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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                 
 
 
9C_577/2017  
 
 
Urteil vom 25. September 2018  
 
II. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Pfiffner, Präsidentin, 
Bundesrichterin Glanzmann, Bundesrichter Parrino, 
Gerichtsschreiber Grünenfelder. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________ AG, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
Ausgleichskasse des Kantons Bern, Abteilung Beiträge und Zulagen, 
Chutzenstrasse 10, 3007 Bern, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Alters- und Hinterlassenenversicherung, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid 
des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern 
vom 4. Juli 2017 (200 17 293 AHV). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
B.________, Geschäftsführer und einziger Verwaltungsrat der A.________ AG, ersuchte für das Geschäftsjahr 2015 um Anwendung des vereinfachten Abrechnungsverfahrens. Mit Verfügung vom 21. August 2015 verneinte die Ausgleichskasse des Kantons Bern dessen Zulässigkeit und hielt an der ordentlichen Abrechnung fest. Den Entscheid vom 11. Dezember 2015, mit welchem auf die dagegen erhobene Einsprache mangels Rechtsschutzinteresses nicht eingetreten worden war, hob das kantonale Gericht am 25. Mai 2016 auf und wies die Sache an die Verwaltung zurück. Diese tätigte weitere Abklärungen und verweigerte der A.________ AG das vereinfachte Abrechnungsverfahren am 24. Februar 2017 erneut, weil der Einzellohn des B.________ über der hiefür geltenden Limite liege. 
 
B.   
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern mit Entscheid vom 4. Juli 2017 ab. 
 
C.   
Die A.________ AG führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem Rechtsbegehren, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben. 
Die Ausgleichskasse schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichtet auf eine Vernehmlassung. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Die Beschwerde ist nicht kassatorischer, sondern reformatorischer Natur. Daher darf sich die beschwerdeführende Partei grundsätzlich nicht darauf beschränken, die Aufhebung des angefochtenen Entscheids zu beantragen, sondern es ist in der Beschwerdeschrift ein präziser Antrag zur Sache zu stellen (BGE 133 III 489 E. 3.1 S. 489 f.; Urteil 9C_104/2007 vom 20. August 2007 E. 10.2, in: SVR 2008 BVG Nr. 18 S. 69). Das Begehren umschreibt den Umfang des Rechtsstreits und sollte so formuliert werden, dass es bei Gutheissung zum Urteil erhoben werden kann. Ein blosser Aufhebungsantrag genügt nach dem Gesagten (von hier nicht interessierenden Ausnahmen abgesehen) grundsätzlich nicht. Bei der Beurteilung, ob ein genügender Antrag vorliegt, stellt das Gericht indessen nicht nur auf die förmlich gestellten Anträge ab; das Begehren kann sich vielmehr auch aus der Begründung ergeben (vgl. Urteile 8C_309/2011 vom 31. Mai 2011 E. 1.2 und 8C_253/2007 vom 23. Januar 2008 E. 1 mit Hinweis).  
 
1.2. Aus der Beschwerdebegründung geht hervor, dass sinngemäss um nähere Sachverhaltsabklärungen betreffend die Gewährung des vereinfachten Abrechnungsverfahrens ersucht wird. Auf die Beschwerde kann daher eingetreten werden.  
 
2.   
In materiellrechtlicher Hinsicht sind diejenigen Rechtsvorschriften anwendbar, die bei der Erfüllung des zu Rechtsfolgen führenden Sachverhalts Geltung haben (zur Publ. vorgesehenes Urteil 9C_614/2017 vom 22. Juni 2018 E. 4.3.1 mit Hinweisen). Da es um die Abrechnung für 2015 geht, sind die vorliegenden Gegebenheiten nach der bis zum 31. Dezember 2017 in Kraft gestandenen Fassung des Bundesgesetzes über Massnahmen zur Bekämpfung der Schwarzarbeit vom 17. Juni 2005 (nachfolgend: BGSA; SR 822.41) zu beurteilen (vgl. zum grundsätzlichen Verbot der echten Rückwirkung und zum hier fehlenden Ausnahmetatbestand BGE 144 I 81 E. 4.1 S. 87; in BGE 143 II 617, 2C_685/2016, nicht publ. E. 8.4). 
 
3.   
Nach aArt. 2 BGSA wird der Geltungsbereich des vereinfachten Abrechnungsverfahrens wie folgt umschrieben: 
 
"Arbeitgeber können die Löhne der in ihrem Betrieb beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im vereinfachten Verfahren nach Artikel 3 abrechnen, sofern: 
a. der einzelne Lohn den Grenzbetrag nach Artikel 7 des Bundesgesetzes vom 25. Juni 1982 über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge nicht übersteigt; 
b. die gesamte jährliche Lohnsumme des Betriebes den zweifachen Betrag der maximalen jährlichen Altersrente der AHV nicht übersteigt; und 
c. die Löhne des gesamten Personals im vereinfachten Verfahren abgerechnet werden." 
 
4.   
Das kantonale Gericht hat erwogen, mit Blick auf den von der Beschwerdeführerin verfolgten Zweck (Übernahme und Durchführung von Prüfungs-, Wirtschafts- und Steuerberatungsmandaten, üblichen Treuhandmandaten sowie damit zusammenhängender Aufgaben und Tätigkeiten) gehöre diese nicht zu den vom Gesetzgeber bei der Bekämpfung der Schwarzarbeit anvisierten Arbeitgebern. Vielmehr gelte das BGSA für diejenigen Arbeitnehmer, welche in Bereichen arbeiteten, die für Schwarzarbeit anfällig seien. Die Massnahmen zur Bekämpfung der Schwarzarbeit machten bei Arbeitsverhältnissen wie dem vorliegenden keinen Sinn, wo Arbeitgeber und Arbeitnehmer faktisch identisch seien. Mit Blick auf die Beteiligungen des B.________ an anderen Unternehmen müsse überdies als erstellt gelten, dass das vereinfachte Abrechnungsverfahren einzig zur Steuerumgehung verwendet worden sei. Daher erweise sich die Berufung auf aArt. 2 BGSA als rechtsmissbräuchlich. Gestützt darauf hat das kantonale Gericht den abweisenden Entscheid der Ausgleichskasse vom 24. Februar 2017 bestätigt. 
 
5.  
 
5.1. Nach der am 1. Januar 2018 in Kraft getretenen Gesetzesrevision ist das vereinfachte Abrechnungsverfahren für Kapitalgesellschaften explizit nicht anwendbar (vgl. Art. 2 Abs. 2 lit. a BGSA). Hintergrund dieser Gesetzesänderung bildet die Evaluation über das auf das Jahr 2008 hin eingeführte BGSA. Sie habe gezeigt, dass das vereinfachte Abrechnungsverfahren teilweise auch zweckfremd angewandt werde, namentlich in Bezug auf die Abrechnung von Verwaltungshonoraren, und so ungewollte Steuerersparnisse ermögliche (Botschaft zur Änderung des Bundesgesetzes gegen die Schwarzarbeit vom 18. Dezember 2015, BBl 2016 157 ff., S. 163 Ziff. 1.2.1). So wenig wie in concreto Raum für eine rückwirkende Gültigkeit der geänderten Gesetzesbestimmung besteht (vgl. E. 2 vorne), so wenig vermag diese späte (re) und "selbstformulierte" Erkenntnis Leitfaden für die Auslegung von aArt. 2 BGSA sein.  
 
5.2. Dessen - in erster Linie massgebender - Wortlaut (vgl. dazu BGE 141 II 57 E. 3.2 S. 61 mit Hinweisen) ist keine qualitative Einschränkung zu entnehmen. Vielmehr legt die Bestimmung einzig die quantitativen Kriterien des vereinfachten Abrechnungsverfahrens fest. In systematischer und gleichermassen teleologischer Hinsicht sticht wohl Namensgebung des (neuen) Bundesgesetzes (vgl. E. 2 vorne) sowie sein Art. 1 ins Auge. In Letzterem wird festgehalten, "mit diesem Gesetz soll die Schwarzarbeit bekämpft werden". Ein Blick in die Botschaft vom 16. Januar 2002 fördert jedoch zutage, dass unter dem Begriff der Schwarzarbeit primär und in relativ allgemeiner Form geringfügige unselbständige Erwerbstätigkeiten verstanden wurden, als solche "nur"  typischerweise Hausdienstarbeiten, saisonbedingte Gelegenheitsarbeiten (Gartenarbeit) oder die Tätigkeiten von Tierpflegerinnen und Tierpflegern sowie von Krankenpflegerinnen und Krankenpflegern in Privathaushalten genannt sind (vgl. BBl 2002 3605 ff., S. 3613 Ziff. 1.2.1.1). Darüber hinaus wurde aus dem Vernehmlassungsverfahren ausdrücklich der Schluss gezogen, dass der Kreis der Beschäftigungsverhältnisse, die mit den vorgesehenen Vereinfachungsmassnahmen bei den Sozialversicherungen anvisiert werde, über die Dienstleistungen für Privatpersonen auf andere Aktivitäten von begrenzter Bedeutung auch in Unternehmen ausgeweitet werden könnten (BBl 2002 3605 ff., S. 3617 Ziff. 1.2.1.3 in fine). Diesem Ansinnen ist der Gesetzgeber nicht einmal ansatzweise entgegen getreten.  
Nach dem Gesagten fehlen triftige Gründe, die ein Abweichen vom Wortlaut von aArt. 2 BGSA rechtfertigen. Insbesondere lässt sich eine bewusst gewollte Ausklammerung geringfügiger Verwaltungsratshonorare vom vereinfachten Abrechnungsverfahren (noch) nicht ausmachen. 
 
5.3. Von Rechtsmissbrauch, wie die Vorinstanz meint, kann demnach von vornherein nicht die Rede sein. Dies gilt umso mehr, als der Umstand, dass B.________ über weitere Unternehmensbeteiligungen verfügt, weder ungewöhnlich (absonderlich) noch sonstwie sachwidrig ist (zu den Voraussetzungen der Steuerumgehung vgl. BGE 142 II 399 E. 4.2 S. 408 mit Hinweisen). Nicht weiter hilft auch das Argument, die Beschwerdeführerin habe das vereinfachte Abrechnungsverfahren nicht beanspruchen können, da B.________ ihr einziges Verwaltungsratsmitglied sei. Voraussetzung ist lediglich, dass die Löhne des gesamten Personals im vereinfachten Verfahren abgerechnet werden; eine numerische Mindestzahl ist nicht gefordert (vgl. E. 3 vorne).  
 
5.4. Zusammengefasst verletzt der angefochtene Entscheid Bundesrecht. Durfte die Beschwerdeführerin das vereinfachte Abrechnungsverfahren grundsätzlich in Anspruch nehmen, so bleibt zu prüfen, ob die quantitativen Voraussetzungen des aArt. 2 BGSA lit. a bis c vorliegend erfüllt sind, was das kantonale Gericht offen gelassen hat. Die Angelegenheit ist somit an die Vorinstanz zurückzuweisen, damit sie entsprechende Sachverhaltsfeststellungen treffe und hernach neu entscheide. Ob eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (vgl. Art. 29 Abs. 2 BV) vorliegt, wie dies in der Beschwerde gerügt wird, kann bei diesem Ergebnis dahingestellt bleiben.  
 
6.   
Die Gerichtskosten werden dem Prozessausgang entsprechend der Beschwerdegegnerin auferlegt (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG). 
Der obsiegenden (unvertretenen) Beschwerdeführerin ist keine Parteientschädigung zuzusprechen, weil ihr Arbeitsaufwand den Rahmen dessen nicht überschritt, was sie üblicher- und zumutbarerweise zur Besorgung der eigenen Angelegenheiten auf sich zu nehmen hat (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG; vgl. statt vieler: Urteil 9C_511/2017 vom 6. September 2017 E. 6 mit Hinweisen). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 4. Juli 2017 wird aufgehoben. Die Sache wird im Sinne der Erwägungen zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen. 
 
2.   
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt. 
 
3.   
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 25. September 2018 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: Pfiffner 
 
Der Gerichtsschreiber: Grünenfelder