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«AZA 7» 
H 128/99 Gb 
 
 
 
IV. Kammer 
Bundesrichter Borella, Rüedi und Bundesrichterin Leuzinger; Gerichtsschreiber Hadorn 
 
 
Urteil vom 5. Februar 2001 
 
in Sachen 
Ausgleichskasse des Schweizerischen Gewerbes, Brunnmattstrasse 45, Bern, Beschwerdeführerin, 
 
gegen 
1. C.________, 
2. A.________, 
3. G.________, 
4. S.________, 
Beschwerdegegner, alle vertreten durch Advokat Dr. Gottlieb G. Delbrück, Hauptstrasse 34, Binningen, 
 
und 
Versicherungsgericht des Kantons Basel-Landschaft, Liestal 
 
 
 
A.- Mit Verfügung vom 22. August 1994 verpflichtete die Ausgleichskasse des Schweizerischen Gewerbes C.________, A.________, G.________ und S.________, Verwaltungsratsmitglieder der in Konkurs gefallenen Firma J.________ AG, Schadenersatz im Ausmass von Fr. 290'701.45 für nicht abgelieferte Sozialversicherungsbeiträge zuzüglich Verzugszinsen und Mahngebühren zu leisten. 
 
B.- Nach Einspruch aller Belangten klagte die Kasse auf Bezahlung des genannten Betrages. Mit Entscheid vom 1. Juli 1998 wies das Versicherungsgericht des Kantons Basel-Landschaft die Klage ab. 
 
C.- Die Ausgleichskasse führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit den Anträgen, die vier Genannten seien unter solidarischer Haftung zur Leistung von Schadenersatz im Umfang von Fr. 290'701.45 zu verurteilen. Eventuell sei die Sache zur Neubeurteilung an die Verwaltung zurückzuweisen. Sodann seien die im kantonalen Verfahren zugesprochenen Parteientschädigungen zu überprüfen. 
Die vier Verwaltungsräte schliessen auf Abweisung, das Bundesamt für Sozialversicherung auf Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Der als Mitinteressierter beigeladene U.________ schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Eventuell sei diese in dem Sinne teilweise gutzuheissen, dass die vier Verwaltungsräte sowie er selbst unter solidarischer Haftung Schadenersatz im Betrag von Fr. 78'125.- zu bezahlen hätten. 
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 
 
1.- a) Da es sich bei der angefochtenen Verfügung nicht um die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen handelt, hat das Eidgenössische Versicherungsgericht nur zu prüfen, ob das vorinstanzliche Gericht Bundesrecht verletzt hat, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens, oder ob der rechtserhebliche Sachverhalt offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen festgestellt worden ist (Art. 132 in Verbindung mit Art. 104 lit. a und b sowie Art. 105 Abs. 2 OG). 
 
b) Auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde kann nur so weit eingetreten werden, als die Schadenersatzforderung kraft Bundesrechts streitig ist. Im vorliegenden Verfahren ist deshalb auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde in dem Umfang nicht einzutreten, als sie die Schadenersatzforderung für entgangene Beiträge an die kantonale Familienausgleichskasse betrifft (vgl. BGE 119 V 80 Erw. 1b, 118 V 69 Erw. 1b mit Hinweis). 
 
2.- a) Das kantonale Versicherungsgericht hat unter Hinweis auf Gesetz (Art. 52 AHVG) und Rechtsprechung (vgl. statt vieler BGE 123 V 15 Erw. 5a) die Voraussetzungen zutreffend dargelegt, unter welchen Organe juristischer Personen den der Ausgleichskasse wegen Missachtung der Vorschriften über die Beitragsabrechnung und -zahlung (Art. 16 Abs. 1 AHVG; Art. 34 ff. AHVV) qualifiziert schuldhaft verursachten Schaden zu ersetzen haben. Darauf wird verwiesen. Zu ergänzen ist Folgendes: 
 
b) In BGE 108 V 202 Erw. 2 hat das Eidgenössische Versicherungsgericht ausgeführt, dass eine Zahlungsvereinbarung ein grobfahrlässiges Verschulden nicht ausschliesst, weil im Zahlungsaufschub lediglich der Versuch zu erblicken ist, den bereits widerrechtlich eingetretenen Zahlungsrückstand nachträglich wieder in Ordnung zu bringen. Der Zahlungsaufschub vermöge die nicht rechtzeitige Bezahlung sowohl der bereits verfallenen als auch der erst fällig werdenden Beiträge nicht zu entschuldigen bzw. zu rechtfertigen; es frage sich lediglich, ob die Zahlungsrückstände, welche zur Stundung Anlass gegeben hätten, sich durch ein entschuldbares oder gerechtfertigtes Verhalten begründen liessen. Diese (in der nicht publizierten Erw. 8b des in AHI 1994 S. 36 ff. auszugsweise veröffentlichten Urteils K. vom 13. September 1993 [H 73/91] bestätigte und auf einer Verschuldensvermutung beruhende) Rechtsprechung präzisierte das Eidgenössische Versicherungsgericht in BGE 124 V 253 dahin gehend, dass ein Zahlungsaufschub mit Tilgungsplan zwar an der Widerrechtlichkeit der nicht ordnungsgemässen Bezahlung der Beiträge nichts ändert und sich die Verschuldensfrage primär nach den Umständen beurteilt, die zum Zahlungsrückstand geführt haben; bei der Beurteilung der Frage, ob die verantwortlichen Organe ihren Sorgfaltspflichten im Zusammenhang mit der Einhaltung der Beitragszahlungspflicht nachgekommen sind, ist eine Zahlungsvereinbarung jedoch mitzuberücksichtigen, soweit dem Beitragspflichtigen damit ein Abweichen von den ordentlichen Zahlungsterminen zugestanden wird (BGE 124 V 255 Erw. 3b). Vorbehalten bleiben Fälle, in welchen Zahlungsaufschub beantragt wird, obschon der Beitragspflichtige damit rechnen musste, dass die Firma in Konkurs gehen und er die Zahlungsvereinbarung nicht werde einhalten können (BGE 124 V 255 Erw. 4b). 
 
c) Zwar darf sich der nicht geschäftsführende Verwaltungsrat nach der Rechtsprechung auf die Überprüfung der Tätigkeit der Geschäftsleitung und des Geschäftsganges beschränken. Dabei muss aber verlangt werden, dass er sich laufend über den Geschäftsgang informiert, Rapporte verlangt, sie sorgfältig studiert, nötigenfalls ergänzende Auskünfte einzieht und Irrtümer abzuklären versucht (BGE 114 V 223 Erw. 4a mit Hinweisen). 
 
Auch können ein Arbeitgeber oder seine Organe nur für jenen Schaden in die Pflicht genommen werden, der durch die Nichtbezahlung von paritätischen Beiträgen entstanden ist, die zu einem Zeitpunkt fällig waren, als er oder sie über allenfalls vorhandenes Vermögen disponieren und Zahlungen an die Ausgleichskasse veranlassen konnten (AHI 1994 S. 36 Erw. 6b). 
 
d) Nach ständiger Rechtsprechung zu Art. 52 AHVG (BGE 126 V 61 Erw. 4a, 137 Erw. 5b mit Hinweisen) dauert die Verantwortlichkeit eines Verwaltungsrates in der Regel bis zum Moment seines tatsächlichen Austritts aus dem Verwaltungsrat, und nicht bis zum Zeitpunkt der Löschung seiner Funktion im Handelsregister. Das gilt jedenfalls in denjenigen Fällen, in welchen die Betroffenen nach ihrer Demission keinen Einfluss mehr auf den Gang der Geschäfte und keine Entschädigung für ihre Verwaltungsratsstellung erhalten haben. Mit anderen Worten kann ein Verwaltungsrat nur für Schaden haftbar erklärt werden, der auf die Nichtbezahlung von Beiträgen zurückzuführen ist, welche im Zeitpunkt seines effektiven Austrittes entstanden und fällig waren. Vorbehalten bleibt der Fall, in dem der Schaden durch Handlungen verursacht worden ist, deren Wirkungen sich jedoch erst nach seinem Rücktritt als Verwaltungsrat entfaltet haben. 
 
3.- Die Vorinstanz hat die Schadenersatzforderungen zu Recht in drei Gruppen unterteilt, woraus sich sachliche Unterschiede bezüglich der Verantwortlichkeit des geschäftsführenden (U.________) und der nicht geschäftsführenden Verwaltungsräte (die vier Beschwerdegegner) ergeben: Nachforderungen für die Jahre 1989-1991, Verzugszinsen von 1992 und Beiträge des Jahres 1993. Darauf wird verwiesen. 
 
4.- a) Die Haftung der Beschwerdegegner für die Nachzahlungen der Jahre 1989-1991 entfällt. Wie die Vorinstanz in für das Eidgenössische Versicherungsgericht verbindlicher Weise (Erw. 1a hievor) festgestellt hat, handelt es sich bei den diesen Beiträgen zu Grunde liegenden Löhnen um Erfolgsbeteiligungen, welche U.________ sich selbst auf sein Privatkonto gutgeschrieben hat, sowie um Zahlungen an einen Unterakkordanten. Diese gehörten in den Aufgabenbereich des Geschäftsführers U.________. Es bestehen entgegen den Ausführungen der Kasse keine Anhaltspunkte, dass die vier nicht geschäftsführenden Verwaltungsräte ihre Aufsichtspflichten (dazu auch Nussbaumer, Die Haftung des Verwaltungsrates nach Art. 52 AHVG, in AJP 1996 S. 1071) verletzt hätten. Es wird auf die zutreffenden Erwägungen der Vorinstanz verwiesen. Damit kann auch offen bleiben, ob ein Vorgehen im Sinne von Art. 725 OR zur Vermeidung oder Verringerung des Schadens hätte führen können. 
 
b) Hinsichtlich der Beitragsausstände aus dem Jahr 1993 hat die Vorinstanz berücksichtigt, dass am 5. Mai 1993 ein Zahlungsaufschub zwischen der Kasse und der Firma vereinbart worden ist, und daher richtigerweise die diesbezügliche Rechtsprechung (BGE 124 V 253) auf den vorliegenden Fall angewendet. Die sorgfältig begründete Unterscheidung in geschäftsführende und nicht geschäftsführende Verwaltungsräte, auf welche verwiesen wird (Erw. 12 des vorinstanzlichen Entscheides), erscheint angesichts der gesamten Umstände als sachgerecht. Damit entfällt auch die Haftung der vier Beschwerdegegner für die Verzugszinsen aus dem Jahr 1992, wofür ebenfalls auf die zutreffenden Ausführungen der Vorinstanz (Erw. 13) verwiesen wird. Die Beschwerdegegner reagierten angemessen, sobald sie feststellten, dass sie von Geschäftsführer U.________ nicht korrekt informiert worden waren, und forderten diesen auf, namentlich die Ausstände bei der Ausgleichskasse zu bezahlen. Die erste Teilzahlung von Fr. 144'000.- haben sie denn auch durchgesetzt. Zutreffend sind sodann die vorinstanzlichen Ausführungen zum Ausscheiden von C.________ aus dem Verwaltungsrat. Aus welchen Gründen er den Austritt erklärt hat, braucht unter diesen Umständen nicht geprüft zu werden. 
 
c) Nach dem Gesagten erweist sich die vorinstanzliche Würdigung des von ihr verbindlich festgestellten Sachverhalts auch unter Berücksichtigung aller von der beschwerdeführenden Kasse erhobenen Einwände nicht als bundesrechtswidrig. 
 
5.- Die Ausgleichskasse beantragt ferner, die im kantonalen Verfahren zugesprochenen Parteientschädigungen seien zu überprüfen. Sie äussert sich jedoch mit keinem Wort näher dazu, weshalb mangels rechtsgenüglicher Begründung insoweit nicht auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde eingetreten werden kann (Art. 108 Abs. 2 OG). 
 
6.- Da es nicht um die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen geht, ist das Verfahren kostenplichtig (Art. 134 OG e contrario). Die unterliegende Ausgleichskasse hat die Gerichtskosten zu tragen (Art. 156 Abs. 1 OG) und den Beschwerdegegnern eine Parteientschädigung auszurichten (Art. 159 Abs. 2 OG). Eine solche hat sie auch dem Mitinteressierten U.________ zu bezahlen, der mit seinem Hauptantrag durchgedrungen ist. 
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: 
 
I. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen, 
soweit darauf einzutreten ist. 
 
II. Die Gerichtskosten von total Fr. 7000.- werden der 
Ausgleichskasse des Schweizerischen Gewerbes auferlegt 
und mit dem geleisteten Kostenvorschuss verrechnet. 
III. Die Ausgleichskasse hat den Beschwerdegegnern für das 
Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht 
eine Parteientschädigung von Fr. 4000.- (inkl. Mehr- 
wertsteuer) zu bezahlen. 
 
IV. Die Ausgleichskasse hat dem Mitinteressierten 
U.________ für das Verfahren vor dem Eidgenössischen 
Versicherungsgericht eine Parteientschädigung von 
Fr. 1500.- (inkl. Mehrwertsteuer) zu bezahlen. 
 
V. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsge- 
richt des Kantons Basel-Landschaft, dem Bundesamt für 
Sozialversicherung sowie U.________ zugestellt. 
Luzern, 5. Februar 2001 
 
Im Namen des 
Eidgenössischen Versicherungsgerichts 
Der Präsident der IV. Kammer: 
 
 
 
 
 
Der Gerichtsschreiber: