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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                 
 
 
2C_224/2017  
 
 
Urteil vom 16. August 2019  
 
II. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Seiler, Präsident, 
Bundesrichterin Aubry Girardin, 
Bundesrichter Stadelmann, 
Gerichtsschreiber Seiler. 
 
Verfahrensbeteiligte 
1. A.________, 
2. B.________, 
beide vertreten durch PricewaterhouseCoopers AG, Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Kantonales Steueramt Zürich, 
Beschwerdegegner. 
 
Gegenstand 
Verrechnungssteuer (Fälligkeit 2014), 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Steuerrekursgerichts des Kantons Zürich 2. Abteilung vom 18. Januar 2017 (2 VS.2016.12). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
A.________ und B.________, wohnhaft in U.________, erhielten im Jahr 2014 eine Dividende von Fr. 500'000.-- von C.________ GmbH, V.________. Von dieser Dividende wurde die Verrechnungssteuer von Fr. 175'000.-- abgezogen und der Eidgenössischen Steuerverwaltung (ESTV) überwiesen. 
In der Folge unterliessen es die Eheleute A.________-B.________ zwar, die Dividende in ihrer Steuererklärung für das Jahr 2014 im Wertschriften- und Guthabenverzeichnis zu deklarieren. Auf dem Beiblatt "Qualifizierte Beteiligungen im Privatvermögen" führten sie den Bruttoertrag samt Beteiligungsquote (100%) jedoch auf. Ausserdem legten sie der Steuererklärung eine Kopie des bei der ESTV eingereichten Formulars 110 bei, dem die Dividende und ihre Empfänger entnommen werden konnten. 
 
B.  
Bei der Überprüfung des Wertschriftenverzeichnisses erkannte das Kantonale Steueramt, dass die Dividende und die Stammanteile fehlten, und rechnete in seinem Einschätzungsentscheid vom 22. Februar 2016 die Dividende beim steuerbaren Einkommen und den Vermögenssteuerwert der Stammanteile beim Vermögen auf. Den Rückerstattungsanspruch der Verrechnungssteuer für das Jahr 2014 setzte das Kantonale Steueramt auf Fr. 0.-- fest. 
Gegen die Verweigerung der Rückerstattung der Verrechnungssteuer auf der Dividende führten die Eheleute A.________-B.________ in der Folge erfolglos Einsprache beim Kantonalen Steueramt und anschliessend Beschwerde beim Steuerrekursgericht des Kantons Zürich. Dieses wies die Beschwerde mit Urteil vom 18. Januar 2017 ab. 
 
C.  
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vom 24. Februar 2017 beantragen die Eheleute A.________-B.________ die Aufhebung des Entscheids der Vorinstanz und Festsetzung des Rückerstattungsanspruchs der Verrechnungssteuer für das Steuerjahr 2014 auf Fr. 175'000.--. Eventualiter beantragen sie Sistierung des Verfahrens bis zur Inkraftsetzung der von der Motion Schneeberger Nr. 16.3797 geforderten Gesetzesänderung und anschliessende Festsetzung des Rückerstattungsanspruchs auf Fr. 175'000.--. 
 
In einer ersten Vernehmlassung beantragten das Kantonale Steueramt Zürich und die ESTV Abweisung der Beschwerde. 
Infolge der Inkraftsetzung der Änderung von Art. 23 des Bundesgesetzes vom 13. Oktober 1965 über die Verrechnungssteuer (VStG; SR 642.21) per 1. Januar 2019 gab das Bundesgericht den Verfahrensbeteiligten noch einmal Gelegenheit, sich vernehmen zu lassen. Die Beschwerdeführer beantragen wiederum Festsetzung des Rückerstattungsanspruchs auf Fr. 175'000.-- und Rückerstattung der Verrechnungssteuer. Das Kantonale Steueramt Zürich beantragt nunmehr Gutheissung der Beschwerde, ohne dass ihm Kosten aufzuerlegen seien oder eine Parteientschädigung zuzusprechen sei. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten wurde unter Einhaltung der gesetzlichen Frist (Art. 100 Abs. 1 BGG) und Form (Art. 42 BGG) eingereicht. Angefochten ist ein Urteil des Steuerrekursgerichts des Kantons Zürich, das als kantonale Rekurskommission im Sinne von Art. 54 VStG entschieden hat. Dagegen steht nach Art. 56 VStG in Verbindung mit Art. 86 Abs. 2 BGG die Beschwerde beim Bundesgericht offen. Die Beschwerdeführer sind nach Art. 89 Abs. 1 BGG zur Beschwerde legitimiert. Auf die Beschwerde ist einzutreten.  
 
1.2. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).  
 
2.  
 
2.1. Nach Ablauf der Referendumsfrist am 17. Januar 2019 ist die Änderung des VStG vom 28. September 2018 rückwirkend auf den 1. Januar 2019 in Kraft getreten. Im Rahmen dieser Änderung wurde unter anderem Art. 23 Abs. 2 VStG in das Gesetz eingefügt. Nach dem Wortlaut dieser Bestimmung führt die gesetzeswidrige Nichtdeklaration von verrechnungssteuerbelasteten Einkünften oder Vermögen, woraus solche Einkünfte fliessen, entgegen Art. 23 Abs. 1 VStG nicht zur Verwirkung des Rückerstattungsanspruchs, wenn die Nichtdeklaration fahrlässig erfolgte und die betreffenden Einkünfte oder Vermögen nachträglich angegeben werden oder von der Steuerbehörde aus eigener Feststellung zu den Einkünften oder Vermögen hinzugerechnet werden. Die Bestimmung findet nach Art. 70d VStG Anwendung auf Ansprüche auf Rückerstattung der Verrechnungssteuer, die seit dem 1. Januar 2014 entstanden sind und über die am 1. Januar 2019 noch nicht rechtskräftig entschieden worden ist.  
 
2.2. Die Verwirkungsfolge nach Art. 23 Abs. 1 VStG muss entgegen dem Wortlaut von Art. 23 Abs. 2 VStG auch dann entfallen, wenn der Steuerpflichtige mit der Nichtdeklaration zwar eine Verfahrenspflicht verletzt hat, ihn diesbezüglich aber kein Verschulden trifft, ihm also weder Vorsatz noch Fahrlässigkeit vorgeworfen werden kann. Nur wer den betreffenden Ertrag und Vermögenswert vorsätzlich nicht in der Steuererklärung angibt oder mit entsprechendem Vorsatz gar keine Steuererklärung abgibt, verwirkt bereits durch die Nichtdeklaration seinen Rückerstattungsanspruch (vgl. Botschaft vom 28. März 2018 zu einer Änderung des Verrechnungssteuergesetzes, BBl 2018 S. 2342: "Keine Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Empfänger oder die Empfängerin gegenüber der Steuerbehörde die entsprechenden Einkommens- oder Vermögensbestandteile vorsätzlich nicht in der Steuererklärung deklarierte, um einer Erfassung der Leistung durch die Einkommens- und Vermögenssteuer zu entgehen."). Da die Verrechnungssteuer im inländischen Verhältnis die Sicherung der direkten Steuern der Kantone und die Eindämmung der Steuerhinterziehung bezweckt (vgl. BGE 125 II 348 E. 4 S. 352), drängt es sich auf, hier denselben Vorsatzbegriff anzuwenden wie bei der Hinterziehung dieser Steuern (Art. 56 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 14. Dezember 1990 über die Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone und Gemeinden [StHG; SR 642.14]) und somit auf die strafrechtliche Definition in Art. 12 Abs. 2 StGB zurückzugreifen (vgl. Urteile 2C_1066/2018 vom 21. Juni 2019 E. 4.1; 2C_449/2017 vom 26. Februar 2019 E. 4.1 mit Hinweisen). Danach handelt vorsätzlich, wer eine Tat mit Wissen und Willen ausführt, wobei es genügt, wenn er die Verwirklichung der Tat für möglich hält und in Kauf nimmt (sog. Eventualvorsatz; BGE 138 V 74 E. 8.2 S. 83; 137 IV 1 E. 4.2.3 S. 4; 133 IV 222 E. 5.3 S. 225; zur Abgrenzung des Eventualvorsatzes von der Fahrlässigkeit im Kontext von Art. 23 Abs. 2 VStG vgl. Urteile 2C_1110/2018 vom 27. Juni 2019 E. 4.1; 2C_1066/2018 vom 21. Juni 2019 E. 4.1). Bei fahrlässiger oder unverschuldeter Nichtdeklaration ist die Rückerstattung der Verrechnungssteuer hingegen erst dann durch Art. 23 Abs. 2 in Verbindung mit Abs. 1 VStG ausgeschlossen, wenn hinsichtlich der fraglichen Betreffnisse kein Veranlagungs-, Revisions- oder Nachsteuerverfahren mehr hängig ist - und auch nicht mehr eingeleitet werden kann - und sie deshalb endgültig nicht mehr mit der Einkommens- und der Vermögenssteuer belastet werden können (vgl. Votum Bischof, AB 2018 S 595).  
 
2.3.  
 
2.3.1. Da die Vorinstanz ihr Urteil auf der Grundlage des alten Rechts fällte, hielt sie es nicht für erforderlich zu entscheiden, ob die Nichtdeklaration vorsätzlich oder fahrlässig erfolgte. Unter Hinweis auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung (Urteile 2C_85/2015 vom 16. September 2015 E. 2.5 und 3.4; 2C_172/2015 vom 27. August 2015 E..2, in: RDAF 2015 II S. 495, StR 70/2015 S. 1000; 2C_95/2011 vom 11. Oktober 2011 E. 2.1, in: ASA 81 S. 71, RDAF 2012 II S. 72, StR 66/2011 S. 963) beliess sie es stattdessen bei der Feststellung, dass die Beschwerdeführer ihre Steuererklärung vor Einreichung hätten überprüfen müssen und ihnen deshalb in Bezug auf die Nichtdeklaration mindestens leichte Fahrlässigkeit vorzuwerfen war. Dementsprechend können dem vorinstanzlichen Urteil keine Feststellungen zu Wissen und Wollen der Beschwerdeführer hinsichtlich der Nichtdeklaration entnommen werden.  
 
2.3.2. Nach neuem Recht, welches nach Art. 70d VStG auf den Anspruch der Beschwerdeführer Anwendung findet, sind Wissen und Willen des Steuerpflichtigen entscheidwesentliche Tatsachen (siehe oben, E. 2.2). Da sich die Sachverhaltsfeststellungen der Vorinstanz in diesem Punkt als offensichtlich unvollständig und deshalb als offensichtlich unrichtig erweisen, sich die Verfahrensbeteiligten vor Bundesgericht überdies einig sind, dass die fehlerhafte Deklaration nicht mit Wissen und Wollen der Beschwerdeführer erfolgt war und dem Bundesgericht sämtliche relevanten Tatsachen und Indizien vorliegen, ist der Sachverhalt nach Art. 105 Abs. 2 BGG von Amtes wegen zu ergänzen.  
 
2.3.3. Praxisgemäss wird aus dem Wissen des Steuerpflichtigen um die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der Steuererklärung geschlossen, dass der Steuerpflichtige auch mit Willen handelte, das heisst eine Steuerverkürzung beabsichtigte oder sie zumindest in Kauf nahm (BGE 114 Ib 27 E. 3.a S. 29 f.; Urteil 2C_1157/2016 vom 2. November 2017 E. 6.2 mit Hinweisen). Vorliegend ist nun aber nicht nur nicht erwiesen, dass die Beschwerdeführer um die Nichtdeklaration gewusst hätten, sondern muss aus dem Verhalten der Beschwerdeführer geschlossen werden, dass ihnen nicht bewusst war, dass die Dividende und die Stammanteile im Wertschriftenverzeichnis fehlten. Hätten sie eine Steuerverkürzung beabsichtigt oder bewusst in Kauf genommen, hätten sie nämlich zweifelsohne darauf verzichtet, die Dividende und die Stammanteile auf dem Beiblatt "Qualifizierte Beteiligungen im Privatvermögen" aufzuführen und der Steuererklärung eine Kopie des Formulars 110 beizulegen. Vorsatz ist ihnen somit nicht vorzuwerfen. Ob den Steuerpflichtigen Fahrlässigkeit vorzuwerfen ist, kann nach dem Gesagten offenbleiben. Ebenso braucht nicht entschieden zu werden, ob die Angaben der Beschwerdeführer auf dem Beiblatt "Qualifizierte Beteiligungen im Privatvermögen" und die Kopie des Formulars 110 eine ordnungsgemässe Deklaration im Sinne von Art. 23 Abs. 1 VStG darstellten, wie dies die Beschwerdeführer behaupten.  
 
2.4. Da die Steuerbehörde in ihrem Einschätzungsentscheid die Dividende beim Einkommen und die Stammanteile beim Vermögen aufgerechnet hat, sind die Voraussetzungen von Art. 23 Abs. 2 VStG erfüllt, sodass keine Verwirkung nach Art. 23 Abs. 1 VStG eingetreten ist. Da die Beschwerdeführer die Anspruchsvoraussetzungen von Art. 21 f. VStG unbestrittenermassen erfüllen, haben sie Anspruch auf Rückerstattung der Verrechnungssteuer, die im Jahr 2014 von der Dividende der C.________ GmbH abgezogen wurde.  
 
3.  
 
3.1. Die Beschwerde erweist sich als begründet. Das Urteil der Vorinstanz ist aufzuheben.  
 
3.1.1. Da der Rechtsstreit aufgrund einer neuen, rückwirkenden Gesetzesbestimmung zu entscheiden ist, deren konkrete Ausgestaltung im Zeitpunkt des angefochtenen Urteils noch nicht einmal absehbar war und deren Nichtberücksichtigung der Vorinstanz folglich nicht vorgeworfen werden kann, ist es nicht angezeigt, dem unterliegenden Kanton Zürich Kosten zu auferlegen, obschon er Vermögensinteressen verfolgt (Art. 66 Abs. 1 und Abs. 4 BGG; vgl. Urteile 2C_1110/2018 vom 27. Juni 2019 E. 5.2; 2C_1066/2018 vom 21. Juni 2019 E. 5.1). Aus demselben Grund sind die Kosten- und Entschädigungsfolgen des kantonalen Verfahrens nicht neu zu regeln (vgl. Urteile 2C_1110/2018 vom 27. Juni 2019 E. 5.2; 2C_1066/2018 vom 21. Juni 2019 E. 5.1; 2C_1069/2018 vom 23. April 2019 E. 4.1). Hingegen hat der Kanton Zürich die durch eine Treuhandgesellschaft vertretenen Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren angemessen zu entschädigen (Art. 68 Abs. 2 BGG i.V.m. Reglement vom 31. März 2006 über die Parteientschädigung und die Entschädigung für die amtliche Vertretung im Verfahren vor dem Bundesgericht [SR 173.110.210.3]).  
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird gutgeheissen und das Urteil des Steuerrekursgerichts des Kantons Zürich vom 18. Januar 2017 wird aufgehoben. Der Anspruch auf Rückerstattung der Verrechnungssteuer für das Steuerjahr 2014 wird auf Fr. 175'000.-- festgesetzt. 
 
2.  
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
3.  
Der Kanton Zürich hat den Beschwerdeführern für das bundesgerichtliche Verfahren eine Parteientschädigung von Fr. 7'000.-- zu bezahlen. 
 
4.  
Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten, dem Steuerrekursgericht des Kantons Zürich 2. Abteilung und der Eidgenössischen Steuerverwaltung schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 16. August 2019 
 
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Seiler 
 
Der Gerichtsschreiber: Seiler