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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
1B_172/2023  
 
 
Urteil vom 9. Mai 2023  
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Müller, präsidierendes Mitglied, 
Bundesrichter Merz, Kölz, 
Gerichtsschreiber Störi. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Roger Meier, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Staatsanwaltschaft Zürich-Sihl, 
Postfach, 8036 Zürich. 
 
Gegenstand 
Strafverfahren; Entsiegelung, 
 
Beschwerde gegen die Verfügung des Bezirksgerichts Zürich, Zwangsmassnahmengericht, vom 7. März 2023 (GT230026-L / U). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Die Staatsanwaltschaft Zürich-Sihl führt gegen A.________ eine Strafuntersuchung wegen Pornografie; sie verdächtigt ihn, am 13. September 2022 ein kinderpornografisches Foto auf Google-Drive hochgeladen und damit verbreitet zu haben. Bei der am 18. Januar 2023 durchgeführten Hausdurchsuchung wurden 31 elektronische Geräte (Mobiltelefone, Computer, Speicherkarten, USB-Sticks etc.) sichergestellt. A.________ verlangte deren Siegelung. 
Am 2. Februar 2023 stellte die Staatsanwaltschaft beim Zwangsmassnahmengericht des Bezirks Zürich ein Entsiegelungsgesuch. Das Zwangsmassnahmengericht hat mit Verfügung vom 7. März 2023 festgestellt, dass kein gültiges Siegelungsbegehren vorliege, ist auf das Entsiegelungsbegehren der Staatsanwaltschaft nicht eingetreten und hat die sichergestellten Gegenstände zur Durchsuchung und zur weiteren Verwendung im Strafverfahren freigegeben. 
 
B.  
Mit Beschwerde vom 28. März 2023 beantragt A.________, die Verfügung des Zwangsmassnahmengerichts aufzuheben und das Entsiegelungsbegehren abzuweisen. Das Verfahren sei auf die Fragen des Tatverdachts und der Verhältnismässigkeit zu beschränken und zu sistieren. Vor dessen Fortführung seien verschiedene Daten aus dem "Google Drive" Online-Speicher des Beschwerdeführers resp. von Google zu beschaffen. 
 
C.  
Das Zwangsmassnahmengericht verzichtet auf Vernehmlassung. Die Staatsanwaltschaft beantragt, sowohl die Beschwerde als auch das Sistierungsgesuch abzuweisen. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Gegen den angefochtenen, kantonal letztinstanzlichen Entsiegelungsentscheid steht die Beschwerde in Strafsachen nach Art. 78 ff. BGG offen. 
 
2.  
Das Zwangsmassnahmengericht ist auf das Entsiegelungsgesuch der Staatsanwaltschaft nicht eingetreten mit der Begründung, der Beschwerdeführer habe gar kein rechtsgültiges - nämlich ausreichend substanziiertes - Siegelungsgesuch gestellt, weshalb auf das Entsiegelungsgesuch nicht einzutreten sei und eine materielle Beurteilung zu unterbleiben habe. 
 
2.1. Nach der bundesgerichtlichen Praxis trifft den Inhaber von sichergestellten Aufzeichnungen und Gegenständen, der ein Siegelungsbegehren gestellt hat, im anschliessenden Entsiegelungsverfahren die prozessuale Obliegenheit, allfällige Geheimhaltungsinteressen bzw. Entsiegelungshindernisse im Sinne von Art. 248 Abs. 1 StPO (i.V.m. Art. 197 und Art. 264 StPO) ausreichend zu substanziieren. Weder das Gesetz noch die bundesgerichtliche Praxis verlangen demgegenüber, dass die von einer Hausdurchsuchung und provisorischen Beschlagnahme betroffene Person bereits bei der Sicherstellung (bzw. vor einem allfälligen Entsiegelungsantrag der Staatsanwaltschaft) ihr Siegelungsbegehren detailliert zu begründen hätte (Urteile 1B_522/2019 vom 4. Februar 2020 E. 2.1; 1B_382/2017 vom 22. Dezember 2017 E. 3.1). Eine übertriebene prozessuale Schärfe bei der Handhabung formeller Anforderungen für die Siegelung (etwa betreffend rechtzeitige Erhebung oder "Begründung" von Siegelungsbegehren) würde den im Gesetz vorgesehenen effizienten Rechtsschutz von Betroffenen gegenüber strafprozessualen Zwangsmassnahmen aushöhlen (Urteile 1B_219/2017 vom 23. August 2017 E. 3.3; 1B_382/2017 vom 22. Dezember 2017 E. 3.3; vgl. auch BGE 140 IV 28 E. 3.4, E. 4.3.4, E. 4.3.6; je mit Hinweisen). Damit eine Siegelung durch die Strafverfolgungsbehörde erfolgt, muss die betroffene Person aber immerhin einen spezifischen Siegelungsgrund sinngemäss anrufen bzw. glaubhaft machen (Urteil 1B_273/2021 vom 2. März 2022 E. 3.3 mit Hinweisen).  
 
2.2. Die Hausdurchsuchung beim Beschwerdeführer fand laut Durchsuchungsprotokoll am 18. Januar 2023 von 06.10 bis 07.10 Uhr statt. Unbestritten ist, dass er dabei die Siegelung der sichergestellten Gegenstände verlangte. Aus dem Polizeirapport vom 19. Januar 2023 ergibt sich nicht, dass er das Siegelungsbegehren begründet hätte. Ab 10.14 Uhr wurde der Beschwerdeführer in Anwesenheit seines zwischenzeitlich aufgebotenen Verteidigers polizeilich einvernommen. Dabei wurde ihm die Frage Nr. 17 gestellt: "Sie wurden in Kenntnis gesetzt, dass die Möglichkeit besteht, diese Datenträger siegeln zu lassen. Sind Sie damit einverstanden, dass wir Ihre Datenträger nach verbotenen Dateien durchsuchen oder möchten Sie diese siegeln lassen?". Darauf antwortete der Beschwerdeführer: "Ich möchte die Datenträger siegeln lassen. Ich vertraue da auf die Beratung meines Rechtsanwaltes."  
Aus diesen Rapporten ergibt sich, dass der Beschwerdeführer bei der Hausdurchsuchung ein Siegelungsbegehren stellte. Für die nachträglich aufgestellte Behauptung, er habe sich auf den Schutz der Privatsphäre berufen, findet sich, wie das Zwangsmassnahmengericht zu Recht feststellte, kein Hinweis, und schon gar nicht darauf, dass er diesen pauschalen Einwand in irgendeiner Weise näher konkretisiert hätte. Bei der polizeilichen Befragung gut drei Stunden später hat er sich - nach anwaltlicher Beratung - darauf beschränkt, am Siegelungsbegehren festzuhalten. Auch wenn man an das anlässlich der Hausdurchsuchung in der damit verbundenenen Aufregung ohne anwaltlichen Beistand gestellte Siegelungsgesuch keine hohen Anforderungen stellen kann, so hatte der Beschwerdeführer jedenfalls Gelegenheit und Anlass, nach erfolgter anwaltlicher Beratung zeitnah und damit rechtzeitig die aus seiner Sicht einer Beschlagnahme entgegenstehenden Gründe anzuführen. Das Zwangsmassnahmengericht hat unter diesen Umständen kein Bundesrecht verletzt, indem es davon ausging, der Beschwerdeführer habe kein substanziiertes und damit gültiges Siegelungsbegehren gestellt. 
 
3.  
Die Beschwerde erweist sich somit als offensichtlich unbegründet, weshalb sie im vereinfachten Verfahren mit summarischer Begründung nach Art. 109 Abs. 2 lit. a und Abs. 3 BGG abzuweisen ist. Damit wird der Beschwerdeführer kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG). Er hat zwar ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung gestellt, welches indessen abzuweisen ist, da die Beschwerde aussichtslos war (Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG). Mit dem Entscheid in der Sache wird das Sistierungsgesuch hinfällig. 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.  
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird abgewiesen. 
 
3.  
Die Gerichtskosten von Fr. 1'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
4.  
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft Zürich-Sihl und dem Bezirksgericht Zürich, Zwangsmassnahmengericht, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 9. Mai 2023 
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Das präsidierende Mitglied: Müller 
 
Der Gerichtsschreiber: Störi