Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet. Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
Zurück zur Einstiegsseite Drucken
Grössere Schrift
 
Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
1B_154/2009 
 
Urteil vom 23. Juni 2009 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Féraud, Präsident, 
Bundesrichter Reeb, Raselli, 
Gerichtsschreiber Kessler Coendet. 
 
Parteien 
X.________, Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Eric Stern, 
 
gegen 
 
Staatsanwaltschaft Limmattal/Albis, Zweigstelle Dietikon, Molkenstrasse 15, Postfach, 8026 Zürich. 
 
Gegenstand 
Entlassung aus dem vorzeitigen Strafvollzug, 
 
Beschwerde gegen die Verfügung vom 4. Mai 2009 
des Bezirksgerichts Dietikon, Einzelrichter. 
Sachverhalt: 
 
A. 
X.________ wurde am 7. April 2009 verhaftet; am Tag darauf wurde ihr von der Staatsanwaltschaft Limmattal/Albis der vorzeitige Strafantritt bewilligt. Der Einzelrichter in Strafsachen des Bezirksgerichts Dietikon verurteilte sie am 29. April 2009 wegen mehrfacher Fälschung von Ausweisen, rechtwidriger Einreise und rechtswidrigen Aufenthalts zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von sechs Monaten, abzüglich des bis dahin erstandenen Freiheitsentzugs. 
 
B. 
Am 30. April 2009 erhob die Verurteilte Berufung. Gleichzeitig stellte sie ein Gesuch um Entlassung aus dem vorzeitigen Strafvollzug und verlangte die Einsetzung ihres erbetenen Rechtsbeistands als amtlichen Verteidiger für das Haftentlassungsverfahren. Mit Verfügung vom 4. Mai 2009 lehnte der Einzelrichter in Strafsachen des Bezirksgerichts Dietikon das Gesuch um Entlassung aus dem vorzeitigen Strafvollzug (Dispositiv Ziffer 1) und die Bestellung eines amtlichen Verteidigers für dieses Verfahren (Dispositiv Ziffer 2) ab. 
 
C. 
Mit Eingabe vom 3. Juni 2009 legt X.________ gegen die Verfügung vom 4. Mai 2009 beim Bundesgericht Beschwerde in Strafsachen ein. Sie beantragt die Aufhebung des angefochtenen Entscheids, die sofortige Freilassung und die Gewährung eines amtlichen Verteidigers für das kantonale Verfahren. Ausserdem sei ihr Anwalt auch für das bundesgerichtliche Verfahren als amtlicher Verteidiger zu bestellen. Der Einzelrichter hat Verzicht auf eine Vernehmlassung erklärt. Die Staatsanwaltschaft hat sich innert angesetzter Frist nicht vernehmen lassen. 
 
D. 
Mit Nachtragseingabe vom 17. Juni 2009 teilt die Beschwerdeführerin mit, dass ihr nachträglich durch Rekursentscheid des Obergerichts des Kantons Zürich die amtliche Verteidigung im Strafverfahren rückwirkend ab 9. April 2009 gewährt worden ist. 
 
Erwägungen: 
 
1. 
Angefochten ist ein strafprozessualer Haftprüfungsentscheid betreffend die Entlassung aus dem vorzeitigen Strafvollzug. Hiergegen steht die Beschwerde in Strafsachen gemäss Art. 78 ff. BGG zur Verfügung. Nicht anders verhält es sich bezüglich des Punkts des angefochtenen Entscheids, der die Verweigerung einer amtlichen Verteidigung betrifft. Die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen sind ebenfalls erfüllt und geben keinen Anlass zu Bemerkungen. Auf die Beschwerde ist einzutreten. 
 
2. 
2.1 Nach zürcherischem Strafprozessrecht darf vorzeitiger Strafvollzug nur fortgesetzt werden, wenn der Angeschuldigte eines Verbrechens oder Vergehens dringend verdächtig ist und ausserdem konkrete Anhaltspunkte für einen besonderen Haftgrund vorliegen (§ 58 Abs. 1 i.V.m. § 71a der Strafprozessordnung vom 4. Mai 1919 [StPO/ZH]; vgl. BGE 135 I 71 E. 2 S. 72; 133 I 270 E. 2 S. 275). Die Beschwerdeführerin bestreitet nicht, dass in ihrem Fall dringender Tatverdacht und Fluchtgefahr gegeben sind. 
 
2.2 Indessen hält die Beschwerdeführerin eine Aufrechterhaltung des strafprozessualen Freiheitsentzugs für unverhältnismässig. Der Richter darf die Haft nur so lange erstrecken, als sie nicht in grosse zeitliche Nähe der (im Falle einer rechtskräftigen Verurteilung) konkret zu erwartenden Dauer der freiheitsentziehenden Sanktion rückt. Im Weiteren kann eine Haft die zulässige Dauer auch dann überschreiten, wenn das Strafverfahren nicht genügend vorangetrieben wird. Die Frage, ob eine Haftdauer als übermässig bezeichnet werden muss, ist aufgrund der konkreten Verhältnisse des einzelnen Falls zu beurteilen. Für die Beurteilung der Verhältnismässigkeit der Haft spielt es jedoch grundsätzlich keine Rolle, dass für die in Aussicht stehende Freiheitsstrafe gegebenenfalls der bedingte oder teilbedingte Vollzug gewährt werden kann (BGE 133 I 270 E. 3.4.2 S. 281 f. mit Hinweisen). 
 
2.3 Nach den Darlegungen der Beschwerdeführerin sei zu erwarten, dass das Obergericht als Berufungsinstanz eine deutlich mildere Strafe ausfällen werde; deshalb bestehe ein erhebliches Risiko von Überhaft. Es erweist sich aber nicht als verfassungswidrig, dass der angefochtene Entscheid im Hinblick auf die zu erwartende Strafe auf das erstinstanzliche Strafurteil abstellt. Wenn die Beschwerdeführerin annimmt, das Obergericht werde die Strafe wesentlich verkürzen oder gar den bedingten Strafvollzug gewähren, ist dies reine Spekulation. Dies gilt auch im Hinblick auf die geltend gemachten persönlichen Umstände der Beschwerdeführerin. Insoweit muss auf ihre Argumente nicht im Einzelnen eingegangen werden. Vorläufig kann noch nicht die Rede davon sein, dass der erstandene Freiheitsentzug in grosse Nähe der Strafe gerückt ist, die der Beschwerdeführerin droht. 
 
2.4 Die Beschwerdeführerin beklagt sich weiter darüber, dass das erstinstanzliche Urteil noch nicht in begründeter Form vorliegt. Von einer ins Gewicht fallenden Verfahrensverzögerung ist jedoch bis anhin nicht auszugehen. 
 
2.5 Insgesamt ist die Beschwerde, was die Verhältnismässigkeit der strafprozessualen Haft angeht, abzuweisen. 
 
3. 
3.1 Weiter rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung von § 11 Abs. 2 Ziff. 2 StPO/ZH, weil ihr die amtliche Verteidigung für das Haftprüfungsverfahren nicht bewilligt worden ist. Nach dieser Bestimmung muss der Angeschuldigte, wenn er sich ununterbrochen mehr als fünf Tage in Untersuchungshaft befindet, für deren weitere Dauer durch einen Verteidiger verbeiständet sein. Im angefochtenen Entscheid wird dargelegt, das diesbezügliche Gesuch der Beschwerdeführerin sei nicht begründet worden. Im Übrigen lasse sich dieses nicht auf § 11 StPO/ZH stützen, weil das vorliegende Verfahren in Zusammenhang mit einem Strafvollzug stehe und kein Strafverfahren sei. 
 
3.2 Zunächst ist festzuhalten, dass dieser Beschwerdepunkt durch den von der Beschwerdeführerin ins Recht gelegten Rekursentscheid des Obergerichts vom 15. Juni 2009 nicht gegenstandslos geworden ist. Dieser Rekursentscheid bezieht sich auf eine Verfügung des erstinstanzlichen Strafrichters vom 24. April 2009 und nicht auf den hier angefochtenen Entscheid. 
 
3.3 Der angefochtene Entscheid leidet an einem inneren Widerspruch, wenn er die Haftprüfung bei vorzeitigem Strafvollzug nach strafprozessrechtlichen Grundsätzen vornimmt, letzteres aber bezüglich der Berechtigung der amtlichen Verteidigung in diesem Rahmen nicht zur Anwendung bringen will. Dass das kantonale Strafprozessrecht massgeblich ist bezüglich der Prüfung, ob die Aufrechterhaltung von vorzeitigem Strafvollzug gegen den Willen der Betroffenen rechtmässig ist, unterliegt keinem Zweifel (vgl. E. 2.1 hiervor). Nichts anderes kann hinsichtlich der Frage gelten, ob die Betroffene in einem solchen Haftprüfungsverfahren Anspruch auf amtliche Verteidigung hat. § 11 Abs. 2 Ziff. 2 StPO/ZH muss in dieser Hinsicht angewendet werden. 
 
3.4 § 11 Abs. 2 Ziff. 2 StPO/ZH geht teilweise über die grundrechtlichen Minimalregeln hinaus. Die Bestellung eines amtlichen Verteidigers ist in den Fällen notwendiger Verteidigung im Sinne dieser gesetzlichen Bestimmung anzuordnen; dabei ist die Bedürftigkeit des Angeschuldigten nicht erforderlich. Sie spielt allenfalls nach Abschluss des Verfahrens bei der endgültigen Kostenauflage bzw. beim Kostenbezug eine Rolle. Der aus Art. 29 Abs. 3 BV folgende Anspruch auf unentgeltlichen Rechtsbeistand ist hingegen ausschliesslich ein Recht der bedürftigen Person (vgl. das Urteil des Bundesgerichts 1P.411/2002 vom 6. November 2002 E. 4.3). Sodann ist die Frage der Anwendbarkeit von § 11 Abs. 2 StPO/ZH von Amtes wegen zu prüfen; es bedarf im Rahmen dieser Bestimmung nicht des Nachweises der Bedürftigkeit und keines Gesuchs des Angeschuldigten (vgl. LIEBER/DONATSCH in: Donatsch/Schmid [Hrsg.], Kommentar zur Strafprozessordnung des Kantons Zürich, 2006, N. 43 zu § 11 StPO/ZH mit Hinweisen auf die kantonale Praxis). Die Vorinstanz stellt sich in offensichtlichen Widerspruch zu diesen Grundsätzen, wenn sie der Beschwerdeführerin vorhält, das Gesuch um Einsetzung ihres Anwalts als amtlichen Verteidiger nicht begründet zu haben. Zu einer solchen Begründung war die Beschwerdeführerin gemäss § 11 StPO/ZH nicht verpflichtet. 
 
3.5 Im Ergebnis erweist sich die Beschwerde im Hinblick auf die Frage der Bestellung eines amtlichen Verteidigers als begründet. Es verletzt die Bundesverfassung, dass die Vorinstanz die Anwendbarkeit von § 11 Abs. 2 Ziff. 2 StPO/ZH auf das diesbezügliche Gesuch abgelehnt und dieses zufolge mangelnder Begründung nicht weiter geprüft hat. 
 
4. 
Nach dem Gesagten ist die Beschwerde teilweise gutzuheissen, soweit sie die Verweigerung der amtlichen Verteidigung im kantonalen Verfahren betrifft. Dispositiv Ziffer 2 des angefochtenen Entscheids ist aufzuheben und die Angelegenheit zur Neubeurteilung in diesem Punkt an die Vorinstanz zurückzuweisen. Im Übrigen ist die Beschwerde abzuweisen. Bei diesem Verfahrensausgang sind keine Gerichtskosten zu erheben (Art. 66 BGG). Der Kanton Zürich hat der Beschwerdeführerin eine reduzierte Parteientschädigung auszurichten (Art. 68 Abs. 1 BGG). Demzufolge ist das sinngemäss gestellte Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung im bundesgerichtlichen Verfahren gegenstandslos. 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen. Dispositiv Ziffer 2 der Verfügung des Bezirksgerichts Dietikon, Einzelrichter, vom 4. Mai 2009 wird aufgehoben und die Sache insoweit an diesen zur Neubeurteilung zurückgewiesen. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen. 
 
2. 
Es werden keine Kosten erhoben. 
 
3. 
Der Kanton Zürich hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 1'500.-- zu entschädigen. 
 
4. 
Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin, der Staatsanwaltschaft Limmattal/Albis, Zweigstelle Dietikon, und dem Bezirksgericht Dietikon, Einzelrichter, schriftlich mitgeteilt. 
 
Lausanne, 23. Juni 2009 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: 
 
Féraud Kessler Coendet