hat, insbesondere gemäss Art. 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 5 BGG die Privatklägerschaft, d.h. die geschädigte Person, die ausdrücklich erklärt, sich am Strafverfahren als Straf- oder Zivilklägerin zu beteiligen (Art. 118 Abs. 1 und Art. 119 StPO). Geschädigt ist, wer durch die Straftat in seinen Rechten unmittelbar verletzt ist (Art. 115 Abs. 1 StPO). Die Privatklägerschaft ist zur Beschwerde in Strafsachen nur berechtigt, wenn der Entscheid sich auf die Beurteilung ihrer "Zivilansprüche" auswirken kann (Art. 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 5 BGG). Als solche gelten Ansprüche, die ihren Grund im Zivilrecht haben und deshalb ordentlicherweise vor dem Zivilgericht durchgesetzt werden müssen. In erster Linie handelt es sich um Ansprüche auf Schadenersatz und Genugtuung nach Art. 41 ff. OR.  
 
1.2. Richtet sich die Beschwerde gegen die Nichtanhandnahme eines Verfahrens, muss die geschädigte Person, soweit sie vor den kantonalen Behörden noch keine Zivilforderung erhoben hat, im Verfahren vor Bundesgericht darlegen, aus welchen Gründen sich der angefochtene Entscheid inwiefern auf welche Zivilforderungen auswirken kann. Weil der staatliche Strafanspruch von der Staatsanwaltschaft vertreten wird (Urteile 6B_902/2021 vom 25. August 2022 E. 3.2; 6B_1039/2020 vom 20. April 2021 E. 1.4; 6B_8/2021 vom 11. März 2021 E. 2.1), stellt das Bundesgericht an die Begründung der Legitimation strenge Anforderungen. Entsprechend ist - namentlich bei komplexen Fällen, in denen allfällige Zivilansprüche nicht offensichtlich sind - einleitend und in gedrängter Form darzulegen, inwiefern die Eintretensvoraussetzungen erfüllt sind. Genügt die Beschwerde diesen strengen Begründungsanforderungen nicht, tritt das Bundesgericht nur auf sie ein, wenn aufgrund der Natur der in Frage stehenden Straftat ohne Weiteres ersichtlich ist, um welche Zivilforderung es geht (BGE 141 IV 1 E. 1.1; 137 IV 246 E. 1.3.1).  
 
1.3.  
 
1.3.1. Die Beschwerdeführerin hat am 5. Februar 2020 mit Strafantrag an die Staatsanwaltschaft Brugg-Zurzach die Bestrafung von B.A.________ (Beschwerdegegner 2) wegen übler Nachrede nach Art. 173 StGB, eventualiter Verleumdung nach Art. 174 StGB und subeventualiter Beschimpfung nach Art. 177 StGB beantragt. Eine Zivilforderung hat sie im Strafantrag nicht gestellt. In der Folge hatte sie keine Möglichkeit eine solche zu stellen, da die Staatsanwaltschaft Brugg-Zurzach am 24. Februar 2020 eine Nichtanhandnahmeverfügung erlassen hat, ohne dass die Beschwerdeführerin sich zuvor äussern konnte.  
 
1.3.2. In ihrer Beschwerde geht die Beschwerdeführerin nicht auf die zentrale Eintretensvoraussetzung, das Bestehen einer Zivilforderung gegen den Beschuldigten, ein. Einzig im Kontext der abschliessenden Begründung ihres Gesuchs um unentgeltliche Rechtspflege erwähnt sie knapp, die Ehrverletzungen durch den Beschuldigten seien massiv gewesen und würden "zweifellos" die Zusprechung einer Genugtuung rechtfertigen.  
 
1.3.3. Nach Art. 49 OR ist eine Genugtuung nur geschuldet, sofern die Schwere der Verletzung dies rechtfertigt. Der Eingriff muss aussergewöhnlich schwer sein und in seinen Auswirkungen das Mass einer Aufregung oder einer alltäglichen Sorge klar übersteigen. Leichte Persönlichkeitsverletzungen, wie beispielsweise unbedeutende Ehrverletzungen, rechtfertigen keine finanzielle Genugtuung. Inwiefern vorliegend die angebliche Persönlichkeitsverletzung objektiv und subjektiv schwer wiegt (vgl. Urteile 6B_515/2021 vom 2. November 2021 E. 1.1; 6B_880/2020 vom 1. Februar 2021 E. 1.3), ist weder dargelegt noch ist dies leichthin ersichtlich. Die Sachlegitimation ist demnach zu verneinen. Auf die Beschwerde kann in der Sache nicht eingetreten werden.  
 
1.4. Ungeachtet der fehlenden Legitimation in der Sache kann vor Bundesgericht gerügt werden, im kantonalen Verfahren seien Parteirechte verletzt worden ("Star-Praxis"; BGE 141 IV 1 E. 1.1). Zulässig sind Rügen, die formeller Natur sind und von der Prüfung der Sache getrennt werden können; unzulässig sind daher Rügen, die im Ergebnis (d.h. indirekt) auf eine materielle Überprüfung des angefochtenen Entscheids abzielen (BGE 146 IV 76 E. 2). Die in der Sache selbst nicht beschwerdelegitimierte Privatklägerschaft kann eine Verletzung von Verfahrensrechten geltend machen, wenn diese auf eine formelle Rechtsverweigerung hinausläuft. Diesbezüglich ergibt sich das nach Art. 81 Abs. 1 lit. b BGG erforderliche rechtlich geschützte Interesse aus dem Recht auf Verfahrensteilnahme (BGE 141 IV 1 E. 1.1). Zulässig sind Rügen formeller Natur nur, wenn sie von der Prüfung der Sache getrennt werden können. Der in der Sache nicht legitimierte Beschwerdeführer kann deshalb weder die vorinstanzliche Beweiswürdigung kritisieren noch kann er vorbringen, die Begründung sei materiell unzutreffend (BGE 141 IV 1 E. 1.1; 138 IV 78 E. 1.3; Urteil 6B_574/2022 vom 15. Juni 2022 E. 3.1).  
 
1.5.  
 
1.5.1. Die Beschwerdeführerin rügt die Verletzung ihres Anspruchs auf unentgeltliche Rechtspflege. Zu den massgebenden Verfahrensgarantien der "Star-Praxis", deren Missachtung auf eine formelle Rechtsverweigerung hinauslaufen kann, gehört auch der Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege (Art. 29 Abs. 3 BV und Art. 136 StPO). Die Beschwerdeführerin ist daher zur Rüge zugelassen, die Vorinstanz habe ihr die unentgeltliche Rechtspflege zu Unrecht verweigert (vgl. BGE 137 II 305 E. 4.1; Urteil 6B_1039/2017 vom 13. März 2018 E. 1.2.2 mit Hinweisen).  
 
1.5.2. Eine unentgeltliche Rechtsvertretung wird nur bestellt, wenn die Zivilklage der Privatklägerschaft nicht aussichtslos erscheint (Art. 136 Abs. 1 lit. b StPO; vgl. Urteil 6B_207/2021 vom 31. Mai 2021 E. 5 mit Hinweis). Die Vorinstanz verneint diese Voraussetzung in Bezug auf die Beschwerdeführerin, da sie keine Zivilansprüche geltend gemacht, sondern einzig die Bestrafung der beanzeigten Person verlangt hat. Dieser Schluss steht im Einklang mit der bundesgerichtlichen Rechtsprechung (vgl. Urteile 6B_607/2022 vom 8. September 2022 E. 5.3; 6B_1229/2021 vom 17. Januar 2022 E. 6.3.4; 1B_518/2021 vom 23. November 2021 E. 3.1; je mit Hinweisen) und die Beschwerdeführerin bringt nichts vor, was denselben als unrichtig erscheinen liesse. Wenngleich von der Beschwerdeführerin nicht verlangt werden darf, schon vor der Staatsanwaltschaft ihre Zivilforderung gestellt haben zu müssen, wäre sie gehalten gewesen, jedenfalls im vorinstanzlichen Verfahren mit Blick auf ihr Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ihre angeblichen Zivilansprüche darzulegen. Im vorinstanzlichen Verfahren unterliess sie dies jedoch ebenso wie im vorliegenden (siehe E. 1.3 oben).  
Im Übrigen liegt keine Konstellation vor, in welcher der Beschwerdeführerin ausnahmsweise direkt gestützt auf Art. 29 Abs. 3 BV die unentgeltliche Rechtspflege gewährt werden kann, handelt es sich bei dieser doch nicht um ein mutmassliches Opfer unzulässiger staatlicher Gewalt (vgl. 1B_518/2021 vom 23. November 2021 E. 3.1 mit Hinweisen; Urteile 1B_533/2019 vom 4. März 2020 E. 3.6; 1B_355/2012 vom 12. Oktober 2012 E. 5). 
 
1.5.3. Die Vorinstanz verletzt zusammenfassend kein Bundesrecht, wenn sie den Anspruch der Beschwerdeführerin auf unentgeltliche Rechtspflege verneint.  
 
2.  
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Der Beschwerdeführerin sind die Kosten aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ist infolge Aussichtslosigkeit der Beschwerde abzuweisen (Art. 64 Abs. 1 BGG). Der finanziellen Lage der Beschwerdeführerin ist bei der Festsetzung der Gerichtskosten Rechnung zu tragen (Art. 65 Abs. 2 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2.  
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen. 
 
3.  
Die Gerichtskosten von Fr. 1'200.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
4.  
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau, Beschwerdekammer in Strafsachen, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 26. Oktober 2022 
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Das präsidierende Mitglied: Denys 
 
Der Gerichtsschreiber: Clément