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[AZA 7] 
H 110/99 Ge 
 
III. Kammer 
 
Bundesrichter Schön, Bundesrichterin Widmer und Bundesrichter Ursprung; Gerichtsschreiber Attinger 
 
Urteil vom 11. Juli 2001 
 
1. I.________, 
2. P.________, 
3. E.________, 
4. M.________, 
Beschwerdeführer, alle vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Peter Nabholz, Scheffelstrasse 1, 9000 St. Gallen, 
 
gegen 
 
Ausgleichskasse des Kantons Appenzell A.Rh., Kasernenstrasse 4, 9100 Herisau, Beschwerdegegnerin, 
 
und 
 
AHV/IV-Rekurskommission des Kantons Thurgau, Weinfelden 
 
In Erwägung, 
 
dass I.________ (Präsident), P.________, E.________ und M.________ (die letztgenannte bis 6. März 1996) Mitglieder des Verwaltungsrates der X.________ AG waren, über die am 28. August 1996 der Konkurs eröffnet wurde, 
dass darin die Ausgleichskasse des Kantons Appenzell A.Rh., welcher die Konkursitin als beitragspflichtige Arbeitgeberin angeschlossen gewesen war, mit Sozialversicherungsbeiträgen (samt dazugehörigen Folgekosten) zu Verlust kam, 
dass die Ausgleichskasse mit Verfügungen vom 20. August 1997 die erwähnten Mitglieder des Verwaltungsrates - unter solidarischer Haftung untereinander - zur Bezahlung von Schadenersatz für entgangene paritätische bundesrechtliche Beiträge in der Höhe von Fr. 23'477. 65 (einschliesslich Verwaltungskosten, Mahngebühren und Verzugszinsen) verpflichtete, 
dass auf Einspruch sämtlicher Betroffenen hin die Ausgleichskasse ihre Forderung gegenüber den vier ehemaligen Verwaltungsratsmitgliedern am 17. Oktober 1997 bei der AHV/IV-Rekurskommission des Kantons Thurgau klageweise geltend machte, wobei sie (einzig) den von M.________ eingeklagten Forderungsbetrag auf Fr. 9'517. 60 herabsetzte, 
dass die Rekurskommission mit Entscheid vom 12. Februar 1999 die Klage vollumfänglich guthiess und - unter gleichzeitiger Feststellung einer gegenseitigen solidarischen Haftbarkeit - I.________, P.________, E._________ und M.________ verpflichtete, der Ausgleichskasse Schadenersatz zu bezahlen, dass der diesbezügliche Betrag im Falle der drei erstgenannten Organpersonen auf Fr. 23'477. 65 und im Falle von M.________ auf Fr. 9'517. 60 festgesetzt wurde, 
dass I.________, P.________, E.________ und M.________ Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem Antrag, der vorinstanzliche Entscheid sei aufzuheben und auf die Schadenersatzklage der Ausgleichskasse sei nicht einzutreten, eventuell sei die Klage vollumfänglich abzuweisen, subeventuell sei der eingeklagte und von der Rekurskommission "geschützte Schadenersatzbetrag" angemessen zu reduzieren, 
dass die Ausgleichskasse unter Hinweis auf den angefochtenen Entscheid auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliesst, während sich das Bundesamt für Sozialversicherung dazu nicht hat vernehmen lassen, dass die von den Beschwerde führenden Personen in formeller Hinsicht bereits im vorinstanzlichen Verfahren aufgeworfene Frage nach der örtlichen Zuständigkeit der AHV/IV-Rekurskommission des Kantons Thurgau vorliegend offen gelassen werden kann, da - wie sich aus den nachfolgenden Erwägungen ergibt - eine Schadenersatzpflicht der Beschwerdeführer aus materiellen Gründen zu verneinen ist, 
dass es sich bei der angefochtenen Verfügung nicht um die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen handelt, weshalb das Eidgenössische Versicherungsgericht nur zu prüfen hat, ob das vorinstanzliche Gericht Bundesrecht verletzt hat, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens, oder ob der rechtserhebliche Sachverhalt offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen festgestellt worden ist (Art. 132 in Verbindung mit Art. 104 lit. a und b sowie Art. 105 Abs. 2 OG), 
dass in rechtlicher Hinsicht die Vorinstanz im angefochtenen Entscheid die zur subsidiären Haftung der Organe eines Arbeitgebers nach Art. 52 AHVG und der dazu ergangenen Rechtsprechung erforderlichen Voraussetzungen (Organstellung, Schaden, Widerrechtlichkeit, Verschulden, Kausalität, Nichtverwirkung), soweit vorliegend relevant, richtig dargelegt hat, worauf verwiesen werden kann, 
dass überdies - was den zwischen der Arbeitgeberfirma und der Ausgleichskasse vereinbarten Zahlungsaufschub mit Tilgungsplan vom 18. März 1996 betrifft - auf BGE 124 V 253 zu verweisen ist, 
dass die Vorinstanz die Grobfahrlässigkeit der nachmaligen Konkursitin bzw. der vier ins Recht gefassten Verwaltungsratsmitglieder und damit deren Haftung allein damit begründet, dass die Arbeitgeberfirma, welche die Beiträge im Pauschalverfahren nach Art. 34 Abs. 3 AHVV (in der vorliegend anwendbaren, bis Ende 2000 gültig gewesenen Fassung) entrichtete, ab Anfang 1995 viel zu niedrige Akontozahlungen vereinbart und Erhöhungen der Lohnsumme im Laufe des Jahres nicht gemeldet habe (die Ausgleichskasse hatte dieses Argument bereits in der Klage angeführt), 
dass sich indessen damit ein haftungsrechtlich relevantes Verschulden der vier Beschwerdeführer rechtsprechungsgemäss nicht begründen lässt, 
dass es nämlich gerade dem genannten Pauschalverfahren entspricht, dass der Arbeitgeber je nach den Umständen vorübergehend zu geringe oder zu hohe Zahlungen leistet, 
dass daher die Differenz zwischen der Summe der geleisteten Akontozahlungen und den für das Kalenderjahr tatsächlich geschuldeten Beiträgen, so bedeutend sie auchseinmag, nichtzumVorwurfandenArbeitgeberberechtigt, erhabeschwerwiegendgegenseineObliegenheitenverstossen, indemerwährenddes laufenden Jahres die Höhe der Zahlungen nicht an die steigende Lohnsumme angepasst oder nicht für eine bei der Endabrechnung verfügbare Rückstellung gesorgt habe, 
dass der Arbeitgeber deshalb für die Differenz zwischen den geleisteten und den tatsächlich geschuldeten Beiträgen nicht haftbar gemacht werden kann, es sei denn, er leiste eindeutig zu niedrige Akontozahlungen mit dem Ziel, die Fälligkeit der Beitragsschuld möglichst hinauszuschieben, und im Wissen, dass er anlässlich der Schlussabrechnung möglicherweise nicht in der Lage sein werde, die Restschuld zu begleichen, 
dass im Übrigen die Ausgleichskasse, welche in das Pauschalverfahren ausdrücklich einwilligen muss, ohne weiteres die Möglichkeit hat, ihre Einwilligung mit Bedingungen oder Auflagen zu verknüpfen und beispielsweise die periodische Meldung der Lohnsummen während des Kalenderjahres oder den Nachweis von Sicherstellungen zu verlangen (zum Ganzen AHI 1993 S. 165 Erw. 4c, ZAK 1992 S. 247 Erw. 3b sowie die nur in SVR 1999 AHV Nr. 13 S. 38, nicht aber in BGE 124 V 253 publizierte Erw. 2a des Urteils T. vom 30. Juni 1998, H 303/97), 
dass nirgends ersichtlich ist und auch von keiner Seite behauptet wird, dass vorliegend die Ausgleichskasse die Pauschalvereinbarung mit einem Vorbehalt im Sinne der dargelegten Rechtsprechung versehen hat oder dass die Arbeitgeberfirma mit dem Ziel des Hinausschiebens der Fälligkeit bewusst zu niedrige Akontozahlungen geleistet hat, 
dass unter den gegebenen Umständen den Beschwerdeführern keine haftungsbegründende grobe Pflichtverletzung zur Last gelegt werden kann, 
 
erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: 
 
I. In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird der Entscheid der AHV/IV-Rekurskommission des Kantons Thurgau vom 12. Februar 1999 aufgehoben, und es wird die Schadenersatzklage der Ausgleichskasse des Kantons Appenzell A.Rh. vom 17. Oktober 1997 abgewiesen. 
 
II. Die Gerichtskosten von Fr. 2500. - werden der Ausgleichskasse des Kantons Appenzell A.Rh. auferlegt. 
 
III. Der geleistete Kostenvorschuss von Fr. 2'500. - ist den Beschwerdeführern zurückzuerstatten. 
 
IV. Die Ausgleichskasse des Kantons Appenzell A.Rh. hat den Beschwerdeführern für das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht eine Parteientschädigung von Fr. 2'500. - (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen. 
 
V. Die AHV/IV-Rekurskommission des Kantons Thurgau wird über eine Parteientschädigung für das kantonale Verfahren entsprechend dem Ausgang des letztinstanzlichen Prozesses zu befinden haben. 
 
VI. Dieses Urteil wird den Parteien, der AHV/IV-Rekurskommission des Kantons Thurgau und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt. 
 
Luzern, 11. Juli 2001 
 
Im Namen des 
Eidgenössischen Versicherungsgerichts 
Der Präsident der III. Kammer: 
 
Der Gerichtsschreiber: